L 10 R 578/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 5275/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 578/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der am 1958 geborene Kläger leidet im Wesentlichen unter Gesundheitsstörungen auf dem orthopädischem und dem psychiatrischen Fachgebiet. Im Vordergrund stehen Schmerzsyndrome an beiden Schultern - links bei einem Zustand nach zweimaliger Schulterarthroskopie mit Resektion des Schultereckgelenks - und an der Halswirbelsäule bei entsprechenden degenerativen Veränderungen. Daneben bestehen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule (Bandscheibenvorfall L5/S1) und ein belastungsabhängiges Schmerzsyndrom am linken Kniegelenk bei Hyperkompression der lateralen Patellafacette (so im Wesentlichen übereinstimmend: Gutachten des Orthopäden Dr. R. Bl. M 97 VA und des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G. Bl. 80 SG-Akte, sachverständige Zeugenaussage des Orthopäden Dr. Sch. Bl. 24 SG-Akte). In psychiatrischer Hinsicht leidet der Kläger an einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion sowie einer somatoformen Schmerzstörung (Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie psychotherapeutische Medizin Dr. R. Bl. 108 SG-Akte - letztlich ähnlich "depressives Syndrom": sachverständige Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters W. Bl. 17 SG-Akte). Diese Gesundheitsstörungen schließen nach Auffassung der befragten Gutachter jedenfalls schwere Tätigkeiten sowie Tätigkeiten mit überwiegend einseitiger Körperhaltung, häufigem Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, beidseitigen Überkopfarbeiten, einseitigen Körperhaltungen, Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Akkord- und Fließbandarbeit, Arbeiten in Kälte und Nässe sowie mittelschwierige oder schwierige Tätigkeiten geistiger Art mit Publikumsverkehr und besonderer nervlicher Beanspruchung aus. Vor diesem Hintergrund wurde dem Kläger im Hinblick auf seine frühere Tätigkeit als Maler und Lackierer von der Beklagten zwischenzeitlich eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bewilligt.

Den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vom Februar 2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2009 ab. Gestützt auf das Gutachten von Dr. R. ging sie davon aus, dass der Kläger unter Beachtung der eben aufgeführten qualitativen Einschränkungen leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann.

Deswegen hat der Kläger am 19.10.2009 beim Sozialgericht Freiburg Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Neurologe und Psychiater W. hat den Kläger nicht mehr in der Lage erachtet, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Dr. Sch. hat die Leistungsfähigkeit auf maximal zwei bis drei Stunden täglich eingeschränkt gesehen und auf das Auftreten nicht kalkulierbarer Schmerzattacken hingewiesen. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. H. hat hinsichtlich der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens auf eine Nachfrage beim Orthopäden verwiesen. Für den sozialmedizinischen Dienst der Beklagten hat Dr. H. ausgeführt, die behandelnden Ärzte hätten weder einen objektivierenden Befund mitgeteilt noch konkrete Funktionseinschränkungen beschrieben. Schließlich hat das Sozialgericht Dr. G. und Dr. R. mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Beiden hat der Kläger bei der Begutachtung mitgeteilt, er kümmere sich angesichts der Berufstätigkeit seiner Ehefrau in einer 105 qm großen Mietwohnung um den Haushalt, zu dem auch noch zwei volljährige Kinder gehören. Die Sachverständigen haben den Kläger übereinstimmend in der Lage erachtet, unter Beachtung der eingangs erwähnten qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden eine leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeit zu verrichten. In den vom Kläger nachgereichten Attesten vom Juni und November 2011 hat Dr. Sch. ausgeführt, die Schmerzzustände würden jedwede Arbeit unterbinden.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mehr als sechs Stunden täglich arbeiten. Das Sozialgericht hat sich auf die Gutachten von Dr. G. und Dr. R. gestützt, die es auch durch die im Nachhinein vorgelegten Befundberichte von Dr. Sch. nicht als widerlegt erachtet hat. Die Gutachten seien schlüssig und überzeugend. Sie ließen sich anhand der erhobenen Befunde nachvollziehen. Die Leistungseinschätzung werde auch dadurch bestätigt, dass der Kläger ein 90-minütiges Untersuchungsgespräch mit Dr. R. ohne Nachlassen der Konzentration habe führen können. Dr. G. habe davon berichtet, dass alle Transfers in der Praxis sowie das Anziehen der Schuhe zügig bzw. problemlos gelungen seien. Die vorliegenden Einschränkungen reichten nicht aus, um für jede denkbare Tätigkeit eine herabgesetzte Leistungsfähigkeit des Klägers auf unter sechs Stunden täglich zu begründen.

Gegen den ihm am 12.01.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.02.2012 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die vom Sozialgericht eingeholten Gutachten seien verfälscht, da sie unter dem Einfluss der von ihm eingenommenen Schmerzmittel erstellt worden seien. Sobald er Tätigkeiten mit beiden Armen mache, könne er seinen linken Arm nach kurzer Zeit vergessen. Er habe beispielsweise nicht einmal mehr die Kraft, ein Scharnier am Kühlschrank auszuwechseln. Wenn er seinen Körper beanspruche, habe er verstärkt Schmerzen in der linken Schulter. Sogar der Sicherheitsgurt im Auto verursache starke Schmerzen. Nach wie vor befinde er sich in ärztlicher Behandlung.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.01.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 30.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2009 zu verurteilen, ihm ab dem 01.02.2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil unter Nennung der zutreffenden Rechtsgrundlage ( § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) und überzeugender Würdigung der Gutachten von Dr. G. und Dr. R. sowie Berücksichtigung der nachgereichten Atteste von Dr. Sch. - sinngemäß damit auch unter Würdigung der vorangegangenen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Sch. - ausführlich und zutreffend dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diese Ausführung Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Anzumerken ist zu den Ausführungen des Sozialgerichts, dass die Klage nicht wie vom Sozialgericht angegeben als kombinierte Anfechtungs-/Verpflichtungsklage, sondern als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft ist. Ferner ist zu ergänzen, dass mit dem überzeugenden Gutachten von Dr. R. auch die sachverständige Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters W. , der sich nicht mit den Kompetenzen des Klägers im Alltag auseinander gesetzt hat, widerlegt ist. Auch die von Dr. G. dargestellten Angaben des Klägers zu seinem Alltag, der von einer Versorgung eines Vier-Personen-Haushalts und gelegentlichen PC-Arbeiten geprägt ist (Bl. 73 SG-Akte), und der von Dr. R. erhobene psychische Befund - trotz unscharfem Gedächtnis und weitschweifigem Gedankengang mit oft floskelhafter Ausdrucksweise und manchmal intellektueller Überforderung eine klinisch intakte Aufmerksamkeit und Konzentration, keine Hinweise auf eine vorzeitige Ermüdbarkeit bei einer mehr vorwurfsvoll-wütenden als deprimierten Stimmung und einem noch tragfähigen Kontakt - sprechen für das vom Sozialgericht beschriebene Leistungsvermögen, das in zeitlicher Hinsicht nicht rentenrelevant eingeschränkt ist.

Zum Berufungsvorbringen des Klägers ist anzumerken, dass aus dem Umstand, dass er - so seine Behauptung - vor den Begutachtungen Schmerzmittel eingenommen hatte, nicht auf eine Verfälschung der Gutachten zu schließen ist. Vielmehr ist die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers gerade unter Berücksichtigung der möglichen und zumutbaren therapeutischen Maßnahmen zur Beseitigung bzw. zur Linderung der Beschwerden vorzunehmen. Nach dem sich den Sachverständigen darstellenden Zustand des Klägers - unter Einnahme der Schmerzmittel - ist jedoch von dem beschriebenen Leistungsvermögen auszugehen.

Aus nach wie vor durchgeführten ärztlichen Behandlungen kann nicht auf eine weitergehende Leistungseinschränkung geschlossen werden. Die laufende ärztliche Behandlung ist den Sachverständigen und dem Sozialgericht bekannt gewesen. Dabei ist zu betonen, dass erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers von der Beklagten durchaus anerkannt und auch vom Sozialgericht sowie vom Senat nicht in Frage gestellt werden. Schließlich erhält der Kläger deswegen eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Damit wird vor allem dem Umstand, dass seine körperliche Leistungsfähigkeit insbesondere im Hinblick auf den Zustand der linken Schulter deutlich eingeschränkt ist, Rechnung getragen. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Kläger beim Auswechseln eines Kühlschrankscharniers Schwierigkeiten hat und auch längere einseitige Tätigkeiten am PC Beschwerden verursachen können. Ferner ist vorstellbar, dass der Sicherheitsgurt im Auto an der besonders schmerzhaften linken Schulter Beschwerdeauslöser sein kann. Bei einer hier allein zu beurteilenden Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sind jedoch gleichwohl leichte Tätigkeiten vorwiegend nicht körperlicher Art denkbar, die in wechselnden Haltungen und ohne Belastung der linken Schulter ausgeübt werden. Beispielsweise genannt seien hier aufsichtsführende Tätigkeiten. Nachdem Dr. R. und Dr. G. sogar mittelschwere Tätigkeiten (bei Beachtung der qualitativen Einschränkungen) nicht gänzlich ausgeschlossen haben - dies ist im Hinblick auf die Übernahme des Haushalts durch den Kläger im Übrigen durchaus nachvollziehbar - ist es hingegen fernliegend, von einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung des Klägers, die sich auch auf ausschließlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes beziehen müsste, auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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