L 5 R 154/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 R 614/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 154/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 19/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hat der Verordnungsgeber von der Ermächtigung in § 65a SGG Gebrauch gemacht und den elektronischen Rechtsverkehr eingeführt, ist die sozialgerichtlichen Urteilen beigefügte Rechtsmittelbehrung ohne einen Hinweis auf die Möglichkeit, die Berufung mittels elektronischen Dokuments einzulegen, unvollständig und unrichtig mit der Folge, dass die Beteiligten dann innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG Berufung einlegen können.

2. Die notwendige „Wegweiserfunktion“ einer Rechtsmittelbelehrung ist nicht gegeben, wenn über die Möglichkeit, Dokumente elektronisch einzureichen, nicht ausdrücklich belehrt wird.

3. Die „Wegweiserfunktion“ der Rechtsmittelbelehrung setzt voraus, dass hinsichtlich der Berufungseinlegung in elektronischer Form auf die Möglichkeit hierzu sowie auf das Erfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur hingewiesen wird. Alle weiteren Hinweise zu den übrigen Erfordernissen des elektronischen Rechtsverkehrs können durch bloßen Verweis auf die Internetseite zum elektronischen Gerichtspostfach erteilt werden.
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1966 geborene Kläger ist ausgebildeter Diplom-Ingenieur (Fachhochschule) für Elektrotechnik. Nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums am 11. Juni 1990 arbeitete der Kläger zunächst bis zum Jahr 1992 in seinem erlernten Beruf, bildete sich dann in den Jahren 1994 und 1995 als Fachberater für EDV-Anwendung (Netzwerkadministration) fort, war im Anschluss daran als Mietwagenfahrer (1995 bis 1997) und EDV-Betreuer (1998 bis 1999) sowie schließlich als Datenverarbeitungsfachmann (1999 bis 2004) beschäftigt. Seit dem Jahr 2004 übt der Kläger eine selbständige Tätigkeit als EDV-Betreuer und Netzwerkadministrator - nach eigenen Angaben in einem zeitlichen Umfang von ca. 25 bis 30 Stunden wöchentlich - aus und war zugleich - ab dem 30. Juli 2004 - als Taxifahrer beschäftigt.

Dem insoweit unstreitigen Versicherungsverlauf des Klägers vom 18. Februar 2011 ist zu entnehmen, dass die Zeiten vom 1. September 1990 bis 12. Dezember 2004 ununterbrochen mit Pflichtbeitragszeiten belegt sind und für ihn ab dem 30. Juli 2004 bis zum 30. November 2008 eine geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung gemeldet wurde.

Dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) von 60 und das Merkzeichen "G" zuerkannt (Schwerbehindertenausweis des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales NU. - Versorgungsamt - vom 28. Januar 2003).

Am 14. September 2006 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung, den er damit begründete, nicht mehr in der Lage zu sein, Wegstrecken von über 250 Meter zurückzulegen, sitzende oder stehende Tätigkeiten zu verrichten sowie Geräte und Werkzeuge zu tragen. Dies sei auch schon vor der Rentenantragstellung so gewesen. Zur Stütze seines Rentenbegehrens reichte der Kläger eine Vielzahl medizinischer und ärztlicher Unterlagen zur Akte, darunter auch ärztliche Befundberichte von Dr. med. QQ. - Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie - vom 21. September 2006, von dem HNO-Arzt Dr. med. WW. (ohne Datum) und von der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. med. EE. vom 6. Oktober 2006.

Auf Veranlassung der Sozialmedizinerin Dr. med. RR. von der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten in NV. wurde der Kläger daraufhin von Dr. med. TT. Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sozialmedizin, Osteologie - am 11. Januar 2007 ambulant untersucht. In seinem Gutachten vom selben Tag diagnostizierte Dr. med. TT. bei dem Kläger eine Perthes-Erkrankung beider Hüften mit TEP links, Minderbeweglichkeit der linken Hüfte und Beinverkürzung um 2 cm, Kniebeschwerden rechts ohne funktionelle Defizite, Genickbeschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne radikulären Hinweis sowie - fachfremd - depressive Episoden (Angaben von Dr. med. EE.). Damit könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ebenerdig, nicht überwiegend im Freien) verrichten.

Nach Auswertung dieses Gutachtens schloss sich die Sozialmedizinerin Dr. med. RR. der Leistungseinschätzung von Dr. med. TT. an, wobei sie nach Rücksprache mit ihm zusätzlich festhielt, dass bei dem Kläger keine rentenrelevante Wegstreckenverkürzung bestehe (Sozialmedizinische Stellungnahme vom 18. Januar 2007).

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 30. Januar 2007 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31. August 2007 zurück.

Am 28. September 2007 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Kassel Klage, mit der er an seinem Rentenbegehren festhielt. Hierzu führte er vor allem aus, dass die bei ihm festgestellten Einschränkungen in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenwirken seine Einsatzfähigkeit in einem Betrieb derart einengen würden, dass ein Arbeitseinsatz unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen sei.

Die Beklagte vertrat demgegenüber insbesondere die Auffassung, dass die Gehfähigkeit des Klägers zwar eingeschränkt sei, hieraus jedoch keine rentenrelevante Erwerbsminderung resultiere. Ein zeitlich herabgesetztes Leistungsvermögen sei auch mit Blick auf die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme nicht nachgewiesen und werde durch die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse eindeutig widerlegt (Stellungnahmen des ärztlichen Beraters Dr. med. ZZ. vom 5. August 2008 und 24. Februar 2009; Stellungnahmen von Dr. med. UU. vom 17. Juli 2009 und 12. April 2010).

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts holte das Sozialgericht zunächst Befundberichte bei Dr. med. QQ. vom 29. November 2007 und bei Dr. med. EE. vom 14. April 2008 ein.

Sodann erhob das Sozialgericht von Amts wegen Beweis durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens bei dem Sachverständigen Dr. med. OO. - Facharzt für Orthopädie; Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Sportmedizin - vom 15. Juli 2008, der im Anschluss an eine ambulante Untersuchung am 14. Juli 2008 bei dem Kläger auf seinem Fachgebiet eine Dysplasiecoxarthrose beidseits infolge eines Luxationsperthes und Zustand nach zementfreier Hüftgelenksprothese links, eine durch Schuhwerk ausgeglichene Beinlängendifferenz und Muskelverschmächtigung des linken Beines, ein rezidivierendes, überwiegend statisch funktionelles Cervicalsyndrom mit Bewegungseinschränkung der HWS und eine beginnende mediale Gonarthrose beidseits sowie - fremddiagnostisch - eine Nasenhöhleneinengung mit Behinderung der Nasenatmung und eine reaktive Depression diagnostizierte. Aus orthopädischer Sicht sei der Kläger in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen unter Benutzung eines Arthrodesenstuhls, ohne Arbeiten über Kopf oder über der Horizontalen, ohne längeres Stehen, ohne längere Wegstrecken, ohne vermehrte Staubbelastung der Umgebung, ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel) zu verrichten. Die Gehfähigkeit des Klägers sei deutlich eingeschränkt und so limitiert, dass er die Kriterien der typischen innerstädtischen Fußwege von viermal täglich 500 Meter in einem adäquaten Zeitraum von jeweils 20 Minuten nicht erfüllen könne. Allerdings sei der Kläger zurzeit noch in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Zusätzliche betriebsunübliche Pausen seien zu begründen.

Ferner erhob das Sozialgericht von Amts wegen Beweis durch Einholung eines schriftlichen psychiatrisch-psychosomatischen Fachgutachtens bei dem Sachverständigen Dr. med. IP. - Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychoanalytiker (DGPT) - vom 3. Februar 2009, der im Anschluss an eine Befragung und Untersuchung des Klägers am 19. November 2008 auf seinem Fachgebiet neben einer chronischen Dysthymia mit rezidivierenden depressiven Episoden, derzeit remittiert bei chronischem Schmerzsyndrom, überwiegend durch organische Erklärungsfaktoren, keine somatoform-psychischen Überlagerungen, ein Stottern, eine schizoid-depressive Persönlichkeitsausprägung mit reduzierter individueller Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit der Struktur sowie - fachfremd - einen Zustand nach Dysplasie beider Hüften bei Perthes-Erkrankung (nicht entzündliche Nekrose der Schenkelköpfe) mit verschiedenen Operationen bds., zuletzt TEP links 7/2003, mit Minderbeweglichkeit der linken Hüfte bei Beugekontraktur, muskulärer Dysbalance und Muskelminderung des großen Gesäßmuskels und der Beinmuskulatur links mit Duchenne-Hinken, Beinverkürzung um 3 cm mit Einschränkungen der Wegstrecke und leichtgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionseinschränkungen der HWS, Instabilität des linken Knies und des linken oberen Sprunggelenkes bei degenerativen Veränderungen diagnostizierte. Damit könne der Kläger nur noch leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von mindestens drei Stunden bis unter sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mit Einschränkungen (keine Arbeiten unter hohem Konzentrationsvermögen, unter besonderem Arbeitsdruck, ohne besondere Stressbelastungen und ohne hohe soziale Verantwortung) verrichten. Auch sei der Kläger selbst unter Zuhilfenahme orthopädischer Hilfsmittel (Gehstock) nicht mehr in der Lage, einen Fußweg von zumindest 500 Meter viermal täglich zu leisten, könne jedoch im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führen. Da bisher keine psychiatrische Stellungnahme vorliege, sollte dieses Leistungsvermögen ab dem Zeitpunkt der Untersuchung am 19. November 2008 gelten. Bei einer vollschichtigen Tätigkeit wären zusätzliche, betriebsunübliche Pausen notwendig. Es sei nicht mehr möglich, das Leistungsvermögen zu bessern. An seiner Einschätzung über das Leistungsvermögen des Klägers hielt der Sachverständige Dr. med. IP. auch in seinen beiden ergänzenden psychiatrisch-psychosomatischen Stellungnahmen vom 24. April 2009 und 12. Januar 2010 fest.

Durch Urteil vom 11. November 2010 hat das Sozialgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen den Bescheid vom 30. Januar 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2007 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Juni 2009 befristet bis zum 31. Mai 2012 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung hat es dargelegt, dass bei dem Kläger seit dem 19. November 2008 eine teilweise Erwerbsminderung bestehe. Die Einschränkung seines Leistungsvermögens ergebe sich aufgrund der Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet, wie der Sachverständige Dr. med. IP. ausgeführt habe. Das Gericht sehe trotz der Kritik der Beklagten keinen Anlass, an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. IP. und an seiner Leistungseinschätzung zu zweifeln. Anders als der Sachverständige Dr. med. IP. sei allerdings nicht davon auszugehen, dass es unwahrscheinlich sei, dass die festgestellte Minderung des Leistungsvermögens behoben werden könne. Deshalb sei die Rente nur befristet zu gewähren. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sogenannte Arbeitsmarktrente sei nicht zu leisten, weil der Kläger in einem wöchentlichen Umfang von 25 bis 30 Stunden eine selbständige Tätigkeit ausübe. Trotz einer aus gesundheitlicher Sicht aufgehobenen Wegefähigkeit sei dem Kläger der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil er einen Arbeitsplatz mit Hilfe seines Kraftfahrzeugs erreichen könne. Dass beide gehörten Sachverständigen die Einhaltung zusätzlicher betriebsunüblicher Pausen für erforderlich hielten, sei für das Gericht nicht nachvollziehbar. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liege bei dem Kläger ebenfalls nicht vor.

Dem Urteil, das der Beklagten am 24. November 2010 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, ist - auszugsweise - folgende Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen:

"Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Hessischen Landessozialgericht, Steubenplatz 14, 64293 Darmstadt (FAX-Nr. (0 61 51) 80 43 50) schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel (FAX-Nr. (0561-70936-10), schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. ( )"

Am 28. März 2011 hat die Beklagte Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass bei einem vom Sozialgericht angenommenen Leistungsfall am 19. November 2008 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht erfüllt seien. Wie dem Versicherungsverlauf vom 18. Februar 2011 entnommen werden könne, seien im dann maßgeblichen Zeitraum vom 19. November 2003 bis 18. November 2008 nur 14 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Da auch die Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) nicht einschlägig sei, bestehe ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bereits aus rechtlichen Gründen nicht. Des Weiteren halte sie daran fest, dass eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens nicht nachgewiesen sei. Im Übrigen sei die Berufung auch zulässig, weil die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils vom 11. November 2010 keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung über das elektronische Postfach des Hessischen Landessozialgerichts beinhalte. Daher sei die Rechtsmittelbelehrung unvollständig und die Einlegung der Berufung innerhalb der Jahresfrist möglich.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Berufung wegen - deutlich - verfristeter Einlegung unzulässig sei. Es sei nicht erkennbar, inwieweit die Beklagte durch den unterlassenen Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit der elektronischen Berufungseinlegung in der Wahrung ihrer Rechte eingeschränkt oder beschnitten worden sein sollte. Hierzu müsse erst noch vorgetragen werden. Dabei dürfe auch nicht übersehen werden, dass die Beklagte über eine sehr große Rechtsabteilung mit juristisch geschultem Personal verfüge. Auf den Lauf der Jahresfrist könne sich die Beklagte daher nicht mit Erfolg berufen. Nur ergänzend sei noch anzumerken, dass das erstinstanzliche Urteil auch in der Sache absolut zutreffend sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, weil sie zulässig und begründet ist.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist dem § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG zufolge auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Da die Beklagte gegen das ihr am 24. November 2010 mittels Empfangsbekenntnis (§§ 135 i. V. m. 63 Abs. 2 Satz 1, § 174 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) zugestellte Urteil erst am 28. März 2011 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt hat, ist die von § 151 Abs. 1 SGG vorgegebene Berufungsfrist von einem Monat ab Zustellung des Urteils nicht eingehalten. Von der Möglichkeit des § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG hatte die Beklagte zuvor ersichtlich keinen Gebrauch gemacht.

Dennoch ist die Berufungsfrist vorliegend gewahrt, weil die dem Urteil des Sozialgerichts Kassel beigefügte Rechtsmittelbelehrung wegen des fehlenden Hinweises auf die Möglichkeit, die Berufung mittels elektronischen Dokuments einzulegen, unvollständig und damit unrichtig gewesen ist. Beide Beteiligten - also Kläger und Beklagte - konnten deshalb innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Urteils Berufung einlegen. Das folgt aus § 66 Abs. 1 SGG und § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Gemäß § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 66 Abs. 1 SGG erscheint es nicht erforderlich, die Beteiligten auch über die notwendige Form des anzubringenden Rechtsmittels zu belehren. Allerdings ist eine Rechtsmittelbelehrung nur dann richtig, wenn sie auch vollständig ist. Das ist wiederum lediglich dann der Fall, wenn die Rechtsmittelbelehrung die Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsbehelfs unterrichtet (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1958, 3 RJ 71/56 = SozR Nr. 23 zu § 66 SGG; BSG, Urteil vom 25. August 1955, 4 RJ 21/54 = BSGE 1, 194). Zu den wesentlichen Einzelheiten, über die die Beteiligten belehrt werden müssen, gehört daher auch die für das Rechtsmittel vorgeschriebene Form (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1958, 11/9 RV 986/56 = BSGE 7, 16). Denn andernfalls würde der Zweck des § 66 SGG, nämlich den ersten Zugang für den Rechtsbehelf zu eröffnen, zunichte gemacht (vgl. Littmann, in: Hk-SGG, 3. Aufl. 2009, § 66 Rn. 5). Die Belehrung muss dabei so abgefasst sein, dass die Beteiligten ohne Gesetzeslektüre erste Schritte zur Durchführung des Rechtsmittels unternehmen können (so genannte "Wegweiserfunktion" der Rechtsmittelbelehrung, vgl. BSG, Beschluss vom 7. Juli 1999, B 3 P 4/99 R = SozR 3 1500 § 67 Nr. 13), weshalb über den wesentlichen Inhalt der Formvorschriften bei Einlegung des Rechtsmittels belehrt werden muss (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 66 Rn. 10 m.w.N.). Der Zweck des § 66 SGG begrenzt aber andererseits gleichzeitig auch den Umfang der zusätzlichen, über den vom Gesetz zwingend vorgegebenen Inhalt hinausgehenden Informationen. Die Rechtsmittelbelehrung darf demnach durch zusätzlich gegebene Informationen jedenfalls nicht unübersichtlich werden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 1977, 4 RJ 31/77, juris Rn. 19), weil die Beteiligten dadurch verwirrt werden können (vgl. BSG, Beschluss vom 18. Oktober 2007, B 3 P 24/07 B = SozR 4-1500 § 66 Nr. 1). Zu detaillierte, zu ausführliche oder aber auch zu umständliche Rechtsmittelbelehrungen liegen daher nicht im Interesse der Beteiligten. Rechtsmittelbelehrungen dürfen folglich nicht durch zusätzliche Informationen überfrachtet werden, insbesondere nicht durch Umfang, Kompliziertheit und durch Hervorhebung von Unwichtigem Verwirrung stiften oder gar den Eindruck erwecken, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als dies in Wahrheit der Fall ist (vgl. BSG, Urteil vom 31. August 2000, B 3 P 18/99 R, juris).

Daran gemessen ist es vorliegend notwendig gewesen, die Beteiligten auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form hinzuweisen. Ohne einen solchen Hinweis erweist sich die hier streitige Rechtsmittelbelehrung als unvollständig und damit unrichtig im Sinne von § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Der aufgrund des Art. 4 Nr. 3 des Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz - JKomG) vom 22. März 2005 (BGBl. I, S. 837) mit Wirkung zum 1. April 2005 eingefügte § 65a SGG eröffnet die Möglichkeit, elektronische Schriftsätze im sozialgerichtlichen Verfahren einzureichen. Nach § 65a Abs. 1 Satz 1 SGG setzt die elektronische Übermittlung voraus, dass die Bundesregierung oder Landesregierung diese für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung zugelassen hat. Von dieser Ermächtigung des Bundesgesetzgebers hat das Land Hessen durch den Erlass der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (ElRVerkV - GVBl., S. 699) Gebrauch gemacht. Nach deren § 1 i. V. m. Anlage 1 Nr. 77 ist bei dem Hessischen Landessozialgericht seit dem 17. Dezember 2007 der elektronische Rechtsverkehr für alle Verfahren zugelassen.

Ausgehend hiervon ist bereits seit dem 17. Dezember 2007 - und damit auch im Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 - die Berufungseinlegung bei dem Hessischen Landessozialgericht im Wege der elektronischen Kommunikation nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er in § 65a SGG zum Ausdruck kommt, nicht nur grundsätzlich zulässig, sondern auch tatsächlich möglich. Demnach hat der Beklagten - ebenso wie im Übrigen dem Kläger - neben den beiden herkömmlichen, in § 151 Abs. 1 SGG ausdrücklich aufgeführten Möglichkeiten, die Berufung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, die elektronische Kommunikation als weitere Form zur Verfügung gestanden. Hierbei handelt es sich um einen "Regelweg" der Rechtsmitteleinlegung. Das hat zur Folge, dass dann auf diese Möglichkeit in der Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1984, 9a RV 2/83 = Breith 1984, 911; BSG, Urteil vom 18. Februar 1981, 3 RK 61/80 = SozR 1500 § 66 Nr. 11). In Anbetracht dessen ist die dem hier angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Kassel beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die lediglich auf die Möglichkeiten verweist, die Berufung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, unvollständig und deshalb irreführend, weil sie geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, dass es nicht möglich sei, hierfür die elektronische Kommunikation zu nutzen.

Die elektronische Form ist nicht lediglich als Unterfall der Schriftform anzusehen und wird daher hiervon nicht umfasst (so aber: Skrobotz, jurisPR-ITR 7/2011 Anm. 6, Abschnitt C. m.w.N.). Gegen die Annahme eines bloßen Unterfalls spricht bereits die Terminologie des § 158 Satz 1 SGG und des § 66 Abs. 1 SGG, die beide neben der Schriftform ausdrücklich auch die elektronische Form erwähnen. Das zeigt, dass die elektronische Form nicht mit der Schriftform gleichzusetzen ist und im Verhältnis zu ihr eine eigenständige Kommunikationsmöglichkeit mit dem Gericht darstellt. Dieses Ergebnis bestätigen auch die Regelungen des § 126 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und des § 36a Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I), wonach die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden kann. Eine solche Ersetzungsmöglichkeit wäre aber schlichtweg überflüssig, wenn es sich bei der elektronischen Form lediglich um einen Unterfall der Schriftform handeln würde. Dass es demgegenüber in der Gesetzesbegründung zu § 130a ZPO heißt, dass "Satz 1 das elektronische Dokument als modifizierte Schriftform" versteht (BT-Drucks. 14/4987, S. 24), vermag daran nichts zu ändern. Denn die Gesetzesbegründung zu § 130a ZPO hält an dieser Begrifflichkeit nicht durchgängig und konsequent fest, sondern beschreibt an anderen Stellen die elektronische Form als "Alternative zur Schriftform" (S. 23) oder "neue prozessuale Form" (S. 24). Ungeachtet dieser Überlegungen darf aber jedenfalls nicht übersehen werden, dass sich Rechtsmittelbelehrungen allein an die Verfahrensbeteiligten richten, die hierdurch ohne Zuhilfenahme des Gesetzes in die Lage versetzt werden sollen, erste Schritte zur Durchführung des Rechtsmittels zu unternehmen. Dann darf den Verfahrensbeteiligten aber erst Recht nicht abverlangt werden, unter Auswertung von amtlichen Begründungen eine Subsumtion vorzunehmen, ob nach dem Willen des Gesetzgebers die Formulierung "schriftlich" auch die elektronische Kommunikation umfassen soll. Dies wäre mit dem vorstehend bereits beschriebenen Zweck des § 66 SGG schlichtweg nicht in Einklang zu bringen. Stattdessen ist von dem allgemeinen Sprachverständnis auszugehen, wonach "schriftlich" die Erstellung eines tatsächlich existierenden schriftlichen Dokuments - sei es als Fernschreiben, Telebrief oder Telefax - meint. Gerade in einer derartigen Erstellung unterscheidet sich aber die Schriftlichkeit von der elektronischen Datenübermittlung.

Des Weiteren kann die Berufungseinlegung in elektronischer Form nicht gleichgestellt werden mit der in § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG vorgesehenen Möglichkeit, die Berufung auch schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts einzulegen, weshalb es sich hierbei nicht um eine so genannte "Auch-Möglichkeit" handelt. Der Umstand, dass die Berufungseinlegung in elektronischer Form nicht ausdrücklich in § 151 Abs. 1 SGG aufgeführt ist, ändert daran nichts, weil der Gesetzgeber die Möglichkeit der elektronischen Kommunikation in einer anderen Vorschrift - nämlich in § 65a SGG - geregelt hat. Deshalb wäre es nicht sachgerecht, lediglich auf § 151 Abs. 1 SGG abzustellen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass an anderer Stelle im Gesetz eigenständige Regelungen bezüglich der elektronischen Kommunikation bestehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. März 2012, 1 A 11258/11, juris Rn. 29 m.w.N.). Überdies darf in diesem Zusammenhang nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber von vornherein nicht in der Lage gewesen ist, die elektronische Form als weitere Möglichkeit der Berufungseinlegung in § 151 Abs. 1 SGG aufzuführen. Denn im Vergleich zu den beiden dort genannten Möglichkeiten, die Berufung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, war der Weg zur elektronischen Kommunikation nicht automatisch durch das Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage zum 1. April 2005 eröffnet, sondern bedurfte erst noch weiterer Voraussetzungen, die in Hessen erst mit dem Erlass der entsprechenden Landesverordnung vom 26. Oktober 2007 geschaffen wurden. Allein die fehlende Erwähnung der elektronischen Form in § 151 Abs. 1 SGG lässt daher nicht zwingend den Schluss darauf zu, dass es sich hierbei nur um eine der so genannten "Auch-Möglichkeit" der Berufungseinlegung handelt.

Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass es sich bei der Möglichkeit, die Berufung in elektronischer Form einzulegen, seit dem in § 1 ElRVerkV i. V. m. Anlage 1 Nr. 77 bestimmten Zeitpunkt in Hessen um einen weiteren "Regelweg" der Rechtsmitteleinlegung im sozialgerichtlichen Verfahren handelt, und dass deshalb die Beteiligten hierauf ausdrücklich hingewiesen werden müssen. Die hier streitige Rechtsmittelbelehrung enthält diesen Hinweis indessen nicht. Sie ist somit hinsichtlich der Möglichkeit, gegen das Urteil auch in elektronischer Form Berufung einzulegen, unvollständig und deshalb im Sinne von § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG unrichtig erteilt. Das hat zur Folge, dass die Beteiligten innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 Berufung einlegen konnten (strittig; so auch: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. November 2011, L 3 U 88/10; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2010, L 5 AS 1773/10 B PKH; nur angedeutet von: BSG, Beschluss vom 9. Februar 2010, B 11 AL 194/09 B; bejahend für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Februar 2011, OVG 2 N 10.10; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 10. September 2010, 2 K 156/10.NW; VG Trier, Urteil vom 22. September 2009, 1 K 365/09.TR; ablehnend: Hessisches LSG, Urteil vom 21. Juni 2011, L 7 AL 87/10; SG Marburg, Urteil vom 15. Juni 2011, S 12 KA 295/10; ablehnend für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 22. September 2011, 4 K 540/11.NW; VG Frankfurt, Urteil vom 8. Juli 2011, 11 K 4808/10.F - alle veröffentlicht in juris). Diese Jahresfrist hat die Beklagte aber mit ihrer Berufungseinlegung am 28. März 2011 offenkundig gewahrt.

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es im Zusammenhang mit § 66 SGG nicht entscheidend darauf an, inwieweit die Beklagte durch den unterlassenen Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in der Wahrung ihrer Rechte eingeschränkt oder beschnitten worden sein sollte. Es ist unerheblich, ob die im Einzelfall beanstandete Rechtsmittelbelehrung für das Fristversäumnis ursächlich gewesen ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. Oktober 1995, 2 RU 16/54 = BSGE 1, 254), weshalb bei einer fehlenden oder unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung die Frist grundsätzlich auch dann nicht läuft, wenn dem bzw. den Beteiligten die Rechtslage bekannt ist (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Mai 2003, B 6 KA 20/03 B, juris Rn. 10). Ebenso unbeachtlich ist, ob die Beteiligten ihr Ziel mit den aufgezeigten Möglichkeiten ebenfalls erreicht hätten und die Rechtsmittelbelehrung damit ihrer "Wegweiserfunktion" zumindest teilweise gerecht geworden wäre. Entscheidend ist vielmehr, ob das Fehlen eines Hinweises auf eine der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, formgerecht Rechtsmittel einzulegen, bei den Beteiligten den Eindruck erwecken kann, dass im konkreten Einzelfall diese Möglichkeit nicht besteht. Eben das ist im vorliegenden Fall aber zu bejahen.

Es liegen auch keine besonderen sachlichen Gründe vor, die einen gesonderten Hinweis in der Rechtmittelbelehrung auf die Möglichkeit, die Berufung in elektronischer Form einzulegen, entbehrlich machen könnten. Der Senat kann sich dabei insbesondere nicht der Auffassung anschließen, dass ein rechtsunkundiger Bürger trotz dieses fehlenden Hinweises nicht davon abgehalten werde, die notwendigen Schritte zur Einlegung eines Rechtsbehelfs vorzunehmen, was aus der geringen Verbreitung und aus dem vorgeschriebenen Verfahren zum elektronischen Rechtsverkehr selbst folgen solle. Denn abgesehen davon, dass die elektronische Kommunikation mit Behörden und Gerichten im Allgemeinen längst nicht mehr als außergewöhnlich bezeichnet werden kann, richten sich Rechtsmittelbelehrungen an sämtliche Verfahrensbeteiligte. Der Frage, inwieweit die elektronische Kommunikation mittlerweile Verbreitung gefunden hat, darf deshalb nicht von vornherein nur mit Blick auf diejenigen Verfahrensbeteiligten nachgegangen werden, die - in der Tat - am wenigsten von dieser Kommunikationsmöglichkeit Gebrauch machen dürften. Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob die Berufungseinlegung bei dem Sozialgericht gemäß § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG für die Rechtsuchenden möglicherweise derzeit als deutlich näher liegend anzusehen ist oder welchen Anforderungen eine elektronische Datei gemäß § 2 ElRVerkV i. V. m. Anlage 2 genügen muss.

Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass es sich bei der Möglichkeit, die Berufung in elektronischer Form einzulegen, um einen "Regelweg" handelt mit der Folge, dass ohne einen Hinweis hierauf die "Wegweiserfunktion" der Rechtsmittelbelehrung nicht erfüllt ist. Denn dieser fehlende Hinweis erscheint durchaus geeignet, bei den Beteiligten den Eindruck zu erwecken, dass die Berufung eben nicht in elektronischer Form eingelegt werden kann. Da aber nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die Berufungseinlegung in jener Form für die Beteiligten - oder ihre Bevollmächtigten - eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. per Boten oder Fax darstellt, erschwert die Verweisung in einer Rechtsmittelbelehrung lediglich auf die von § 151 Abs. 1 SGG vorgegebenen Möglichkeiten die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Nur hierauf kommt es an. Dass die Beteiligten ohne Weiteres in der Lage wären, die Berufung - den ihnen erteilten Hinweisen folgend - schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, ist dabei ohne Belang.

Soweit schließlich gegen den ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form in der Rechtsmittelbelehrung die Gefahr der Unübersichtlichkeit und Überfrachtung angeführt wird, überzeugt dies ebenfalls nicht. Es ist schon nicht nachvollziehbar, inwiefern eine solche Gefahr drohen könnte, wenn auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form hingewiesen wird. Die Erweiterung von ursprünglich zwei bestehenden Wegen der Berufungseinlegung auf einen nunmehr dritten Weg überfordert die Beteiligten zweifelsohne nicht. Dieser zusätzlich zu erteilende Hinweis bedeutet im Übrigen nicht, dass dann zugleich über alle weiteren, in Betracht kommenden Möglichkeiten der Rechtsmitteleinlegung, die so genannte "Auch-Möglichkeiten", belehrt werden müsste. Die Rechtsmittelbelehrung stellt weiterhin keine umfassende "Gebrauchsanweisung" dar, die allen tatsächlichen bzw. rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen muss. Daran ändert auch nichts, dass es neben dem eigentlichen Hinweis auf die Berufungseinlegung in elektronischer Form möglicherweise noch zusätzlicher Angaben auf die Notwendigkeit der qualifizierten elektronischen Signatur und der Anmeldung zum Verfahren bedarf. Dabei kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich dieser Einzelheiten der Hinweis auf die einschlägige Verordnung ohne weitere Details genügt (vgl. hierzu: Keller, a.a.O., § 66 Rn. 10 unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsmittelbelehrung des BSG; anders noch die Vorauflage). Denn es liegt jedenfalls nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass durch die dann erforderlichen zusätzlichen Hinweise die Rechtsmittelbelehrung zwangsläufig dergestalt mit Informationen überfrachtet würde, dass die Belehrungsadressaten die notwendigen und für sie naheliegenden Schritte für die Berufungseinlegung eines Rechtsmittels nicht mehr erkennen könnten. Das gilt umso mehr, als der "Wegweiserfunktion" der Rechtsmittelbelehrung dadurch Genüge getan wird, dass die Beteiligten ausdrücklich nur auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form sowie auf das Erfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur hingewiesen werden, während ihnen die Hinweise zu den übrigen Erfordernissen des elektronischen Rechtsverkehrs durch bloßen Verweis auf die Internetseite zum elektronischen Gerichtspostfach erteilt werden. Die Beteiligten sind dann in der Lage, über diese Internetseite sämtliche Einzelheiten und Voraussetzungen für die elektronische Kommunikation mit dem Gericht abzurufen. Mehr verlangt die "Wegweiserfunktion" der Rechtsmittelbelehrung indes nicht.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. November 2010 kann insoweit keinen Bestand haben, als damit dem Kläger eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 1. Juni 2009 bis 31. Mai 2012 zugesprochen worden ist. Der Kläger hat hierauf keinen Anspruch, weshalb der dies ablehnende Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2007 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und der Kläger hierdurch nicht beschwert wird im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der für den Nachweis der so genannten Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten so genannten Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungszeiten und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z.B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten so genannten Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.

Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von fünf Jahren zurückgelegt ist.

Der Kläger hat im hier streitigen Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 31. Mai 2012 keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Dabei bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob der Kläger tatsächlich - wie vom Sozialgericht angenommen - aufgrund eines Leistungsfalles vom 19. November 2008, dem Tag seiner Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. med. IP., teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB VI ist. Denn die für einen hieraus erwachsenden Rentenanspruch erforderliche Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI war letztmals für einen bis spätestens am 1. Januar 2007 eingetretenen Leistungsfall erfüllt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann jedoch das Vorliegen einer rentenberechtigenden Erwerbsminderung des Klägers nicht als nachgewiesen angesehen werden.

Zur Überzeugung des Senats war der Kläger jedenfalls bis zum 1. Januar 2007 noch ohne unmittelbaren Schaden für seine Gesundheit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in der Lage, arbeitstäglich sechs Stunden leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen (überwiegend im Sitzen unter Benutzung eines Arthrodesenstuhls, ohne Arbeiten über Kopf oder über der Horizontalen, ohne längeres Stehen, ohne längere Wegstrecken, ohne vermehrte Staubbelastung der Umgebung, ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel) zu verrichten. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme war das Leistungsvermögen des Klägers bis zum 1. Januar 2007 allenfalls aufgrund seiner orthopädischen Leiden beeinträchtigt. Im Vordergrund seines Krankheitsbildes standen dabei die von dem Sachverständigen Dr. med. OO. in seinem Gutachten vom 15. Juli 2008 diagnostizierten Erkrankungen des Haltungs- und Gelenkapparates. Mit Blick auf die bei ihm vorhandenen Hüft- und Kniegelenksleiden, der - allerdings durch Schuhwerk ausgeglichenen - Beinlängendifferenz und Muskelverschmächtigung des linken Beines sowie des Halswirbelsäulensyndroms konnte der Kläger aus einleuchtenden Gründen nur noch leichte körperliche Tätigkeiten in überwiegend sitzender Haltung - wegen der mangelnden Beugefähigkeit in den Hüften nur unter Benutzung eines Arthrodesenstuhls - ausüben. Ebenso plausibel ist es, dass wegen der bei dem Kläger außerdem noch bestehenden Nasenhöhlenverengung eine vermehrte Staubbelastung in der Umgebung vermieden werden sollte. Weitergehende Einschränkungen ergeben sich aufgrund dieser Erkrankung gleichwohl nicht.

Demgegenüber kann es - auch bei einer dem Kläger besonders wohlwollenden Betrachtungsweise - nicht im Sinne eines Vollbeweises als nachgewiesen angesehen werden, dass bereits zum 1. Januar 2007, also zu dem Zeitpunkt, in welchem letztmalig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erfüllt waren, ein in rentenberechtigendem Ausmaß herabgesetztes Leistungsvermögen bestanden hat.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das von dem Sachverständigen Dr. med. IP. festgestellte, in zeitlicher Hinsicht herabgeminderte Leistungsvermögen schon am 1. Januar 2007 bestanden haben könnte. Auch der Sachverständige Dr. med. IP. selbst geht davon aus, dass eine Rückdatierung seiner Leistungseinschätzung mangels psychiatrischer Stellungnahme nicht möglich ist und deshalb insoweit auf den Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers am 19. November 2008 abgestellt werden muss. Dem ist aus Sicht des Senats nichts hinzuzufügen, weil es in der Tat an den für eine Rückdatierung notwendigen so genannten Brückensymptomen fehlt. Dem medizinischen Berichtswesens können keine Anknüpfungspunkte entnommen werden, die darauf schließen lassen, dass das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung bereits vor seiner Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. med. IP. am 19. November 2008 oder sogar bis spätestens zum hier maßgeblichen Zeitpunkt, also bis zum 1. Januar 2007, zeitlich beeinträchtigt gewesen sein könnte. Dem steht schon entgegen, dass der Sachverständige Dr. med. OO. in seinem Gutachten vom 15. Juli 2008 unter Hinweis auf den erstinstanzlich eingeholten Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. med. EE. vom 14. April 2008 zwar durchaus ein psychotherapeutisches Krankheitsbild annimmt, dieses jedoch nur als "reaktive Depression aufgrund der Gesamtsituation" beschreibt, weil der Kläger anlässlich der Untersuchung bei ihm am 14. Juli 2008 einen diesbezüglich insgesamt kompensierten Eindruck hinterließ. Dabei ist davon auszugehen, dass dieses Krankheitsbild zum damaligen Zeitpunkt noch nicht sehr ausgeprägt gewesen sein kann. Das zeigt sich zum einen daran, dass Dr. med. EE. eine medikamentöse Therapie offenkundig nicht für erforderlich hielt, sondern dem Kläger lediglich eine ambulante Psychotherapie empfohlen hatte. Zum anderen schien damals sein psychischer Leidensdruck auch nicht allzu groß gewesen zu sein. Dies bestätigt der von Dr. med. EE. anlässlich der Rentenantragstellung erstellte Befundbericht vom 6. Oktober 2006, wonach der Kläger die seit November 2004 durchgeführte ambulante Psychotherapie nur "niederfrequent" besuchte.

Angesichts dessen ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass der Nachweis einer bei dem Kläger bereits am 1. Januar 2007 vorhandenen quantitativen Leistungsminderung nicht erbracht ist. Denn der vollständige Beweis (Nachweis) für das Vorliegen einer Rentenberechtigung ist erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rentenerheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. hierzu schon: BSG, Urteil vom 28. November 1957, 4 RJ 186/56 = BSGE 6, 144 m.w.N.). Es mag zwar durchaus sein, dass der Kläger bereits vor dem 19. November 2008 und damit möglicherweise auch schon am 1. Januar 2007 oder noch früher aus psychiatrischer Sicht beeinträchtigt gewesen sein könnte. Das ist umso mehr anzunehmen, als zwischen den beiden Untersuchungen bei dem Sachverständigen Dr. med. OO. am 14. Juli 2008 und bei dem Sachverständigen Dr. med. IP. am 19. November 2008 gerade einmal vier Monate liegen und nicht erkennbar ist, dass in diesem verhältnismäßig kurzen Zeitraum plötzlich und unvorhergesehen ein Ereignis aufgetreten war, infolgedessen sich der psychiatrische Gesundheitszustand des Klägers deutlich verschlechtert haben könnte. Dies allein genügt jedoch nicht, um einen Nachweis im vorstehenden Sinne annehmen zu können, weil dennoch weiterhin Zweifel daran bestehen würden, ob diese Beeinträchtigungen letztlich derart schwerwiegend waren, dass hieraus ein auch in quantitativer Hinsicht eingeschränktes Leistungsvermögen hätte ableiten werden können.

Bei dieser Sachlage ergeben sich keine Anhaltspunkte für zielgerichtete weitere Ermittlungen auf medizinischem Gebiet. Der Senat hat sich insbesondere nicht gedrängt fühlen müssen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, um damit abweichend von der Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. IP. einen bereits vor dem 19. November 2008 eingetretenen Leistungsfall ermitteln zu können. Derartige Ermittlungen sind aufgrund der insoweit eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. IP. in seinem Gutachten vom 3. Februar 2009 zur Rückdatierung des Leistungsfalles nicht angezeigt. Aber auch vor dem Hintergrund, dass sich die Beklagte im Berufungsverfahren weiterhin nicht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. IP. bezüglich eines in zeitlicher Hinsicht herabgeminderten Leistungsvermögens des Klägers anschließen kann, würden sich zusätzliche Sachverhaltsermittlungen im Berufungsverfahren mit Blick auf die dann jedenfalls fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als überflüssig erweisen. Entsprechende Feststellungen wären nämlich nicht entscheidungserheblich.

Bis zum 1. Januar 2007 lagen bei dem Kläger auch keine besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten Erwerbstätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwerten. Im Rahmen der - bezüglich des hier streitigen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung allein maßgeblichen - Frage nach dem Bestehen realer Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld bedarf es zwar einer besonders eingehenden Prüfung, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83 = SozR 2200 § 1246 Nr. 117 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82 = SozR 2200 § 1246 Nr. 104) oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter heraus fällt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1981, 1 RJ 124/79; BSG, Urteil vom 27. April 1982, 1 RJ 132/80 - beide veröffentlicht in juris). Derart gravierende Einschränkungen waren aber bei dem Kläger entgegen der von ihm geäußerten Rechtsauffassung - zur Überzeugung des Senats jedenfalls bis zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht gegeben. Weder aus dem bei dem Sachverständigen Dr. med. OO. eingeholten fachorthopädischen Gutachten vom 15. Juli 2008 noch aus dem medizinischen Berichtswesen lassen sich Anhaltspunkte hierfür entnehmen. Vielmehr gingen von den damals noch im Vordergrund stehenden orthopädischen Erkrankungen des Klägers lediglich solche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit aus, die nicht über das Merkmal einer körperlich leichten Tätigkeit hinausgehen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen kann aber auch nicht aufgrund der weiteren, von dem Sachverständigen Dr. med. IP. aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen angenommen werden, weil sie letztlich erst seit dem 19. November 2008 als nachgewiesen angesehen werden können.

Ob die für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt frei oder besetzt waren, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger noch im zeitlichen Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr einsatzfähig ist, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für sie offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der so genannten konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 1976 (GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 = SozR 2200 § 1246 Nr. 13) kann bei noch arbeitstäglich sechs Stunden und mehr einsatzfähigen Versicherten grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 1980, 1 RJ 32/79, juris Rn. 23).

Ein solcher Ausnahmefall war hier allerdings bis zum 1. Januar 2007 nicht gegeben.

Zwar hat der Sachverständige Dr. med. OO. in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass betriebsunübliche Arbeitspausen zu begründen seien. Nachvollziehbare Darlegungen für diese Annahme enthält sein Gutachten vom 15. Juli 2008 indessen nicht, worauf bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat. Auch für den Senat sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger damals auf die Einhaltung zusätzlicher, betriebsunüblicher Pausen zwingend angewiesen gewesen sein könnte. Keinesfalls rechtfertigen die von dem Sachverständigen Dr. med. OO. diagnostizierten Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet derartige Pausen.

Soweit der Sachverständigen Dr. med. OO. den Kläger darüber hinaus schon damals nicht mehr in der Lage sah, viermal täglich eine Fußwegstrecke von 500 Meter in einem Zeitraum von jeweils 20 Minuten zurückzulegen, begründet dies ebenfalls noch keinen Rentenanspruch. Denn trotz seiner orthopädischen Leiden konnte der Kläger jedenfalls noch ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen. Das hat der Sachverständige Dr. med. OO. in seinem Gutachten vom 15. Juli 2008 ausdrücklich bestätigt und plausibel damit begründet, dass die Beugefähigkeit der Hüfte offensichtlich einen Pedalwechsel zuließ und die oberen Extremitäten nicht limitiert waren. Überdies gab der Kläger ihm gegenüber anlässlich der Untersuchung an, dass im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit auch Autofahrten zu den Kunden anfielen. Diese Einlassung bestätigt ebenso eindrucksvoll wie seine seit dem Jahr 2004 ausgeübte geringfügige Beschäftigung als Taxifahrer, dass der Kläger durchaus noch in der Lage gewesen sein muss, im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen. Dann aber resultierte aus seiner eingeschränkten Gehfähigkeit offenkundig keine rentenrelevante Erwerbsminderung, weil ihm der Arbeitsmarkt insoweit nicht verschlossen war. Denn es kommt im Zusammenhang mit der Wegefähigkeit allein darauf an, ob eine aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkte bzw. aufgehobene Gehfähigkeit durch eine gegebene Fortbewegungsmöglichkeit und eine vorhandene Fahrfertigkeit des Versicherten behoben werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1965, 4 RJ 101/62 = SozR Nr. 56 zu § 1246 RVO). Beides war bei dem Kläger aber gegeben. Wenn er gleichwohl keinen Arbeitsplatz gefunden hatte, den er nach seinem Leistungsvermögen noch hätte ausfüllen können, so würde sich daraus allenfalls ein Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bzw. der Grundsicherung für Arbeitsuchende ergeben, nicht aber ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gegen die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung.

In Anbetracht dieser vorstehenden Ausführungen kann eine rentenberechtigende Erwerbsminderung bei dem Kläger zumindest in der Zeit bis zum 1. Januar 2007 nicht als nachgewiesen angesehen werden. Ob der Kläger auch in der Zeit ab dem 2. Januar 2007 noch über ein hinreichendes Restleistungsvermögen verfügte, um im zeitlichen Umfang von arbeitstäglich mindestens sechs Stunden einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen, braucht vom Senat nicht entschieden zu werden, weil das Rentenbegehren dann jedenfalls daran scheitern müsste, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind. Denn bei Eintritt des Leistungsfalles am 2. Januar 2007 oder später wäre weder die gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI erforderliche Vorversicherungszeit (drei Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung) erfüllt noch einer der gesetzlich zugelassenen Ausnahmetatbestände gegeben.

Dem Versicherungsverlauf vom 18. Februar 2011 zufolge hat der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung nur für den Vorbelegungszeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2006 die erforderlichen 36 Monate Pflichtbeiträge zurückgelegt. Denn der Kläger weist Pflichtbeiträge lediglich für die Zeit bis zum 12. Dezember 2004 auf. Ausgehend von einem erst am Untersuchungstag des Klägers bei dem Sachverständigen Dr. med. IP. nachgewiesenen Leistungsfall (19. November 2008) umfasst der Vorbelegungszeitraum die Zeit vom 19. November 2003 bis zum 18. November 2008. In diesem Zeitraum weist das Versicherungskonto des Klägers aber lediglich für 14 Monate Pflichtbeiträge auf.

Eine Verlängerung des Vorbelegungszeitraums auf die Zeit vor dem 19. November 2003 kommt hier nicht in Betracht, weil sich für das Vorhandensein von Aufschubzeiten im Sinne von § 43 Abs. 4 SGB VI oder § 241 Abs. 1 SGB VI keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Auch der Kläger selbst hat entsprechende Zeiten nicht aufgezeigt.

Auf den Nachweis der für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich erforderlichen Vorversicherungszeit kann im vorliegenden Fall auch nicht verzichtet werden, weil die Voraussetzungen der einschlägigen Ausnahmebestimmungen nicht erfüllt sind. Einer der von §§ 43 Abs. 5 i. V. m. 53 SGB VI erfassten Fälle ist ersichtlich nicht gegeben. Zudem gehört der Kläger nicht zu denjenigen Versicherten, welche die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach Maßgabe des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erfüllen können. Denn nach dem Versicherungsverlauf vom 18. Februar 2011 ist bereits die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) vor dem 1. Januar 1984 nicht erfüllt, weil bei dem im Jahr 1966 geborenen Kläger überhaupt erst ab dem 1. September 1983 rentenrechtliche Zeiten vorliegen. Die Erwerbsminderung des Klägers ist auch nicht vor dem 1. Januar 1984 eingetreten. Die Ausnahmevorschrift des § 43 Abs. 6 SGB VI ist schließlich ebenfalls nicht erfüllt, da der Kläger nicht bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen ist.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit steht dem heute knapp 46-jährigen Kläger schon allein deshalb nicht zu, weil er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Nach alledem konnte die Berufung der Beklagten nicht ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil der Senat der Rechtsfrage, ob Rechtsmittelbelehrungen der Sozialgerichte einen Hinweis auf die Möglichkeit der Berufungseinlegung in elektronischer Form enthalten müssen, grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
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