L 12 AL 2363/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 1864/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2363/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. Mai 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte zur Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum 1. November 2006 bis 31. Januar 2007 verurteilt wird.

Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld (InsG).

Die 1943 geborene Klägerin war Geschäftsführerin der T ... F ... Industries Verwaltungsgesellschaft mbH. Diese war persönlich haftende Gesellschafterin (Komplementärin) der T ... F. Industries GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführerin ebenfalls die Klägerin war. Die Komplementär-GmbH hatte an der KG keine Einlagen und keinen Kapitalanteil; die T ... F. Industries GmbH & Co. KG wiederum war alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Kommanditisten der T ... F. Industries GmbH & Co. KG waren G. M. (M.) mit einer Stammeinlage in Höhe von 925.000,00 EUR (50% Gesellschaftsanteil), der Ehemann der Klägerin mit einer Stammeinlage in Höhe von 755.000,00 EUR (Gesellschaftsanteil 40,81%) und die T. OHG mit einer Einlage in Höhe von 170.000,00 EUR (Gesellschaftsanteil 9,19%). An der T. OHG waren die Klägerin und ihr Ehemann jeweils zur Hälfte beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag der T ... F. Industries GmbH & Co. KG in der Fassung vom 19. Dezember 2003 bedurften Gesellschafterbeschlüsse in jedem Fall der Mehrheit von drei Viertel der Stimmen (§ 8 Abs. 1 des Vertrags). Die Klägerin bezog zuletzt von der T ... F. Industries GmbH & Co. KG ein festes Gehalt in Höhe von monatlich 15.000,00 EUR zuzüglich Weihnachtsgeld in gleicher Höhe. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt, Lohnsteuer nicht entrichtet. Die steuerliche Behandlung bei der Klägerin erfolgte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Klägerin war darüber hinaus Geschäftsführerin von zwölf weiteren Gesellschaften der TMF-Gruppe. Ihr Ehemann hatte eine Generalvollmacht für alle Unternehmen der TMF-Gruppe.

Über das Vermögen der T ... F. Industries GmbH & Co. KG wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 1. Februar 2007 (3 IN 1299/06) das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 9. Januar 2007 beantragte die Klägerin die Gewährung von InsG und machte ausstehendes Arbeitsentgelt für November und Dezember 2006 in Höhe von jeweils 15.000,00 EUR zuzüglich Weihnachtsgeld von 15.000,00 EUR geltend. Auf dem Fragebogen der Beklagten zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH teilte die Klägerin mit, sie sei als Geschäftsführerin für die interne Verwaltung zuständig gewesen, während der Generalbevollmächtigte das operative Geschäft geleitet habe. Sie sei vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit gewesen, habe ihre Tätigkeit aber nicht frei bestimmen und gestalten können, sondern sei an Gesellschafterbeschlüsse und Weisungen des Generalbevollmächtigten gebunden gewesen. Dieser habe das Direktionsrecht der Gesellschaft bezüglich Zeit, Ort und Art der Beschäftigung ausgeübt.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung entrichtet und habe weder in einem Pflichtversicherungsverhältnis gestanden, noch als GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführerin dem Weisungsrecht eines Arbeitgebers unterlegen. Zusammen mit ihrem Ehemann habe sie 50% der Gesellschaftsanteile gehalten und damit die Geschicke der TMF-Gruppe in eigener Verantwortung geleitet.

Am 20. April 2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Sie sei lediglich über die T. OHG mit einem Anteil von unter 2% an der T ... F. Industries GmbH & Co. KG beteiligt gewesen. Ihr Ehemann habe als Gesellschafter mit einem Anteil von über 48% und als Generalbevollmächtigter in Wahrheit die Geschicke der Gesellschaft bestimmt. Seine beherrschende Stellung könne ihr nicht zugerechnet werden, Eheleute verfolgten nicht stets gleich gerichtete Interessen. Mit Bescheid vom 10. Mai 2007 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab und verwies darauf, dass die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann mindestens 50% des Stammkapitals der Gesellschaft gehalten habe und damit keine Fremdgeschäftsführerin, sondern Geschäftsführerin einer Familien-GmbH gewesen sei. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2007 zurück.

Am 23. Januar 2008 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag und verwies auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 4. Juli 2007 - B 11a AL 5/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 8). Danach habe der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine Sperrminorität verfüge, Anspruch auf InsG.

Mit Bescheid vom 6. März 2008 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab, da die Klägerin Geschäftsführerin einer Familien-GmbH und nicht Fremdgeschäftsführerin sei, sodass die neue Rechtsprechung des BSG nicht eingreife. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2008 zurück.

Am 25. April 2008 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und ausgeführt, sie sei an den TMF-Gesellschaften als Mitgesellschafterin lediglich mit einem geringen Anteil von 4,595% beteiligt gewesen, weshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen werden müsse. Besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigten, lägen nicht vor.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2010 zunächst die Klägerin persönlich angehört und sodann in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2011 die Mitarbeiterin der TMF-Gruppe A. G. (G.) und den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Mit Urteil vom 4. Mai 2011 hat das SG sodann den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Februar 2007 InsG zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für eine Rücknahme des ablehnenden Bescheids vom 8. Februar 2007 seien gegeben, da die Klägerin von Anfang an Anspruch auf InsG nach § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gehabt habe. Streitig sei vorliegend allein die Frage, ob die Klägerin Arbeitnehmerin im Sinne der Vorschrift gewesen sei. Nach den vom BSG insoweit aufgestellten Kriterien sei die Klägerin als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Bei Geschäftsführern, die zwar zugleich Gesellschafter seien, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine sogenannte Sperrminorität verfügten, sei im Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Eine abweichende Beurteilung komme nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalles den Schluss zuließen, dass keine Weisungsgebundenheit vorliege. Die Klägerin sei lediglich in der internen Verwaltung des Unternehmens beschäftigt gewesen und nur aus Praktikabilitätsgründen zur Geschäftsführerin bestellt worden. Das Konstrukt der Geschäftsführung durch die Klägerin und die Generalbevollmächtigung ihres Ehemannes sei erfolgt, um den Ehemann vor der bußgeldrechtlichen Haftung abzuschirmen. Tatsächlich habe die Klägerin den Weisungen der Gesellschafter, darunter auch ihres Ehemannes unterlegen. Dies werde insbesondere durch die Aussage der Zeugin G. bestätigt. Nach deren Aussage sei auch bestätigt worden, dass der Ehemann der Klägerin im Unternehmen die Richtung angegeben und gemeinsam mit dem weiteren Gesellschafter M. die wesentlichen Entscheidungen gefällt habe. Dass die Klägerin, mit der die Zeugin eng zusammengearbeitet habe, an den Entscheidungsprozessen beteiligt gewesen sei, habe die Zeugin nicht mitbekommen. Das Tätigkeitsbild der Klägerin deute in keiner Weise darauf hin, dass die Klägerin als Geschäftsführerin nach ihren Vorstellungen "schalten und walten" gekonnt habe. Zweifel an der Wahrheit der Angaben der Zeugin seien zu keinem Zeitpunkt aufgekommen. Diese habe keinerlei persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens und sei insbesondere nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der TMF-Gruppe im Jahr 2007 nicht mehr von der Klägerin oder deren Ehemann wirtschaftlich abhängig. Auch die Angaben des Ehemanns der Klägerin bestätigten die Aussage von G. Zwar sei nicht von der Hand zu weisen, dass für die Klägerin weder monatliche Lohnsteuern noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, dies sei bei der Gesamtbeurteilung jedoch allenfalls ein Indiz. Die Gesamtumstände sprächen im vorliegenden Fall für eine abhängige Beschäftigung und für die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin. Dem Erfolg der Klage stehe auch nicht § 330 Abs. 1 SGB III entgegen, denn mit dem von der Klägerin zitierten Urteil des BSG vom 4. Juli 2007 (a.a.O.) sei keine ständige Rechtsprechung im Sinne des § 330 Abs. 1 SGB III begründet worden, die die hier vorliegenden Fragen erstmals abschließend kläre. Das BSG habe in diesem Urteil vielmehr seine Rechtsprechung zur Arbeitnehmereigenschaft eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH anhand eines Einzelfalls fortgeschrieben.

Gegen das ihr am 11. Mai 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 8. Juni 2011 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, dass sich das Gesamtbild einer selbstständigen Tätigkeit ergebe. Das SG habe außer Acht gelassen, ob das Sozialversicherungsverhältnis in der Vergangenheit gelebt und auch gewollt gewesen sei. Dies sei eindeutig nicht der Fall, was bereits durch die fehlende Abführung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen dokumentiert werde. Das SG habe diesen Punkt allenfalls als ein Indiz unter vielen angesehen, das vernachlässigt werden könne. Nach Auffassung der Beklagten habe dieser Punkt zentrale Bedeutung und lasse nur den Schluss zu, dass für die Klägerin und ihren Ehemann vollkommen klar gewesen sei, dass keine abhängige Arbeitnehmertätigkeit vorliege. Gerade auch weil die Betriebsprüfer keine Beanstandungen gehabt hätten, habe für die Klägerin klar erkennbar sein müssen, dass diese offenkundig von einer selbstständigen Tätigkeit ausgingen. Nach Auffassung der Beklagten hätten die Klägerin und ihr Ehemann bewusst keine abhängige Arbeitnehmertätigkeit gewollt und deshalb auch keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Es handele sich um ein Familienunternehmen, das gleichberechtigt von der Klägerin mit ihrem Ehemann geführt worden sei, wobei die Klägerin für den kaufmännischen und der Ehemann für den operativen Bereich zuständig gewesen sei. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass die Klägerin weisungsgebunden gewesen sei und ihr Ehemann ein Direktionsrecht ausgeübt habe. Die Aussage der Zeugin G., wonach es zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann durchaus zu Diskussionen gekommen sei, jedoch schließlich der Ehemann das letzte Wort gehabt habe, sei nicht zwingend ein Hinweis auf ein ausgeübtes Direktionsrecht, sondern könne genauso gut lediglich darauf hindeuten, dass es sich beim Ehemann der Klägerin um die dominantere Persönlichkeit von zwei ansonsten gleichberechtigten Mitunternehmern gehandelt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Soweit die Berufung darauf abstelle, ob Lohnsteuer abgeführt worden sei, spiele dies keine Rolle, denn die Steuer sei in jedem Fall endgültig in gleicher Höhe geschuldet. Das Finanzamt habe inzwischen festgestellt, dass vorliegend kein Steuerschaden entstanden sei. Im Gegensatz zur Rechtsprechung von BSG und Landessozialgericht (LSG) meine die Berufung irrig, dem Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen käme zentrale Bedeutung zu, dies sei gewissermaßen alle anderen Argumente verdrängend allein ausschlaggebend. Ungeachtet der subjektiven Einschätzungen der Klägerin und ihres Ehemannes sei objektiv zu überprüfen, ob die Klägerin abhängig beschäftigt oder selbstständig gewesen sei. Das SG habe sich zutreffend anhand der Zeugenaussagen sowie der Angaben der Klägerin und der vorgelegten Urkunden und Unterlagen ein umfassendes, vollständiges Bild von der Tätigkeit der Klägerin gemacht und deshalb zutreffend den Anspruch auf InsG rechtsfehlerfrei bejaht. Aus dem Begriff Familienunternehmen lasse sich nichts für die Auffassung der Berufung herleiten. Entscheidend sei allein die tatsächliche Handhabung und die tägliche Praxis. Der Ehemann der Klägerin habe alle Gesellschaften der TMF-Gruppe geleitet mit den Geschäftsführern zusammen. Die Zeugin G. habe angegeben, der Ehemann sei der Chef gewesen, er habe im Unternehmen die Richtung angegeben und die wichtigen Entscheidungen seien von den Gesellschaftern M. und dem Ehemann der Klägerin getroffen worden. Wenn der Ehemann der Klägerin, so die Aussage der Zeugin G. - regelmäßig das letzte Wort habe, sei dies entgegen der Auffassung der Beklagten tatsächlich ein klarer Hinweis auf dessen Bestimmungs- und Direktionsrecht. Irgendwelche Indizien für zwei gleichberechtigte Mitunternehmer gebe es an keiner Stelle.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist indes unbegründet, denn das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin im Rahmen des Überprüfungsverfahrens Anspruch auf Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 8. Februar 2007 und Gewährung von InsG hat. Da das SG im Tenor nicht klargestellt hat, für welchen Zeitraum InsG zu gewähren ist, war die Berufung mit einer entsprechenden Maßgabe zurückzuweisen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, bezog sich ihr Antrag vom 9. Januar 2007 auf den gesamten InsG-Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. Januar 2007.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rdnr. 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 Rdnr. 1b). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen hier vor, denn der Bescheid vom 8. Februar 2007 ist rechtswidrig; der Klägerin steht das geltend gemachte InsG zu. Angesichts der Stellung des hier zugrunde liegenden Überprüfungsantrags im Jahr 2008 sind gemäß § 44 Abs. 4 SGB X auch noch rückwirkend für das Jahr 2006 Leistungen zu erbringen.

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei (1.) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnungsinsolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III). InsG ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten ab dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). InsG wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts geleistet, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4) begrenzte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird (§ 185 Abs. 1 SGB III).

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf InsG liegen, wie das SG zutreffend entschieden hat, vor. Über das Vermögen der T ... F. Industries GmbH & Co. KG wurde am 1. Februar 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Aus der im Inland ausgeübten Geschäftsführertätigkeit standen der Klägerin für die Monate November, Dezember 2006 und Januar 2007 noch Bezüge nach einem Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 15.000,00 EUR zuzüglich 15.000,00 EUR Weihnachtsgeld zu. Die Klägerin war auch Arbeitnehmerin im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III.

Geschützt werden durch den InsG-Anspruch nur Arbeitnehmer, d.h. abhängig Beschäftigte im arbeitsförderungsrechtlichen Sinn (vgl. BSG SozR 2100 § 7 Nr. 7 und SozR 4100 § 141b Nr. 24). Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind. Die Beschäftigung wird in § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), der gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV auch für die Arbeitsförderung gilt, gesetzlich definiert. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. BSGE 13, 196, 197, 201 f.; 35, 20, 21; SozR 2200 § 1227 Nrn. 4, 8, 19). Vornehmlich bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch eingeschränkt und "zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein (vgl. BSG SozR 2400 § 2 Nr. 19 m.w.N.). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (vgl. BSGE 13, 196, 201; 16, 289, 293; SozR 2200 § 1227 Nrn. 4, 8, 19). Bedeutsam ist dabei, ob eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr auch eines Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sachlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG SozR 2200 § 165 Nr. 63).

Ob eine Tätigkeit abhängig beschäftigt oder selbstständig verrichtet wird, entscheidet sich letztlich danach, welche Merkmale überwiegen. Alle Umstände des Einzelfalles sind zu berücksichtigen, jedes Kriterium hat lediglich indizielle Wirkung. Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse, zu welchen auch das Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten und die ihnen jeweils zustehende Rechtsmacht gehört (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R - (juris)).

Das BSG wendet diese Grundsätze in ständiger Rechtsprechung auch bei Organen juristischer Personen an. Auch insoweit ist entscheidend, ob sie von der Gesellschaft persönlich abhängig sind, wobei wesentlich auf die Kapitalbeteiligung und die damit verbundene Einflussnahme auf die Gesellschaft und deren Betrieb abgestellt wird. Bei den Organen juristischer Personen, zu denen auch Geschäftsführer einer GmbH gehören, ist eine abhängige Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) arbeitsrechtlich nicht als Arbeitnehmer der Gesellschaft gelten. Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Ebenso wenig steht der Zugehörigkeit von Geschäftsführern oder Vorständen einer juristischen Person zu ihren Beschäftigten entgegen, dass sie im Verhältnis zu sonstigen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen und sie in der Regel keinen Weisungen Dritter bezüglich Zeit, Ort und Art ihrer Arbeitsleistung unterliegen (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 20). Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist nicht bereits durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen. Bei einem am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal. Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind, hat das BSG dementsprechend regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 20; SozR 4-2400 § 7 Nr. 1). Vergleichbares gilt auch bei Geschäftsführern, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine sogenannte Sperrminorität verfügen (vgl. BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 1; BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R - (juris)). Auch für diesen Personenkreis ist im Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Eine hiervon abweichende Beurteilung kommt nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalls den Schluss zulassen, es liege keine Weisungsgebundenheit vor (vgl.BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 8). Auch für die sogenannte Familien-GmbH gelten diese Grundsätze. So hat das BSG in einem Einzelfall bei einer Familiengesellschaft aufgrund besonderer Umstände eine abhängige Beschäftigung des Fremdgeschäftsführers verneint, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden war und die Geschäfte faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führte (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 RAr 25/86 - (juris)). Auch eine familiäre Verbundenheit führt nicht zum Ausschluss eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses; die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist vielmehr unter Berücksichtigung der allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Grundsätze unter Beachtung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu ziehen (vgl. BSGE 3, 30, 39 f.; 19, 1 4 f.; 74, 275, 278 f.; BSG SozR 2200 § 165 Nr. 90; SozR 3-4100 § 168 Nr.11 und SozR 3-2500 § 5 Nr. 17).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sprechen vorliegend die Umstände für ein Arbeitnehmerverhältnis der Klägerin. Die Klägerin verfügte über ihre Beteiligung an der T. OHG insgesamt nur über einen Geschäftsanteil an der T ... F. Industries GmbH & Co. KG in Höhe von 4,595%. Auch eine Sperrminorität stand ihr nicht zu, denn die Gesellschafterbeschlüsse wurden nach § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags mit einer Mehrheit von drei Viertel der Stimmen gefasst. Auch wenn die Klägerin im Rahmen ihrer Geschäftsführertätigkeit vom Selbstkontrahierungsverbot befreit war, ist der Senat nach den Aussagen der vom SG vernommenen Zeugen, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden, sowie der Angaben der Klägerin selbst davon überzeugt, dass die wesentlichen Entscheidungen im Betrieb durch den Ehemann, der zugleich Generalbevollmächtigter der TMF-Gruppe war und den weiteren Gesellschafter M. getroffen worden sind. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung als Industriekauffrau lediglich die interne Verwaltung geleitet hat mit 20 Mitarbeitern und insoweit die Aufsicht über Buchhaltung, Rechnungsabteilung, Controlling und Lohnbuchhaltung hatte. Insgesamt hatte die TMF-Gruppe bis zu 1.500 Mitarbeiter. Kenntnisse hinsichtlich des operativen Geschäftes hatte die Klägerin nicht, sodass keinesfalls trotz ihres geringen Gesellschaftsanteils von einer beherrschenden Stellung ausgegangen werden kann. Allein die beherrschende Stellung ihres Ehemannes im Unternehmen kann ihr nicht zugerechnet werden. Insoweit können auch nicht die Gesellschaftsanteile der Eheleute insgesamt bewertet werden mit einem Anteil von 50%. Denn insoweit haben gerade die tatsächlichen Feststellungen ergeben, dass der Ehemann der Klägerin sehr wohl ein Weisungsrecht ausgeübt hat. So beruhte beispielsweise nach Angaben der Klägerin der Arbeitsbeginn bis spätestens 09.00 Uhr mit "open end" auf den Vorgaben ihres Ehemannes. Auch die Angaben der Zeugin G., die mit der Klägerin über Jahre eng zusammengearbeitet hat, sprechen klar für eine beherrschende Stellung des Ehemannes. Dafür, dass sich lediglich die dominantere Persönlichkeit bei ansonsten gleichberechtigten Unternehmern durchsetzt, wie die Beklagte meint, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit unter Familienangehörigen im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist und deshalb das Weisungsrecht - wie auch hier - mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird. Das BSG hat bei Familiengesellschaften eine abhängige Beschäftigung von Geschäftsführern unter besonderen Umständen verneint, die mit den Gesellschaftern familiär verbunden waren und die Geschäfte faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führten (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987, a.a.O.). Der Geschäftsführer muss in diesen Fällen die Gesellschafter persönlich dominieren. Dies kann der Fall sein, wenn die Gesellschafter vom Geschäftsführer wirtschaftlich abhängig sind, weil er allein über die notwendigen Kenntnisse oder Fähigkeiten für den Unternehmenszweck verfügt. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Wie bereits ausgeführt, war sie allein in der internen Verwaltung tätig und hatte nicht die erforderlichen Branchenkenntnisse. Die Klägerin konnte weder rechtlich noch tatsächlich die übrigen Gesellschafter in einer Weise dominieren, die die Ausübung des rechtlich bestehenden Weisungsrechtes unmöglich gemacht hätte. Nach dem Gesamtbild, das sich im Rahmen des Verfahrens ergeben hat, bestand nicht einmal ein gleichberechtigtes Nebeneinander mit dem Ehemann.

Der Eingliederung der Klägerin in den Betrieb steht spiegelbildlich nur ein geringes unternehmerisches Risiko auf ihrer Seite gegenüber. Sie hat in dem gesamten streitigen Zeitraum ein Entgelt in monatlich fester (im Laufe der Zeit steigender) Höhe erhalten. Die Klägerin hat insoweit ihre Arbeitskraft eingesetzt, ohne befürchten zu müssen, hierfür keine Vergütung zu erhalten. Dieser (Arbeits-)Einsatz der Klägerin kann dem Wagniskapital eines Unternehmers nicht gleichgesetzt werden (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 18). Insoweit hatte die Klägerin nur das Risiko der Entwertung ihres Geschäftsanteils im Falle des unternehmerischen Misserfolgs. Da sie selbst, wie oben ausgeführt, auf die Geschäftspolitik nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich keinerlei Einflussmöglichkeiten hatte, korrespondiert dieses Risiko nicht mit unternehmerischen Freiheiten auf der anderen Seite. Aus einer Kapitalbeteiligung als Minderheitsgesellschafterin ohne maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft folgt keine unternehmerische Betätigung.

Die Tatsache, dass eine Beitragsabführung nicht erfolgt ist, vermag an der vorliegenden Beurteilung nichts zu ändern. Gleiches gilt für die steuerliche Behandlung. Entscheidend für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft sind allein die tatsächlichen Verhältnisse im InsG-Zeitraum. Das Verhalten der Betroffenen erlaubt insoweit keine Rückschlüsse auf das Vorliegen von persönlicher Abhängigkeit, was gleichermaßen für die Hinnahme von die Versicherungspflicht verneinenden Entscheidungen gilt, wie auch für die tatsächliche Beitragsabführung ohne Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht (vgl. BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 8).

Nach alledem ist das Urteil des SG zu bestätigen und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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