S 33 AL 259/09 WA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AL 259/09 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die mündliche Verhandlung wird vertagt. 2. Das Verfahren wird ausgesetzt. 3. Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: Verstößt § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III, eingefügt durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende – GSiFoG – vom 20.07.2006 (BGBl I, 1706), in Kraft getreten mit Wirkung vom 01.06.2006 (Art. 16 Abs. 3 GSiFoG), gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, insoweit durch die vorgenannte Vorschrift die Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB III teilweise nachträglich geändert und unterschiedlich – abhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in der Vergangenheit – geregelt wurde?

Gründe:

I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gemäß § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) begründet hat.

Der am 06.08.1958 geborene Kläger ist Dipl.-Ing. (Produktdesign) und war vom 01.09.1991 bis zum 31.12.1996 bei der Firma K und danach vom 01.01.1997 bis zum 31.07.1997 bei der Firma H sozialversicherungspflichtig – auch in der Arbeitslosenversicherung – beschäftigt. Vom 01.08.1997 bis zum 30.06.1998 war er arbeitslos und bezog von der Beklagten (Arbeitsamt Rottweil) Arbeitslosengeld. Seit dem 01.07.1998 ist der Kläger als selbständiger Industriedesigner mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 15 Stunden tätig. Seitdem ist er in der Künstersozialkasse renten- und krankenversichert. Am 19.12.2006 stellte der Kläger einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Das von ihm an diesem Tage unterzeichnete Antragsformular ging zusammen mit weiteren Unterlagen (u. a. Diplomurkunde, Versicherungsbescheid in der Künstlersozialversicherung) am 22.12.2006 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 16.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab und begründete diese damit, dass nach der Neufassung des § 434j Abs. 2 SGB III Personen, die ihre selbstständige Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen, aber die freiwillige Weiterversicherung nicht bis zum 31.05.2006 beantragt hätten, nicht mehr in den Genuss derselben kommen könnten. Da der Antrag des Klägers erst am 22.12.2006 bei der Beklagten gestellt worden sei, sei die Antragstellung verspätet erfolgt. Die Entscheidung beruhe auf § 28a SGB III i. V. m. § 434j Abs. 2 SGB III. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 17.01.2007, bei der Beklagten eingegangen am 19.01.2007, mit der Begründung Widerspruch, dass ihm die Vorverlegung der Antragsfrist auf den 31.05.2006 nicht bekannt gewesen sei. Er habe vielmehr darauf vertraut, den Antrag noch bis zum 31.12.2006 stellen zu können. Die in der Neufassung der Regelung in Satz 2 enthaltene Begrenzung der Versicherungsmöglichkeit lediglich auf solche Selbständige, die die Beschäftigung erst nach dem 31.12.2003 aufgenommen hätten, führe zudem zu einer nicht nachvollziehbaren Ungleichbehandlung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger berufe sich zu Unrecht auf eine inzwischen geänderte gesetzliche Grundlage. Mit dem GSiFoG sei § 434j SGB III neu gefasst worden. Die bis zum 31.12.2006 geltende Aussetzung der einmonatigen Antragsfrist nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, welche zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigte (§ 28a Abs. 2 S. 2 SGB III), gelte danach mit Wirkung ab dem 01.06.2006 nur noch in den Fällen, in denen die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach dem 31.12.2003 erfolgt sei. Zwar bestimme § 434j Abs. 2 SGB III, dass § 28a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe gelte, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 bis zum 31.12.2006 gestellt werden könne. Stelle eine Person, deren Tätigkeit oder Beschäftigung gemäß § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB III zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, den Antrag nach dem 31.05.2006, gelte Satz 1 aber nunmehr mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem 31.12.2003 aufgenommen worden sein müsse. Anträge auf freiwillige Weiterversicherung, die ab dem 01.06.2006 für eine selbstständige Tätigkeit gestellt würden bzw. gestellt worden seien, welche vor dem 01.01.2004 aufgenommen worden sei, müssten daher abgelehnt werden. Die Personen, die ihre selbstständige Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen hätten, hätten daher die freiwillige Weiterversicherung nur bis zum 31.05.2006 beantragen können. Vorliegend habe der Kläger seine selbstständige Tätigkeit am 01.07.1998 aufgenommen. Seinen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung habe er jedoch erst am 22.12.2006 gestellt. Die Antragstellung sei daher verspätet erfolgt. Mit der am 29.01.2007 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger macht geltend, er habe aus einem Schreiben der Künstlersozialkasse von der Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung erfahren. Aus diesem habe sich ebenso wie aus den von ihm daraufhin besorgten Unterlagen der Beklagten eine Antragsfrist bis zum 31.12.2006 ergeben. Er habe sodann die Unterlagen zunächst in dem Vertrauen darauf zur Seite gelegt, dass er bis zum Jahresende 2006 Zeit habe. Zudem sei er auf Grund sehr starker beruflicher Belastung nicht dazu gekommen, den Antrag früher zu stellen. Im Hinblick auf die unsicheren Berufsaussichten als Selbständiger im Bereich des Mediendesigns begehre er für den Fall, dass sich seine Auftragslage verschlechtere, weiterhin die Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2007 aufzuheben und festzustellen, dass durch seinen Antrag vom 22.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 28a SGB III begründet worden ist.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Meinung, dass sie zur Anwendung der jeweils aktuellen Gesetzeslage verpflichtet und die angefochtene Entscheidung daher rechtmäßig sei. Auch auf der Basis ihrer mittlerweile geänderten Dienstanweisung komme eine dem Kläger günstige Entscheidung nicht in Betracht, da nach dieser nunmehr lediglich noch in der Zeit zwischen Inkrafttreten (01.06.2006) und Verkündung (25.07.2006) des Gesetzes eingegangene Anträge anzuerkennen seien.

Das Verfahren wurde durch Beschlüsse vom 07.03.2007 und vom 11.12.2007 im Hinblick auf das vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Az. 1 BvL 1/07 anhängige Normenkontrollverfahren ruhend gestellt und nach Aufhebung des Vorlagebeschlusses im dortigen Ausgangsverfahren wiederaufgenommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2010 sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II. Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen. Die Kammer sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits gehindert.

Sie ist davon überzeugt, dass die Regelung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III, angefügt durch Art. 2 Nr. 9 GSiFoG vom 20.07.2006 (BGBl I, 1706, ausgegeben zu Bonn am 25.07.2006), in Kraft getreten mit Wirkung vom 01.06.2006, verfassungswidrig ist, nämlich Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

1. Ausgangssituation

§ 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III, eingefügt durch Art. 1 Nr. 20 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog. "Hartz III") vom 23.12.2003 (BGBl I, 2848, 2853 f.), räumte u. a. Selbstständigen unter bestimmten Voraussetzungen zum 01.02.2006 (vgl. Art. 124 Abs. 4 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) erstmals die Möglichkeit ein, sich freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern. Nach dieser Regelung können Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Voraussetzung ist gemäß § 28a Abs. 1 S. 2 SGB III, dass der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts (des SGB III) gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat (Nr. 1), der Antragsteller unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat (Nr. 2) und Versicherungspflicht (§§ 26, 27 SGB III) anderweitig nicht besteht (Nr. 3). Das Versicherungspflichtverhältnis beginnt gemäß § 28a Abs. 2 S. 1 SGB III mit dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Agentur für Arbeit, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem erstmals die nach dessen Abs. 1 S. 1 geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Antrag muss gemäß § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III - grundsätzlich - innerhalb von einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III modifiziert diese Regelung dahingehend, dass § 28a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe gilt, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III bis zum 31.12.2006 gestellt werden kann.

In der Gesetzesbegründung zu § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III ist hierzu Folgendes ausgeführt: "Alle Personen, die zum 1. Februar 2006 die Voraussetzungen der freiwilligen Weiterversicherung "dem Grunde nach" erfüllen - also vor Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit versicherungspflichtig beschäftigt waren - sollen die freiwillige Weiterversicherung bis zum Ende des Jahres 2006 beantragen können" (BT-Drs. 15/1515, S. 111). Diese Übergangsregelung wird in der Literatur allgemein so verstanden, dass das Erfordernis der Einhaltung der Antragsfrist von einem Monat nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit der Sache nach bis Ende 2006 aufgehoben ist (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.; ders., Soziale Sicherheit 2009, 197 f.). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsauffassung hat die Beklagte die Auffassung vertreten, auch Personen, die schon seit Jahrzehnten selbstständig sind, könnten sich noch auf Antrag freiwillig versichern (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 9 ff. und 200 ff.).

Durch Art. 2 Nr. 9 GSiFoG wurde der Regelung des § 434j Abs. 2 SGB III der Satz 2 mit folgendem Wortlaut angefügt: "Stellt eine Person, deren Tätigkeit gemäß § 28a S. 1 Nr. 2 SGB III zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, den Antrag nach dem 31. Mai 2006, gilt Satz 1 (Ergänzung des Gerichts: des § 434j Abs. 2 SGB III) mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen worden sein muss." Diese Regelung ist gemäß Art. 16 Abs. 3 GSiFoG mit Wirkung zum 01.06.2006 in Kraft getreten. Sie war weder im Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen vom 09.05.2006 (BT-Drucks. 16/1410) enthalten, noch Gegenstand der Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 29.05.2006 (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.). Sie wurde vielmehr erst auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31.05.2006 als Art. 2 Nr. 7 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht (BT-Drs. 16/1696). Darin ist zur Begründung ausgeführt, hierdurch solle für die antragsberechtigten Personenkreise der selbstständig Tätigen und der Auslandsbeschäftigten der enge Zusammenhang zur bisherigen Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft stärker betont werden. Die Möglichkeit, die freiwillige Weiterversicherung bis zum 31.12.2006 zu beantragen, solle demnach nur noch solchen Personen zugute kommen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (01.01.2004) oder danach die Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, aufgenommen hätten. Zur Begründung des Inkrafttretens der Regelung mit Wirkung vom 01.06.2006 ist in der Gesetzesbegründung (zu Art. 16 Abs. 3) ausgeführt, dass das vorzeitige Inkrafttreten erforderlich sei, um bei der Behandlung von Anträgen auf freiwillige Weiterversicherung für solche Personen Rechtssicherheit zu schaffen, die ihren Antrag zwischen dem Tag der dritten Lesung dieses Gesetzes und dem Inkrafttreten der übrigen Vorschriften (Anmerkung des Gerichts: mit dem ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats, d. h. mit dem 01.08.2006, Art. 16 Abs. 1 GSiFoG) stellen. Auf die technisch schwer verständliche Formulierung ist bereits hingewiesen worden (vgl. SG Koblenz, Vorlagebeschluss vom 10.01.2007, S 9 AL 302/06, zitiert nach juris).

Gesetzgeberisches Ziel der Neuregelung war es mithin, diejenigen von der Beantragung der freiwilligen Weiterversicherung auszuschließen, die vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 01.01.2004 schon selbstständig oder außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) tätig waren (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.). Dies hatte zur Folge, dass den schon länger Selbstständigen und den Auslandsbeschäftigten fast ohne jede Reaktionsmöglichkeit eine ihnen erst seit dem 01.02.2006 offen stehende Versicherungsmöglichkeit genommen wurde, deren Gebrauch ihnen ursprünglich nach § 434j Abs. 2 (S. 1) SGB III bis zum 31.12.2006 eröffnet war. Da die Absicht zur Änderung des § 434j Abs. 2 SGB III erst am 31.05.2006 nachmittags bekannt geworden war - die maßgebliche Drucksache 16/1696 stand der Öffentlichkeit erst am 31.05.2006 im Internet, in gedruckter Form an diesem Tage überhaupt noch nicht zur Verfügung (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.) -, hätte der Antrag auf freiwillige Weiterversicherung von denjenigen Personen, die vor dem 01.01.2004 ihre selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben, spätestens bis zum 31.05.2006 um 24:00 Uhr gestellt werden müssen. Die Einfügung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III in diesem Gesetzgebungsverfahren ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf Verwunderung gestoßen (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.: "ungewöhnliches Eilverfahren", und Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: 12/2006, § 434j, Rn. 21a: "erstaunlicher Federstrich"), ebenso die Gesetzesbegründung zum vorzeitigen Inkrafttreten (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff. (205): "entweder unfreiwillig komisch oder bewusst verschleiernd", so übernommen von Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: 12/2006, § 434j, Rn. 21a). Die Vorlagebeschlüsse des SG Nürnberg (vom 11.01.2007, S 6 AL 554/06) und vom SG Koblenz (vom 10.01.2007, S 9 AL 302/06; jeweils zitiert nach juris) sind mittlerweile aufgehoben worden, da die Beklagte nach Änderung ihrer Dienstanweisung jedenfalls die dort im Streit stehenden Anträge (bis einschließlich 25.07.2006) anerkannt hat (vgl. hierzu Wenner, Soziale Sicherheit 2009, 197 f.).

2. Rechtliche Würdigung

Die Kammer beabsichtigt, den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2007 aufzuheben und festzustellen, dass durch den Antrag des Klägers vom 22.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 28a SGB III begründet worden ist.

Die beabsichtigte Entscheidung der Kammer hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab (s. unter a)). § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III beseitigt in verfassungswidriger Weise für Personen, die die Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag gem. § 28a SGB III erfüllen und ihre selbstständige Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen haben, die ihnen zunächst durch § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III bis zum 31.12.2006 eröffnete Möglichkeit, ein solches zu begründen (s. unter b)). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III scheidet aus (s. unter c)). Die Kammer ist somit an einer eigenen Entscheidung nach Art. 100 Abs. 1 GG gehindert.

a) Entscheidungserheblichkeit

Das Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreits ist von der Entscheidung über die Vorlagefrage abhängig. Denn wäre die Vorschrift des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III wirksam, dann hätte der Kläger durch seinen Antrag vom 22.12.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a SGB III begründet. Wäre die Vorschrift dagegen verfassungswidrig und daher nichtig, folgte daraus, dass er durch seinen Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis begründet hätte.

Der Kläger begehrt im Wege einer zulässigen verbundenen Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1, 56 SGG) die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, dass durch seinen Antrag vom 19.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis begründet worden ist. Die Klage ist auch form- und fristgerecht erhoben und das erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden. Die Klage ist daher zulässig.

Wäre § 434j Abs. 2 S. 2 verfassungswidrig und damit nichtig, wäre die Klage auch begründet. Denn der Kläger hätte dann durch seinen Antrag vom 19.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründet. Er übt eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne des § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III aus. Er hat auch im Sinne des § 28a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts des SGB III gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen. Er war nämlich vom 01.01.1997 bis zum 31.07.1997 - auch in der Arbeitslosenversicherung - versicherungspflichtig bei der Fa. H beschäftigt und hat für die Zeit vom 01.08.1997 bis zum 30.06.1998 Arbeitslosengeld und damit eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen. Er hat ferner auch im Sinne des § 28a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB III unmittelbar vor Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen, denn er bezog bis zum 30.06.1998 Arbeitslosengeld und hat seine selbstständige Tätigkeit am 01.07.1998 und damit im unmittelbaren Anschluss an den Bezug der Entgeltersatzleistung aufgenommen, wobei diese Tätigkeit auch seinerzeit schon mehr als 15 Stunden wöchentlich umfasste. Schließlich besteht im Falle des Klägers auch keine anderweitige Versicherungspflicht nach den §§ 26, 27 SGB III im Sinne des § 28a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB III. Zwar erfüllt der Kläger die Voraussetzung des § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III nicht. Danach muss der Antrag spätestens innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. Dies hat der Kläger nicht getan, denn er hat den Antrag erst am 22.12.2006 gestellt, seine selbstständige Tätigkeit indessen bereits am 01.07.1998 aufgenommen. Dies steht in seinem Falle der Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag nicht entgegen, denn dem Kläger kommt die Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III zugute. Danach gilt § 28a Abs. 2 SGB III mit der Modifikation, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 (des § 28a SGB III) bis zum 31.12.2006 gestellt werden kann. Dies hat der Kläger mit seinem Antrag vom 22.12.2006 und damit fristgerecht getan. Ohne Anwendung der durch den vorliegenden Beschluss zur verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das BVerfG gestellten Regelung hätte der Kläger damit durch seinen Antrag vom 22.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag im Sinne des § 28a SGB III begründet. Die dies verneinenden angefochtenen Bescheide der Beklagten wären deshalb, wäre § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III verfassungswidrig und damit nicht anzuwenden, aufzuheben und es wäre festzustellen, dass der Kläger durch seinen Antrag vom 22.12.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründet hat.

Wäre § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III demgegenüber verfassungsgemäß, führte dieses zur Abweisung der Klage, denn die Regelung beseitigt seit dem 01.06.2006 für Personen, die vor dem 01.01.2004 schon selbstständig tätig waren, die Möglichkeit, ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a SGB III zu begründen. Da der Kläger seinen diesbezüglichen Antrag erst am 19.12.2006 gestellt hat, hätte die Beklagte ihm mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend mitgeteilt, dass er durch seinen Antrag vom 19.12.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag im Sinne des § 28a SGB III begründet hat.

b) Verfassungswidrigkeit des § 434ja Abs. 2 S. 2 SGB III

Die Kammer ist der Überzeugung, dass § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III verfassungswidrig ist, nämlich Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

(1) Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG)

Der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt geschaffene und am 01.02.2006 in Kraft getretene § 28a SGB III hat in Verbindung mit der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III allen Selbstständigen, die die Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 Nrn. 1 bis 3 SGB III erfüllen, das Angebot gemacht, in der Zeit vom 01.02. bis zum 31.12.2006 zu entscheiden, ob sie von der Möglichkeit einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung Gebrauch machen wollen. Damit ist diesem Personenkreis eine Rechtsposition eingeräumt worden, die nur unter Beachtung von Vertrauensschutzerwägungen wieder beseitigt werden kann. Grundsätzlich müssen sich Betroffene einer solchen Übergangsregelung darauf verlassen können, dass sie innerhalb der gesetzten Frist frei disponieren können. Durch die übergangsrechtliche Öffnung eines Zeitfensters zur Neugestaltung der Absicherung aller Selbstständigen mit Vorversicherungszeiten für den Fall der Arbeitslosigkeit hat der Gesetzgeber mehr getan, als nur für diejenigen, die sich nach Inkrafttreten der Regelung des § 28a SGB III selbstständig gemacht haben, eine Gestaltungsmöglichkeit anzubieten. Er hat mit der Regelung über die Antragsfrist in § 28a Abs. 2 S. 2 SGB III deutlich gemacht, dass er grundsätzlich einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Beendigung der Pflichtversicherung und der Begründung der freiwilligen Weiterversicherung für geboten hält. Er wäre nicht gehindert gewesen, die freiwillige Weiterversicherung von vornherein nur solchen Personen anzubieten, die erst nach dem 01.01.2004 eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben. Dies hat der Gesetzgeber indessen nicht getan. Wenn er aber, wie er dies mit der Regelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III - zunächst - getan hat, den Kreis der Begünstigten der Regelung des § 28a SGB III weiter zieht, dann ist er auch daran gebunden, jedenfalls in dem Sinne, dass er sein Angebot nicht beliebig zurücknehmen kann (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff. (203); ders., Soziale Sicherheit 2009, 197 f.).

Die Kammer stellt in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BVerfG ab, dass sich in zwei Entscheidungen mit der Frage der Verfassungswidrigkeit der Aufhebung einer gesetzlichen Übergangsfrist vor deren Ablauf befasst hat. Im Beschluss vom 15.03.2000 (1 BvL 16/96 u.a., zitiert nach juris) hat es unter Offenlassung der – sich grundsätzlich auch im vorliegenden Rechtsstreit stellenden – Frage (vgl. dazu Wenner, Soziale Sicherheit 2006 200 ff.), ob ein Eingriff dieser Art den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer echten Rückwirkung genügen muss, ausgeführt, dass, wenn der Gesetzgeber das Vertrauen in den Fortbestand einer befristeten Übergangsvorschrift, die er aus Vertrauensschutzgründen erlassen hat, enttäuscht, indem er sie vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Frist zu Lasten der Berechtigten beseitigt, dies jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur unter besonderen Anforderungen möglich sei. In einem solchen Fall gehe es nicht allgemein um den Schutz des Vertrauens des Bürgers in den Fortbestand des geltenden Rechts. Hier vertraue der Bürger vielmehr auf die Kontinuität einer Regelung, auf Grund derer altes Recht noch für eine bestimmte Zeit in Bezug auf einen eingegrenzten Personenkreis nach Prüfung der Vereinbarkeit der Fortgeltung mit dem öffentlichen Interesse aufrechterhalten werde. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen. Um eine solche Regelung vorzeitig aufzuheben, genüge es nicht, dass sich die für den Erlass der Übergangsregelung ursprünglich maßgeblichen Umstände geändert hätten. Es müssten darüber hinaus - vorausgesetzt, das Interesse der Betroffenen auf einen Fortbestand der Regelung sei schutzwürdig und habe hinreichendes Gewicht - schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter zu erwarten sein, falls die geltende Übergangsregelung bestehen bleibe. Andernfalls verstoße die Aufhebung einer gesetzlichen Übergangsvorschrift vor deren Ablauf gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.

In seinem Beschluss vom 03.02.2004 (1 BvR 2491/97, zitiert nach juris) hat das BVerfG hinsichtlich einer nachteiligen Abänderung einer Übergangsregelung ausgeführt, dass dann, wenn der Gesetzgeber Übergangsregelungen, die er aus Vertrauensschutzgründen erlassen habe, vor Ablauf der für den Übergang vorgesehenen Zeit zu Lasten der Berechtigten beseitige, seine Regelung im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz besonders strengen Anforderungen genügen müsse. Denn mit Übergangsregelungen verwirkliche der Gesetzgeber sein Konzept, in welchem Zeitraum und in welchen Stufen er ein Ziel erreichen wolle. Dadurch setze er einen besonderen Vertrauenstatbestand. Der Bürger dürfe davon ausgehen, dass der Gesetzgeber sein Konzept für den Übergangszeitraum durchdacht habe und insbesondere künftige Entwicklungen, soweit sie vorhersehbar seien, berücksichtigt habe. Auf diese Übergangsregelungen stelle sich der Bürger ein. Deshalb dürfe der Gesetzgeber sein Konzept nur ändern, wenn sich die für die Ausgestaltung der Übergangsregelung ursprünglich maßgebenden Umstände nachträglich geändert hätten und wenn darüber hinaus - vorausgesetzt, das Interesse der Betroffenen auf einen Fortbestand der Regelung sei schutzwürdig und habe hinreichendes Gewicht - schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter zu erwarten seien, falls die geltende Übergangsregelung bestehen bleibe, wobei das BVerfG diese Grundsätze selbst dann zur Anwendung gebracht hat, wenn - abweichend vom vorliegenden Fall - die Übergangsregelungen noch nicht einmal zur Anwendung gekommen waren. In diesen Fällen wiege allerdings der gesetzgeberische Eingriff weniger schwer, den Betroffenen verbleibe ein größerer Zeitraum, sich - erneut - auf die neue Rechtslage einzustellen und etwa getroffene Dispositionen anzupassen. Weiter seien geringere Anforderungen an die Änderung von Übergangsrecht zu stellen, wenn dieses langfristig angelegt sei, denn je länger der Zeitraum sei, umso wahrscheinlicher sei es, dass sich die für das Übergangskonzept maßgeblichen Umstände änderten und den Gesetzgeber vor eine neue Situation stellten. Die mit langfristigen Regelungen, auch mit solchen des Übergangsrechts, verbundene Unsicherheit sei regelmäßig dem Bürger auch bewusst.

Diese Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer nicht nur - wie in den den Entscheidungen des BVerfG zu Grunde liegenden Sachverhalten - auf Übergangsregelungen, die aus Vertrauensschutzgründen erlassen wurden, anzuwenden. Sie müssen vielmehr auch dann Anwendung finden, wenn - wie hier - eine Gestaltungsmöglichkeit erstmals eingeräumt wird, nämlich vorliegend bereits längerfristig Selbstständigen - ebenso wie Personen, die erst kurze Zeit selbstständig sind - erstmals die Möglichkeit gegeben wird, sich in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern. Schafft der Gesetzgeber, wie mit der Regelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III, die Möglichkeit für einen bestimmten Personenkreis, von dieser Option innerhalb eines bestimmten Zeitfensters Gebrauch zu machen, dann wird das Vertrauen des Bürgers auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung, wenn diese Option vorzeitig und nahezu ohne jede Reaktionsmöglichkeit wieder abgeschafft wird, in gleichem Maße enttäuscht wie das Vertrauen auf den Fortbestand einer aus Vertrauensschutzgründen erlassenen Übergangsvorschrift. Es besteht deshalb nach Auffassung der Kammer dem Grunde nach kein Anlass, zwischen einer nachteiligen Abänderung einer Übergangsregelung, die aus Vertrauensschutzgründen erlassen wurde, und einer nachteiligen Abänderung einer anderweitigen Übergangsregelung zu differenzieren.

Bei Anwendung dieser Grundsätze des BVerfG auf die Verkürzung der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III durch Satz 2 dieser Vorschrift steht zur vollen Überzeugung der Kammer fest, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, unter denen der Gesetzgeber berechtigt ist, selbst gesetzte Übergangsfristen so zu verkürzen, dass den Betroffenen keine Möglichkeit mehr bleibt, eine gesetzliche Frist, auf die sie vertrauen durften, zu wahren.

Das Interesse der langjährig Selbstständigen, von der ihnen mit § 28a i. V. m. § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III eingeräumten Möglichkeit, sich binnen eines Zeitfensters (vom 01.02. bis zum 31.12.2006) in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern, Gebrauch zu machen, ist schutzwürdig und hat hinreichendes Gewicht. Sie werden durch die Verkürzung der Frist vom 31.12.2006 auf den 31.05.2006 durch § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III, ebenso wie dies vor der Einführung des § 28a SGB III der Fall war, wieder auf die bloße Möglichkeit, sich privat zu versichern, verwiesen. Zwar besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, einen privaten Versicherer mit der Vorsorge bei Arbeitslosigkeit zu betrauen (vgl. Fuchs in: Gagel, SGB III, Stand: 12/2009, § 28a, Rn. 18 ff.). Derartige private Arbeitslosenversicherungen gelten aber von ihrer Kostenseite her als schwer kalkulierbar und werden daher häufig lediglich als Restschuldversicherungen angeboten. Im Übrigen wird im Falle unverschuldeter Arbeitslosigkeit häufig eine private Geldleistung in einer Größenordnung von etwa 200 bis 300 EUR erbracht, wobei die Leistungsdauer zwischen 12 und 36 Monaten beträgt (vgl. Fuchs in: Gagel, SGB III, Stand: 12/2009, § 28a, Rn. 21). Sinn dieser privaten Arbeitslosenversicherung ist es indessen eigentlich, dem Arbeitslosen im Falle von Arbeitslosigkeit eine Geldleistung zusätzlich zur staatlichen Absicherung (Anspruch auf Arbeitslosengeld) zur Verfügung zu stellen (vgl. Fuchs in: Gagel, SGB III, Stand: 12/2009, § 28a, Rn. 18). Eine private Arbeitslosenversicherung stellt also keine der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gleichwertige Absicherung für den Fall des Eintritts des Risikos "Arbeitslosigkeit" dar, zumal deren Leistungen auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen wären (vgl. Fuchs in: Gagel, SGB III, Stand: 12/2009, § 28a, Rn. 21), das dem Selbstständigen - Hilfebedürftigkeit vorausgesetzt - mit der Beendigung einer selbstständigen Tätigkeit im Falle eines damit verbundenen Eintritts von Arbeitslosigkeit zustünde. Den von § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III betroffenen Selbstständigen steht damit keine gleichwertige Alternative zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit im Wege der Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag gemäß § 28a SGB III zur Verfügung.

Der Gesetzgeber hat nicht ansatzweise dargestellt, welche wichtigen Gemeinschaftsgüter es als unabweisbar erscheinen lassen, die auf den 31.12.2006 festgelegte Frist für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag nach § 28a SGB III auf den 31.05.2006 vorzuziehen. In der Gesetzesbegründung heißt es lediglich, "der enge Zusammenhang zur bisherigen Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft solle stärker betont werden". Der Gesetzgeber macht nicht einmal geltend, dass die Erwartungen über die Größe des Personenkreises der schon seit langen Jahren selbstständig Tätigen, die von der Möglichkeit des § 28a SGB III i. V. m. § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III Gebrauch machen wollten, übertroffen worden wären, wobei im Übrigen selbst dieser Umstand, wenn er denn nachvollziehbar dargelegt werden könnte, unter Zugrundelegung der in den beiden Beschlüssen des BVerfG genannten Kriterien nicht zur Rechtfertigung der Verkürzung der Übergangsregelung ausreichen würde (ebenso Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200, (204 f.)). Vielmehr darf der Bürger darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber sein Konzept für den Übergangszeitraum durchdacht hat. Dies gilt vorliegend umso mehr, als es sich zum einen nicht um langfristig angelegtes Übergangsrecht handelt und zum anderen mit der freiwilligen Weiterversicherung für Existenzgründer und Auslandsbeschäftigte zunächst ohnehin Erfahrungen im Hinblick auf die Inanspruchnahme und die damit verbundenen Risiken für die Arbeitslosenversicherung gesammelt werden sollten und aus diesem Grunde das Versicherungspflichtverhältnis für diese Personengruppen ursprünglich gemäß § 28a Abs. 2 S. 3 Nr. 4 SGB III mit Ablauf des 31.12.2010 enden sollte (vgl. dazu auch BT-Drs. 15/1515, S. 78, über den 31.12.2010 hinaus verlängert und entfristet durch Art. 1 Nr. 4 Beschäftigungschancengesetz vom 24.10.2010, BGBl. I, 1417). Diese Regelung belegt, dass sich der Gesetzgeber etwaiger Risiken für die Arbeitslosenversicherung durch die Möglichkeit Selbstständiger, sich in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern, bewusst war, und schließt gleichzeitig weitgehend schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter - hier: Bestand und Beitragsstabilität der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung - aus. Sie bestärkt gleichzeitig das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der Regelung einschließlich der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III dahin, dass diese Regelungen jedenfalls bis zu den in diesen Vorschriften genannten Zeitpunkten Bestand haben, denn sie zeigt, dass der Gesetzgeber sein Konzept eingehend durchdacht hat und etwaigen Risiken bereits mit den von ihm geschaffenen Regelungen begegnet ist. Eine mit langfristigen Übergangsregelungen verbundene Unsicherheit, der sich der Bürger bewusst sein musste und die zur Folge gehabt hätte, das geringere Anforderungen an die Änderung der Übergangsvorschrift zu stellen wären, bestand nach alledem vorliegend nicht.

Soweit der Gesetzgeber als Begründung für das rückwirkende Inkrafttreten des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III in der Gesetzesbegründung ausgeführt hat, dieses sei erforderlich, um bei der Behandlung von Anträgen auf freiwillige Weiterversicherung für solche Personen Rechtssicherheit zu schaffen, die ihren Antrag zwischen dem Tag der dritten Lesung dieses Gesetzes und dem Inkrafttreten der übrigen Vorschriften stellen, vermag diese Begründung ebenfalls die vorzeitige Beseitigung der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III für bereits vor dem 01.01.2004 Selbstständige nicht zu rechtfertigen (Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff. (205): "entweder unfreiwillig komisch oder bewusst verschleiernd formulierte Gesetzesbegründung"). Tatsächlich sollte denjenigen Selbstständigen, die ihre Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen haben, nahezu ohne jede Reaktionsmöglichkeit auf die geänderte Konzeption des Gesetzgebers die Möglichkeit genommen werden, von dem Angebot der Begründung einer Pflichtversicherung auf Antrag Gebrauch zu machen. Statt der Schaffung von Rechtssicherheit war in Wirklichkeit eine "Sofortbremsung" der seit dem 01.02.2006 eingeräumten Gestaltungsmöglichkeit bezweckt (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 ff.; Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: 12/2006, § 434j, Rn. 21a). Derartige Regelungen sind zwar nicht per se verfassungswidrig, sie können aber nicht mit dem Gedanken der Rechtssicherheit, sondern allenfalls damit begründet werden, dass ohne eine solche Maßnahme massive Beeinträchtigungen für den Bestand oder die finanzielle Stabilität der Arbeitslosenversicherung drohen. Hierzu finden sich weder in der Gesetzesbegründung noch anderweitig Anhaltspunkte für solche Beeinträchtigungen. Zum Zeitpunkt der dritten Lesung des GSiFoG bestand die Möglichkeit Selbstständiger, die Versicherungspflicht auf Antrag zu begründen, erst vier Monate. Damit war die Anwartschaftszeit für den Erwerb eines Anspruchs auf Arbeitslosengelg von einem Jahr (§ 123 SGB III) noch in keinem einzigen Fall erfüllt und mithin überhaupt nicht absehbar, wie viele Selbstständige, die von der Möglichkeit der Begründung der Pflichtversicherung auf Antrag Gebrauch gemacht und ihre selbstständige Tätigkeit bereits vor dem 01.01.2004 aufgenommen haben, ihre selbstständige Tätigkeit aufgeben und Arbeitslosengeld beanspruchen würden.

Nachdem mithin auch Selbstständigen, die ihre Tätigkeit vor dem 01.01.2004 aufgenommen haben, für die Zeit vom 01.02. bis zum 31.12.2006 die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine Pflichtversicherung auf Antrag gem. § 28a SGB III zu begründen, hätte der Gesetzgeber dieses für sie geöffnete Zeitfenster vorzeitig nur wieder schließen dürfen, wenn andernfalls schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter, etwa für den Bestand oder die Beitragsstabilität der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, gedroht hätten. Dafür sprechende Anhaltspunkte sind nicht erkennbar. Die rückwirkende Beseitigung der Möglichkeit dieses Personenkreises, bis zum 31.12.2006 durch einen entsprechenden Antrag eine Pflichtversicherung auf Antrag zu begründen, ist deshalb nach Auffassung der Kammer nicht verfassungskonform.

(2) Art. 3 Abs. 1 GG

Nach Auffassung der Kammer verletzt die Regelung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III zudem den in Art. 3 Abs. 1 GG statuierten Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Regelung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes differenziert bei den langjährig Selbständigen zwischen denen, die den Antrag nach § 28a SGB III bis zum Ablauf des 31.05.2006 (24.00 Uhr) gestellt haben und denen, die ihn danach gestellt haben, dem - wie im Falle des Klägers - jedoch nicht mehr stattgegeben werden konnte.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, verbietet dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung. Er will vorrangig eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Personen verhindern. Daraus folgt eine regelmäßig strenge Bindung des Gesetzgebers bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen. Zwar kann er grundsätzlich frei entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Die maßgebliche Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG, zitiert nach juris). Vorliegend stellt sich die Frage, ob es dem Gesetzgeber gestattet war, zwischen den Selbständigen und den anderen langjährig Beschäftigten außerhalb des EWR, die ihren Antrag nach § 28a SGB III bis zum 31.05.2006 gestellt haben, und denen, die sich ebenfalls weiter versichern wollten, dies aber - wie der Kläger - im Vertrauen auf die nach § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III bis zum 31.12.2006 offene Frist noch nicht realisiert hatten, zu differenzieren.

Die Kammer ist der Überzeugung, dass die sich aus § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III ergebende Ungleichbehandlung von Selbständigen und den in § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III genannten Antragsberechtigten durch keinen hinreichenden sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Gewichtige Gemeinschaftsgüter, wie etwa die Gefährdung des Systems der Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland wurden vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung gerade nicht angeführt. Die stärkere Betonung der bisherigen Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft (BT-Drs. 16/1696, S. 29) ist als Begründung für die Ungleichbehandlung nicht ausreichend. Zwar hindert der Gleichheitsgrundsatz den Gesetzgeber nicht daran, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl das unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Er verlangt aber, dass dieser auch insoweit den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum in sachgerechter Weise nutzt, insbesondere im Hinblick darauf, ob die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist oder als willkürlich erscheint (BVerfG, Urteil vom 05.07.1989, 1 BvL 11/87 u. a., zitiert nach juris). Nach Auffassung der Kammer scheidet die Annahme aus, dass das Vertrauen des in § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB III genannten Personenkreises auf die Nutzung der gesetzlichen Frist des § 434j Abs. 2 S. 1 SGB III deshalb nicht mehr schutzwürdig gewesen sei, da mit einer Abschaffung der Weiterversicherung für alte Fälle hätte gerechnet werden müssen. Zwar lässt das BVerfG sogar eine echte Rückwirkung von Gesetzen ausnahmsweise zu, wenn das geltende Recht "in dem Maße systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit bestehen" oder wenn "der Betroffene zu dem Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, mit einer Neuregelung rechnen musste" (s. hierzu die Zusammenfassung der Rechtsprechung des BVerfG im Urteil des BSG vom 19.05.2004, B 13 Rj 46/03 R, zitiert nach juris). Unter Berücksichtigung der von der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bislang entwickelten Grundsätze ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die Neuregelung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III durch das GSiFoG sachlich gerechtfertigt ist.

Da die Regelung des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III nach Überzeugung der Kammer bereits aus diesen Gründen verfassungswidrig ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob diese Regelung auch deshalb grundgesetzwidrig ist, weil sie vorliegend echte Rückwirkung entfaltet. Die Beantwortung dieser Frage kann die Kammer daher offenlassen (vgl. BVerfG im Beschluss vom 15.03.2000, 1 BvL 16/96 u. a., zitiert nach juris).

c) Verfassungskonforme Auslegung

Das Ergebnis der Verfassungswidrigkeit des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III kann schließlich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden.

Diese Vorschrift ist keiner Auslegung zugänglich. Sie trat ausweislich des Art. 16 Abs. 3 GSiFoG "mit Wirkung vom 1. Juni 2006" in Kraft. Dabei kann hier dahinstehen, ob diese Worte als "mit Wirkung ab Inkrafttreten dieses Gesetzes" zu lesen sind (vgl. ablehnend: SG Koblenz, Vorlagebeschluss vom 10.01.2007, S 9 AL 302/06, zitiert nach juris), denn der Kläger hat hier weit nach dem auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Tag seinen Antrag gestellt.

Die Auslegung scheitert bereits am eindeutigen Wortlaut des § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III. Daten und Fristen sind nicht auslegungsfähig. Vom Gesetzgeber war eindeutig der umgehende Ausschluss aller Selbständigen, die vor dem 01.01.2004 ihre Selbstständigkeit begründet, aber nach dem 31.05.2006 einen Antrag gestellt hatten, gewollt. Unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten (entsprechend BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 2 BvL 59/06, zitiert nach juris) bestehen nicht (vgl. SG Koblenz, Vorlagebeschluss vom 10.01.2007, S 9 AL 302/06, Rn. 46 ff.; SG Nürnberg, Vorlagebeschluss vom 11.01.2007, S 6 AL 554/06, Rn. 38, jeweils zitiert nach juris; Fuchs in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 12/2009, § 28a, Rn. 13; Wenner, Soziale Sicherheit 2006, 200 f.; ders., Soziale Sicherheit 2009, 197 f.).

Nach alledem war das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem BVerfG die Frage zu Entscheidung vorzulegen, ob § 434j Abs. 2 S. 2 SGB III gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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