L 1 KR 100/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 125/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 100/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 27/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 16. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für ein Speedy-Tandem übernehmen muss.

Der im Jahr 2000 geborene Kläger ist aufgrund einer spastischen Cerebralparese auf den Rollstuhl angewiesen. Er ist mit einem Aktivrollstuhl sowie zahlreichen weiteren Hilfsmitteln ausgestattet. Unter dem 29. Januar 2008 verordnete die Kinder- und Jugendärztin Dr. QQ. dem Kläger zur Verbesserung und Erhaltung der Mobilität sowie zum Erreichen und Sichern der sozialen Integration ein Speedy-Tandem. Hierbei handelt es sich um ein eigenständiges Fahrrad, welches als Rollstuhlzuggerät vor einen Selbstfahrerrollstuhl gekoppelt werden kann. Durch die eigenständige Nutzbarkeit des Fahrrads unterscheidet es sich von einem Rollfiets, welches aus einer Rollstuhl-Fahrrad-Kombination besteht, bei welchem ein Fahrradteil (ohne Vorderrad) hinter einen Selbstfahrerrollstuhl gekoppelt wird. Nach dem an die Beklagte gerichteten Kostenvoranschlag vom 6. Februar 2008 der Fa. XY. Reha-Technik betragen die Kosten für ein Speedy-Tandem (Grundausstattung) 3.684,24 EUR.

Die Beklagte leitete den Kostenübernahmeantrag an den zuständigen Sozialleistungsträger weiter, welcher den Antrag gemäß §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) mit Bescheid vom 30. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2008 unter Hinweis auf die überschrittenen Einkommensgrenzen ablehnte. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2009 lehnte auch die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte sie an, dass das begehrte Hilfsmittel zur Teilnahme an Aktivitäten anderer Kinder und damit zur Integration in der Gruppe Gleichaltriger nicht geeignet sei. Im Übrigen werde die Fortbewegung im Nahbereich durch die bereits gewährten Hilfsmittel sichergestellt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2009 zurück. Das Fahrradfahren gehöre nicht zu den Grundbedürfnissen, für deren Sicherstellung die Krankenkasse einzutreten habe. Eine soziale Einbindung in eine Gruppe gleichaltriger Kinder sei durch das Hilfsmittel nicht zu erreichen.

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. März 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Speedy-Tandem sei zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung nicht erforderlich. Krankengymnastik könne gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen erreichen. Auch zum Behinderungsausgleich sei die Versorgung nicht erforderlich. Insbesondere sei das Hilfsmittel nicht zur Integration des Klägers geeignet. Denn die Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson werde üblicherweise von Jugendlichen nicht akzeptiert. Das Hilfsmittel diene vorrangig der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge. Hierin könne kein anzuerkennendes Grundbedürfnis gesehen werden, zumal der Kläger jedenfalls durch den täglichen Besuch der Behindertenschule gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation habe und die Fahrradausflüge für die soziale Integration des Klägers von untergeordneter Bedeutung seien. Die Voraussetzungen für die Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgesetzbuch (SGG) lägen nicht vor, da die entscheidende Frage der Akzeptanz einer Begleitperson durch Gleichaltrige keine Tatsache sei, die durch ein ärztliches Sachverständigengutachten bewiesen werden könne.

Der Kläger hat gegen den ihm am 25. März 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 6. April 2010 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Der Besuch der Behindertenschule reiche zur Integration nicht aus, da der Kläger hierbei nur mit behinderten Gleichaltrigen zusammen sei. Wichtig sei hingegen auch der Kontakt mit nichtbehinderten Kindern. Im Übrigen sei Integration ein multifaktorielles Geschehen. Ein Speedy-Tandem könne bereits ab einer Körpergröße von 1,50 m bzw. einem Alter von 11 Jahren gefahren werden. Dies habe auch das Sozialgericht München so gewertet, wodurch im Rahmen eines Vergleiches die Krankenkasse einen Teil der Kosten übernommen habe (S 29 KR 1307/09). Ferner hätten das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27. Januar 2005 - L 16 KR 137/03) sowie das Sozialgericht Meiningen (Urteil vom 24. April 2012 – S 16 KR 2385/10) die betreffende Krankenkasse zur Übernahme der Kosten eines Speedy-Tandems verurteilt. Die Eltern des Klägers würden häufig an Feiertagen oder Wochenenden Fahrradausflüge mit befreundeten Familien machen. Früher habe der Kläger bei den Fahrradausflügen mitgenommen werden können, da er noch auf einen normalen Kinderfahrradsitz gepasst hätte. Dies sei bereits seit mehreren Jahren nicht mehr möglich. Auch aus dem von der Beklagten gewährten Therapie-Dreirad sei er herausgewachsen. Der Vater des Klägers spiele jeden Sonntag Tennis mit dem Mann der Patentante des Klägers. Dieses Ehepaar habe ein Kind im Alter des Klägers sowie eine 16-jährige Tochter. Mit dieser Familie treffe sich die Familie des Klägers jeden Sonntag auf dem Tennisplatz, wo sich zudem noch weitere Kinder zumeist mit Fahrrädern befänden. Von dort könne man gut zur nahegelegenen Eisdiele radeln. Der Kläger könne sich ohne Speedy-Tandem daran nicht beteiligen, sondern müsse im Rollstuhl bei seiner Mutter bleiben. Auch an den schulfreien Tagen könne der Kläger mit anderen Kindern das Speedy-Tandem nutzen. Dies gelte auch bei den Besuchen des "Kinderhortes", den der Kläger mehrmals in der Woche besuche. Ferner gehe er regelmäßig zur Betreuung zu seiner Tante, die zwei Kinder im Altern von 17 und 21 Jahren habe und die gerne mit ihm und anderen Kindern von dem Speedy-Tandem Gebrauch machen würden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es nicht erforderlich, dass das Hilfsmittel ein Agieren von behinderten und nichtbehinderten Personen auf "einer Ebene" ermögliche. Schließlich sei der Anspruch auch aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG), aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen begründet.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 16. März 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten der Versorgung des Klägers mit einem Rollstuhlzuggerät vom Typ Speedy-Tandem zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie darauf verwiesen, dass das Speedy-Tandem dem Kläger nicht ermögliche, sich unter Gleichaltrigen gleichberechtigt zu bewegen. Bei der Nutzung des begehrten Hilfsmittels gehe es nicht um aktives Mitmachen, sondern vielmehr um passives Umhergefahrenwerden. Innerhalb der Familie könne die Integration auch ohne die Nutzung des begehrten Hilfsmittels erreicht werden. Auch ergebe sich aus dem Pflegegutachten vom 22. September 2006, dass es völlig ausgeschlossen sei, dass der Kläger mit anderen Kindern auf gleicher Ebene interagieren könne. Das bloße Herumgefahrenwerden - insbesondere durch ältere Kinder - sei aber keine Integration in den Kreis der gleichaltrigen Kinder im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Zudem stehe § 21 Abs. 3 Straßenverkehrsordnung (StVO) einer Nutzung des Speedy-Tandems durch Personen unter 16 Jahren entgegen.

Dr. WW. (Universitätsklinikum C-Stadt und OB.) hat in der vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 1. Februar 2012 angegeben, dass der Kläger einfache alternierende Beinbewegungen durchführen könne. Mit einem Gehgestell, in welches er eingespannt sei, könne er sich einige Schritte fortbewegen. Bei dem Kläger bestehe eine schwere Sehstörung. Er könne sich daher außer Hause nicht alleine frei bewegen. Er benötige ein Gehtraining, um seine Mobilisation zu verbessern. Zudem müsse er transportfähig bleiben. Dazu eigne sich die Versorgung mit einem Speedy-Tandem. Es ermögliche ihm eine Integration in den Alltag und gebe ihm die Möglichkeit, seine ebenfalls von der Bewegungsstörung deutlich betroffenen Arme weiter zu nutzen. Zur besseren Krankheitsbewältigung von Kind und Familie sei eine bessere Integration in den Alltag wichtig.

Die Grundstufenleiterin der vom Kläger besuchten Schule, Frau EE., hat ausgeführt, dass das Speedy-Tandem für den Kläger im schulischen Umfeld von großer Bedeutung sei. Dabei gehe es vorrangig um den Kontakt mit seinen Mitschülern. Die 20- bzw. 30 minütigen Pausen böten ausreichend Zeit für Bewegungsmöglichkeiten. Dreiräder, Laufräder, Kooperationsräder sowie Fahrräder stünden zur Verfügung und würden täglich genutzt. Ferner könne das Hilfsmittel im Rahmen des Sportunterrichts, der Klassenfahrten sowie der jährlich stattfindenden Wandertage eingesetzt werden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Speedy-Tandem, weil diese nicht erforderlich ist, § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Vorliegend geht es nicht um die Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (1. Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V), da das begehrte Hilfsmittel hierfür bereits nicht geeignet ist. Soweit Dr. WW. in der Stellungnahme vom 1. Februar 2012 anführt, dass das Speedy-Tandem dem Kläger die Möglichkeit gebe, seine ebenfalls von der Bewegungsstörung deutlich betroffenen Arme weiter zu nutzen, ist nicht ersichtlich, wie dies durch das reine Sitzen in einem an einem Fahrrad fest angekoppelten Rollstuhl gefördert werden könnte.

Die Benutzung des Speedy-Tandems ist auch nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dieser in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck eines von der gesetzlichen Krankenkasse zu leistenden Hilfsmittels bedeutet nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung als solche hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist vielmehr allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u. a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (vgl. BSG, Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 11/08 R mwN).

Das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" betrifft nur den Basisausgleich der Behinderung selbst. Hinsichtlich der Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis ist auf die Entfernung abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt. Der Ausgleich ist darauf gerichtet, dass der Versicherte sich in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen kann, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Bei Jugendlichen gilt als Maßstab die Entfernung, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt. Das die Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichende Hilfsmittel ist insoweit aber nicht wegen dieser - rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Minderjährigen in seiner jugendlichen Entwicklungsphase in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher zuzusprechen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2002 – B 3 KR 3/02 R). Ferner ist ein Speedy-Tandem nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, um Fahrradausflüge mit der Familie zu ermöglichen. Ein Speedy-Tandem - ebenso wie ein Rollfiets oder ein Therapietandem - ist von der Art des Fahrzeugs her regelmäßig nicht zur Integration eines Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger geeignet. Denn die zu seiner Bedienung in der Regel notwendige Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert (s. BSG, Urteil vom 21. November 2002 – B 3 KR 8/02 R –, Beschluss vom 29. Januar 2009 – B 3 KR 39/08 B – sowie Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 11/08 R mwN – letzteres unter ausdrücklicher Aufgabe von BSG, Urteile vom 29. September 1997 – 8 RKn 27/96 – und 13. Mai 1998 – B 8 KN 13/97 R - auf welche sich jedoch das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem stattgebenden Urteil vom 27. Januar 2005 – L 16 KR 137/03 – noch bezieht). Von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geschuldet wird jedoch das Ermöglichen von Freizeitbeschäftigung wie Wandern, Dauerlauf, Ausflüge und ähnliches, die das "Stimulieren aller Sinne", die "Erfahrung von Geschwindigkeit und Raum", das "Erleben physischen und psychischen Durchhaltens" sowie das "Gewinnen von Sicherheit und Selbstbewusstsein" mit sich bringen (BSG, Beschluss vom 22. April 2009 – B 3 KR 54/08 B).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Versorgung des Klägers mit dem streitigen Hilfsmittel nicht erforderlich.

Soweit das Speedy-Tandem der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge im Familienverbund sowie mit anderen Familien dienen soll, führt dies nicht zu einer Integration des Kägers in die Gruppe gleichaltriger Jugendlicher. Denn er wird regelmäßig auf die Hilfe seiner Eltern oder anderer Personen angewiesen sein, die älter sind als er selbst. Insoweit ist eine entsprechende Integration daher nicht zu erreichen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass auch Kinder ab 12 Jahren prinzipiell ein Speedy-Tandem fahren können. Dies führt jedoch noch nicht zu einer maßgeblichen Integration des Klägers in die Gruppe gleichaltriger Jugendlicher. Denn der Kläger wird hierdurch nicht dazu in die Lage versetzt, dem Bewegungsdrang Jugendlicher im jeweils erforderlichen Umfang auch zu folgen. Denn anders als bei einem von einem behinderten Jugendlichen nutzbaren Therapie-Dreirad kann ein Speedy-Tandem keinen Beitrag zur besseren eigenständigen Mobilität leisten.

Während der täglichen Schulbesuche ist der Kläger zudem im Sinne des Basisausgleichs bereits integriert. Bei Schulausflügen wäre das Speedy-Tandem in der Regel nur bei entsprechenden Fahrradausflügen einsetzbar. Diese eher seltene Nutzung kann den geltend gemachten Anspruch nicht begründen. Aber auch die Nutzung durch befreundete Jugendliche außerhalb der Schulzeiten führt nicht zu einem Anspruch auf Kostenübernahme. Nach den Angaben der Mutter des Klägers könnte das Speedy-Tandem beim sonntäglichen Besuch des Tennisplatzes sowie für Fahrten von zu Hause z.B. zur leicht erreichbaren Eisdiele durch gleichaltrige Jugendliche selbstständig genutzt werden. Es erscheint jedoch sehr fraglich, ob 12-Jährige in der Lage und mit entsprechender Regelmäßigkeit auch dazu bereit sind, mit einem unmotorisierten Fahrrad einen im Rollstuhl sitzenden Gleichaltrigen über eine nicht unwesentliche Entfernung fortzubewegen. Gemäß § 21 Abs. 3 StVO dürfen ferner zur Beförderung von Kindern eingerichtete Anhänger hinter Fahrrädern nur von Personen mitgenommen werden, die mindestens 16 Jahre alt sind. Ein Speedy-Tandem ist mit einem solchen Fahrrad mit Anhänger unter Sicherheitsaspekten vergleichbar. Kann aber das Speedy-Tandem nur außerhalb des Geltungsbereichs der StVO eingesetzt werden, ist dies ein weiteres Argument gegen eine Integration unter gleichaltrige Jugendliche, die sich beim Fahrradfahren regelmäßig nicht derart räumlich beschränken lassen. Schließlich kann ein Speedy-Tandem nur bei entsprechend guten Wetterverhältnissen genutzt werden, was ebenfalls die Häufigkeit des Einsatzes begrenzt.

Der Kläger kann den Sachleistungsanspruch auch nicht auf § 31 SGB IX stützen. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausreichende Leistungsansprüche (vgl. BSG, Urteil vom 12. August 2009, a.a.O., mwN).

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ist ferner nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG begründet, da dem Gesetzgeber hinsichtlich der Art und Weise der Familienförderung ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das "Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (UN-Konvention) berufen, da aus der UN-Konvention keine über § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche hergeleitet werden können (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 KR 10/10 R). Nichts anderes gilt für die Grundrechtscharta der Europäischen Union.

Die Beklagte ist zudem nicht nach dem Leistungsrecht eines anderen Rehabilitationsträgers zur Gewährung des Speedy-Tandems verpflichtet. Ihrer Pflicht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als erstangegangenem Rehabilitationsträger ist sie mit der rechtzeitigen Weiterleitung des Antrags an den zuständigen Sozialleistungsträger nachgekommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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