L 1 R 59/11

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 6 R 183/08
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 59/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 2/12 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Einordnung eines als Leiter eines Nachhilfeinstituts tätigen Franchisenehmers als rentenversicherungspflichtiger Selbständiger.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 22. Februar 2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der als Franchise-Nehmer in der Zeit vom 19. Juli 2001 bis 1. Juli 2005 ein A -Nachhilfeinstitut leitete, Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 8.675,35 EUR zu zahlen hat.

Der am 1941 geborene Kläger betrieb seit dem 19. Juli 2001 auf der Grundlage eines mit der A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH geschlossenen Franchise-Vertrages ein Nachhilfeinstitut. Er beschäftigte keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, sondern arbeitete mit Honorarkräften als Nachhilfelehrer, die freie Mitarbeiter waren. Nach dem Franchise-Ver¬trag vom 19. Juli 2001 war Vertragsprodukt die Erbringung von unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen allgemeinbildender und beruflicher Art in Form von beim Nachhilfe-Nehmer stattfindender Einzelnachhilfe unter der Bezeichnung A -Nachhilfeinstitut (§ 1 des Vertrages). Die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH verpflichtete sich als Franchise-Geber, den Kläger als Franchise-Nehmer durch Betreuung, Beratung und Information während der Gründungs-/Aufbauphase und während des laufenden Geschäftsbetriebes zu unterstützen und folgende Leistungen kostenlos zu erbringen: Know-how Handbuch, Druckvorlagen für Eröffnungswerbung, Formulare für freie Mitarbeiter- und Schülerverträge, Organisationsformulare wie Abrechnungsformulare, Auftragsbestätigungen, Erfolgsabfrage, Übersichtsformulare, Briefpapier und Visitenkarten, Firmenschild, Presseerklärung zur Eröffnung, Beratung und Hilfe bei der Erlangung öffentlich recht¬licher Genehmigungen, Einführungsschulung, Schulungen und Weiterbildungsveranstaltungen, Bereitstellung von Formularen, Verträgen etc., Vorlage zur Beilagenwerbung, Druckvorlagen für laufende Werbung, Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit und Hilfestellung bei wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen (§ 4). Im Gegenzug verpflichtete sich der Kläger, eine einmalige Gebühr von 10.750,00 DM zuzüglich Mehrwertsteuer für die Überlassung des Nutzungsrechts der Marke und des Know-how zu zahlen. Für die Vorteile, die ihm durch die "Ausschließlichkeit des Verkaufs" des Vertragsproduktes unter der Bezeichnung A -Nachhilfeinstitut eingeräumt wurden, sowie für die Vorteile durch Leistungen des Franchise-Gebers in der Startphase und im laufenden Geschäftsbetrieb verpflichtete er sich weiter zur Zahlung einer monatlichen Vergütung von 7 % zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer des monatlichen Umsatzes des Franchise-Betriebes. Monatsumsatz bedeutete nach der Vertragsdefinition die Summe aller Nachhilfegebühren des jeweiligen Monats. Darüber hinaus traf den Kläger als Franchise-Nehmer nach §§ 5 und 12 des Vertrages die Verpflichtung, monatliche Umsatzberechnungen, die Aufstellung aller derzeitigen Nachhilfekunden und die Anzahl der Nachhilfestunden einzureichen sowie halbjährlich die Liste aller aktiven Nachhilfelehrer mit vollständigen Daten anzugeben. Ferner waren das Geschäftskonzept und die Dienstleistungen im Franchise-Handbuch im Detail festgehalten und vom Kläger einzuhalten, sobald sie dort als verbindlich bezeichnet wurden (§ 8). Die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH war berechtigt, die Datenbank des A -Ver-waltungsprogramms des Klägers einzusehen und den Kläger zur Einhaltung der Vertragsbestimmung anzuhalten. Hierzu konnte sie die Geschäftsstelle zu den üblichen Öffnungszeiten betreten und die notwendigen Feststellungen treffen, wobei vom Kläger jede vertrags- und sachbezogene Auskunft zu erteilen und die notwendigen Unterlagen vorzulegen waren. Gemäß § 16 verpflichtete sich der Kläger, sich während der Dauer des Vertrages weder unmittelbar oder mittelbar an einem anderen Unternehmen zu beteiligen, ein Unternehmen zu erwerben oder zu errichten, noch für ein anderes Unternehmen in irgendeiner Form mittelbar oder unmittelbar, selbstständig oder unselbstständig tätig zu sein, das mit dem Franchise-Geber in Konkurrenz steht bzw. stehen wird. Dies bezog sich auch auf einen Zeitraum von einem vollen Jahr nach vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses. Nach § 17 betrug die Vertragsdauer zehn Jahre. Jede Vertragspartei war mit einer Frist von sechs Monaten berechtigt zu kündigen, sofern der jährliche Umsatz des Franchise-Nehmers 50.000,00 DM für das erste Vertragsjahr sowie 100.000,00 DM für das zweite Vertragsjahr nicht erreicht wurde. Die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH war zur fristlosen Kündigung des Vertrages berechtigt, wenn der Kläger eine ihm nach diesem Vertrag obliegende wesentliche Vertragspflicht trotz Abmahnung mittels eingeschriebenen Briefes nicht binnen vier Wochen nach Zugang des Briefes erfüllte. Nach § 20 verpflichtete sich der Kläger, an den Franchise-Geber unbeschadet weitergehender Ansprüche für jeden Fall nach Abmahnung fortgesetzter schuldhafter Zuwiderhandlung gegen eine der Hauptpflichten des Vertrages eine Vertragsstrafe von 5.000,00 DM zu bezahlen. Die Vertragsstrafe für die Nichtmeldung eines Schülers betrug pauschal 10.000,00 DM und war ohne vorherige Abmahnung fällig.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens leitete die Beklagte im Juli 2005 eine Prüfung der Rentenversicherungspflicht des Klägers für Selbstständige ein. Der Kläger übersandte in der Folgezeit der Beklagten die Gewerbean- und -abmeldung, einen Mustervertrag über freie Mitarbeit, den ausgefüllten "Fragebogen zur Feststellung der Pflichtversicherung kraft Gesetzes als Selbstständiger" sowie den Franchise-Vertrag. Die Anfrage, welche Gewichtung die vom Kläger ausgeführte Tätigkeit zum einen als Pädagoge und zum anderen als Leiter des Nachhilfeinstituts gehabt habe, beantwortete der A -Franchise-Manager und zugleich stellvertretender Geschäftsführer der A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH mit Schreiben vom 19. Juni 2007 dahingehend, dass er die Tätigkeit eines A -Insti¬tutsleiters als reine Verwaltungstätigkeit beschrieb. Hierauf bezog sich der Kläger mit Schreiben vom 26. Juni 2007.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger in der Zeit vom 19. Juli 2001 bis 1. Juli 2005 als selbstständig Tätiger nach § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen sei, und forderte für die Zeit vom 1. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2004 monatliche Beiträge in Höhe des halben Regelsatzes und für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 1. Juli 2005 in Höhe des vollen Regelsatzes, insgesamt 8.675,35 EUR nach. Beiträge für die Zeit vom 19. Juli 2001 bis 30. November 2002 forderte sie unter Hinweis auf die eingetretene Verjährung nicht zurück.

Mit seinem am 18. Oktober 2007 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er nicht unter die Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI falle, weil er nicht einen, sondern hunderte von Auftraggebern gehabt habe, nämlich seine Nachhilfeschüler.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass ein reguläres Franchise-Geber und Franchise-Nehmerverhältnis bestanden habe. Bei Franchise-Unternehmen sei davon auszugehen, dass der Franchise-Geber Auftraggeber sei und der Franchise-Nehmer einem erheblichen Weisungsrecht des Franchise-Gebers unterliege. Anhand des vorliegenden Franchise-Vertrages seien die tatsächlichen Gegebenheiten geprüft worden. Es sei festgestellt worden, dass der Kläger keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt habe. Entgegen seiner Auffassung seien auch nicht die Nachhilfenehmer, sondern der Franchise-Geber Auftraggeber gewesen. Damit sei der Kläger, der keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt habe, auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig geworden und habe die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI erfüllt. Zu Recht sei Versicherungspflicht festgestellt worden.

Mit seiner hiergegen am 20. März 2008 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, dass die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH nicht sein Auftraggeber gewesen sei. Der Begriff "Auftraggeber" sei nicht durch den Gesetzgeber festgelegt worden, sodass auf die konkrete Vertragsgestaltung und die tatsächlichen Gegebenheiten abzustellen sei. Nach dem Franchise-Vertrag sei er wirtschaftlich und rechtlich selbstständiger Unternehmer gewesen. Er habe gegenüber seinen Kunden die Leistung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbracht und sei zur Vertretung des Franchise-Gebers nicht befugt gewesen. Sein Aufgabenbereich habe in erster Linie darin bestanden, sich einen Stamm aus Nachhilfelehrern aufzubauen und diese nach fachlichen und menschlichen Gesichtspunkten den Schülern zuzuordnen. Diese Tätigkeit habe er weisungsfrei ausgeübt. Er habe in eigenen Geschäftsräumen gearbeitet und selbst bestimmt, mit wem und wie viele Verträge über Nachhilfe er mit freien Mitarbeitern schließe. Auch der Umfang der Werbung und die Preisgestaltung hätten in seiner Hand gelegen. Damit habe er ganz eigenständig eine Dienstleistung angeboten und die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH habe hierfür lediglich den Namen und in Form eines Handbuchs das organisatorische und kaufmännische Know-how zur Verfügung gestellt. Sie habe damit selbst als Auftragnehmer unterstützende Dienstleistungen an ihn – den Kläger – erbracht. Für diese Sichtweise spreche auch die Tatsache, dass keinerlei Vergütung vom Franchise-Geber an ihn gezahlt worden sei, sondern umgekehrt er für die Überlassung des Nutzungsrechts der Marke und des Know-how eine einmalige Gebühr und eine laufende am monatlichen Umsatz orientierte Gebühr gezahlt habe. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI wolle nach seinem Sinn und Zweck nur diejenigen Selbstständigen in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung einbeziehen, die sich durch eine Tätigkeit für nur einen Auftraggeber in eine besondere wirtschaftliche Abhängigkeit begäben. Die besondere wirtschaftliche Abhängigkeit bei nur einem Auftraggeber resultiere aber in der Regel gerade daraus, dass dann auch nur gegen diesen einen Auftraggeber ein Honoraranspruch bestehe. Dies sei hier nicht anzunehmen. Auch handele es sich nicht um einen Fall des Franchisings, in dem das Einkommen aus dem vom Franchise-Geber zum Kauf überlassen Waren erzielt werde. Der vorliegende Fall sei eher vergleichbar mit einem Franchise-Nehmer, der eine weisungsungebundene, eigenständige Dienstleistung anbietet. In diesem Fall sei darauf abzustellen, dass der wirtschaftliche Erfolg des Franchise-Nehmers vielmehr von der Vielzahl seiner Kunden abhänge, zu denen er rechtlich und tatsächlich in einer eigenständigen Wirtschaftsbeziehung stehe.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 10. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2008 aufzuheben.

Die Beklagte, die mit Bescheid vom 27. März 2008 den zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht wegen verspäteter Antragstellung ablehnte, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide berufen und auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. November 2009 (B 12 R 3/08 R) zu Ein-Mann-Franchise-Nehmer-Verhältnissen verwiesen, in der für einen abgeschlossenen Partner- und Systemvertrag die Rentenversicherungspflicht angenommen wurde.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. Februar 2011 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI, weil er als Franchise-Nehmer für den Franchise-Geber A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH als einzigen Auftraggeber tätig gewesen sei. Das BSG sei in seiner Entscheidung vom 4. November 2009 (B 12 R 3/08 R) zu der Feststellung gelangt, dass von dem Versicherungspflichttatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI typischerweise auch Personen erfasst würden, die als Franchise-Nehmer in einem vertikal kooperativ organisierten Absatzmittlungsverhältnis stünden. In einer solchen Vertriebskette sei für den Franchise-Nehmer, der als selbstständig Tätiger für den Franchise-Geber Waren und/oder Dienstleistungen vermarkte, der Franchise-Geber, der die Produkte her- und für die Vermarktung zur Verfügung stelle, einziger Auftraggeber. Diese Rechtsprechung lasse sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen, wobei dabei durchaus berücksichtigt worden sei, dass zwischen der Tätigkeit des Klägers als Leiter eines Nachhilfeinstituts und der Tätigkeit der Klägerin als Backshop-Betreiberin in dem vom BSG entschiedenen Fall Unterschiede bestünden. Aus den einzelnen Regelungen des Franchise-Vertrages vom 19. Juli 2001 gehe aber hervor, dass dieser den Kläger wie in einem "Partner- und Systemvertrag" üblich in vielfältiger Weise binde. Insbesondere böte die in dem Vertrag getroffene finanzielle Regelung genügend Anhaltspunkte dafür, auch eine besondere wirtschaftliche Abhängigkeit des Klägers als Franchise-Nehmer von dem Franchise-Geber zu bejahen. Der Kläger sei als Franchise-Nehmer berechtigt und verpflichtet gewesen, gegen eine Zahlung einer einmaligen Eintrittsgebühr sowie einer monatlichen Vergütung im eigenen Namen und für eigene Rechnung für die Vertragsdauer bei laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den Franchise-Geber das System in Form der Namensgebung in Wort und Bild, der Organisation des Betriebes, der Art der Leistungserbringung, der Verhaltensform, des Werbekonzeptes sowie Know-hows des Franchise-Gebers zu nutzen. Darüber hinaus habe sich der Franchise-Geber durch den Vertrag gegenüber dem Kläger weitreichende Kontrollmöglichkeiten wie umfangreiche Berichtspflichten und die Einsicht in die Umsatzberechnungen, den Jahresabschluss und die Datenbank gesichert. Für den Fall eines Verstoßes gegen die vertraglichen Pflichten seien Vertragsstrafen in einer Höhe vereinbart worden, die die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers als Franchise-Nehmer hätten übersteigen und somit auch den Fortbestand seiner Erwerbsgrundlage gefährden können. Ferner sei für die Beurteilung einer Abhängigkeit im Franchise-System das in § 16 des Vertrages geregelte umfassende Wettbewerbsverbot entscheidend. Aufgrund dieser Klausel sei der Kläger als Franchise-Nehmer hinsichtlich seiner selbstständigen Tätigkeit im Rahmen einer Ausschließlichkeit an den Franchise-Geber gebunden gewesen und dies auch noch über einen bestimmten Zeitraum über das Ende des Vertragsverhältnisses hinaus. Wegen der bestehenden vorzeitigen Kündigungsmöglichkeiten sei das Fortbestehen der Erwerbsgrundlage für den Kläger auch von dem Erreichen bestimmter Mindestjahresumsätze abhängig gewesen. Läge man allein diese aufgezählten Vertragsinhalte zugrunde, so ergäbe die konkrete Ausgestaltung keine Anhaltspunkte dafür her, für den Kläger als Ein-Mann-Franchise-Nehmer vorliegend eine Ausnahme von der Einbeziehung in die Rentenversicherungspflicht als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger zu erwägen.

Gegen dieses am 15. April 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. Mai 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass die Auslegung des Begriffs des Auftraggebers in die "Backshop-Entscheidung" des BSG passe. Sie eigne sich aber nicht zur Beurteilung seiner selbstständigen Tätigkeit als Leiter eines Nachhilfeinstitutes. Den vertraglichen Statuten gemäß dem geschlossenen Franchise-Vertrag sei vorliegend eine zu deutliche Gewichtung beigemessen worden. Unter Beachtung der tatsächlichen organisatorischen Strukturen und der weitgehend autarken selbstständigen Tätigkeit des Klägers sei eine hiervon abweichende Betrachtung und Bewertung geboten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 22. Februar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die den Rechtsstreit betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2008 ist rechtmäßig, weil der Kläger in dem Zeitraum vom 19. Juli 2001 bis 1. Juli 2005 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind so genannte "arbeitnehmerähnliche Selbstständige" als Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, wenn diese auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind und regelmäßig keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Diese Vorschrift ist vorliegend einschlägig, weil der Kläger ausschließlich verwaltende Tätigkeiten ausgeübt hat. Er hat nicht selbst als Lehrer die Nachhilfeschüler unterrichtet und war deswegen nicht bereits nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig.

Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers als Nachhilfeinstitutsleiter eine selbstständige Tätigkeit darstellte. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale nach dem Gesamtbild überwiegen (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Zur Frage nach der Selbstständigkeit eines Franchise-Nehmers hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 16. Oktober 2002 (NJW-RR 2003, Seite 277) entschieden, das sich die Selbstständigkeit eines Franchise-Nehmers nach den Selbständigkeitskriterien des § 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch bestimmt. Danach ist die Selbstständigkeit eines Franchise-Nehmers immer dann gegeben, wenn dieser zum einen das wirtschaftliche Risiko trägt und ihm zum anderen die Preis-, Personal- und Organisationshoheit seines Franchise-Outlets verbleibt. Auf dieser Linie liegen auch die Kriterien des Rundschreibens der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger (Rundschreiben vom 3. Februar 1999, BB 1999, Seite 471 und vom 27. April 1999, BB 1999, Seite 1552). Danach ist entscheidend, ob die Tätigkeit weisungsgebunden ausgeübt wird und/oder ob der Franchise-Nehmer auf dem Markt selbstständig und im Wesentlichen weisungsunabhängig agiert. Sämtliche Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit sind hier erfüllt. Die Preis-, Personal- und Organisationshoheit über sein Nachhilfeinstitut hatte der Kläger. Er unterlag auch weder hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort noch der Art der Ausführung einem umfassenden Weisungsrecht der A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI ist damit entscheidend, ob der Kläger, der keinen versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigte, auf Dauer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig war. Auch diese Vorrausetzung liegt hier vor.

§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI wurde in das Sozialversicherungsrecht durch Art. 4 Nr. 3 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und der Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (so genanntes Korrekturgesetz) eingefügt (BGBl. I 1998, Seite 3843). Hintergrund dieser Regelung war, worauf das BSG in seiner Grundsatzentscheidung vom 4. November 2009 (B 12 R 3/08 R, zitiert nach juris) zur Versicherungspflicht von Franchise-Nehmern abgestellt hat, die Intention des Gesetzgebers, dass solche "arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen" nicht weniger sozialschutzbedürftig sind als die in § 2 Nr. 1 bis 7 SGB VI erfassten Selbstständigen. Insofern diente und dient die Regelung dazu, den Kreis der Rentenversicherungspflichtigen zu erweitern. Die Vorschrift gilt nach dem vorgenannten Urteil des BSG auch für den Ein-Mann-Franchise-Nehmer, der nur für einen Franchise-Geber tätig ist. Er ist gleichermaßen wirtschaftlich schutzbedürftig (vgl. auch Prof. Dr. Flohr, Anm. zum Urteil des BSG vom 4. November 2009, Sozialgerichtsbarkeit 2011, Seiten 49 bis 52,50; Susanne Eisenbart, RVaktuell 8/2010, Seiten 255 bis 259, 257).

Dabei geht das BSG davon aus, dass im sozialversicherungsrechtlichen Sinne der Franchise-Geber alleiniger Auftraggeber des Franchise-Nehmers ist, da es Aufgabe des Franchise-Nehmers sei, das Franchise-Konzept an seinem Point of sale umzusetzen. Insofern sei der Auftragsbegriff des Sozialversicherungsrechts weiter auszulegen als der enge Auftraggeberbegriff des § 662 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach Auftraggeber nur sein kann, wer "schwerpunktmäßig fremde Interessen verfolge". Zugleich hält das BSG fest, aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI ergebe sich, dass nach den Vorstellungen der an den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren Beteiligten auch für Franchise-Verhältnisse ein Regelungsbedarf bestand und Franchise-Nehmer ausdrücklich in die Rentenversicherungspflicht Selbstständiger einbezogen werden sollten. Zwar sei den unmittelbaren Gesetzesmaterialien zu § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI nichts für eine Auslegung des Begriffs des "Auftraggebers" zu entnehmen, ebenso wenig den Materialien zur wortgleichformulierten Vermutungsregelung in § 7 Abs. 4 SGB IV. Es könne jedoch auf frühere, gescheiterte Gesetzesentwürfe zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit aus dem Jahre 1996/97 zurückgegriffen werden. Diese hätten eine Legaldefinition des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB IV vorgesehen, wonach Auftraggeber "jede natürliche oder juristische Person oder Personengesamtheit sei, die im Wege eines Auftrags oder in sonstiger Weise eine andere Person mit einer Tätigkeit betraut, die sie ihr vermittelt oder ihr Vermarktung oder Verkauf von Produkten nach einem bestimmten Organisations- und Marketingkonzept überlässt". Die Entwurfsbegründung hierzu führe aus, dass die Definition des Auftraggebers auch das Franchising umfasse (BT-Drucks. 13/6549, Seite 7; BT-Drucks. 13/8942, Seite 8). Daraus folgert das BSG, dass die Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI auch die Personen, die – wie der Ein-Mann-Franchise-Nehmer - in einem vertikal kooperativ organisierten Vertragsverhältnis stehen, umfasst.

Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen und sie ist auch auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit anzuwenden. Während die Tätigkeit "für einen Auftraggeber" in § 7 Abs. 4 SGB IV die persönliche Abhängigkeit (von einem Arbeitgeber) beschreibt, ist die Tätigkeit "für einen Auftraggeber" in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI die wirtschaftliche Abhängigkeit (von einem Auftraggeber). Eine Einbeziehung der Franchise-Verhältnisse lässt sich somit sowohl in § 7 Abs. 4 SGB IV als auch in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI begründen und ist wegen der sozialen Schutzbedürftigkeit bei einem Ein-Mann-Franchise-Nehmer auch gerechtfertigt.

Im vorliegenden Fall lag eine vollständige Abhängigkeit des Klägers als Franchise-Nehmer vom Franchise-Geber, der A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH, vor. Die Versicherungspflicht bei einem Ein-Mann-Franchise-Nehmer wie dem Kläger zu verneinen, wäre allenfalls dann möglich, wenn er außerhalb des Franchise-Vertrages hätte tätig werden können (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Helmut Dankelmann, Anmerkung zum BSG–Urteil vom 4. November 2009 "Rentenversicherung bei selbständig tätigen Franchisenehmern", jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 4). Dies war dem Kläger jedoch nicht möglich. Er gehörte ebenso wie die Klägerin in der "Backshop-Entscheidung" des BSG einer vertikal ko-operativ organisierten Vertriebskette an, in der er als selbstständig Tätiger für die A -Nachhilfeinstitut Franchise GmbH Dienstleistungen vermarktete. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen außerhalb des Franchiseverhältnisses keine nennenswerten unternehmerischen Tätigkeiten ausüben durfte und keine zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten hatte. Der Kläger war als Franchise-Nehmer aufgrund eines vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbotes verpflichtet, nicht für einen Konkurrenten tätig zu werden oder in seinem Franchise-Outlet konkurrierende Produkte abzusetzen oder Dienstleistungen eines konkurrierenden Franchise-Systems zu erbringen (§ 16 des Vertrages). Darüber hinaus war er zur Geheimhaltung des überlassenen Know-hows und zur so genannten Betreiberpflicht bzw. Betriebsförderungspflicht verpflichtet. Darin drückt sich die Verpflichtung des Franchise-Nehmers aus, das Outlet nach den Vorgaben des Franchise-Gebers zu fördern und zu betreiben. Den Vertragsparteien des vorliegenden Franchise-Vertrages stand eine vorzeitige Kündigung zu, sofern der jährliche Umsatz des Klägers als Franchise-Nehmer 50.000,00 DM für das erste Vertragsjahr und 100.000,00 DM für das zweite Vertragsjahr nicht erreicht hätte. Insoweit war das Fortbestehen seiner Erwerbsgrundlage bedingt durch das Erreichen bestimmter Mindestjahresumsätze. Einziger Auftraggeber war die A -Nachhilfe¬institut Franchise GmbH, die das unternehmerische Gesamtkonzept erstellte, das der Kläger umsetzte. In dem dabei entstehenden Spannungsverhältnis wurde – ebenso wie im Verfahren B 12 R 3/08 R – die individuelle Inhaberschaft des klägerischen Franchise-Betriebes in typischer Weise von dem Interesse der A -Systemzentrale an einem einheitlichen Marktauftritt durch Standardisierung und strikt systembezogene Konzepte überdeckt.

Der von dem Kläger geltend gemachte Umstand, er habe keine Waren bezogen, sondern eine Dienstleistung erbracht, ist ebenso unerheblich wie sein Vortrag, er sei nicht von dem Franchise-Geber bezahlt worden. Gleiches gilt für die Ansicht, die Nachhilfeschüler hätten ihn direkt bezahlt und seien somit die Auftraggeber. Ob die Schüler oder wie in dem vom BSG entschiedenen Fall die Kunden des Backshops Auftraggeber sein könnten, braucht hierbei nicht geprüft zu werden. In einem vertikal ko¬operativ organisierten Absatzmittlungsverhältnis erweist sich als einziger Auftraggeber derjenige als "Absatzherr", der die Produkte, zu denen nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen gehören, für die Vermarktung zur Verfügung stellt und damit mehr ist als ein bloßer Warenlieferant (vgl. BSG, a.a.O. Rdnr. 28).

Auch die Beschäftigung freier Mitarbeiter ist nicht geeignet, die Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI zu beseitigen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Norm, die von "versicherungspflichtigen Arbeitnehmern" spricht. Jegliche andere Auslegung wäre eine Auslegung contra legem und insofern nicht umsetzbar, zumal das BSG bereits festgestellt hat, dass der Einsatz selbstständiger Hilfskräfte (z. B. Untervertreter) nicht ausreicht, um zu einem Entfallen der Rentenversicherungspflicht zu führen (NZS 2007, Seite 97; so auch Hermann Plagemann und Kerstin Radtke-Schwenzer in NJW 2010, Seite 2481 bis 2483 "Franchise – teure Versicherungspflicht?" ; Prof. Dr. Flohr a.a.O., Seite 52).

Nicht zuletzt kann der Kläger auch keinen Befreiungstatbestand für sich geltend machen. Zwar ist es bei einem Existenzgründungs-Franchise-Nehmer möglich, sich für die ersten drei Jahre ihrer beruflichen Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1a Nr. 1 SGB VI befreien zu lassen bzw. beitragsrechtliche Erleichterungen für Selbstständige gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in Anspruch zu nehmen. Hierbei sind jedoch entsprechende Antragsfristen zu beachten, die der Kläger nicht eingehalten hat. Aus diesem Grunde ist auch sein Befreiungsantrag mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. März 2008 abgelehnt worden.

Die Berufung ist aus den vorgenannten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das BSG hatte in seiner Entscheidung vom 4. November 2009 eine Ein-Mann-Franchise-Nehmerin zu beurteilen, die Waren von ihrem Franchise-Geber bezog und weiterverkaufte. Ob diese Rechtsprechung auch für Franchise-Nehmer gilt, die Dienstleistungen vermarkten, bedarf noch der höchstrichterlichen Klärung.
Rechtskraft
Aus
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