S 18 R 570/07

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 18 R 570/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Beginn einer Regelaltersrente (RAR).

Die am in geborene und am verstorbene Versicherte war in Deutschland von Mai 1941 bis Mai 1945 versicherungspflichtig und von Oktober 1946 bis April 1947 versicherungsfrei beschäftigt, erzog danach ihre am und am geborenen Söhne und und wanderte am in die USA aus, deren Staatsangehörigkeit sie erwarb.

Am 20. November 1980 beantragte die Versicherte bei der Beklagten eine Rente wegen verminderten Erwerbsvermögens, die diese mangels Erfüllung der erforderlichen Wartezeit – auch unter Berücksichtigung von US-Zeiten – bestandskräftig ablehnte (Bescheid vom 10. Januar 1983).

Auf den ersten Überprüfungsantrag der Versicherten vom 08. Februar 1985, eingegangen am 19. Februar 1985, erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 14. März 1985 die Leistungsversagung und insbesondere die Berechnung der Wartezeit und lehnte den Antrag sodann unter Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 1983 hinsichtlich der Beschäftigungszeiten vom April 1946 bis Mai 1947 bestandskräftig ab (Bescheid vom 12. November 1985).

Auf den zweiten Überprüfungsantrag der Versicherten vom 15. November 1986, eingegangen am 26. November 1986, verwies die Beklagte diese mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 auf das vorerwähnte Schreiben vom 14. März 1985 unter Beifügung der Broschüre Nr. 9 aus der Informationsreihe Rentenversicherung.

Am 03. Oktober 2005, eingegangen am 14. Oktober 2005, beantragte die Versicherte erneut die Überprüfung "ihrer Rentenangelegenheit." Nach Rückerhalt des Formantrages auf RAR bewilligte die Beklagte der Versicherten sodann ab 01. Oktober 2005 bestandskräftig diese Versichertenrente (Bescheid vom 28. Juni 2006).

Am 10. Juli 2006, eingegangen am 01. November 2006, beantragte die Versicherte die rückwirkende Leistungsgewährung ab Vollendung des 65. Lebensjahres, weil sie bereits seinerzeit eine Versichertenrente beantragt habe. Dies würde durch das - in Kopie beigefügte - Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1987 betreffend die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (KErzZ) in der gesetzlichen Rentenversicherung bestätigt.

Diesen (dritten) Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02. November 2006 ab, weil der beanstandete Rentenbescheid rechtsfehlerfrei ergangen sei. Der Leistungsbeginn 01. Oktober 2005 folge aus § 99 Absatz 1, Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB), Sechstes Buch (VI), weil die Rente am 14. Oktober 2005 beantragt worden sei.

Auf einen früheren Rentenantrag der Versicherten könne nicht zurückgegriffen werden, weil jener vom 20. November 1980 bestandskräftig abgelehnt und kein weiterer Rentenantrag gestellt worden sei. Insbesondere sei das vorerwähnte Schreiben vom 21. Januar 1987 nicht im Zusammenhang mit einem Rentenverfahren verschickt worden; es habe sich vielmehr um eine allgemeine Information über die zum 01. Januar 1986 neu eingeführten Kindererziehungszeiten gehandelt. Zum damaligen Zeitpunkt seien 44 Monate deutscher Versicherungszeit und 12 Monate Versicherungszeit in den USA bekannt, mithin die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt gewesen. Da die Klägerin bei der Klärung der Kindererziehungszeiten nicht mitgewirkt habe, habe die Beklagte nicht weiter tätig sein können.

Den Einwand der Versicherten, weder im Zusammenhang mit ihrem Leistungsantrag im Jahre 1983, noch anlässlich des Schreibens vom 21. Januar 1987 auf die mögliche Beantragung der RAR mit Vollendung des 65. Lebensjahres hingewiesen worden zu sein, weshalb letztgenanntes Datum als Antragstellung zu werten und ihr wegen der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, wies die Beklage mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2007 zurück. Bei den Bescheiden vom 10. Januar 1983 und vom 28. Juni 2006 scheide eine Rücknahme aus, denn hier sei weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem fehlerhaften Sachverhalt ausgegangen worden. Bei der Ablehnung des Rentenantrages aus dem Jahre 1983 hätte ein Hinweis auf die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen für eine RAR noch nicht erfolgen können, weil dies erst durch die 1986 eingeführten KErzZ für die Versicherte ermöglicht worden sei. Auch könne das Schreiben des Rentenversicherungsträgers nicht als Leistungsantrag gewertet werden, weil dieses nur der allgemeinen Information gedient habe. Es habe kein laufendes Rentenverfahren betroffen und die Beklagte hätte aufgrund der bis dahin bekannten Versicherungsverlaufs, d.h. ohne KErzZ, auch nicht von einer Erfüllung der Wartezeit für eine RAR ausgehen können. Da die Versicherte im früheren Rentenverfahren über ihren Versicherungsverlauf informiert worden und mit Schreiben vom 21. Januar 1987 eine (zusätzliche) Anerkennung von KErzZ angeregt worden sei, hätte die Versicherte durch eine dementsprechende Antragstellung die Säumnis bei der Beantragung der RAR vermeiden können. Sie sei daher nicht schuldlos an der verspäteten Antragstellung, weshalb eine Wiedereinsetzung ausscheide.

Mit der beim Sozialgericht Lübeck am 04. Juni 2007 erhobenen Klage begehrt die Versicherte - nunmehr deren Sonderrechtsnachfolger – weiterhin einen Beginn der RAR ab Vollendung des 65. Lebensjahres, weil die Beklagten ihre Auskunfts- und Beratungspflicht verletzt habe.

Der Kläger beantragt - gemäß Klagschrift - sinngemäß,

1. den Bescheid der Beklagten vom 02. November 2006, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2007 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2006 abzuändern und 2. die Beklage zu verurteilen, ihr RAR ab 01. Februar 1987 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2010 hat die Kammer den Sachverhalt mit der allein anwesenden Terminbevollmächtigten der Beklagten erörtert. Zur Ergänzung weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die der Kammer bei ihrer Entscheidung vorliegenden Gerichtsakten mit dem Aktenzeichen S 18 R 570/07 und die von der Beklagten geführten Verwaltungsvorgänge der Versicherten Bezug genommen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer kann trotz des Ausbleibens des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2010 durch Urteil entscheiden, weil kein persönliches Erscheinen des Klägers angeordnet war und die Ladung seiner Prozessbevollmächtigten den Hinweis enthielt, dass auch im Falle ihres Ausbleibens entschieden werden könne ( § 110 Absatz 1, Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ).

Die form- und fristgemäße Klage ist zulässig.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die Entscheidung der Beklagten ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 02. November 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 25. April 2007, abgelehnt, den Bescheid vom 28. Juni 2006 teilweise zurückzunehmen, denn auf den geltend gemachten früheren Leistungsbeginn der bewilligten RAR besteht kein Anspruch.

Zwar ist gemäß § 44 Absatz 1 SGB, Zehntes Buch auch ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Gleichwohl kann im vorliegenden Fall ein früherer Zahlungsbeginn der RAR beansprucht werden, denn der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2006 ist rechtsfehlerfrei.

Soweit die Beklagte den Leistungsbeginn auf den Ersten des Monats festgesetzt hat, entspricht dies § 99 Absatz 1, Absatz 2 SGB VI, wie vom Beklagten bereits im Bescheid vom 02. November 2006 zutreffend ausgeführt. Die Anspruchsvoraussetzungen für die RAR sind zwar bereits am 11. Januar 1987 erfüllt gewesen; da diese Rente aber erst am 14. Oktober 2005 und somit nicht bis zum Ablauf des dritten Kalendermonats nach Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen beantragt worden ist, ist der Zahlungsbeginn mit dem Antragsmonat korrekt festgesetzt.

Dem ist insbesondere kein früherer Leistungsantrag entgegenzuhalten, denn soweit sich die Versicherte vor dem 14. Oktober 2005 an die Beklagte gewandt hat, vermögen diese den Beginn der RAR ab 01. Oktober 2005 nicht in Frage zu stellen. Sämtliche früheren Anträge der Versicherten sind in den Verwaltungsakten ausreichend dokumentiert und widerspiegeln den seinerzeitigen Verwaltungsablauf, ohne dass sich hieraus ein früherer Zahlungsbeginn ableiten ließe.

Der einzige Antrag der Versicherten auf eine Rente wegen verminderten Leistungsvermögens aus dem Jahre 1980 ist mit Bescheid vom 10. Januar 1983 korrekt beschieden worden, dem die Versicherte auch nicht widersprochen hat. Anlässlich dieses Bescheides hat für die Beklagte keinerlei Veranlassung bestanden, die Versicherte - vorsorglich – auf die Möglichkeit der Beantragung einer RAR ab Vollendung des 65. Lebensjahres hinzuweisen, denn nach seinerzeit geltendem Recht war die Wartezeit auch für diese Versichertenrente nicht erfüllt und die spätere Gesetzesänderung, die eine Anerkennung von KErzZ ermöglichte, nicht vorhersehbar.

Auch die Überprüfungsanträge der Versicherten vom 08. Februar 1985 und vom 15. November 1986 stehen als frühere Rentenanträge außer Betracht, denn beide zielten auf eine Überprüfung der vorangegangenen Rentenablehnung und auch hier haben die negativen Entscheidungen der Beklagten Bestandskraft erlangt: Weder dem Bescheid vom 12. November 1985, noch dem Schreiben der Beklagten vom 11. Dezember 1986, hat die Versicherte widersprochen.

Soweit die Beklagte mit Schreiben vom 21. Januar 1987 über die zwischenzeitlich geänderte Rechtslage betreffend die Anerkennung von KErzZ hingewiesen hat, hat dies ebenso wenig Einfluss auf den Beginn der RAR. Dieses Mitteilungsschreiben ist Ausdruck der Verpflichtung der Beklagten, die Versicherten über relevante Änderungen im Rentenrecht in Kenntnis zu setzen und auf eine Geltendmachung der jedem Versicherten zustehenden Rechte hinzuwirken. Dem ist die Beklagte jedoch in einwandfreier Weise nachgekommen, denn mehr als die Informationsvermittlung bzgl. geänderter Zugangsmodalitäten für Rentenleistungen – wie im vorliegenden Fall - steht ihr nicht zu. Das Geltendmachen obliegt den Versicherten und kann grundsätzlich nicht durch behördliches Handeln ersetzt werden. Im vorliegenden Fall ist die Versicherte k o n k r e t und z e i t n a h über die gerade für sie so bedeutsame Änderung der rentenrechtlichen Bestimmungen informiert worden und es mangelte allein an ihrer Mitwirkung in Form der Geltendmachung ihrer KErzZ. Zu einem weitergehenden Hinweis im Mitteilungsschreiben vom 21. Januar 1987 hat seitens der Beklagten keine Veranlassung bestanden, denn ausweislich ihres - auf eigenen Angaben im Rentenantrag von 1980 beruhenden - bisherigen Versicherungsverlaufs waren keine berücksichtigungsfähigen KErzZ bekannt. Und über die Voraussetzungen für Rentenleistungen im Allgemeinen ist die Versicherte ebenso zeitnah durch die dem Schreiben vom 11. Dezember 1986 beigefügte Broschüre Nr. 9 aus der Informationsreihe Rentenversicherung informiert worden.

Dass das Informationsschreiben vom 21. Januar 1987 nicht als Antrag der Versicherten gewertet werden kann, versteht sich von selbst, denn es liegt ja überhaupt keine Reaktion ihrerseits vor.

Ebensowenig kann eine Vorverlegung des RAR-Beginns mittels Wiedereinsetzung erreicht werden, denn die Versäumung der rechtzeitigen Antragstellung ist für die Versicherte auf jeden Fall vermeidbar gewesen. Hätte sie auf das erhaltene Informationsschreiben der Beklagten reagiert und ihre KErzZ anerkennen lassen, wäre der begehrte Rentenbeginn mit Vollendung des 65. Lebensjahres zweifelsohne möglich gewesen.

Nach alledem ist der Beginn der RAR korrekt beschieden und der Überprüfungsantrag zu Recht abgelehnt worden; die Klage ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 Absatz 1 und 4 SGG.

Richter am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
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