L 1 R 192/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 420/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 192/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 6/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Bestehen der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht und die zu zahlende Beitragshöhe für Bezieher eines Existenzgründungszuschusses.

Die am ... 1948 geborene Klägerin bezog ab 01. September 2004 einen Existenzgründungszuschusses nach § 421 Buchst. l Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003, BGBl. I 2003, S. 2848 (SGB III)). Die Bundesagentur für Arbeit informierte hierüber die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) – am 21. Oktober 2004. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2004 wandte sich die Beklagte an die Klägerin unter Hinweis auf deren Versicherungspflicht als Selbständige, da sie einen Existenzgründungszuschuss bezog, und bat sie um nähere Informationen mit einem beigefügten Fragebogen. Nachdem bei der Beklagten keine Antwort einging, wiederholte sie ihre Bitte mit Schreiben vom 29. November 2004 unter Hinweis auf die erforderliche Mitwirkung zur Feststellung der Versicherungspflicht, da anderenfalls nach Aktenlage von einer Versicherungspflicht mit einem Beitrag in Höhe des halben Regelbeitrags von 197,93 EUR auszugehen sei.

Nachdem die Beklagte von der Klägerin weiterhin keine Antwort erhielt, erließ sie den Bescheid vom 31. Januar 2005 und wies die Klägerin darauf hin, sie sei ab 01. September 2004 mit dem Anspruch auf Zahlung eines Existenzgründungszuschusses nach § 2 Satz 1 Nr. 10 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) für die Dauer des Bezuges versicherungspflichtig. Wegen der fälligen Beiträge nahm sie auf die angefügte Beitragsrechnung Bezug und wies darauf hin, dass ein einkommensgerechter Beitrag mit Wirkung für die Zukunft nur auf Antrag gezahlt werden könne; im Übrigen seien für den Zeitraum vom 01. September 2004 bis zum 31. Januar 2005 noch Beiträge in Höhe von 989,65 EUR zu zahlen.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 bezifferte die Beklagte die rückständigen Beiträge unter Bezugnahme auf die Versicherungspflicht als Selbständige wie folgt:

Pflichtversicherungsbeiträge vom 01. Juni 2005 bis zum 30. Juni 2005: 197,93 EUR

Säumniszuschläge für die Beitragsrückstände vom 01. September 2004 bis zum 30. Juni 2005: 19,50 EUR.

Gesamtforderung aller zu zahlenden Beiträge bis zum 30. Juni 2005: 2.094,75 EUR.

Am 30. August 2005 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 28. Juli 2005 Widerspruch ein und erklärte, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sie rentenversicherungspflichtig sei und aus welchem Grund sie in Anspruch genommen werde, aber es sei wohl zutreffend, dass nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI i.V.m. § 421 Buchst. l SGB III Rentenversicherungspflicht vorliege. Mit dem Bescheid vom 28. Juli 2005 habe sie erstmalig Gelegenheit erhalten, ihr Einkommen darzustellen und sie lege hierzu die vorläufige Einkommensbescheinigung ihres Steuerberaters Horn vom 17. August 2005 vor. Angesichts ihrer Einkommensbescheinigung bitte sie, die festgesetzte Zahlungsaufforderung zu überprüfen. Ihrer Auffassung nach sei aus der Überschrift "Bescheid" im Schreiben vom 28. Juli 2005 zu schlussfolgern, dass ein Verwaltungsakt gewollt sei. Mit dem Widerspruch greife sie daher die Festsetzung an. Angesichts der Nachweise bestehe für die Beklagte die Möglichkeit, die Festsetzung des Beitrages zu überprüfen.

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 17. Januar 2006 darauf hin, der Widerspruch gegen den Forderungsbescheid berühre nicht die Versicherungspflicht und die damit verbundene Beitragshöhe, da der Forderungsbescheid nur die Gesamtbeitragsforderung und Säumniszuschläge aktualisiere, nicht aber insoweit eine Sachentscheidung darstelle. Die im Widerspruch erhobenen Einwände richteten sich gegen die Höhe der Pflichtbeiträge, die bereits mit Bescheid vom 31. Januar 2005 festgestellt worden seien, der aber nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend geworden sei. In Bezug auf den Bescheid vom 28. Juli 2005 könnten insoweit einkommensgerechte Beiträge keine Berücksichtigung mehr finden. Mit weiterem Schreiben vom 06. Februar 2006 verlangte die Beklagte zur Änderung der Beitragszahlung von der Klägerin einen Einkommensteuerbescheid für 2004 sowie eine gewissenhafte Schätzung für 2005. Unter dem 07. März 2006 erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Übersendung der angeforderten Steuerbescheinigung. Mit Schreiben vom 05. April 2006 wies die Beklagte schließlich darauf hin, dass der Bescheid vom 28. Juli 2005 nicht die Höhe der monatlichen Beiträge regele, sondern die bisher aufgelaufenen Pflichtbeiträge und Säumniszuschläge sowie Mahnkosten feststelle. Es seien auch weitere Forderungsbescheide vom 31. März 2005, 29. April 2005, 29. Mai 2005 und 28. Juni 2005 ergangen. Ein Wechsel von der Regelbeitragszahlung zur einkommensgerechten Beitragszahlung könne nur für die Zukunft erfolgen, ein rückwirkender Wechsel sei dagegen grundsätzlich nicht möglich. Demzufolge habe es bis zum 31. August 2005 bei der bisherigen Beitragsfestsetzung zu verbleiben. Auch auf die nachfolgenden Anforderungsschreiben der Beklagten vom 06. Februar 2006 und 07. März 2006 habe die Klägerin keine Nachweise eingesandt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09. August 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da der angefochtene Forderungsbescheid lediglich die Gesamtbeitragsforderung und die Säumniszuschläge aktualisiere, nicht aber die Sachentscheidung zur Versicherungspflicht und die damit verbundene Beitragshöhe treffe. Die Pflichtbeiträge für die Zeit ab dem 01. September 2004 seien bereits mit dem nach § 77 SGG bindend gewordenen Bescheid vom 31. Januar 2005 festgestellt worden.

Die Klägerin hat am 11. September 2006 Klage beim Sozialgericht Dessau (jetzt Sozialgericht Dessau-Roßlau) erhoben und sich gegen den Bescheid vom 28. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. August 2006 gewandt. Im Erörterungstermin vom 18. Februar 2008 hat sie mitteilen lassen, den Bescheid vom 31. Januar 2005 nicht erhalten zu haben. Deshalb könne dieser Bescheid mangels Bekanntgabe keine Wirksamkeit entfalten.

Dagegen hat die Beklagte vorgetragen, das Bestreiten des Zugangs sei nicht nachvollziehbar, da der Bescheid vom 31. Januar 2005 an die korrekte Adresse der Klägerin versandt worden und ein Postrücklauf nicht zu verzeichnen gewesen sei. Die Klägerin habe auch die weiteren Forderungsbescheide vom 31. März, 29. April und 29. Mai 2005 erhalten, auf die ebenfalls keine Reaktion erfolgt sei. Auf Rückfrage des SG hat die Beklagte die Ansicht vertreten, selbst die Rücknahme ihrer Bescheide hätte nicht das Entfallen der Versicherungspflicht der Klägerin nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI zur Folge. Es könne daher nur die Höhe der Beiträge für die Zeit vom 01. September 2004 bis zum 31. August 2007 streitig sein.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Mai 2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. August 2006 aufgehoben, da der angefochtene Bescheid keine Feststellung zum Bestehen der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI enthalte bzw. insoweit nicht nach § 33 Abs. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hinreichend bestimmt sei. Die Feststellung der Versicherungspflicht finde sich im vorangehenden Bescheid vom 31. Januar 2005, für den allerdings nicht die Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gelte, da die Klägerin den Zugang des mit einfachem Brief übersandten Bescheides bestreite. Demzufolge gelte der Bescheid vom 31. Januar 2005 nicht nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X als bekannt gegeben und entfalte daher keine Wirksamkeit.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 19. Mai 2009 zugestellten Gerichtsbescheid am 16. Juni 2009 Berufung zum Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und ausgeführt, nach § 3 Abs. 2a Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) habe der angefochtene Forderungs- bzw. Leistungsbescheid den Zweck, den Schuldner zur Leistung aufzufordern, nicht aber über dessen Versicherungspflicht zu entscheiden. Die Versicherungspflicht sei bereits Voraussetzung für den Erlass des Forderungsbescheides. Die Beitragsansprüche entstünden, sobald die im Gesetz bestimmten Voraussetzungen vorlägen, § 22 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Für die Entstehung des Beitragsanspruches bedürfe es keiner Konkretisierung durch einen Einzelbescheid des Versicherungsträgers. Die damit verbundene Versicherungspflicht trete unabhängig vom Handeln des Versicherten oder des Versicherungsträgers unmittelbar kraft Gesetzes ein, und zwar allein auf Grund der Verwirklichung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. Die Versicherungspflicht der Klägerin sei durch ihre Selbständigkeit und die Bewilligung eines Existenzgründungszuschusses nach § 421 Buchst. l SGB III entstanden. Die Beiträge seien nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV und die Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV entstanden. Eines Feststellungsbescheides bedürfe es mithin nicht; soweit ein solcher dennoch erlassen werde, habe er deklaratorischen Charakter ohne gestaltende und rechtsbegründende Wirkung. Falls der selbständig Tätige sein Arbeitseinkommen nicht nachweise und sich die Beitragshöhe nicht feststellen lasse, seien hierfür "Pauschalbeiträge" in § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI eingeführt worden, damit der Rentenversicherungsträger in der Lage sei, seine Ansprüche durchzusetzen. Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI trete in den ersten drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ein Arbeitseinkommen in Höhe der halben Bezugsgröße anstelle eines in Höhe der vollen Bezugsgröße. Aufgrund dieser gesetzlichen Beitragsbemessungsgrundlage habe ein Bescheid über die Beitragszahlung nur deklaratorischen Charakter zur Schaffung von Rechtsklarheit über die bestehende Rechtslage. Forderungsbescheide setzten keine Rechte und Pflichten, sondern stellten diese lediglich fest, da sich der Beitrag unmittelbar aus dem Gesetz nach § 22 Abs. 1 SGB IV und § 165 Abs. 1 SGB VI ergebe. Mit dem angefochtenen streitbefangenen Forderungsbescheid vom 28. Juli 2005 sei die Klägerin lediglich erneut zur Zahlung der rückständigen Beiträge nebst Säumniszuschlägen aufgefordert worden. Die Versicherungspflicht nach § 2 SGB VI bestehe unabhängig von einem Verwaltungshandeln und der Kenntnis des selbständig Tätigen von deren Eintritt. Für die Rentenversicherungspflicht der unter § 2 SGB VI erfassten selbständig Tätigen gelte nichts anderes als für die Beschäftigen nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Auch einer Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X bedürfe es nur, wenn durch einen Verwaltungsakt in die Rechte eines Betroffenen eingegriffen werde, nicht aber bei Vorliegen einer unmittelbare Gesetzesfolge, die ein Verwaltungsakt nur deklaratorisch feststelle.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend und meint, auch im Leistungsbescheid könne über die Versicherungspflicht entschieden werden. Es könne sein, dass sich der Anspruch der Beklagten dem Grunde nach aus dem Gesetz ergebe, aber aus § 22 Abs. 1 SGB IV sei kein konkreter Beitragsanspruch ableitbar, daher bedürfe es eines Feststellungsbescheides. Da der Bescheid vom 31. Januar 2005 über die Versicherungspflicht jedoch nicht zugegangen sei, sei er nicht wirksam. Auch die von der Beklagten versandten Fragebögen hätten sie nie erreicht. Auch bei Pauschalbeiträgen bedürfe es eines Feststellungsbescheides, da nicht klar sei, welche Gesetzesvariante zur Anwendung komme. Sie bestreite den Zugang der "Bescheide" und der Fragebögen, deshalb bleibe die Beklagte beweispflichtig.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Forderungsbescheid vom 28. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 09. August 2006 ist rechtswidrig und zu Recht vom SG mit Gerichtsbescheid vom 13. Mai 2009 aufgehoben worden, da die Klägerin hierdurch beschwert wird (§ 54 Abs. 2 SGG).

Streitgegenstand der nach § 54 Abs. 1 SGG zulässigen Anfechtungsklage ist der vorgenannte Forderungsbescheid, der allein schon auf Grund seiner Bezeichnung als "Bescheid" und seiner Rechtsbehelfsbelehrung als formeller Verwaltungsakt anzusehen ist. Dem Inhalt nach regelt er laut seinem Verfügungssatz die bis zum 30. Juni 2005 aufgelaufene Gesamtforderung, bestehend aus Pflichtbeiträgen und Säumniszuschlägen. Hierbei verweist der angefochtene Bescheid lediglich auf die Versicherungspflicht als Selbständiger, stellt sie aber nicht fest. Auch die monatliche Pflichtbeitragshöhe wird nicht begründet. Es handelt sich somit nicht nur um eine bloße Zahlungsaufforderung anstelle eines Bescheides, denn eine Zahlungsaufforderung wäre bloße Mahnung nach § 3 Abs. 3 VwVG, die eine unselbständige Vorbereitungshandlung ohne Regelungsgehalt darstellte (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 05. August 1997 – 11 BAr 95/97 – juris). Eine bloße Zahlungsaufforderung könnte mangels Verwaltungsaktqualität nicht erfolgreich mit Anfechtungsklage angegriffen werden. Mithin handelt es sich bei dem Bescheid um einen belastenden Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage die korrekte Klageart darstellt.

Der angefochtene Forderungsbescheid ist rechtswidrig, weil die Versicherungspflicht der Klägerin als dessen Voraussetzung nicht wirksam von der Beklagten festgestellt worden ist. Der insoweit erlassene Bescheid der Beklagten zur Versicherungspflicht vom 31. Januar 2005 ist unwirksam, da er der Klägerin nicht bekannt gegeben worden ist (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Zugangsvermutung nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird bereits durch das Bestreiten der Klägerin, den Bescheid erhalten zu haben, widerlegt. Da die nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X beweispflichtige Beklagte einen Zugang nicht nachzuweisen vermag, gilt der Bescheid als der Klägerin nicht bekannt gegeben.

Die Klägerin unterlag als selbständig Tätige im Zeitraum des Bezugs des Existenzgründungszuschusses nach § 421 Buchst. l SGB III (a.F.) zwar grundsätzlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Allerdings bedurfte es zur Konkretisierung und Individualisierung der Versicherungspflicht einer Umsetzung durch einen Bescheid.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI sind selbständig tätige Personen für die Dauer des Bezugs eines Zuschusses nach § 421 Buchst. l SGB III versicherungspflichtig. Nach Satz 1 Nr. 1 bis 9 ist nicht versicherungspflichtig, wer in dieser Tätigkeit nach Satz 1 Nr. 10 versicherungspflichtig ist. Nach Satz 1 Nr. 10 ist nicht versicherungspflichtig, wer mit der Tätigkeit, für die ein Zuschuss nach § 421 Buchst. l SGB III gezahlt wird, die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte erfüllt. Nach der bis zum 31. Dezember 2005 gültigen Fassung von § 7 Abs. 4 SGB IV (Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) galt für Personen, die für eine selbständige Tätigkeit einen Zuschuss nach § 421 Buchst. l SGB III beantragten, die widerlegbare Vermutung, dass sie in dieser Tätigkeit als Selbständige tätig sind. Für die Dauer des Bezugs dieses Zuschusses galten diese Personen als selbständig Tätige, ohne dass der Rentenversicherungsträger erneut prüfen muss, ob tatsächlich eine selbständige Tätigkeit vorliegt.

Vorliegend kommt es auf den Bescheid vom 31. Januar 2005 streitentscheidend an, da er einerseits – wie schon das SG zutreffend ausführt – nach § 39 Abs. 1 SGB X mangels Bekanntgabe unwirksam ist, andererseits aber die Voraussetzung dafür bildet, dass die Beklagte Forderungsbescheide gegen die Klägerin erlassen kann. Der Bescheid vom 31. Januar 2005 individualisiert somit die gesetzlich in § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI i.V.m. § 22 Abs. 1 SGB IV verankerte Versicherungspflicht für die Klägerin und setzt diese um. Eine im Rechtsverhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Bürger bestehende Unsicherheit kann nur durch einen Bescheid beseitigt werden, indem die generelle und abstrakte gesetzliche Regelung verbindlich konkretisiert und individualisiert wird, um klar zu stellen, was rechtens sein soll (vgl. Sozialgesetzbuch X Kommentar, hrsg. v. Diering/Timme/Waschull, 3. Aufl., 2011, § 31 Rdnr. 33). Obgleich Feststellungsbescheide in der Regel nur deklaratorischer Natur sind, können sie zur Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses damit zwingend erforderlich sein, auch um dem Versicherten die Möglichkeit zu geben, im Rahmen effektiven Rechtsschutzes das Bestehen einer Versicherungspflicht mittels der Anfechtungsklage überprüfen zu lassen. Der Regelungsgehalt eines insoweit zu erlassenden feststellenden Bescheides besteht im Nachvollziehen eines rechtlichen Zustandes mit der Folge, dass ein Rechtszustand mit Bindungswirkung festgestellt wird und damit Zweifel an der Rechtslage ausgeräumt werden (vgl. Hauck/Noftz, SGB X, § 31 Rdnr. 47). Es bedarf daher der Feststellung der Versicherungspflicht, um weitere Rechtsfolgen, wie etwa Vollstreckungshandlungen anzuknüpfen.

Für die in § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VI genannten Personen kann es nach Auffassung des Senats keine "automatische" Einbeziehung in das soziale Sicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung geben, ohne dass dies zuvor mittels eines Bescheides festgestellt wird. Anders als im Falle der Beschäftigten in § 1 SGB VI ist zumindest bei selbständig Tätigen nach § 2 SGB VI deren gesetzliche Versicherungspflicht auch aus Gründen der Rechtssicherheit zur Klarstellung zu bescheiden. Üblicherweise hängt der Eintritt der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zwar nicht von der positiven Kenntnisnahme des Versicherten von der sie begründenden Tatbestandsmerkmale ab. Im Falle der Klägerin ist dies aber dann zu fordern, wenn die Beitragserhebung und -zahlung vom Versicherten ein aktives Handeln abverlangt und nicht durch einen Arbeitgeber der eigenen Disposition weitgehend entzogen ist. Soweit das Bundessozialgericht anführt, die Versicherungspflicht trete grundsätzlich bereits mit Vorliegen ihrer Voraussetzungen kraft Gesetzes ein, ohne dass es hierzu eines feststellenden Verwaltungsaktes oder der Kenntniserlangung des Versicherten hiervon bedarf (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 09. November 2011 – B 12 KR 21/09 R – juris), ist nichts darüber ausgesagt, ob es in Fällen des § 2 SGB VI der in der Praxis üblichen bescheidmäßigen Umsetzung bedarf, zumal vorliegend eine Rentenversicherungspflicht für "selbständig Tätige" zu beurteilen ist.

Entsprechend erlässt die Beklagte in Fällen des § 2 SGB VI in ständiger Praxis feststellende Bescheide in Bezug auf die Versicherungspflicht selbständig Tätiger und ging angesichts des Bescheides vom 31. Januar 2005 offensichtlich auch im vorliegenden Verfahren davon aus, eine entsprechende Feststellung treffen zu müssen. Soweit die Beklagte nunmehr argumentiert, die Feststellung der gesetzlichen Versicherungspflicht sei nicht erforderlich, setzt sie sich daher mit ihrem eigenen Handeln und ihrer jahrelang geübten Praxis in Widerspruch. Der Beklagten wäre über eine förmliche Zustellung des Feststellungsbescheides vom 31. Januar 2005 leicht möglich gewesen, die Bekanntgabe der konkreten Versicherungspflicht an die Klägerin sicherzustellen.

Der im angefochtenen Bescheid vom 28. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. August 2006 enthaltene Verweis auf die gesetzlichen Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI ist nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X und kann daher auch den Bescheid vom 31. Januar 2005 nicht ersetzen. Allein eine Bezugnahme auf die Versicherungspflicht als Selbständige ist kein hinreichend bestimmter Verfügungssatz, der geeignet ist, die Versicherungspflicht im Einzelfall konkret festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist zu klären, ob die kraft Gesetzes bestehende Versicherungspflicht selbständig Tätiger gemäß § 2 SGB VI zur Umsetzung und Ausfüllung eines Verwaltungsaktes in Form eines Feststellungsbescheides bedarf.
Rechtskraft
Aus
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