L 3 AL 3925/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 1013/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3925/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide ihm gegenüber per e-mail bekannt zu machen.

Der am 18.01.1975 geborene Kläger stand mit Unterbrechungen im langjährigen Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Er führte und führt deswegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zahlreiche Rechtsstreitigkeiten gegen die Beklagte. Vor dem Hintergrund einer auswärtigen Arbeitsaufnahme wandte sich der Kläger am 26.02.2011 per e-mail an die Beklagte und bat darum, ihm Kopien der zuletzt ergangenen Bescheide/ Widerspruchsbescheide per e-mail (PDF-Datei) zukommen zu lassen. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin am 28.02.2011 gleichfalls per e-mail mit, dass Bescheide und Widerspruchsbescheide nicht per e-mail zugestellt werden und der Kläger eine ladungsfähige Anschrift benennen möge.

Am 04.03.2011 hat der Kläger Klage zum SG erhoben, mit der er die Feststellung geltend gemacht hat, dass das Verhalten der Beklagten rechtswidrig sei und Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide per e-mail bekannt zu machen seien. § 37 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sehe, so der Kläger, keine besondere Form der Bekanntmachung vor, weswegen Verwaltungsakte verbindlich auch per e-mail bekannt gegeben werden könnten. Am 08.04.2011 hat der Kläger eine Kopie der Verwaltungs- und Gerichtsakten beantragt. Am 26.04.2011 hat der Kläger den Vorsitzenden der zuständigen Kammer des SG wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu vorgetragen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Bekanntgabe von Verwaltungsakten per e-mail.

Nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben vom 06.04.2011, das dem Kläger am 08.04.2011 zugestellt wurde) hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.08.2011 abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, das Befangenheitsgesuch hindere das Gericht nicht daran, in der Sache zu entscheiden, da es offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei. Der Antrag ziele einzig darauf ab, den Kammervorsitzenden vom vorliegenden Verfahren auszuschließen, um die Bearbeitung des Verfahrens durch einen anderen Richter zu erreichen. Dem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht sei nicht zu entsprechen, da dieser gleichfalls als grob rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sei. Inhaltlich führe die Feststellungsklage nicht zum Erfolg; der Kläger könne nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage keine isolierte Feststellung beanspruchen, er habe vielmehr die Möglichkeit, wenn die Beklagte ihm gegenüber Verwaltungsakte bekannt macht, gegen diese vorzugehen. Da die jeweiligen Widerspruchs- und Klagefristen erst mit der Bekanntgabe zu laufen beginnen, gebiete auch der effektive Rechtsschutz keine Feststellung im Rahmen einer isolierten Feststellungsklage.

Gegen den am 24.08.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.08.2011 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das Verfahren müsse zurückverwiesen werden, da ihm keine Akten zugänglich gemacht worden seien; er habe keine Akteneinsicht erhalten. Auch habe das SG unzulässigerweise selbst über seinen Befangenheitsantrag entschieden. Der Gerichtsbescheid enthalte weder einen Tatbestand noch eine Begründung. Inhaltlich verfolgt er sein Begehren fort.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. August 2011 aufzuheben und das Verfahren an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen,

hilfsweise,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. August 2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Verwaltungsakte und Widerspruchs¬bescheide per e-mail bekanntzugeben hat.

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Der Senat hat dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, Einsicht in die Verfahrens- und Verwaltungsakten zu nehmen, indem er die Akten in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart Stammheim übersandt hat. Der Kläger hat hiervon am 05.03.2012 Gebrauch gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für den streitgegenständlichen Vorgang geführte Verwaltungsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2012 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung führt für den Kläger nicht zum Erfolg.

Der Senat war nicht verpflichtet, dem Kläger, wie von ihm beantragt, eine Kopie der Verfahrens- und Verwaltungsakte zu fertigen und zur Verfügung zu stellen. Der Antrag ist, da der Kläger eine Kopie der gesamten Akte begehrt hat, ohne ihn auf konkrete Aktenteile zu begrenzen, rechtsmissbräuchlich (Beschluss des erkennenden Senats vom 29.06.2011 - L 3 AL 1928/11 B -; Urteile des erkennenden Senats vom 21.09.2011, a.a.O.). Der Senat hat dem Kläger, seinem Hilfsantrag entsprechend, die Möglichkeit eröffnet, Einsicht in die Verfahrens- und Verwal¬tungsakten zu nehmen, indem er die Akten in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart Stammheim übersandt hat. Der Kläger hat hiervon Gebrauch gemacht.

Die statthafte Berufung (§ 143 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) wurde form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 151 Abs. 1 SGG); sie ist zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Rechtsstreit ist nicht, wie klägerseits beantragt, an das SG zurückzuverweisen. Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab dem 01.01.2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Ände¬rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl. I S.3057) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweis¬aufnahme notwendig ist. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens, der zur Zurückverweisung an das SG führen könnte, liegt vor, wenn gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift verstoßen wurde und die Entscheidung des Sozialgerichts hierauf beruhen kann. Das Landessozialgericht entscheidet bei Vorliegen eines Mangels nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will. Eine Verpflichtung zur Zurückverweisung besteht auch bei Vorliegen eines wesentlichen Mangels des Verfahrens nicht (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.02.1956 - 6 RKa 14/55 - veröffentlicht in juris). Ungeachtet davon, dass die vom Kläger angeführten Verfahrensfehler nicht vorliegen - über das offensichtlich unzulässige Befangenheitsgesuch konnte das SG selbst entscheiden, der Kläger hatte keinen Anspruch auf Übersendung von Mehrfertigung der Akten - würden diese eine Zurückverweisung nicht nach sich ziehen, da der Rechtsstreit in der Sache entscheidungsreif ist (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 159, Rn. 5 ff) und eine Be¬weisaufnahme nicht erforderlich wäre.

Auch soweit der Kläger mit der Berufung sein inhaltliches Begehren weiterverfolgt, ist die Berufung unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger begehrt, festzustellen, dass das Verhalten der Beklagten (ihm gegenüber anzukündigen, dass Verwal-tungsakte und Widerspruchsbescheide nicht per e-mail versandt werden) rechtswidrig gewesen ist und die Beklagte verpflichtet sei, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide per e-mail bekannt zu machen. Er hat sein Begehren hierbei im Wege eines Feststellungsantrages geltend gemacht. Hieran ist der Senat nach § 123 SGG gebunden. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Rechtsverhältnisse i.d.S. sind durch das Bestehen subjektiver Rechte und Pflichten gekennzeichnet und bezeichnen die rechtlichen Beziehungen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer "diesen Sachverhalt" betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm u.a. für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben (BSG, Urteil vom 20.12.2001 - B 4 RA 50/01 R - veröffentlicht in juris). Rechtsverhältnisse setzen stets einen konkreten Sachverhalt voraus (BSG, Urteil vom 25.08.1999 - B 6 KA 34/98 R -; Urteil vom 20.12.2001, a.a.O. jew. veröffentlicht in juris). Der Kläger begehrt vorliegend im Kern die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide per e-mail bekannt zu geben. Die Feststellungsklage dient jedoch nicht der abstrakten Klärung einer Rechtsfrage. Eine solche abstrakte Überprüfung ist grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen, eine hierauf gerichtete Klage ist unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn der Feststellungsantrag so gefasst ist, dass die sich aus der Norm ergebenden Rechte und Pflichten formal nur Vorfrage für die Beantwortung einer anderen Frage ist, die jedoch Ihrerseits keine Beziehung zu einem konkreten Anwendungsfall der Norm aufweist (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.1999 - B 6 KA 34/98 R - veröffentlicht in juris). Indes wird vom Kläger die von ihm am Rande problematisierte Problematik nicht dahingehend konkretisiert, als ein konkreter Anwen¬dungsfall zum Inhalt des Verfahrens gemacht wird bzw. in diesem benannt wird. Der Kläger hat seinen ursprünglichen Antrag gegenüber der Beklagten vielmehr auf zuletzt "ergangene Bescheide/Widerspruchsbescheide", d.h. auf keinen konkreten Bescheid bezogen. Mithin geht es dem Kläger einzig darum, abstrakt festzustellen, dass die Beklagte generell verpflichtet sei, Bescheide per e-mail bekannt zu geben. Diese Feststellung kann jedoch nicht im Wege einer Feststellungsklage nach § 55 SGG durchgesetzt werden. Die Klage ist bereits deswegen unzulässig.

Überdies setzt eine Feststellungsklage das Bestehen eines Feststellungsinteresses voraus. Dieses ist bei jedem berechtigten Interesse wirtschaftlicher, rechtlicher oder ideeller Natur gegeben. Da der Kläger jedoch durch die Widerspruchs- bzw. Klagefristen (§§ 84 Abs. 1, 87 Abs. 1 SGG), die den Beginn der Frist jeweils an die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bzw. Widerspruchsbescheides knüpfen, ausreichend geschützt ist und im Rahmen möglicher Widerspruchs- bzw. Klageverfahren Einwände im Hinblick auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe und deren Wirksamkeit geltend machen kann, kann sich der Kläger nicht auf ein berechtigtes Interesse an einer isolierten Feststellung zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten bzw. Widerspruchsbescheiden berufen. Ein Feststellungsinteresse besteht mithin nicht, weswegen das SG die Klage zu Recht bereits als unzulässig abgewiesen hat.

Die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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