L 9 SO 91/12 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 15 SO 13/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 91/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2012 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller bis zum 31. August 2012 laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII), in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. &8195;

Gründe:

Die am 2. Mai 2012 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den am 2. April 2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2012 mit den sinngemäßen Anträgen,

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2012 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu zahlen, sowie ihm Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt K , O , zu bewilligen,

hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

Nach § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatz 1 vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gemäß Satz 2 dieser Vorschrift auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht aufgrund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO -) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann.

Ist bei summarischer Prüfung offen, ob der mit dem Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch besteht, ist zur Feststellung eines Anordnungsanspruchs eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Die einstweilige Anordnung wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheent¬scheidung abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leithe¬rer, SGG Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdn. 29a).

Ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung, liegt vor, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden, wobei auf die Beachtung der Folgen für den Fall des Nichterlasses der begehrten einstweiligen Anordnung abzustellen ist. Im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes kann es dabei ausnahmsweise auch erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar ist und ein Abwarten für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Keller a. a. O., § 86b Rdn. 31).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind nun, nachdem der Antragsteller nach Erhebung der Beschwerde die vom Antragsgegner im Verwaltungsverfahren gestellten Fragen überwiegend beantwortet hat, ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch zu bejahen, soweit es die kurzfristige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt betrifft. Für eine über den 31. August 2012 hinausgehende vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung bleibt der Erfolg versagt.

Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Anordnungsgrund nicht vorgelegen habe, weil der Antragsteller leistungsrelevante Fragen des Antragsgegners zu einer möglichen Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit einem Online-Verkaufsportal nicht zufriedenstellend beantwortet habe. Da der Antragsteller mit an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 8. Mai 2012 Antworten auf die Fragen übermittelt hat, der Antragsgegner dennoch keine Leistungen bewilligt hat, ist ein Eilbedürfnis nunmehr anzunehmen.

Ob allerdings auch ein Anspruch auf dauerhafte Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII besteht, lässt sich im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung nicht abschließend klären; ein Anordnungsanspruch ist jedoch aufgrund einer Folgenabwägung zu bejahen. Es ist weiterhin offen, ob der Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB XII ist. Danach ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel dieses Buches Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können. Der Antragsteller hat bislang keine hinreichenden Angaben zu erzielten Einnahmen aus Online-Geschäften gemacht und darauf verwiesen, dass sich die erwünschten Informationen aus den bei der damals für ihn zuständigen ARGE W geführten Akten ergäben. Der Antragsteller hat mitgeteilt, er habe den Betrieb des Online-shops spätestens Anfang 2006 eingestellt, weil die Umsätze nicht ausgereicht hätten. Für die Richtigkeit der Angaben des Antragstellers, seine Tätigkeit bereits vor einigen Jahren eingestellt zu haben und heute über keinerlei Einkünfte aus dieser Zeit mehr zu verfügen, spricht zwar, dass er bis Ende Januar 2011 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), bei der ARGE Landkreis H , W , gestanden hat. Der Auffassung des Antragsgegners folgend hält der Senat es aber für erforderlich, Einsicht in diese Akten der ARGE W zu nehmen, um die Angaben überprüfen zu können. Da der Antragsteller bisher noch kein Einverständnis zu Beiziehung der Akten erteilt hat, ist eine abschließende Klärung der Hilfebedürftigkeit nicht zeitnah – d.h. nicht im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens – möglich. Dieser Umstand rechtfertigt vor dem Hintergrund, dass existenzsichernde Leistungen begehrt werden, eine Folgenabwägung, die hier zugunsten des Antragstellers ausfällt. Es sind die Folgen abzuwägen, die einträten, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge und der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren obsiegte, gegenüber den Folgen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde und der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg hätte. Dies zugrunde gelegt wöge der Umstand, dass der Antragsteller eine ärztlich für notwendig erachtete weitere Behandlung mangels Krankenversicherung nicht durchführen lassen könnte, schwerer als die Gefahr der möglicherweise zu Unrecht erbrachter Leistungen.

Die Befristung der einstweiligen Anordnung bis zum 31. August 2012 hält der Senat für geboten – aber auch zeitlich ausreichend –, um dem Antragsgegner eine Schweigepflichtsentbindung und Erlaubnis zur Beiziehung der Akten von der damaligen ARGE W zukommen zu lassen und dem Antragsgegner eine abschließende Prüfung des Leistungsanspruchs zu ermöglichen. Über diesen Zeitpunkt hinaus ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben, weil der Antragsteller es in der Hand hat, bis zum 31. August 2012 zur endgültigen Klärung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse beizutragen.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht erfüllt. Nach § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält ein Beteiligter Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier erscheint die Rechtsverfolgung mutwillig; denn eine verständige Partei würde auch ohne Prozesskostenhilfe ihr Recht nicht in gleicher Weise verfolgen. Eine verständige Partei hätte vielmehr die erforderlichen Angaben im Rahmen des Verwaltungsverfahrens sofort gemacht und die Einwilligung zur Beiziehung von Akten gegenüber dem Antragsgegner erteilt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Senat berücksichtigt dabei, dass das Beschwerdeverfahren vom Antragsteller nur deshalb geführt worden ist, weil er, auch nachdem die Entscheidung des Sozialgerichts ergangen war, die für erforderlich gehaltenen Angaben nicht gegenüber dem Antragsgegner gemacht hat und auch im Beschwerdeverfahren nur teilweise zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Rechtskraft
Aus
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