Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 33 AL 501/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 208/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 330 Abs. 2 SGB III ist dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift auch den Fall der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gezahlten Leistungen (§ 50 Abs. 2 SGB X) erfasst, wenn für diese Erstattung der entsprechend anzuwendende § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist.
2. Für eine ausreichende Kenntnis der zur Erstattungsforderung führenden Tatsachen im Sinne von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X reicht allein der Umstand, dass der Verwaltungsakte Schriftstücke beigefügt wurden, die im Rahmen einer fachkundigen Wertung geeignet gewesen wären, das Vorliegen der Überzahlungen aufzudecken, nicht aus. Hinzutreten muss vielmehr, dass der für die Feststellung von Erstattungsansprüchen zuständige Referent, zumindest aber der mit der Vorbereitung einer entsprechenden Entscheidung betraute Sachbearbeiter, von den maßgebenden Umständen Kenntnis erlangt.
3. Eine Verfügung, mit der angeordnet wird, dass die Verwaltungsakte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht vernichtet werden soll, gibt keinen Hinweis auf eine etwaige Kenntnis eines zuständigen Amtswalters von der Überzahlung.
2. Für eine ausreichende Kenntnis der zur Erstattungsforderung führenden Tatsachen im Sinne von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X reicht allein der Umstand, dass der Verwaltungsakte Schriftstücke beigefügt wurden, die im Rahmen einer fachkundigen Wertung geeignet gewesen wären, das Vorliegen der Überzahlungen aufzudecken, nicht aus. Hinzutreten muss vielmehr, dass der für die Feststellung von Erstattungsansprüchen zuständige Referent, zumindest aber der mit der Vorbereitung einer entsprechenden Entscheidung betraute Sachbearbeiter, von den maßgebenden Umständen Kenntnis erlangt.
3. Eine Verfügung, mit der angeordnet wird, dass die Verwaltungsakte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht vernichtet werden soll, gibt keinen Hinweis auf eine etwaige Kenntnis eines zuständigen Amtswalters von der Überzahlung.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. September 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte begehrt die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, mit dem ein von ihr erlassener Erstattungsbescheid aufgehoben worden ist.
Mit Bescheiden vom 4. November 2003, 6. November 2003 und 4. Mai 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger für eine im Zeitraum vom 29. September 2003 bis 23. April 2004 stattfindende Maßnahme der beruflichen Weiterbildung die Lehrgangskosten, Fahrkosten, die Übernahme der Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung sowie Unterhaltsgeld nach dem Europäischen Sozialfon (ESF).
Der das Unterhaltsgeld betreffende Bescheid vom 4. November 2003 lautet (auszugsweise) wie folgt: "Aufgrund der ESF Richtlinien wird Ihnen für die Zeit vom 29.09.03 bis 23.04.04 folgende Leistung bewilligt: ESF-Unterhaltsgeld nach § 4 Abs. 1 ESF-RL für den Zeitraum vom 29.09.03 bis 25.04.04 3919,20 EUR Die Leistungen werden wie folgt ausgezahlt: ESF-Unterhaltsgeld ab 09/03 eine Rate monatlich nachträglich á 37,87 EUR ab 10/03 6 Raten monatlich nachträglich á 568,00 EUR ab 04/04 eine Rate monatlich nachträglich á 473,33 EUR"
Die mit diesem Bescheid festgesetzten Leistungen wurden an den Kläger ausgezahlt. Am 6. November 2003 wurden ihm 605,87 EUR (37,87 EUR + 568,00 EUR) überwiesen. Am 27. November 2003, 29. Dezember 2003, 29. Januar 2004, 26. Februar 2004 und 30. März 2004 erfolgten Überweisungen in Höhe von jeweils 568,00 EUR. Am 29. April 2004 wurde die Schlussrate in Höhe von 473,33 EUR überwiesen.
Irrtümlich wurde dem Kläger das Unterhaltsgeld – näherungsweise – doppelt ausgezahlt. Über die bereits genannten Zahlungen hinaus wurde ihm am 28. November 2003 ein Betrag in Höhe von 1.173,87 EUR (37,87 EUR + 568,00 EUR + 568,00 EUR) überwiesen. Am 29. Dezember 2003, 29. Januar 2004, 26. Februar 2004 und 30.03.2004 wurden ihm jeweils 568,00 EUR überwiesen. Am 29. April 2004 wurde eine Schlussrate in Höhe von 435,47 EUR gezahlt. Die Überzahlungen lagen bei insgesamt 3.881,34 EUR.
Der Zahlungsnachweis vom 27. April 2004 zu den mit Bescheid vom 4. November 2003 bewilligten Leistungen (in Höhe von 3.919,20 EUR) gelangte als "Vfg-Nr 2, Lfd.Nr. 2" zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt als Blatt 25 zur Verwaltungsakte. Die weiteren Zahlungen (in Höhe von 3.881,34 EUR) sind in dem ebenfalls auf dem 27. April 2004 datierenden Zahlungsnachweis "Vfg-Nr 3, Lfd.Nr. 3" enthalten. Dieser Zahlungsnachweis wurde zu einem ebenfalls nicht bestimmbaren Zeitpunkt als Blatt 26 der Verwaltungsakte beigefügt.
Ausweislich eines auf dem Zahlungsnachweis unter Blatt 25 der Verwaltungsakte aufgebrachten handschriftlichen Vermerks fand am 11. April 2008 eine Prüfung des Vorganges statt. Der Prüfer stellte fest, dass "3.084,44 EUR doppelt angewiesen" seien.
Mit Bescheid vom 15. April 2008 forderte die Beklagte den Kläger zur Erstattung eines Betrages in Höhe von 3.881,34 EUR auf. Ihm sei ESF-Unterhaltsgeld in Höhe von insgesamt 7.800,54 EUR gezahlt worden, nach dem Bewilligungsbescheid vom 4. November 2003 hätten ihm aber nur 3.919,20 EUR zugestanden.
Dagegen legte der Kläger am 28. April 2008 Widerspruch ein. Er habe Unterhaltsgeld nur in der im Bewilligungsbescheid ausgewiesenen Höhe erhalten. Falls erforderlich werde er dazu noch Nachweise einreichen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich sei. Sie stellte den Zahlungsverlauf des Unterhaltsgeldes im Einzelnen dar, wies darauf hin, dass unter Berücksichtigung dieses Verlaufs der Vortrag des Klägers nicht nachvollziehbar sei und bat gegebenenfalls um Vorlage von Unterlagen, die den Sachvortrag des Klägers stützten. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 gab die Beklagte dem Kläger, weil der Erstattungsbescheid ohne Anhörung gemäß § 24 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) "erlassen" worden sei, Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2009 wies sie den Widerspruch zurück. Die ohne Verwaltungsakte zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 3.881,34 EUR seien nach § 50 Abs. 2 SGB X zu erstatten. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Unter Berücksichtigung der subjektiven Aspekte und der besonderen Umstände des Einzelfalles habe er ohne weiteres erkennen können, dass die Zahlungen der Leistungen nicht entsprechend der im Bewilligungsbescheid angegebenen Beträge erfolgt seien. Die Agentur für Arbeit habe aufgrund einer Aktenprüfung am 11. April 2008 Kenntnis von der Überzahlung erhalten. Der Bescheid vom 15. April 2008 sei damit innerhalb eines Jahres ab Kenntnis erlassen worden.
Auf die Klage vom 14. Juli 2009 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 22. September 2009 den Bescheid vom 15. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2009 aufgehoben. Der streitgegenständliche Bescheid sei entgegen § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der seinen Erlass rechtfertigenden Umstände erfolgt. Die Doppelzahlung der Leistungen gehe aus den der Leistungsakte beigefügten Zahlungsnachweisen vom 27. April 2004 eindeutig hervor. Schon der Umstand, dass die Zahlungsnachweise nach Beendigung der Maßnahme der Leistungsakte beigefügt und der Fördervorgang hierdurch abgeschlossen worden sei, stelle einen "Bearbeitungsvorgang" dar, in dessen Folge eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahme erforderlicher Tatsachen vorgelegen habe. Zwar setze der Beginn des Laufs der Jahresfrist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich die Durchführung der Anhörung voraus. Dies könne aber dann nicht gelten, wenn, wie hier, die Behörde auf eine vorherige Anhörung verzichte. Wäre die Anhörung un-mittelbar nach Bearbeitung der Zahlungsnachweise vom 27. April 2004 vorgenommen worden, so hätte sie bereits im Laufe des Jahres 2004 abgeschlossen werden können. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Zahlung nicht gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Dafür spreche, dass der Kläger die Doppelzahlung bereits deshalb nicht ohne weiteres habe erkennen können, weil die ausgezahlten Endbeträge (zum einen 3.919,20 EUR, zum anderen 3.881,34 EUR) nicht identisch gewesen seien. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Kläger neben dem Unterhaltsgeld noch weitere Leistungen (Fahrkosten, Lehrgangskosten, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) erhalten habe und sämtliche Beträge gestaffelt in Raten, teilweise auch im Nachhinein, ausgezahlt worden seien.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. September 2009 zugestellte Urteil am 29. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft die ihre Verwaltungsentscheidungen tragende Auffassung. Allein der Umstand, dass die Überzahlung seit Ende April/Anfang Mai 2004 mit Beifügung der Zahlungsnachweise aktenkundig gewesen sei, setze die Handlungsfrist nicht in Lauf. Dieses "Schlummern in der Verwaltungsakte" stelle keine positive Kenntnis aller erforderlichen Tatsachen bei dem in der Behörde für die Rücknahme zuständigen Sachbearbeiter dar. Eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit aller erfolgten Zahlungen bei Rücklauf der Zahlungsnachweise sei angesichts der Masse an täglichen Überweisungen in den verschiedensten Leistungsarten und des damit verbundenen späteren Eingangs von Nachweisblättern undenkbar. Ungeachtet der Tatsache, dass die Bei-fügung der Zahlungsnachweise nicht von für die Sachbearbeitung qualifizierten Mitarbeitern vorgenommen werde, sei auch darauf hinzuweisen, dass aus den Zahlungsnachweisen nicht auf einen Blick Doppelzahlungen zu entnehmen wären. Auch hätte es dem Kläger bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt bereits angesichts des Umfanges der fehlerhaften Zahlungen "ins Auge springen müssen", dass ihm deutlich zuviel überwiesen wird.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. September 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aufgrund der Vielzahl der auf seinem Konto eingehenden Zahlungen, teilweise auch nachträglich, sei die Überzahlung nicht erkennbar gewesen und hätte ihm daher gerade nicht "ins Auge springen" müssen. Auch scheitere die Erstattungsforderung an der Nichteinhaltung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Die Beklagte gehe selbst davon aus, dass der Fehler seit Ende April/Anfang Mai 2004 aktenkundig gewesen sei. Selbst wenn Zahlungsnachweise in großer Zahl bei der Behörde eingingen und sodann ungeprüft der jeweiligen Leistungsakte beigefügt würden, handle es sich dabei um ein Organisationsverschulden auf Seiten der Beklagten. Spätestens im Jahr 2006 aber hätte der Beklagten die Überzahlung auffallen müssen. Die Akte enthalte als Vorblatt den Vermerk "Achtung - ESF-Vorgang - Akte, alle Bände bis 31.12.2013 nicht vernichten". Der Vermerk datiere vom 22. Februar 2006 und sei offenbar von der Teamleiterin gefertigt worden. Diese hätte also spätestens zu dem besagten Zeitpunkt eine Aktenprüfung vornehmen müssen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erstattungsbescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Die Verwaltungsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zu Recht stützt die Beklagte ihr Begehren auf Erstattung des Differenzbetrages in Höhe von 3.881,34 EUR auf § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X). § 45 und § 48 SGB X gelten entsprechend (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist eine Leistung immer dann, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist damit nicht nur eine Sozialleistung, die trotz rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligung weiter gezahlt worden ist. Vielmehr liegt auch bei Doppelzahlungen auf bewilligte Sozialleistungen, also wenn die Leistung ganz oder teilweise ein weiteres Mal ausgezahlt wird, eine unrechtmäßige Erbringung ohne Verwaltungsakt vor (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1990 – 7 RAr 112/88 – SozR 3-1300 § 45 Nr. 2 S. 11 = JURIS-Dokument RdNr. 16). Ein solcher Fall der Doppelzahlung liegt hier vor. Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 4. November 2003 ESF-Unterhaltsgeld in Höhe von 3.919,20 EUR bewilligt; an den Kläger überwiesen wurde die Leistung hingegen in Höhe von 7.800,54 EUR. Nach § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X gelten die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend. Damit ist der Erstattungsanspruch im Wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen wie die Rücknahme eines schon bei Erlass rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes abhängig. Da die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB X ausschließlich bereits erbrachte Leistungen betrifft, besteht der Erstattungsanspruch (nur) in den den Tatbeständen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X entsprechenden Fällen (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Er muss von der Behörde entsprechend § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen geltend gemacht werden, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ein Fall entsprechend des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorliegt. Nach dieser Regelung kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Auf die vorliegende Konstellation entsprechend angewandt kann sich der Kläger dann nicht auf Vertrauen berufen, wenn er wusste oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass ihm die durch Überweisung zugeflossenen, vom Bewilligungsbescheid nicht gedeckten Leistungen nicht zustanden.
Das ist hier der Fall. Zwar war das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung von dem Bemühen gekennzeichnet, sich als hinsichtlich der Tätigkeit der Beklagten gutgläubig und hinsichtlich der eigenen finanziellen Verhältnisse weitgehend ahnungslos darzustellen. Der Senat vermag ihm dies jedoch nicht abzunehmen. Soweit der Kläger auf wiederholte Vorhalte und Nachfragen hin immer wieder, geradezu gebetsmühlenartig, äußerte, es habe für ihn keine Veranlassung gegeben, an der Korrektheit der Überweisungen zu zweifeln, er habe sich auf die Tätigkeit der Beklagten verlassen, handelt es sich um eine bloße Schutzbehauptung, mit der der Kläger der Auseinandersetzung mit der konkret gestellten Frage auszuweichen suchte. Insbesondere kann ihm nicht abgenommen werden, die Entwicklung seines Girokontos könne ihm verborgen geblieben seien. Nach aller Lebenserfahrung wird jede Person, deren finanziellen Mittel begrenzt sind, bemüht sein, Einnahmen und Ausgaben in einer vertretbaren Relation zu halten. Die Kontrolle dessen schließt die Überwachung der Kontobewegungen durch Beschaffung von Kontoauszügen ein. Dass sich der Kläger in dieser Weise auf dem Laufendem gehalten hat, zeigt sich anhand der von ihm eingereichten Kontoauszüge, die ganz überwiegend nährungsweise monatlich als Onlineausdruck gefertigt wurden. Als Teilnehmer am Online-Banking war ihm zudem die Abfrage des Kontostandes jederzeit möglich. Die erste maßnahmebezogene Überweisung ging beim Kläger am 7. November 2003 ein. Vor der Wertstellung des betreffenden Betrages (1.644,89 EUR) wies das Konto ein Guthaben in Höhe von circa 400,00 EUR auf. Obwohl der Kläger am 28. November 2003 für einen Betrag in Höhe von 1.888,00 EUR einen Rechner (Laptop) erwarb und neben den Aufwendungen der normalen Lebensführung am 7. Januar 2004 anlässlich eines Aufenthalts in Österreich Kosten in Höhe von circa 720,00 EUR entstanden, wies das Konto des Klägers nach Eingang der letzten maßnahmebezogenen Zahlung am 10. Mai 2004 ein Guthaben in Höhe von circa 4.200,00 EUR auf. Dem Kläger, der als Empfänger von lediglich auf Bedarfsdeckung ausgerichteten Sozialleistungen mit einer derartigen Entwicklung seines Kontostandes unter keinen Umständen hätte rechnen dürfen, musste dieser Umstand gerade zu ins Auge stechen. Insoweit hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob ihm aufgefallen sei, dass am Ende der Maßnahme vergleichsweise viel Geld auf seinem Konto gewesen sei, geantwortet: "Das ist mir aufgefallen".
Obwohl damit dem Kläger, zur Überzeugung des Senats bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, nach eigenen Angaben jedenfalls am Ende der absolvierten Maßnahme, der ungewöhnliche hohe Kontostand aufgefallen ist, fehlt es bezeichnenderweise an jeglicher Darlegung des Klägers, welche Überlegungen er im Anschluss daran angestellt hat. Berücksichtigt man, dass die dem Kläger erteilten Bewilligungsbescheide auch hinsichtlich anderer Leistungen als des Unterhaltsgeldes den zu erwartenden Zahlungsverlauf beschreiben, wäre es dem Kläger, der nach seiner Ausbildung und seinen für den Senat erkennbaren intellektuellen Möglichkeiten insoweit keinen Einschränkungen unterliegt, ein leichtes gewesen, den einzig in Betracht kommenden Schluss aus den ihm vorliegenden Fakten zu ziehen. Die sodann unausweichliche Erkenntnis, höhere als die zustehenden Leistungen erhalten zu haben, hätte den in einem Sozialrechtsverhältnis zur Beklagten stehenden Kläger zumindest veranlassen müssen, mit dieser zur weiteren Klärung der Angelegenheit Kontakt aufzunehmen. Wäre so verfahren worden, wäre eine Erstattungsforderung der Bundesagentur bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erfolgt. Da der überzahlte Betrag in Gestalt des hohen Guthabens auf dem Girokonto noch unangetastet vorhanden war, hätten sich für den Kläger weitere Unannehmlichkeiten nicht ergeben. Dies mag nun, da der überzahlte Betrag wohl verbraucht ist, vom Kläger anders empfunden werden. Der Senat ist aber, wie dargelegt, in Gesamtsicht der beschriebenen Vorgänge zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger die Überzahlung früh erkannt, jedoch in der Hoffnung, er werde das Geld mangels Kenntnis der Beklagten behalten können, nicht offenbart hat. Vertrauensschutz scheidet damit aus.
Ermessen hatte die Beklagte bei der Entscheidung über die Erstattung nicht auszuüben. Nach § 330 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) als Sonderregelung für die Aufhebung von Verwaltungsakten ist, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Zwar wird vorliegend, da eine Leistungserbringung ohne Verwaltungsakt erfolgte, kein Verwaltungsakt zurückgenommen. Da § 50 Abs. 2 SGB X für diese Konstellation aber die entsprechende Anwendung von §§ 45 und 48 SGB X anordnet, ist § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift auch den Fall der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gezahlten Leistungen erfasst, wenn für diese Erstattung der entsprechend anzuwendende § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Oktober 2006 – L 13 AL 3133/05 – JURIS-Dokument Rdnr. 21). Es gibt keinen Grund, Empfänger von Leistungen ohne gesicherte Rechtsposi-tion anders zu behandeln als Empfänger von Leistungen aufgrund Verwaltungsaktes. Damit ist auch kein Raum für die Berücksichtigung eines etwaigen Verschuldens der Beklagten an der Überzahlung (zur Berücksichtigung eines Behördenverschuldens im Rahmen des § 45 SGB X: BSG, Beschluss vom 21. Juli 2001 – B 7 AL 18/01 B – JURIS-Dokument Rdnr. 15).
Die in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X normierte einjährige Handlungsfrist wurde von der Beklagten eingehalten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beginnt die Jahresfrist erst dann zu laufen, wenn die Behörde entweder objektiv eine sichere Kenntnis der Tatsachen hatte, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, oder subjektiv von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr vorliegenden Informationen überzeugt war; dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – BSGE 77, 295 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27 = JURIS-Dokument, jeweils Leitsatz 1).
Ohne dass hier die Frage vertieft werden müsste, welchen Einfluss die im Widerspruchsverfahren nachgeholte Anhörung des Klägers auf den Fristlauf haben könnte, vermag der Senat schon nicht zu der Einschätzung zu gelangen, die Beklagte habe vor dem 11. April 2008 eine ausreichende Kenntnis der zur Erstattungsforderung führenden Tatsachen gehabt. Allein der Umstand, dass der Verwaltungsakte Schriftstücke beigefügt wurden, die im Rahmen einer fachkundigen Wertung geeignet gewesen wären, das Vorliegen der Überzahlungen aufzudecken, reicht nicht aus. Hinzutreten muss vielmehr, dass der für die Feststellung von Erstattungsansprüchen zuständige Referent, zumindest aber der mit der Vorbereitung einer entsprechenden Entscheidung betraute Sachbearbeiter (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – BSGE 77, 295 [298] = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27 S. 92 = JURIS-Dokument RdNr. 28), von den maßgebenden Umständen Kenntnis erlangt. Davon kann aber für einen Zeitpunkt vor dem 11. April 2008 nicht ausgegangen werden. Auch die von der Klägerseite angesprochenen Verfügung vom 22. Februar 2006, mit der angeordnet wird, dass die Verwaltungsakte bis 31. Dezember 2013 nicht vernichtet werden soll, gibt keinen Hinweis auf eine etwaige Kenntnis eines zuständigen Amtswalters von der Überzahlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Dr. Scheer Höhl Richterin am Landessozialgericht Atanassov ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert
Dr. Scheer
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte begehrt die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, mit dem ein von ihr erlassener Erstattungsbescheid aufgehoben worden ist.
Mit Bescheiden vom 4. November 2003, 6. November 2003 und 4. Mai 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger für eine im Zeitraum vom 29. September 2003 bis 23. April 2004 stattfindende Maßnahme der beruflichen Weiterbildung die Lehrgangskosten, Fahrkosten, die Übernahme der Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung sowie Unterhaltsgeld nach dem Europäischen Sozialfon (ESF).
Der das Unterhaltsgeld betreffende Bescheid vom 4. November 2003 lautet (auszugsweise) wie folgt: "Aufgrund der ESF Richtlinien wird Ihnen für die Zeit vom 29.09.03 bis 23.04.04 folgende Leistung bewilligt: ESF-Unterhaltsgeld nach § 4 Abs. 1 ESF-RL für den Zeitraum vom 29.09.03 bis 25.04.04 3919,20 EUR Die Leistungen werden wie folgt ausgezahlt: ESF-Unterhaltsgeld ab 09/03 eine Rate monatlich nachträglich á 37,87 EUR ab 10/03 6 Raten monatlich nachträglich á 568,00 EUR ab 04/04 eine Rate monatlich nachträglich á 473,33 EUR"
Die mit diesem Bescheid festgesetzten Leistungen wurden an den Kläger ausgezahlt. Am 6. November 2003 wurden ihm 605,87 EUR (37,87 EUR + 568,00 EUR) überwiesen. Am 27. November 2003, 29. Dezember 2003, 29. Januar 2004, 26. Februar 2004 und 30. März 2004 erfolgten Überweisungen in Höhe von jeweils 568,00 EUR. Am 29. April 2004 wurde die Schlussrate in Höhe von 473,33 EUR überwiesen.
Irrtümlich wurde dem Kläger das Unterhaltsgeld – näherungsweise – doppelt ausgezahlt. Über die bereits genannten Zahlungen hinaus wurde ihm am 28. November 2003 ein Betrag in Höhe von 1.173,87 EUR (37,87 EUR + 568,00 EUR + 568,00 EUR) überwiesen. Am 29. Dezember 2003, 29. Januar 2004, 26. Februar 2004 und 30.03.2004 wurden ihm jeweils 568,00 EUR überwiesen. Am 29. April 2004 wurde eine Schlussrate in Höhe von 435,47 EUR gezahlt. Die Überzahlungen lagen bei insgesamt 3.881,34 EUR.
Der Zahlungsnachweis vom 27. April 2004 zu den mit Bescheid vom 4. November 2003 bewilligten Leistungen (in Höhe von 3.919,20 EUR) gelangte als "Vfg-Nr 2, Lfd.Nr. 2" zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt als Blatt 25 zur Verwaltungsakte. Die weiteren Zahlungen (in Höhe von 3.881,34 EUR) sind in dem ebenfalls auf dem 27. April 2004 datierenden Zahlungsnachweis "Vfg-Nr 3, Lfd.Nr. 3" enthalten. Dieser Zahlungsnachweis wurde zu einem ebenfalls nicht bestimmbaren Zeitpunkt als Blatt 26 der Verwaltungsakte beigefügt.
Ausweislich eines auf dem Zahlungsnachweis unter Blatt 25 der Verwaltungsakte aufgebrachten handschriftlichen Vermerks fand am 11. April 2008 eine Prüfung des Vorganges statt. Der Prüfer stellte fest, dass "3.084,44 EUR doppelt angewiesen" seien.
Mit Bescheid vom 15. April 2008 forderte die Beklagte den Kläger zur Erstattung eines Betrages in Höhe von 3.881,34 EUR auf. Ihm sei ESF-Unterhaltsgeld in Höhe von insgesamt 7.800,54 EUR gezahlt worden, nach dem Bewilligungsbescheid vom 4. November 2003 hätten ihm aber nur 3.919,20 EUR zugestanden.
Dagegen legte der Kläger am 28. April 2008 Widerspruch ein. Er habe Unterhaltsgeld nur in der im Bewilligungsbescheid ausgewiesenen Höhe erhalten. Falls erforderlich werde er dazu noch Nachweise einreichen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich sei. Sie stellte den Zahlungsverlauf des Unterhaltsgeldes im Einzelnen dar, wies darauf hin, dass unter Berücksichtigung dieses Verlaufs der Vortrag des Klägers nicht nachvollziehbar sei und bat gegebenenfalls um Vorlage von Unterlagen, die den Sachvortrag des Klägers stützten. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 gab die Beklagte dem Kläger, weil der Erstattungsbescheid ohne Anhörung gemäß § 24 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) "erlassen" worden sei, Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2009 wies sie den Widerspruch zurück. Die ohne Verwaltungsakte zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 3.881,34 EUR seien nach § 50 Abs. 2 SGB X zu erstatten. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Unter Berücksichtigung der subjektiven Aspekte und der besonderen Umstände des Einzelfalles habe er ohne weiteres erkennen können, dass die Zahlungen der Leistungen nicht entsprechend der im Bewilligungsbescheid angegebenen Beträge erfolgt seien. Die Agentur für Arbeit habe aufgrund einer Aktenprüfung am 11. April 2008 Kenntnis von der Überzahlung erhalten. Der Bescheid vom 15. April 2008 sei damit innerhalb eines Jahres ab Kenntnis erlassen worden.
Auf die Klage vom 14. Juli 2009 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 22. September 2009 den Bescheid vom 15. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2009 aufgehoben. Der streitgegenständliche Bescheid sei entgegen § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der seinen Erlass rechtfertigenden Umstände erfolgt. Die Doppelzahlung der Leistungen gehe aus den der Leistungsakte beigefügten Zahlungsnachweisen vom 27. April 2004 eindeutig hervor. Schon der Umstand, dass die Zahlungsnachweise nach Beendigung der Maßnahme der Leistungsakte beigefügt und der Fördervorgang hierdurch abgeschlossen worden sei, stelle einen "Bearbeitungsvorgang" dar, in dessen Folge eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahme erforderlicher Tatsachen vorgelegen habe. Zwar setze der Beginn des Laufs der Jahresfrist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich die Durchführung der Anhörung voraus. Dies könne aber dann nicht gelten, wenn, wie hier, die Behörde auf eine vorherige Anhörung verzichte. Wäre die Anhörung un-mittelbar nach Bearbeitung der Zahlungsnachweise vom 27. April 2004 vorgenommen worden, so hätte sie bereits im Laufe des Jahres 2004 abgeschlossen werden können. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Zahlung nicht gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Dafür spreche, dass der Kläger die Doppelzahlung bereits deshalb nicht ohne weiteres habe erkennen können, weil die ausgezahlten Endbeträge (zum einen 3.919,20 EUR, zum anderen 3.881,34 EUR) nicht identisch gewesen seien. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Kläger neben dem Unterhaltsgeld noch weitere Leistungen (Fahrkosten, Lehrgangskosten, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) erhalten habe und sämtliche Beträge gestaffelt in Raten, teilweise auch im Nachhinein, ausgezahlt worden seien.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. September 2009 zugestellte Urteil am 29. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft die ihre Verwaltungsentscheidungen tragende Auffassung. Allein der Umstand, dass die Überzahlung seit Ende April/Anfang Mai 2004 mit Beifügung der Zahlungsnachweise aktenkundig gewesen sei, setze die Handlungsfrist nicht in Lauf. Dieses "Schlummern in der Verwaltungsakte" stelle keine positive Kenntnis aller erforderlichen Tatsachen bei dem in der Behörde für die Rücknahme zuständigen Sachbearbeiter dar. Eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit aller erfolgten Zahlungen bei Rücklauf der Zahlungsnachweise sei angesichts der Masse an täglichen Überweisungen in den verschiedensten Leistungsarten und des damit verbundenen späteren Eingangs von Nachweisblättern undenkbar. Ungeachtet der Tatsache, dass die Bei-fügung der Zahlungsnachweise nicht von für die Sachbearbeitung qualifizierten Mitarbeitern vorgenommen werde, sei auch darauf hinzuweisen, dass aus den Zahlungsnachweisen nicht auf einen Blick Doppelzahlungen zu entnehmen wären. Auch hätte es dem Kläger bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt bereits angesichts des Umfanges der fehlerhaften Zahlungen "ins Auge springen müssen", dass ihm deutlich zuviel überwiesen wird.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. September 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aufgrund der Vielzahl der auf seinem Konto eingehenden Zahlungen, teilweise auch nachträglich, sei die Überzahlung nicht erkennbar gewesen und hätte ihm daher gerade nicht "ins Auge springen" müssen. Auch scheitere die Erstattungsforderung an der Nichteinhaltung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Die Beklagte gehe selbst davon aus, dass der Fehler seit Ende April/Anfang Mai 2004 aktenkundig gewesen sei. Selbst wenn Zahlungsnachweise in großer Zahl bei der Behörde eingingen und sodann ungeprüft der jeweiligen Leistungsakte beigefügt würden, handle es sich dabei um ein Organisationsverschulden auf Seiten der Beklagten. Spätestens im Jahr 2006 aber hätte der Beklagten die Überzahlung auffallen müssen. Die Akte enthalte als Vorblatt den Vermerk "Achtung - ESF-Vorgang - Akte, alle Bände bis 31.12.2013 nicht vernichten". Der Vermerk datiere vom 22. Februar 2006 und sei offenbar von der Teamleiterin gefertigt worden. Diese hätte also spätestens zu dem besagten Zeitpunkt eine Aktenprüfung vornehmen müssen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erstattungsbescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Die Verwaltungsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Zu Recht stützt die Beklagte ihr Begehren auf Erstattung des Differenzbetrages in Höhe von 3.881,34 EUR auf § 50 Abs. 2 SGB X. Danach sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X). § 45 und § 48 SGB X gelten entsprechend (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist eine Leistung immer dann, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist damit nicht nur eine Sozialleistung, die trotz rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligung weiter gezahlt worden ist. Vielmehr liegt auch bei Doppelzahlungen auf bewilligte Sozialleistungen, also wenn die Leistung ganz oder teilweise ein weiteres Mal ausgezahlt wird, eine unrechtmäßige Erbringung ohne Verwaltungsakt vor (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1990 – 7 RAr 112/88 – SozR 3-1300 § 45 Nr. 2 S. 11 = JURIS-Dokument RdNr. 16). Ein solcher Fall der Doppelzahlung liegt hier vor. Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 4. November 2003 ESF-Unterhaltsgeld in Höhe von 3.919,20 EUR bewilligt; an den Kläger überwiesen wurde die Leistung hingegen in Höhe von 7.800,54 EUR. Nach § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X gelten die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend. Damit ist der Erstattungsanspruch im Wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen wie die Rücknahme eines schon bei Erlass rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes abhängig. Da die Erstattung nach § 50 Abs. 2 SGB X ausschließlich bereits erbrachte Leistungen betrifft, besteht der Erstattungsanspruch (nur) in den den Tatbeständen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X entsprechenden Fällen (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Er muss von der Behörde entsprechend § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen geltend gemacht werden, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ein Fall entsprechend des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorliegt. Nach dieser Regelung kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Auf die vorliegende Konstellation entsprechend angewandt kann sich der Kläger dann nicht auf Vertrauen berufen, wenn er wusste oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass ihm die durch Überweisung zugeflossenen, vom Bewilligungsbescheid nicht gedeckten Leistungen nicht zustanden.
Das ist hier der Fall. Zwar war das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung von dem Bemühen gekennzeichnet, sich als hinsichtlich der Tätigkeit der Beklagten gutgläubig und hinsichtlich der eigenen finanziellen Verhältnisse weitgehend ahnungslos darzustellen. Der Senat vermag ihm dies jedoch nicht abzunehmen. Soweit der Kläger auf wiederholte Vorhalte und Nachfragen hin immer wieder, geradezu gebetsmühlenartig, äußerte, es habe für ihn keine Veranlassung gegeben, an der Korrektheit der Überweisungen zu zweifeln, er habe sich auf die Tätigkeit der Beklagten verlassen, handelt es sich um eine bloße Schutzbehauptung, mit der der Kläger der Auseinandersetzung mit der konkret gestellten Frage auszuweichen suchte. Insbesondere kann ihm nicht abgenommen werden, die Entwicklung seines Girokontos könne ihm verborgen geblieben seien. Nach aller Lebenserfahrung wird jede Person, deren finanziellen Mittel begrenzt sind, bemüht sein, Einnahmen und Ausgaben in einer vertretbaren Relation zu halten. Die Kontrolle dessen schließt die Überwachung der Kontobewegungen durch Beschaffung von Kontoauszügen ein. Dass sich der Kläger in dieser Weise auf dem Laufendem gehalten hat, zeigt sich anhand der von ihm eingereichten Kontoauszüge, die ganz überwiegend nährungsweise monatlich als Onlineausdruck gefertigt wurden. Als Teilnehmer am Online-Banking war ihm zudem die Abfrage des Kontostandes jederzeit möglich. Die erste maßnahmebezogene Überweisung ging beim Kläger am 7. November 2003 ein. Vor der Wertstellung des betreffenden Betrages (1.644,89 EUR) wies das Konto ein Guthaben in Höhe von circa 400,00 EUR auf. Obwohl der Kläger am 28. November 2003 für einen Betrag in Höhe von 1.888,00 EUR einen Rechner (Laptop) erwarb und neben den Aufwendungen der normalen Lebensführung am 7. Januar 2004 anlässlich eines Aufenthalts in Österreich Kosten in Höhe von circa 720,00 EUR entstanden, wies das Konto des Klägers nach Eingang der letzten maßnahmebezogenen Zahlung am 10. Mai 2004 ein Guthaben in Höhe von circa 4.200,00 EUR auf. Dem Kläger, der als Empfänger von lediglich auf Bedarfsdeckung ausgerichteten Sozialleistungen mit einer derartigen Entwicklung seines Kontostandes unter keinen Umständen hätte rechnen dürfen, musste dieser Umstand gerade zu ins Auge stechen. Insoweit hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob ihm aufgefallen sei, dass am Ende der Maßnahme vergleichsweise viel Geld auf seinem Konto gewesen sei, geantwortet: "Das ist mir aufgefallen".
Obwohl damit dem Kläger, zur Überzeugung des Senats bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, nach eigenen Angaben jedenfalls am Ende der absolvierten Maßnahme, der ungewöhnliche hohe Kontostand aufgefallen ist, fehlt es bezeichnenderweise an jeglicher Darlegung des Klägers, welche Überlegungen er im Anschluss daran angestellt hat. Berücksichtigt man, dass die dem Kläger erteilten Bewilligungsbescheide auch hinsichtlich anderer Leistungen als des Unterhaltsgeldes den zu erwartenden Zahlungsverlauf beschreiben, wäre es dem Kläger, der nach seiner Ausbildung und seinen für den Senat erkennbaren intellektuellen Möglichkeiten insoweit keinen Einschränkungen unterliegt, ein leichtes gewesen, den einzig in Betracht kommenden Schluss aus den ihm vorliegenden Fakten zu ziehen. Die sodann unausweichliche Erkenntnis, höhere als die zustehenden Leistungen erhalten zu haben, hätte den in einem Sozialrechtsverhältnis zur Beklagten stehenden Kläger zumindest veranlassen müssen, mit dieser zur weiteren Klärung der Angelegenheit Kontakt aufzunehmen. Wäre so verfahren worden, wäre eine Erstattungsforderung der Bundesagentur bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erfolgt. Da der überzahlte Betrag in Gestalt des hohen Guthabens auf dem Girokonto noch unangetastet vorhanden war, hätten sich für den Kläger weitere Unannehmlichkeiten nicht ergeben. Dies mag nun, da der überzahlte Betrag wohl verbraucht ist, vom Kläger anders empfunden werden. Der Senat ist aber, wie dargelegt, in Gesamtsicht der beschriebenen Vorgänge zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger die Überzahlung früh erkannt, jedoch in der Hoffnung, er werde das Geld mangels Kenntnis der Beklagten behalten können, nicht offenbart hat. Vertrauensschutz scheidet damit aus.
Ermessen hatte die Beklagte bei der Entscheidung über die Erstattung nicht auszuüben. Nach § 330 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) als Sonderregelung für die Aufhebung von Verwaltungsakten ist, wenn die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Zwar wird vorliegend, da eine Leistungserbringung ohne Verwaltungsakt erfolgte, kein Verwaltungsakt zurückgenommen. Da § 50 Abs. 2 SGB X für diese Konstellation aber die entsprechende Anwendung von §§ 45 und 48 SGB X anordnet, ist § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift auch den Fall der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gezahlten Leistungen erfasst, wenn für diese Erstattung der entsprechend anzuwendende § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Oktober 2006 – L 13 AL 3133/05 – JURIS-Dokument Rdnr. 21). Es gibt keinen Grund, Empfänger von Leistungen ohne gesicherte Rechtsposi-tion anders zu behandeln als Empfänger von Leistungen aufgrund Verwaltungsaktes. Damit ist auch kein Raum für die Berücksichtigung eines etwaigen Verschuldens der Beklagten an der Überzahlung (zur Berücksichtigung eines Behördenverschuldens im Rahmen des § 45 SGB X: BSG, Beschluss vom 21. Juli 2001 – B 7 AL 18/01 B – JURIS-Dokument Rdnr. 15).
Die in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X normierte einjährige Handlungsfrist wurde von der Beklagten eingehalten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beginnt die Jahresfrist erst dann zu laufen, wenn die Behörde entweder objektiv eine sichere Kenntnis der Tatsachen hatte, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, oder subjektiv von der Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr vorliegenden Informationen überzeugt war; dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – BSGE 77, 295 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27 = JURIS-Dokument, jeweils Leitsatz 1).
Ohne dass hier die Frage vertieft werden müsste, welchen Einfluss die im Widerspruchsverfahren nachgeholte Anhörung des Klägers auf den Fristlauf haben könnte, vermag der Senat schon nicht zu der Einschätzung zu gelangen, die Beklagte habe vor dem 11. April 2008 eine ausreichende Kenntnis der zur Erstattungsforderung führenden Tatsachen gehabt. Allein der Umstand, dass der Verwaltungsakte Schriftstücke beigefügt wurden, die im Rahmen einer fachkundigen Wertung geeignet gewesen wären, das Vorliegen der Überzahlungen aufzudecken, reicht nicht aus. Hinzutreten muss vielmehr, dass der für die Feststellung von Erstattungsansprüchen zuständige Referent, zumindest aber der mit der Vorbereitung einer entsprechenden Entscheidung betraute Sachbearbeiter (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 – BSGE 77, 295 [298] = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27 S. 92 = JURIS-Dokument RdNr. 28), von den maßgebenden Umständen Kenntnis erlangt. Davon kann aber für einen Zeitpunkt vor dem 11. April 2008 nicht ausgegangen werden. Auch die von der Klägerseite angesprochenen Verfügung vom 22. Februar 2006, mit der angeordnet wird, dass die Verwaltungsakte bis 31. Dezember 2013 nicht vernichtet werden soll, gibt keinen Hinweis auf eine etwaige Kenntnis eines zuständigen Amtswalters von der Überzahlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Dr. Scheer Höhl Richterin am Landessozialgericht Atanassov ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert
Dr. Scheer
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