Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 14 KA 22/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 7 KA 19/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ob eine Gemeinschaftspraxis gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung für frühere Verbindlichkeiten einer am gleichen Ort in anderer personeller Zusammensetzung betriebenen Praxis haftet, richtet sich danach, ob es sich vertragsarztrechtlich um eine neue Gemeinschaftspraxis handelt. Dies ist nicht der Fall, wenn die jetzige Gemeinschaftspraxis aufgrund fortbestehender Genehmigung durch den Zulassungsausschuss tätig wird.
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 22.3.2012 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 16.276,56 EUR festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage bzw von Widersprüchen gegen Bescheide, in denen die Antragsgegnerin mit einen Honorarregressanspruch gegen einen Honoraranspruch der Antragstellerin aufgerechnet hat.
Seit dem 1.1.1999 führten die Ärzte Dr S und B nach Erteilung der Genehmigung des Zulassungsausschusses eine Gemeinschaftspraxis (jetzt Berufsausübungsgemeinschaft) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Mit Gesellschaftsvertrag vom 15.2.2005 vereinbarten die beiden Ärzte mit der Ärztin Sch die Erweiterung der Gemeinschaftspraxis mit Wirkung ab dem 1.4.2005 durch die Aufnahme der Ärztin Sch. Der Zulassungsausschuss genehmigte durch Beschluss vom 22.3.2005 den Eintritt der Ärztin Sch in die Gemeinschaftspraxis. Die Gemeinschaftspraxis Dr S / B kündigte sodann den Mitarbeitern deren Arbeitsverträge. Die Ärzte Dr S / B / Sch boten diesen an, sich bei der "neuen" Gemeinschaftspraxis zu bewerben. Außerdem trafen sie eine neue Vereinbarung über die Miete der Praxisräume. Am 10.7.2005 vereinbarten der Arzt Dr S und die Ärztin Sch die Errichtung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis ohne den Arzt B ab dem 7.8.2005 unter Auflösung des vorherigen Gesellschaftsvertrages. Seither wird die Gemeinschaftspraxis von dem Arzt Dr S und der Ärztin Sch betrieben.
Die Antragsgegnerin erließ gegen die Antragstellerin Honorarbescheide vom 26.4.2011 (Quartal IV/2010), 25.7.2011 (Quartal I/2011), 24.10.2011 (Quartal II/2011) und 24.1.2012 (Quartal III/2011), wobei sie die Honorarauszahlung jeweils wegen Honorarregressen für die Quartale III/2002 bis I/2005 kürzte (Kürzungsbeträge IV/2010: 31.971,92 EUR; I/2011: 14.931,39 EUR; II/2011: 15.029,52 EUR; III/2011: 3.173,39 EUR). Wegen dieser Honorarregresse sind beim Sozialgericht (SG) Mainz Klagen anhängig (S 14 KA 32/10; S 14 KA 33/10). Die Antragstellerin wandte sich mit Widersprüchen gegen die Honorarkürzung in den Bescheiden vom 26.4.2011, 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012.
Am 3.2.2012 hat die Antragstellerin beim SG Mainz einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und vorgetragen: Die jetzige GbR hafte nicht für Schulden aus Honorarregressen für die Jahre 2002 bis 2005, weil sie nicht mit der seinerzeit bestehenden GbR identisch sei. Dies ergebe sich ua aus dem Gesellschaftsvertrag vom 10.7.2007 sowie aus den zuvor erfolgten Kündigungen gegenüber den Praxismitarbeitern und der Schließung des neuen Mietvertrags über die Praxisräume. Die Eigenschaft der heutigen GbR als neue Rechtspersönlichkeit zeige sich auch daran, dass die Antragsgegnerin für diese eine neue Betriebsstättennummer vergeben habe. Zudem seien unterschiedliche steuerliche Gewinnermittlungen nach § 4 Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) vorgenommen worden, und die neue Gesellschaft habe vom Finanzamt eine neue Steuernummer erhalten. Die jetzige GbR sei von vornherein nach außen hin als neue Gesellschaft aufgetreten. In einer doppelseitigen Anzeige in einer Zeitung sei die Gründung einer neuen Gemeinschaftspraxis inseriert worden. Auch habe sie neues Briefpapier und ein neues Logo verwendet und die Praxisschilder geändert. Deshalb habe die jetzige GbR nicht für die Verbindlichkeiten aus dem Zeitraum III/2002 bis I/2005 einzustehen (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG - 7.2.2007 – B 6 KA 6/06). Bei Vollziehung der Bescheide vom 26.4.2011, 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012 drohten ihren Ärzten erhebliche Rechtsnachteile. Die Antragstellerin gerate in wirtschaftliche Existenznot. Dies zeige sich daran, dass die Bank die Kreditlinie für das Praxiskonto wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Dr S gekündigt habe.
Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 26.4.2011 durch Widerspruchsbescheid 7.2.2012 vom zurück, da sie zu der Aufrechnung berechtigt gewesen sei. Gegen den Bescheid vom 7.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 26.4.2011 erhob die Antragstellerin Klage beim SG Mainz (S 14 KA 63/12).
Durch Beschluss vom 22.3.2012 hat das SG Mainz den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 sowie der Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012 sei nicht nach § 86b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuordnen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide bestünden nicht. Die Antragsgegnerin sei zu der Aufrechnung mit Forderungen aus Honorarregressen aus den Jahren 2002 bis 2005 berechtigt gewesen. Die Antragstellerin sei mit der seit dem 1.1.1999 betriebenen GbR identisch. Für die Identität der Rechtspersönlichkeit seien die Absprachen zwischen den Gesellschaftern von untergeordneter Bedeutung. Nur anhand der "Zulassung" könne festgestellt werden, ob eine Gemeinschaftspraxis aufgelöst worden sei (Hinweis auf SG Marburg 23.8.2007 – S 12 KA 313/07 ER, juris Rn 28). Da die Tätigkeit der Antragstellerin auf der "Zulassung" seit dem Beginn der Gemeinschaftspraxis Dr S / B beruhe, hafte sie für vertragsarztrechtliche Verbindlichkeiten der GbR aus den Jahren 2002 bis 2005. Die Vollziehung der streitbefangenen Bescheide bewirke keine nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte. Für eine solche genüge die Kündigung der Kreditlinie für das Praxiskonto durch die Bank der Antragstellerin im Januar 2012 wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Dr S nicht, zumal sie von der Antragsgegnerin monatlich ungekürzte Abschlagszahlungen von 26.300,-- EUR erhalte.
Gegen diesen ihr am 26.3.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23.4.2012 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Diese hat die Beschwerde nicht begründet. Die Ärztin Sch hat in ihrem Schreiben vom 18.7.2012 erklärt, sie könne nicht stellvertretend für die Antragstellerin eine Beschwerdebegründung vorlegen, da Dr S arbeitsunfähig erkrankt sei; "sie persönlich" nehme Abstand von einer Weiterführung des Beschwerdeverfahrens.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG). Die Erklärung der Ärztin Sch "Ich persönlich nehme Abstand von einer Weiterführung des Beschwerdeverfahrens." stellt keine Rücknahme der Beschwerde dar, weil die Ärztin damit nur ihr persönliches Desinteresse an der Weiterführung des Beschwerdeverfahrens bekundet hat, nicht aber das Beschwerdeverfahren mit Wirkung für die Antragstellerin beenden wollte, wie aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens vom 18.7.2012 hervorgeht. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
Der Antrag der Antragstellerin zielt auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 sowie ihrer Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012, soweit in diesen Bescheiden eine Aufrechnung mit einem Honorarrückforderungsanspruch gegen einen Honoraranspruch (zur Rechtsnatur der Aufrechnung als Verwaltungsakt vgl BSG – Großer Senat – 31.8.2011 – GS 2/10, juris) enthalten ist. Die Klage bzw die Widersprüche haben nicht gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Dies folgt aus § 85 Abs 4 Satz 6 SGB V. Diese Vorschrift greift auch bei einer Aufrechnung oder Verrechnung gegen einen Honoraranspruch ein (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86a Rn 16d).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren S 14 KA 63/12 sowie der Widersprüche der Antragstellerin gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG hat keinen Erfolg. Bei der insoweit erforderlichen Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens von Bedeutung (vgl Keller aaO, § 86b Rn 12e ff). Da die Klage bzw die Widersprüche keine Aussicht auf Erfolg haben, ist die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen.
Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht zu prüfen, ob die Bescheide über den Regress für den Zeitraum von III/2002 bis I/2005 rechtmäßig sind. Denn Klagen gegen Regressbescheide haben keine aufschiebende Wirkung (§ 106 Abs 5 Satz 7 SGB V). Deshalb war die Aufrechnung, die eine Vollziehung der Verwaltungsakte der Wirtschaftlichkeitsprüfungsinstanzen darstellt (vgl Keller aaO, § 86a Rn 5), nicht ausgeschlossen.
Die Antragstellerin haftet für Honorarrückforderungen betreffend die Quartale III/2002 bis I/2005. Ihrem Vorbringen, bei ihr handele es sich im rechtlichen Sinne um eine andere GbR als diejenige im Zeitraum von III/2002 bis I/2005, ist jedenfalls für das Vertragsarztrecht nicht zu folgen. Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin für zivilrechtliche Schulden aus der damaligen Zeit einstehen muss. Im Verhältnis zur Antragsgegnerin hat sie jedenfalls für vertragsarztrechtliche Verbindlichkeiten einzutreten. Der Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform der GbR kommt Rechtsfähigkeit zu, soweit sie durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (BSG 4.3.2004 - B 3 KR 12/03 R, juris Rn. 19 mwN.). Von ihrer Haftung ist die Antragstellerin nicht dadurch entbunden, dass der Arzt Dr S und die Ärztin Sch am 10.7.2005 eine neue GbR gründen wollten und dies auch nach außen hin bekundet haben, indem sie zB Mitarbeiter entlassen und einen neuen Vertrag über die Miete des Betriebsgrundstücks geschlossen haben. Vorliegend ist nämlich nicht auf solche Umstände, sondern auf den vertragsarztrechtlichen Status abzustellen.
Die aus dem Arzt Dr S und der Ärztin Sch bestehende Antragstellerin betätigt sich aufgrund der vor dem 1.1.1999 gemäß § 33 Abs 3 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) erteilten Genehmigung des Zulassungsausschusses in Verbindung mit der Genehmigung vom 22.3.2005. Mit dem Bescheid vom 22.3.2005 hat der Zulassungsausschuss nicht die Führung einer neuen Gemeinschaftspraxis, sondern den Eintritt der Ärztin Sch in die bereits bestehende Gemeinschaftspraxis Dr S / B genehmigt. Die Fortführung der Gemeinschaftspraxis durch den Arzt Dr S und die Ärztin Sch unter Ausscheiden des Arztes B ab dem 7.8.2005 bedurfte keiner Genehmigung des Zulassungsausschusses; die Antragstellerin hat, soweit ersichtlich, auch keinen Antrag auf eine solche gestellt. Der durch die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis Dr S / B in Verbindung mit dem Bescheid vom 22.3.2005 begründete vertragsärztliche Status (zum besonderen vertragsarztrechtlichen Status der Gemeinschaftspraxis vgl BSG 16.3.2003 – B 6 KA 34/02 R, juris Rn 28) ist für die Haftung der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin maßgebend (vgl SG Marburg 8.9.2010 – S 12 KA 126/10, juris Rn 33). Denn er ist vertragsarztrechtlich die Grundlage ihres Tätigwerdens. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin auf das Urteil des BSG vom 7.2.2007 (B 6 KA 6/06 R, juris). Dort hat das BSG die Haftung einer Gemeinschaftspraxis gegenüber einer Kassenärztlichen Vereinigung für Verbindlichkeiten eines Arztes dieser Praxis aus dessen vorangegangener Einzelpraxistätigkeit verneint. Bei der damaligen Sachlage war durch die Gründung der Gemeinschaftspraxis ein im Verhältnis zur vorherigen Einzelpraxistätigkeit neuer vertragsarztrechtlicher Status begründet worden. An einem solchen neuen Status im Verhältnis zur Zeit vor der Vereinbarung des neuen Gesellschaftsvertrags im Juli 2005 fehlt es demgegenüber bei der Antragstellerin. Daher kommt es auch nicht entscheidend darauf an, dass die Antragsgegnerin diese jetzt unter einer neuen Betriebsstellennummer führt.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert der Hauptsache beträgt 65.106,22 EUR. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist wegen der Vorläufigkeit der angestrebten Entscheidung von einem Streitwert von einem Viertel bis zur Hälfte des Hauptsacheverfahrens auszugehen (vgl Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit). Unter Berücksichtigung des Interesses der Antragstellerin und des Umstandes, dass eine echte Vorwegnahme der Hauptsache (vgl Keller aaO, § 86b Rn 31) nicht vorliegt, hält der Senat – ebenso wie das SG – einen Streitwert von einem Viertel des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens für angemessen.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG; wegen des Streitwerts § 66 Abs 3 Satz 3 GKG).
2. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 16.276,56 EUR festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage bzw von Widersprüchen gegen Bescheide, in denen die Antragsgegnerin mit einen Honorarregressanspruch gegen einen Honoraranspruch der Antragstellerin aufgerechnet hat.
Seit dem 1.1.1999 führten die Ärzte Dr S und B nach Erteilung der Genehmigung des Zulassungsausschusses eine Gemeinschaftspraxis (jetzt Berufsausübungsgemeinschaft) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Mit Gesellschaftsvertrag vom 15.2.2005 vereinbarten die beiden Ärzte mit der Ärztin Sch die Erweiterung der Gemeinschaftspraxis mit Wirkung ab dem 1.4.2005 durch die Aufnahme der Ärztin Sch. Der Zulassungsausschuss genehmigte durch Beschluss vom 22.3.2005 den Eintritt der Ärztin Sch in die Gemeinschaftspraxis. Die Gemeinschaftspraxis Dr S / B kündigte sodann den Mitarbeitern deren Arbeitsverträge. Die Ärzte Dr S / B / Sch boten diesen an, sich bei der "neuen" Gemeinschaftspraxis zu bewerben. Außerdem trafen sie eine neue Vereinbarung über die Miete der Praxisräume. Am 10.7.2005 vereinbarten der Arzt Dr S und die Ärztin Sch die Errichtung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis ohne den Arzt B ab dem 7.8.2005 unter Auflösung des vorherigen Gesellschaftsvertrages. Seither wird die Gemeinschaftspraxis von dem Arzt Dr S und der Ärztin Sch betrieben.
Die Antragsgegnerin erließ gegen die Antragstellerin Honorarbescheide vom 26.4.2011 (Quartal IV/2010), 25.7.2011 (Quartal I/2011), 24.10.2011 (Quartal II/2011) und 24.1.2012 (Quartal III/2011), wobei sie die Honorarauszahlung jeweils wegen Honorarregressen für die Quartale III/2002 bis I/2005 kürzte (Kürzungsbeträge IV/2010: 31.971,92 EUR; I/2011: 14.931,39 EUR; II/2011: 15.029,52 EUR; III/2011: 3.173,39 EUR). Wegen dieser Honorarregresse sind beim Sozialgericht (SG) Mainz Klagen anhängig (S 14 KA 32/10; S 14 KA 33/10). Die Antragstellerin wandte sich mit Widersprüchen gegen die Honorarkürzung in den Bescheiden vom 26.4.2011, 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012.
Am 3.2.2012 hat die Antragstellerin beim SG Mainz einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und vorgetragen: Die jetzige GbR hafte nicht für Schulden aus Honorarregressen für die Jahre 2002 bis 2005, weil sie nicht mit der seinerzeit bestehenden GbR identisch sei. Dies ergebe sich ua aus dem Gesellschaftsvertrag vom 10.7.2007 sowie aus den zuvor erfolgten Kündigungen gegenüber den Praxismitarbeitern und der Schließung des neuen Mietvertrags über die Praxisräume. Die Eigenschaft der heutigen GbR als neue Rechtspersönlichkeit zeige sich auch daran, dass die Antragsgegnerin für diese eine neue Betriebsstättennummer vergeben habe. Zudem seien unterschiedliche steuerliche Gewinnermittlungen nach § 4 Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) vorgenommen worden, und die neue Gesellschaft habe vom Finanzamt eine neue Steuernummer erhalten. Die jetzige GbR sei von vornherein nach außen hin als neue Gesellschaft aufgetreten. In einer doppelseitigen Anzeige in einer Zeitung sei die Gründung einer neuen Gemeinschaftspraxis inseriert worden. Auch habe sie neues Briefpapier und ein neues Logo verwendet und die Praxisschilder geändert. Deshalb habe die jetzige GbR nicht für die Verbindlichkeiten aus dem Zeitraum III/2002 bis I/2005 einzustehen (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG - 7.2.2007 – B 6 KA 6/06). Bei Vollziehung der Bescheide vom 26.4.2011, 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012 drohten ihren Ärzten erhebliche Rechtsnachteile. Die Antragstellerin gerate in wirtschaftliche Existenznot. Dies zeige sich daran, dass die Bank die Kreditlinie für das Praxiskonto wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Dr S gekündigt habe.
Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 26.4.2011 durch Widerspruchsbescheid 7.2.2012 vom zurück, da sie zu der Aufrechnung berechtigt gewesen sei. Gegen den Bescheid vom 7.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 26.4.2011 erhob die Antragstellerin Klage beim SG Mainz (S 14 KA 63/12).
Durch Beschluss vom 22.3.2012 hat das SG Mainz den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 sowie der Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012 sei nicht nach § 86b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzuordnen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide bestünden nicht. Die Antragsgegnerin sei zu der Aufrechnung mit Forderungen aus Honorarregressen aus den Jahren 2002 bis 2005 berechtigt gewesen. Die Antragstellerin sei mit der seit dem 1.1.1999 betriebenen GbR identisch. Für die Identität der Rechtspersönlichkeit seien die Absprachen zwischen den Gesellschaftern von untergeordneter Bedeutung. Nur anhand der "Zulassung" könne festgestellt werden, ob eine Gemeinschaftspraxis aufgelöst worden sei (Hinweis auf SG Marburg 23.8.2007 – S 12 KA 313/07 ER, juris Rn 28). Da die Tätigkeit der Antragstellerin auf der "Zulassung" seit dem Beginn der Gemeinschaftspraxis Dr S / B beruhe, hafte sie für vertragsarztrechtliche Verbindlichkeiten der GbR aus den Jahren 2002 bis 2005. Die Vollziehung der streitbefangenen Bescheide bewirke keine nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte. Für eine solche genüge die Kündigung der Kreditlinie für das Praxiskonto durch die Bank der Antragstellerin im Januar 2012 wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Dr S nicht, zumal sie von der Antragsgegnerin monatlich ungekürzte Abschlagszahlungen von 26.300,-- EUR erhalte.
Gegen diesen ihr am 26.3.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23.4.2012 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Diese hat die Beschwerde nicht begründet. Die Ärztin Sch hat in ihrem Schreiben vom 18.7.2012 erklärt, sie könne nicht stellvertretend für die Antragstellerin eine Beschwerdebegründung vorlegen, da Dr S arbeitsunfähig erkrankt sei; "sie persönlich" nehme Abstand von einer Weiterführung des Beschwerdeverfahrens.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG). Die Erklärung der Ärztin Sch "Ich persönlich nehme Abstand von einer Weiterführung des Beschwerdeverfahrens." stellt keine Rücknahme der Beschwerde dar, weil die Ärztin damit nur ihr persönliches Desinteresse an der Weiterführung des Beschwerdeverfahrens bekundet hat, nicht aber das Beschwerdeverfahren mit Wirkung für die Antragstellerin beenden wollte, wie aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens vom 18.7.2012 hervorgeht. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
Der Antrag der Antragstellerin zielt auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.2.2012 sowie ihrer Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.7.2011, 24.10.2011 und 24.1.2012, soweit in diesen Bescheiden eine Aufrechnung mit einem Honorarrückforderungsanspruch gegen einen Honoraranspruch (zur Rechtsnatur der Aufrechnung als Verwaltungsakt vgl BSG – Großer Senat – 31.8.2011 – GS 2/10, juris) enthalten ist. Die Klage bzw die Widersprüche haben nicht gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Dies folgt aus § 85 Abs 4 Satz 6 SGB V. Diese Vorschrift greift auch bei einer Aufrechnung oder Verrechnung gegen einen Honoraranspruch ein (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86a Rn 16d).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren S 14 KA 63/12 sowie der Widersprüche der Antragstellerin gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG hat keinen Erfolg. Bei der insoweit erforderlichen Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens von Bedeutung (vgl Keller aaO, § 86b Rn 12e ff). Da die Klage bzw die Widersprüche keine Aussicht auf Erfolg haben, ist die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen.
Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht zu prüfen, ob die Bescheide über den Regress für den Zeitraum von III/2002 bis I/2005 rechtmäßig sind. Denn Klagen gegen Regressbescheide haben keine aufschiebende Wirkung (§ 106 Abs 5 Satz 7 SGB V). Deshalb war die Aufrechnung, die eine Vollziehung der Verwaltungsakte der Wirtschaftlichkeitsprüfungsinstanzen darstellt (vgl Keller aaO, § 86a Rn 5), nicht ausgeschlossen.
Die Antragstellerin haftet für Honorarrückforderungen betreffend die Quartale III/2002 bis I/2005. Ihrem Vorbringen, bei ihr handele es sich im rechtlichen Sinne um eine andere GbR als diejenige im Zeitraum von III/2002 bis I/2005, ist jedenfalls für das Vertragsarztrecht nicht zu folgen. Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin für zivilrechtliche Schulden aus der damaligen Zeit einstehen muss. Im Verhältnis zur Antragsgegnerin hat sie jedenfalls für vertragsarztrechtliche Verbindlichkeiten einzutreten. Der Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform der GbR kommt Rechtsfähigkeit zu, soweit sie durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (BSG 4.3.2004 - B 3 KR 12/03 R, juris Rn. 19 mwN.). Von ihrer Haftung ist die Antragstellerin nicht dadurch entbunden, dass der Arzt Dr S und die Ärztin Sch am 10.7.2005 eine neue GbR gründen wollten und dies auch nach außen hin bekundet haben, indem sie zB Mitarbeiter entlassen und einen neuen Vertrag über die Miete des Betriebsgrundstücks geschlossen haben. Vorliegend ist nämlich nicht auf solche Umstände, sondern auf den vertragsarztrechtlichen Status abzustellen.
Die aus dem Arzt Dr S und der Ärztin Sch bestehende Antragstellerin betätigt sich aufgrund der vor dem 1.1.1999 gemäß § 33 Abs 3 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) erteilten Genehmigung des Zulassungsausschusses in Verbindung mit der Genehmigung vom 22.3.2005. Mit dem Bescheid vom 22.3.2005 hat der Zulassungsausschuss nicht die Führung einer neuen Gemeinschaftspraxis, sondern den Eintritt der Ärztin Sch in die bereits bestehende Gemeinschaftspraxis Dr S / B genehmigt. Die Fortführung der Gemeinschaftspraxis durch den Arzt Dr S und die Ärztin Sch unter Ausscheiden des Arztes B ab dem 7.8.2005 bedurfte keiner Genehmigung des Zulassungsausschusses; die Antragstellerin hat, soweit ersichtlich, auch keinen Antrag auf eine solche gestellt. Der durch die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis Dr S / B in Verbindung mit dem Bescheid vom 22.3.2005 begründete vertragsärztliche Status (zum besonderen vertragsarztrechtlichen Status der Gemeinschaftspraxis vgl BSG 16.3.2003 – B 6 KA 34/02 R, juris Rn 28) ist für die Haftung der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin maßgebend (vgl SG Marburg 8.9.2010 – S 12 KA 126/10, juris Rn 33). Denn er ist vertragsarztrechtlich die Grundlage ihres Tätigwerdens. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin auf das Urteil des BSG vom 7.2.2007 (B 6 KA 6/06 R, juris). Dort hat das BSG die Haftung einer Gemeinschaftspraxis gegenüber einer Kassenärztlichen Vereinigung für Verbindlichkeiten eines Arztes dieser Praxis aus dessen vorangegangener Einzelpraxistätigkeit verneint. Bei der damaligen Sachlage war durch die Gründung der Gemeinschaftspraxis ein im Verhältnis zur vorherigen Einzelpraxistätigkeit neuer vertragsarztrechtlicher Status begründet worden. An einem solchen neuen Status im Verhältnis zur Zeit vor der Vereinbarung des neuen Gesellschaftsvertrags im Juli 2005 fehlt es demgegenüber bei der Antragstellerin. Daher kommt es auch nicht entscheidend darauf an, dass die Antragsgegnerin diese jetzt unter einer neuen Betriebsstellennummer führt.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert der Hauptsache beträgt 65.106,22 EUR. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist wegen der Vorläufigkeit der angestrebten Entscheidung von einem Streitwert von einem Viertel bis zur Hälfte des Hauptsacheverfahrens auszugehen (vgl Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit). Unter Berücksichtigung des Interesses der Antragstellerin und des Umstandes, dass eine echte Vorwegnahme der Hauptsache (vgl Keller aaO, § 86b Rn 31) nicht vorliegt, hält der Senat – ebenso wie das SG – einen Streitwert von einem Viertel des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens für angemessen.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG; wegen des Streitwerts § 66 Abs 3 Satz 3 GKG).
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