Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 5487/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 879/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren im Rahmen eines Zugunstenverfahrens die rückwirkende Bewilligung sog. Analogleistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).
Der am 1960 geborene Kläger Ziff. 1, seine am 1970 geborene Ehefrau, die Klägerin Ziff. 2, sowie deren am 1990, 1992, 1996 und 2005 geborene Kinder, die Kläger Ziff. 3 bis 6, ägyptische Volkszugehörige, hielten sich zunächst nach erfolglosen Asylverfahren aufgrund einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Klägerin Ziff. 3 wurde nach rechtskräftiger Anerkennung eines Abschiebehindernisses (ab 13. Oktober 2005) eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Die übrigen Kläger erhielten ab dem 4. Oktober 2007 eine Aufenthaltserlaubnis. Seit 1992 bzw. ab Geburt bezogen die Kläger Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG. Der Leistungsbezug endete zum 31. Mai 2007, da der Kläger Ziff. 1 ausreichendes Einkommen erzielte, um den Lebensunterhalt der Kläger zu sichern. Staatliche Fürsorgeleistungen wurden anschließend nicht bezogen.
Am 4. November 2009 beantragten die Kläger beim Beklagten, u.a. ihnen unter Abänderung bestandskräftiger Bescheide gem. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem 1. Januar 2005 bis zum Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem AsylbLG Analogleistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren. Eine Nachfrage bei der Ausländerbehörde ergab, dass die Kläger außer der Stellung zweier Asylanträge nichts unternommen hatten, um ihren Aufenthalt zu verlängern. Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 lehnte der Beklagte die Änderung bestandskräftiger Leistungsbewilligungen und die nachträgliche Gewährung von Analogleistungen ab. Zwar hätten die Kläger die erforderliche Vorbezugszeit von Grundleistungen erfüllt und die Aufenthaltsdauer auch nicht rechtsmissbräuchlich verlängert, sie lebten aber seit Juni 2007 aufgrund ausreichenden Einkommens unabhängig von Sozialhilfe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine Nachzahlung aber abzulehnen, wenn die Bedürftigkeit wie bei den Klägern inzwischen temporär oder auf Dauer entfallen sei.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Widersprüche trugen die Kläger vor, die Anwendung des "Aktualitätsgrundsatzes" auf Nachzahlungen zu Unrecht versagter Analogleistungen für die Vergangenheit scheide aus, weil andernfalls das rechtswidrige Handeln des Beklagten sanktionslos bliebe. Die höheren Analogleistungen dienten der Förderung der Integration der Leistungsberechtigten. Dieser Bedarf sei zwischenzeitlich nicht weggefallen, da er mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht habe gedeckt werden können. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei die Nachzahlung geboten, da die tatsächlich gewährten Grundleistungen nicht ausreichten, um das grundrechtlich gesicherte Existenzminimum zu gewährleisten. Dementsprechend habe das BSG die Nachgewährung von Analogleistungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X für zulässig erachtet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2010 wies der Beklagte die Widersprüche aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.
Hiergegen haben die Kläger am 25. Oktober 2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen haben sie vorgetragen, die beantragten Nachzahlungsansprüche erfüllten in erster Linie den Zweck, das erforderliche Existenzminimum zunächst einmal zu erfüllen und die Verfassungswidrigkeit der gewährten Leistungen zu beseitigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2011 hat das SG die Klagen abgewiesen. Sozialhilfeleistungen müssten für einen zurückliegenden Zeitraum nur erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch bestehe, sie also den Bedarf des Hilfesuchenden noch decken könne. Dies setze eine aktuelle Bedürftigkeit voraus, die nur zu bejahen sei, wenn Hilfebedürftigkeit i.S.d. AsylbLG, des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) ununterbrochen vorliege. Sei die Bedürftigkeit wie bei den Klägern zwischenzeitlich entfallen, sei eine Nachzahlung abzulehnen. Die Änderung bestandskräftiger Bescheide könne daher trotz ihrer Rechtswidrigkeit nicht verlangt werden. Mangels Nachzahlungsanspruch bestehe auch kein Anspruch auf die begehrte Verzinsung.
Gegen diese ihrem Bevollmächtigten am 4. Februar 2011 zugestellte Entscheidung haben die Kläger am 3. März 2011 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und zu deren Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2010 zu verurteilen, ihnen unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2007 Analogleistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII unter Anrechnung gewährter Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wegen der weiteren Begründung wird auf Bl. 23/24 der Senatsakten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig, insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch das Nachzahlungsbegehren der Kläger. Der vor dem SG noch verfolgte Zinsanspruch wurde mit der Berufung nicht mehr geltend gemacht. Dies ergibt sich aus dem in der Berufungsschrift gestellten Antrag, der den Zinsanspruch nicht mehr erwähnt und ausdrücklich die "Abänderung", also nicht die vollständige Aufhebung des Gerichtsbescheides zum Ziel hat.
Das SG hat die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften genannt und korrekt angewandt und ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Wegfall der Hilfebedürftigkeit einem Anspruch auf rückwirkende Zuerkennung von Analogleistungen für davor liegende Zeiträume auch im Rahmen des § 44 SGB X entgegensteht. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid an und nimmt auf diese Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Rechtsprechung des BSG zur Anwendung des § 44 SGB X im Sozialhilfe- und Grundsicherungsrecht nach dem SGB XII ist auch im Bereich der Leistungen nach dem AsylbLG zu beachten, da auch insoweit das Gegenwärtigkeitsprinzip gilt. Danach findet § 44 SGB X zwar auch in diesen Rechtsgebieten Anwendung. Besonderheiten des Sozialhilferechts können der Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit insbesondere bei Bedarfswegfall jedoch entgegenstehen. Anknüpfungspunkt ist die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen (nur) nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches erbracht werden. Demnach muss den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung getragen werden. Im Bereich der Sozialhilfe ist insoweit zu berücksichtigen, dass diese nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dient (sog. Gegenwärtigkeitsprinzip) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet ist (BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 20). Dies gilt in gleichem Maße für die Leistungen nach dem AsylbLG. Sozialhilfeleistungen bzw. Leistungen nach dem AsylbLG müssen daher für einen zurückliegenden Zeitraum nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann. Dies setzt nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch eine aktuelle Bedürftigkeit voraus. § 44 SGB X dient der Durchsetzung materieller Gerechtigkeit gegenüber der Bindungswirkung rechtswidriger Verwaltungsakte. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verlangt aber unter den genannten sozialhilferechtlichen Aspekten gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, der er nicht mehr bedarf. Eine nachträglich zu erbringende Leistung darf nicht den Charakter einer Entschädigung erhalten.
Das BSG hat hierzu in der vom Bevollmächtigten der Kläger (allerdings nicht vollständig zitierten) Entscheidung vom 29. September 2009 (SozR 4-1300 § 44 Nr. 20) zwei Fallgruppen unterschieden, nämlich (1.) den Wegfall des Bedarfes und (2.) die Bedarfsdeckung. Die erste Fallgruppe betrifft Leistungsablehnungen für Bedarfe, die entgegen prognostischer Sicht überhaupt nicht angefallen sind. Hier sind keine Sozialhilfeleistungen für die Vergangenheit zu erbringen, weil sie ihren Zweck nicht mehr erreichen können und nur eine Entschädigung darstellen würden. Hierzu gehören jedenfalls nie pauschalierte Leistungen, die nicht nur einen gegenwärtigen, sondern auch einen zukünftigen oder vergangenen Bedarf einbeziehen, z.B. der Regelsatz nach SGB XII. Daher hat das BSG ausgeführt, dass es bei solchermaßen pauschalierten Leistungen keines Nachweises der Bedarfsdeckung (in Abgrenzung zum Bedarfswegfall) bedarf. Nur hierauf bezieht sich die "Privilegierung" der pauschalierten Leistungen. Dies gilt entsprechend für pauschalierte Leistungen nach dem AsylbLG und die Analogleistungen. Der ersten Fallgruppe unterfallen daher Leistungen für Bedarfslagen, die konkret nicht entstanden sind, sei es auch, weil die Leistungsablehnung die Deckung des Bedarfs verhindert hat, z.B. die Nichtteilnahme an einer Klassenfahrt mangels finanzieller Mittel oder der Verzicht auf die kostenaufwändige Ernährung. Einen solchen Fall machen die Kläger nicht geltend. Ohnehin scheiterte auch insoweit ein Nachgewährungsanspruch aus den nachfolgenden Erwägungen.
Die Nachgewährung von Leistungen wie den Regelleistungen, die einen typisierten Bedarf abdecken, unterfällt daher der zweiten Fallgruppe, wobei auf den Nachweis der Bedarfsdeckung verzichtet wird. Dabei hat das BSG gerade berücksichtigt, dass diese pauschalierten Leistungen der Befriedigung nicht nur eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienen (Ansparanteile). Entgegen der Auffassung der Kläger führt der Gesichtspunkt der Ansparanteile auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht zur zwingenden Anwendbarkeit des § 44 SGB X, sondern nur zum Verzicht auf den Nachweis der - konkreten - Bedarfsdeckung. In dieser Fallgruppe ist zu unterscheiden, ob die Bedürftigkeit (nicht der Bedarf) aktuell noch besteht oder zwischenzeitlich entfallen ist. Besteht die Bedürftigkeit i.S.d. SGB XII ununterbrochen fort, sind Sozialhilfeleistungen nachträglich zu erbringen, weil der Sozialhilfeträger bei rechtswidriger Leistungsablehnung nicht dadurch entlastet werden darf, dass der Bedarf anderweitig gedeckt wurde. Die Sozialhilfe kann ihren Zweck noch erfüllen, weil an die Stelle des ursprünglichen Bedarfs eine vergleichbare Belastung als Surrogat getreten ist. Mit Unterbrechung der Bedürftigkeit besteht jedoch kein sozialhilferechtlicher Bedarf mehr, wobei es gleichgültig ist, ob die Bedürftigkeit auf Dauer oder nur temporär entfällt. Die Entscheidung des SG entspricht somit der Rechtsprechung des BSG, der auch der Senat folgt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2010 - L 7 AY 5251/10 B -). Anderes ergibt sich auch nicht aus den von den Klägern angeführten Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2010 (- L 20 AY 10/10 - (juris); nachgehend BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 AY 1/10 R - bislang nur als Pressebericht vorliegend) und des SG Gelsenkirchen vom 18. Januar 2010 (- S 12 AY 43/09 - (juris)). Diesen lag gerade ein Fall durchgehender Hilfebedürftigkeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zugrunde (nicht problematisiert in SG Oldenburg, Urteil vom 9. August 2010 - S 25 AY 43/09 - (juris)). Die Entscheidungen hatten sich daher nur im Zusammenhang mit der Frage des Umfanges der nachzugewährenden Leistungen mit der Bedeutung der Ansparleistungen auseinanderzusetzen.
Die Feststellung des SG, dass die Antragsteller nach dem 31. Mai 2007 wegen zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichenden Einkommens nicht durchgehend Leistungen nach dem AsylbLG, dem SGB II oder SGB XII bezogen haben, wird von Klägern selbst nicht in Abrede gestellt und durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten bestätigt. Damit lag wegen der Unterbrechung der Bedürftigkeit kein sozialhilferechtlicher Bedarf mehr vor.
Mit dem SG ist auch der Senat der Ansicht, dass eine möglicherweise bestehende Verfassungswidrigkeit der Leistungen nach dem AsylbLG nichts an der durch die zwischenzeitlich entfallene Bedürftigkeit fehlenden Gegenwärtigkeit der Notlage ändert.
Sind - wie vorliegend - Leistungen rückwirkend (überhaupt) nicht mehr zu erbringen, kann trotz Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bescheide ein Anspruch auf deren Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht anerkannt werden (BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren im Rahmen eines Zugunstenverfahrens die rückwirkende Bewilligung sog. Analogleistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).
Der am 1960 geborene Kläger Ziff. 1, seine am 1970 geborene Ehefrau, die Klägerin Ziff. 2, sowie deren am 1990, 1992, 1996 und 2005 geborene Kinder, die Kläger Ziff. 3 bis 6, ägyptische Volkszugehörige, hielten sich zunächst nach erfolglosen Asylverfahren aufgrund einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Klägerin Ziff. 3 wurde nach rechtskräftiger Anerkennung eines Abschiebehindernisses (ab 13. Oktober 2005) eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Die übrigen Kläger erhielten ab dem 4. Oktober 2007 eine Aufenthaltserlaubnis. Seit 1992 bzw. ab Geburt bezogen die Kläger Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG. Der Leistungsbezug endete zum 31. Mai 2007, da der Kläger Ziff. 1 ausreichendes Einkommen erzielte, um den Lebensunterhalt der Kläger zu sichern. Staatliche Fürsorgeleistungen wurden anschließend nicht bezogen.
Am 4. November 2009 beantragten die Kläger beim Beklagten, u.a. ihnen unter Abänderung bestandskräftiger Bescheide gem. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem 1. Januar 2005 bis zum Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem AsylbLG Analogleistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren. Eine Nachfrage bei der Ausländerbehörde ergab, dass die Kläger außer der Stellung zweier Asylanträge nichts unternommen hatten, um ihren Aufenthalt zu verlängern. Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 lehnte der Beklagte die Änderung bestandskräftiger Leistungsbewilligungen und die nachträgliche Gewährung von Analogleistungen ab. Zwar hätten die Kläger die erforderliche Vorbezugszeit von Grundleistungen erfüllt und die Aufenthaltsdauer auch nicht rechtsmissbräuchlich verlängert, sie lebten aber seit Juni 2007 aufgrund ausreichenden Einkommens unabhängig von Sozialhilfe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine Nachzahlung aber abzulehnen, wenn die Bedürftigkeit wie bei den Klägern inzwischen temporär oder auf Dauer entfallen sei.
Zur Begründung der dagegen eingelegten Widersprüche trugen die Kläger vor, die Anwendung des "Aktualitätsgrundsatzes" auf Nachzahlungen zu Unrecht versagter Analogleistungen für die Vergangenheit scheide aus, weil andernfalls das rechtswidrige Handeln des Beklagten sanktionslos bliebe. Die höheren Analogleistungen dienten der Förderung der Integration der Leistungsberechtigten. Dieser Bedarf sei zwischenzeitlich nicht weggefallen, da er mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht habe gedeckt werden können. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei die Nachzahlung geboten, da die tatsächlich gewährten Grundleistungen nicht ausreichten, um das grundrechtlich gesicherte Existenzminimum zu gewährleisten. Dementsprechend habe das BSG die Nachgewährung von Analogleistungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X für zulässig erachtet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2010 wies der Beklagte die Widersprüche aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.
Hiergegen haben die Kläger am 25. Oktober 2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen haben sie vorgetragen, die beantragten Nachzahlungsansprüche erfüllten in erster Linie den Zweck, das erforderliche Existenzminimum zunächst einmal zu erfüllen und die Verfassungswidrigkeit der gewährten Leistungen zu beseitigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2011 hat das SG die Klagen abgewiesen. Sozialhilfeleistungen müssten für einen zurückliegenden Zeitraum nur erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch bestehe, sie also den Bedarf des Hilfesuchenden noch decken könne. Dies setze eine aktuelle Bedürftigkeit voraus, die nur zu bejahen sei, wenn Hilfebedürftigkeit i.S.d. AsylbLG, des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) ununterbrochen vorliege. Sei die Bedürftigkeit wie bei den Klägern zwischenzeitlich entfallen, sei eine Nachzahlung abzulehnen. Die Änderung bestandskräftiger Bescheide könne daher trotz ihrer Rechtswidrigkeit nicht verlangt werden. Mangels Nachzahlungsanspruch bestehe auch kein Anspruch auf die begehrte Verzinsung.
Gegen diese ihrem Bevollmächtigten am 4. Februar 2011 zugestellte Entscheidung haben die Kläger am 3. März 2011 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und zu deren Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Januar 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2010 zu verurteilen, ihnen unter teilweiser Rücknahme entgegenstehender früherer Verwaltungsakte für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2007 Analogleistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII unter Anrechnung gewährter Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wegen der weiteren Begründung wird auf Bl. 23/24 der Senatsakten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Verfahrensakten des SG und des Senats sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig, insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch das Nachzahlungsbegehren der Kläger. Der vor dem SG noch verfolgte Zinsanspruch wurde mit der Berufung nicht mehr geltend gemacht. Dies ergibt sich aus dem in der Berufungsschrift gestellten Antrag, der den Zinsanspruch nicht mehr erwähnt und ausdrücklich die "Abänderung", also nicht die vollständige Aufhebung des Gerichtsbescheides zum Ziel hat.
Das SG hat die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften genannt und korrekt angewandt und ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Wegfall der Hilfebedürftigkeit einem Anspruch auf rückwirkende Zuerkennung von Analogleistungen für davor liegende Zeiträume auch im Rahmen des § 44 SGB X entgegensteht. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid an und nimmt auf diese Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Rechtsprechung des BSG zur Anwendung des § 44 SGB X im Sozialhilfe- und Grundsicherungsrecht nach dem SGB XII ist auch im Bereich der Leistungen nach dem AsylbLG zu beachten, da auch insoweit das Gegenwärtigkeitsprinzip gilt. Danach findet § 44 SGB X zwar auch in diesen Rechtsgebieten Anwendung. Besonderheiten des Sozialhilferechts können der Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit insbesondere bei Bedarfswegfall jedoch entgegenstehen. Anknüpfungspunkt ist die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen (nur) nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches erbracht werden. Demnach muss den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung getragen werden. Im Bereich der Sozialhilfe ist insoweit zu berücksichtigen, dass diese nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dient (sog. Gegenwärtigkeitsprinzip) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet ist (BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 20). Dies gilt in gleichem Maße für die Leistungen nach dem AsylbLG. Sozialhilfeleistungen bzw. Leistungen nach dem AsylbLG müssen daher für einen zurückliegenden Zeitraum nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann. Dies setzt nicht nur einen punktuellen Bedarf, sondern auch eine aktuelle Bedürftigkeit voraus. § 44 SGB X dient der Durchsetzung materieller Gerechtigkeit gegenüber der Bindungswirkung rechtswidriger Verwaltungsakte. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verlangt aber unter den genannten sozialhilferechtlichen Aspekten gerade nicht, dem (früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, der er nicht mehr bedarf. Eine nachträglich zu erbringende Leistung darf nicht den Charakter einer Entschädigung erhalten.
Das BSG hat hierzu in der vom Bevollmächtigten der Kläger (allerdings nicht vollständig zitierten) Entscheidung vom 29. September 2009 (SozR 4-1300 § 44 Nr. 20) zwei Fallgruppen unterschieden, nämlich (1.) den Wegfall des Bedarfes und (2.) die Bedarfsdeckung. Die erste Fallgruppe betrifft Leistungsablehnungen für Bedarfe, die entgegen prognostischer Sicht überhaupt nicht angefallen sind. Hier sind keine Sozialhilfeleistungen für die Vergangenheit zu erbringen, weil sie ihren Zweck nicht mehr erreichen können und nur eine Entschädigung darstellen würden. Hierzu gehören jedenfalls nie pauschalierte Leistungen, die nicht nur einen gegenwärtigen, sondern auch einen zukünftigen oder vergangenen Bedarf einbeziehen, z.B. der Regelsatz nach SGB XII. Daher hat das BSG ausgeführt, dass es bei solchermaßen pauschalierten Leistungen keines Nachweises der Bedarfsdeckung (in Abgrenzung zum Bedarfswegfall) bedarf. Nur hierauf bezieht sich die "Privilegierung" der pauschalierten Leistungen. Dies gilt entsprechend für pauschalierte Leistungen nach dem AsylbLG und die Analogleistungen. Der ersten Fallgruppe unterfallen daher Leistungen für Bedarfslagen, die konkret nicht entstanden sind, sei es auch, weil die Leistungsablehnung die Deckung des Bedarfs verhindert hat, z.B. die Nichtteilnahme an einer Klassenfahrt mangels finanzieller Mittel oder der Verzicht auf die kostenaufwändige Ernährung. Einen solchen Fall machen die Kläger nicht geltend. Ohnehin scheiterte auch insoweit ein Nachgewährungsanspruch aus den nachfolgenden Erwägungen.
Die Nachgewährung von Leistungen wie den Regelleistungen, die einen typisierten Bedarf abdecken, unterfällt daher der zweiten Fallgruppe, wobei auf den Nachweis der Bedarfsdeckung verzichtet wird. Dabei hat das BSG gerade berücksichtigt, dass diese pauschalierten Leistungen der Befriedigung nicht nur eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen Bedarfs dienen (Ansparanteile). Entgegen der Auffassung der Kläger führt der Gesichtspunkt der Ansparanteile auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht zur zwingenden Anwendbarkeit des § 44 SGB X, sondern nur zum Verzicht auf den Nachweis der - konkreten - Bedarfsdeckung. In dieser Fallgruppe ist zu unterscheiden, ob die Bedürftigkeit (nicht der Bedarf) aktuell noch besteht oder zwischenzeitlich entfallen ist. Besteht die Bedürftigkeit i.S.d. SGB XII ununterbrochen fort, sind Sozialhilfeleistungen nachträglich zu erbringen, weil der Sozialhilfeträger bei rechtswidriger Leistungsablehnung nicht dadurch entlastet werden darf, dass der Bedarf anderweitig gedeckt wurde. Die Sozialhilfe kann ihren Zweck noch erfüllen, weil an die Stelle des ursprünglichen Bedarfs eine vergleichbare Belastung als Surrogat getreten ist. Mit Unterbrechung der Bedürftigkeit besteht jedoch kein sozialhilferechtlicher Bedarf mehr, wobei es gleichgültig ist, ob die Bedürftigkeit auf Dauer oder nur temporär entfällt. Die Entscheidung des SG entspricht somit der Rechtsprechung des BSG, der auch der Senat folgt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2010 - L 7 AY 5251/10 B -). Anderes ergibt sich auch nicht aus den von den Klägern angeführten Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2010 (- L 20 AY 10/10 - (juris); nachgehend BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 AY 1/10 R - bislang nur als Pressebericht vorliegend) und des SG Gelsenkirchen vom 18. Januar 2010 (- S 12 AY 43/09 - (juris)). Diesen lag gerade ein Fall durchgehender Hilfebedürftigkeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zugrunde (nicht problematisiert in SG Oldenburg, Urteil vom 9. August 2010 - S 25 AY 43/09 - (juris)). Die Entscheidungen hatten sich daher nur im Zusammenhang mit der Frage des Umfanges der nachzugewährenden Leistungen mit der Bedeutung der Ansparleistungen auseinanderzusetzen.
Die Feststellung des SG, dass die Antragsteller nach dem 31. Mai 2007 wegen zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichenden Einkommens nicht durchgehend Leistungen nach dem AsylbLG, dem SGB II oder SGB XII bezogen haben, wird von Klägern selbst nicht in Abrede gestellt und durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten bestätigt. Damit lag wegen der Unterbrechung der Bedürftigkeit kein sozialhilferechtlicher Bedarf mehr vor.
Mit dem SG ist auch der Senat der Ansicht, dass eine möglicherweise bestehende Verfassungswidrigkeit der Leistungen nach dem AsylbLG nichts an der durch die zwischenzeitlich entfallene Bedürftigkeit fehlenden Gegenwärtigkeit der Notlage ändert.
Sind - wie vorliegend - Leistungen rückwirkend (überhaupt) nicht mehr zu erbringen, kann trotz Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bescheide ein Anspruch auf deren Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht anerkannt werden (BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
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