L 6 KR 769/08

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 3 KR 1440/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 769/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 89/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. Mai 2008 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. Die Beigeladenen zu 1. und 3. haben ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird unter gleichzeitiger Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 2. in der Zeit vom 1. Oktober 1994 bis 30. April 2002 sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

Beginnend mit dem 1. Oktober 1994 schloss die Klägerin mit dem Beigeladenen zu 2. auf unbefristete Zeit einen Geschäftsführervertrag. Als Gehalt wurden 5.500,00 DM monatlich vereinbart. Hinsichtlich der Aufgaben des Geschäftsführers wurde auf das Gesetz, die Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer T., die Beschlüsse des Vorstandes und seines Präsidiums und die Anweisung des Präsidenten oder die seines Stellvertreters verwiesen. Ein Weisungsrecht gegenüber den übrigen Mitarbeitern der Geschäftsstelle der Rechtsanwaltskammer wurde eingeräumt. Bankvollmacht wurde erteilt. Es bestand Einigkeit darüber, dass der Beigeladene zu 2. neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer als Rechtsanwalt freiberuflich tätig sein durfte. Es war ihm erlaubt, die Zeiten seiner Tätigkeit in der Geschäftsstelle der Rechtsanwaltskammer in Abstimmung mit dem Präsidenten selbst zu bestimmen. Insbesondere war es ihm gestattet, seine Tätigkeit in der Geschäftsstelle jederzeit zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen oder Besprechungen mit seinen Mandanten zu unterbrechen. Am 24. Oktober 1996 wurde der Vertrag aufgrund der eingetretenen Erhöhung der Zahl der Mitlgieder dahin gehend geändert, dass der Geschäftsführer seine gesamte Arbeitskraft mit mindestens 40 Stunden pro Woche der Rechtsanwaltskammer zu Verfügung zu stellen habe. Die Entschädigung für seine Tätigkeit wurde ab dem 1. Januar 1997 auf 10.000,00 DM monatlich festgesetzt. Beide Seiten gingen bei Vertragsschluss davon aus, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht zu entrichten sind, da der Geschäftsführer von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit, privat für den Fall der Krankheit und der Pflege versichert sei und Arbeitslosenversicherung nicht anfalle.

Nach Ausfüllung eines Fragebogens zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für arbeitnehmerähnliche Selbstständige durch den Beigeladenen zu 2. erließ die Beklagte, adressiert an diesen persönlich unter seiner Privatanschrift, am 11. Juni 1999 einen Bescheid des Inhalts, dass die Vermutung des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) für die Tätigkeit bei den genannten Auftraggebern widerlegt sei. Es liege eine selbständige Tätigkeit vor. Am 4. April 2002 beantragte der Beigeladene zu 2., sein Beschäftigungsverhältnis versicherungsrechtlich zu beurteilen. In dem Fragebogen gab er an, dass die Klägerin durch den Präsidenten der Rechtsanwaltskammer nach außen vertreten und er selbst nicht nach außen tätig werde. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 9. April 2002 das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses fest. Es fehle ein die selbständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko. In der Kranken- und Pflegeversicherung bestehe Versicherungsfreiheit aufgrund des Überschreitens der jeweiligen Jahresarbeitsentgeltgrenzen. In der Rentenversicherungspflicht sei eine Befreiung mit Bescheid vom 25. Juni 1992 durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erteilt worden. Mit beiliegendem Formular sei bei der Arbeitslosenversicherung zu beantragen, dass der vorstehenden Feststellung zugestimmt werde, um die Beiträge nachentrichten zu können. Dieser Bescheid wurde der Klägerin mit gesondertem Anschreiben durch die Beklagte am 27. August 2002 zugeleitet. Daraufhin legte sie am 5. September 2009 Widerspruch ein. Er wurde mit Bescheid vom 29. April 2003 zurückgewiesen. Der Beigeladene zu 2. sei an die Weisungen des Vorstandes und des Präsidiums sowie die Anweisungen des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer gebunden gewesen. Die Einnahmen aus der Tätigkeit seien im Einkommenssteuerbescheid als Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit ausgewiesen worden. Zudem sei die Vergütung von Fahrtkosten, Übernachtungskosten sowie Tagegeld bei Dienstreisen, ein Anspruch auf Weiterzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit, ein Urlaubsanspruch von 20 Werktagen und die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld vereinbart worden. Daher spreche das Gesamtgepräge der Tätigkeit für das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. Mai 2003 Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 27. Mai 2008 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beigeladene zu 2. während der gesamten Dauer seiner Tätigkeit als Geschäftsführer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Er sei funktionsgerecht in den Verwaltungsapparat eingegliedert gewesen. Nach den vertraglichen Vereinbarungen hätten zwar keine Festlegungen für Zeit, Ort und Art der Arbeitsausführung vorgelegen. Derartige Vereinbarungen seien aber bei der Art der Tätigkeit auch nicht erforderlich. Wesentliches Element der Tätigkeit sei es gewesen, Entscheidungsvorschläge, zum Beispiel im Rahmen der Überprüfung der zugelassenen Rechtsanwälte, zu unterbreiten. Die Entscheidungen selbst seien nicht vom Geschäftsführer, sondern vom Präsidenten der Kammer unterzeichnet worden. Ein unternehmerisches Risiko habe der Beigeladene zu 2. nicht getragen. Die Zahlung gleichbleibender Vergütungen und Leistungen im Fall der Arbeitsunfähigkeit seien vereinbart worden. Zusätzlich habe die Klägerin Fahrt- und Übernachtungskosten sowie Tagegelder gezahlt. Derartiges sei für eine selbständige Erwerbstätigkeit untypisch. Die daneben ausgeübte Tätigkeit als Rechtsanwalt sei für die versicherungsrechtliche Beurteilung des konkreten Arbeitsverhältnisses ohne Belang. Die versicherungsrechtliche Beurteilung vom 11. Juni 1999 stehe dem nicht entgegen. Denn dieser Bescheid sei der Klägerin nicht zugegangen und habe daher nur Wirkung gegenüber dem Beigeladenen zu 2. entfaltet. Mit Beschluss vom 16. März 2009 hat das SG den Tenor des Urteils dahin gehend ergänzt, dass die Klägerin die notwenigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. zu tragen hat.

Gegen das ihr am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Juli 2008 Berufung eingelegt. Der Beigeladene zu 2. sei nicht weisungsgebunden gewesen, da er seine Tätigkeit nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung selbst habe bestimmen können. Er sei auch nicht abhängig im Sinne einer dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess beschäftigt gewesen. Die Unabhängigkeit von Weisungen und damit die freie Gestaltung der Tätigkeit werde nicht dadurch infrage gestellt, dass der Beigeladene zu 2. in gewisser Weise in feste Abläufe eingebunden gewesen sei. Bestimmte Bedingungen für die Ausführung einer Tätigkeit würden sich bereits aus der Natur der Sache ergeben und nicht zur Annahme einer Weisungsgebundenheit führen. Der Beigeladene zu 2. habe über weitreichende Handlungsmöglichkeiten wie ein leitender Angestellter verfügt. Die Geschäftsstelle sei von ihm vollkommen in eigener Regie geführt worden. Zudem sei es ihm gestattet gewesen, eine Vielzahl von Mandaten als Rechtsanwalt zu betreuen. Die Bindung an Entscheidungen der Gremien der Rechtsanwaltskammer führe nicht zur Annahme einer nichtselbständigen Tätigkeit. Auch ein GmbH-Geschäftsführer sei zum Beispiel an die Satzung der Gesellschaft gebunden. Im Vordergrund stehe hier die freie Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft. Beispielhaft sei dafür, dass der Beigeladene zu 2. jederzeit als Anwalt habe tätig werden können. Aus den Arbeitsverträgen ergebe sich deutlich die Absicht, den Beigeladenen zu 2. in der Ausübung seines Rechtsanwaltsberufes nicht zu beeinträchtigen. Eine solche Regelung sei in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis schwer denkbar. Außerdem sei außer Acht gelassen worden, dass der Beigeladene zu 2. für einen Zeitraum von 16 Jahren unkündbar gewesen sei. Dies sei ein erhebliches Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit. Zu beachten sei ferner der Bescheid vom 11. Juni 1999. Es sei zwar zutreffend, dass dieser Bescheid ihr nicht zugestellt worden sei. Allerdings sei davon auszugehen, dass sie von diesem Bescheid naturgemäß über den Beigeladenen zu 2. Kenntnis erlangt habe. Eine Pflicht des Beigeladenen zu 2. zur Vorlage ergebe sich aus dem seinerzeitigen Geschäftsführervertrag. Jedenfalls sei aufgrund der Feststellungen dieses Bescheides Vertrauensschutz zu gewähren. Wenn die Einschätzung hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung Jahre später revidiert wäre, könne dies nicht zu ihren Lasten gehen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. Mai 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Zur Begründung verweist sie auf die Gründe des Widerspruchsbescheides und des erstinstanzlichen Urteils.

Der Beigeladene zu 2. beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1. und 3. haben keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene zu 1. macht geltend, dass der Vergleich mit einem GmbH-Geschäftsführer untauglich sei, da nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Geschäftsführer, die weder über eine Mehrheit der Gesellschaftsanteile verfügten noch eine Tätigkeit inne hätten, abhängig beschäftigt seien.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2003, in welchem festgestellt worden ist, dass der Beigeladene zu 2. in der Zeit vom 1. Oktober 1994 bis 30. April 2002 bei der Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt war, ist rechtmäßig.

Nach § 28 h Absatz 2 SGB IV entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht. Nur im Rahmen der Betriebsprüfung entscheidet ausnahmsweise der Träger der Rentenversicherung (§ 28 p Abs 1 Satz 5 SGB IV). Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- beziehungsweise Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V); ab 1. Januar 1995 § 20 Abs 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI); § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), § 24 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) bzw. § 168 Abs1. S.1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gültig bis 31. Dezember 1997).

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV in seiner bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt sie voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Allerdings kann dies - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 21. Januar 2001 - Az.: B 12 KR 17/00 R m.w.N., nach Juris). Hierbei ist auch die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu beachten. Weicht sie jedoch von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 1981 - Az.: 12 RK 11/80 m.w.N., nach Juris).

Unter Beachtung dieser Abgrenzungsmerkmale geht der Senat nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Beigeladenen zu 2. davon aus, dass er im streitigen Zeitraum in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer T. tätig war. Die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Merkmale überwiegen deutlich. Dies ergibt sich aus den Angaben des Beigeladenen zu 2. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27. Mai 2008, im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 16. Januar 2012 und dem sonstigen Akteninhalt, insbesondere den vorliegenden Arbeitsverträgen.

Für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses spricht vor allem das Fehlen des für einen Selbständigen typischen Unternehmerrisikos in der Person des Beigeladenen zu 2. Maßgebliches Kriterium hiefür ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2001 - Az.: B 12 KR 17/00 R, zitiert nach Juris). Aufgrund der vereinbarten Zahlung eines monatlich gleichbleibenden Betrages ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation der Rechtsanwaltskammer, hatte der Beigeladene zu 2. kein eigenes Unternehmerrisiko zu tragen. Wesentlich für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung ist ferner, dass der Beigeladene zu 2. bei einem Kernbereich seiner Tätigkeit, nämlich der Überprüfung der zugelassenen Rechtsanwälte bis hin zur Entziehung von Zulassungen beziehungsweise der Entscheidung über Anträge auf Neuzulassung, nur Entscheidungsvorschläge machte und die Entscheidung im Anschluss von dem zuständigen Organ der Rechtsanwaltskammer, nämlich deren Präsidenten getroffen wurde. Auch bei der Bearbeitung von Beschwerden und Eingaben gegen die Rechtsanwälte bereitete er nur die Entscheidungsvorschläge vor, die Schreiben wurden vom Präsidenten gebilligt und unterzeichnet. In diesem Zusammenhang ist auf § 4 der Geschäftsordnung für den Vorstand der Rechtsanwaltskammer Thüringen hinzuweisen. Nach § 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung führt der Präsident der Kammer die laufenden Geschäfte und führt die Beschlüsse des Vorstandes aus. Der Präsident oder sein Stellvertreter sind ermächtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen selbständig zu entscheiden oder ein Mitglied des Vorstandes oder den Geschäftsführer mit der Erledigung zu beauftragen. Daher verhielt es sich gerade nicht so, dass der Beigeladene zu 2. seine Tätigkeit als Geschäftsführer völlig frei ausüben konnte. Vielmehr konnte der Präsident der Rechtsanwaltskammer ihm jederzeit Weisungen erteilen. Soweit dieser in einer Stellungnahme vom 14. Mai 2008 geltend gemacht hat, dass bei seinem Amtsantritt im Jahre 2001 der Beigeladene zu 2. seine Tätigkeit völlig frei ausgeübt habe und er zum Beispiel der Meinung gewesen sei, aus eigener Kompetenz entscheiden zu können, ob er bei einem Kongress der DATEV teilnehmen müsse oder nicht, spricht dies nicht gegen das gefundene Ergebnis. Zum einen wird damit nicht in Abrede gestellt, dass ein erheblicher Teil des außenwirksamen Schriftverkehrs, zum Beispiel in Zulassungsangelegenheiten vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer oder seinem Vertreter zu unterzeichnen war. "Unterzeichnen" bedeutet in diesem Zusammenhang ebenfalls Billigung des Inhalts des Schreibens beziehungsweise die Befugnis zur Abänderung. Zum anderen ist entscheidend, dass der Präsident der Rechtsanwaltskammer die Befugnis hatte, derartige Weisungen zu erteilen, wovon er im übrigen auch selbst ausging. Ob solche Weisungen in der Praxis tatsächlich erteilt werden oder nicht, ist für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ohne Belang. Die rechtliche Möglichkeit der Erteilung von Weisungen reicht aus. Diese war nach § 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer gegeben. Dies steht auch mit dem abgeschlossenen Geschäftsführervertrag aus dem Jahre 1994 beziehungsweise dem Änderungsvertrag vom 24. Oktober 1996 im Einklang. Aus Ziffer 4 des Geschäftsführervertrages ergibt sich, dass die Aufgaben des Geschäftsführers sich unter anderem aus der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer Thüringen sowie den Beschlüssen des Vorstandes und seines Präsidiums und den Anweisungen des Präsidenten oder seines Stellvertreters ergeben. Dass diese Regelung wirksam abbedungen worden wäre, ist nicht ersichtlich. Dies wäre bei der Ausübung der Aufsicht über die Rechtsanwälte nach der Bundesrechtsanwaltsordnung auch rechtlich gar nicht möglich. Für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses spricht des Weiteren, dass in dem Geschäftsführervertrag eine Lohnfortzahlung im Falle der Arbeitsunfähigkeit und ein Urlaubsanspruch in Höhe von 20 Werktagen vereinbart wurden.

Hinter diesen gewichtigen Argumenten für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung tritt zurück, dass der Beigeladene zu 2. hinsichtlich der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und der Art und Ausführung seiner Tätigkeit keinen Weisungen unterlag. Denn diese Freiheiten sind bei Diensten höherer Art üblich (vergleiche BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - Az.: B 12 KR 10/01 R, zitiert nach Juris). Vergleichbares gilt auch soweit der Beigeladene zu 2. eingeräumt hat, dass keiner seine Urlaubstage gezählt hat und es insbesondere eine förmliche Bewilligung des Urlaubes nicht gab. Gegen eine versicherungspflichtige Beschäftigung kann auch nicht angeführt werden, dass der Beigeladene zu 2. berechtigt war, trotz seiner Tätigkeit als Geschäftsführer weiterhin als Rechtsanwalt freiberuflich tätig zu sein. Dies mag zwar für eine abhängige Beschäftigung nicht die Regel sein, kann die vorliegenden Indizien aber bereits deshalb nicht entkräften, weil die freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt nichts daran ändert, dass der Beigeladene zu 2. im Rahmen seiner Geschäftsführertätigkeit bei der Klägerin abhängig beschäftigt war. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auf den Änderungsvertrag vom 24. Oktober 1996 hinzuweisen. Danach gingen die Vertragspartner davon aus, dass aufgrund der Steigerung des Verwaltungsaufwandes in der Geschäftsstelle es dem Beigeladenen zu 2. auf Dauer unmöglich sein werde, nachhaltig eine Rechtsanwaltstätigkeit neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer auszuüben. Eine Arbeitszeit von mindestens 40 Stunden pro Woche wurde als erforderlich angesehen. Die Folge war die Vereinbarung einer deutlich erhöhten Vergütung. Dass die Beteiligten sowohl in dem Geschäftsführer- als auch in dem Änderungsvertrag von der Annahme einer selbständigen Tätigkeit ausgingen, steht der Einordnung einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Es gelten insoweit die gesetzlichen Regelungen und nicht etwaige hiervon abweichende Vorstellungen der Vertragspartner.

Dem Erlass des Bescheides vom 9. April 2002 steht der Bescheid vom 11. Juni 1999 nicht entgegen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin an den Bescheid vom 11. Juni 1999, der nach den vorangegangen Ausführungen rechtswidrig ist, im Sinne des § 77 SGG gebunden gewesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Erlässt die Beklagte als Einzugsstelle einen Bescheid nach § 7 a SGB IV, so handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit mehreren Betroffenen. Nicht nur in die Rechtssphäre des Versicherten und seines Arbeitsgebers greift dieser Verwaltungsakt ein, sondern auch gegebenenfalls in diejenige der Träger der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, da damit zugleich über ihren Beitragsanspruch entschieden wird. Inhaltsadressat des Bescheides vom 11. Juni 1999 war ausschließlich der Beigeladene zu 2. Dieser war im Adressfeld unter seiner Privatanschrift genannt. Aus dem Wortlaut des Bescheides ergibt sich, dass ausschließlich gegenüber ihm eine hoheitliche Regelung getroffen werden sollte. Zugleich war jedoch auch die Klägerin von diesem Bescheid im Rechtssinne betroffen, da der Bescheid vom 11. Juni 1999 in ihre Rechte oder rechtliche geschützte Interessen eingriff. Eine Bekanntgabe ihr gegenüber ist jedoch nicht erfolgt. Gibt die Behörde einem Beteiligten den Verwaltungsakt nicht oder nicht ordnungsgemäß bekannt, hat dies zur Folge, dass er gegenüber diesem Beteiligten nicht wirksam wird. Die Bekanntgabe des Bescheides gegenüber der Klägerin konnte nicht dadurch erfolgen, dass dem Beigeladenen zu 2. als ihrem Geschäftsführer gegenüber eine ordnungsgemäße Bekanntgabe erfolgt ist. Es ist auch unerheblich, ob dieser aus dem Geschäftsführervertrag verpflichtet gewesen wäre, ihr Kenntnis zu verschaffen. Da der Beigeladene zu 2. als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Geschäftsführer der Klägerin Adressat des Verwaltungsaktes war, war es erforderlich, dass dieser der zugleich betroffenen Klägerin ausdrücklich eigenständig bekannt gegeben wurde. Dass der Beigeladene zu 2. in diesem Zusammenhang zugleich als Empfangsbevollmächtigter handelte, ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Bescheid an ihn unter seiner Privatanschrift adressiert war. Aus diesem Grund scheidet es ebenfalls aus, von einer Bekanntgabe des Bescheides in dem Sinne auszugehen, dass der Beigeladene zu 2. als Empfangsbote für die Klägerin diesen zugleich entgegen genommen hat. Zwar kann grundsätzlich ein Verwaltungsakt auch in der Weise bekannt gegeben werden, dass er seinem Adressaten über einen Empfangsboten übermittelt wird. Mit der Übermittlung an ihn gelangt die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers. Sie geht ihm im Sinne von § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge mit der Weiterleitung an den Empfänger gerechnet werden konnte (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2004 - Az.: B 3 KR 14/04 R in NJW 2005, S. 1303 - 1305). Empfangsbote ist eine Person, die vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärung bestellt worden ist oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen ist. Dazu zählen bei schriftlichen Erklärungen alle Personen, die von § 178 der Zivilprozessordnung (ZPO) erfasst sind. Nach § 178 Abs.1 Nr. 2 ZPO kann eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen auch an dort beschäftigte Personen erfolgen. Die Voraussetzungen hierfür liegen aber bereits deshalb nicht vor, weil dem Beilgeladenen zu 2. der Bescheid vom 11. Juni 1999 unter seiner Privatanschrift bekannt gegeben wurde. Lediglich bei einer Bekanntgabe eines an die Klägerin adressierten Schreibens in deren Geschäftsräumen gegenüber einem ihrer Mitarbeiter oder dem Beigeladenen zu 2. als Geschäftsführer hätte mit der Weiterleitung an den Vorstand der Rechtsanwaltskammer gerechnet werden können. Daher fehlte es im Verhältnis zur ihr an einer Bindungswirkung des Bescheides vom 11. Juni 1999 bis zum Erlass des Bescheides vom 9. April 2002. Vertrauensschutzgesichtspunkte kann sie daher nicht geltend machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Da der Beigeladene zu 2. einen eigenen Antrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entsprach es der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (Rechtsgedanke der §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Es entsprach nicht der Billigkeit gemäß §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 3. für erstattungsfähig zu erklären, da diese im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Streitwertes, die von Amts wegen auch auf die erstinstanzliche Festsetzung zu erstrecken ist (§ 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes - GKG-), beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 52 Abs. 1, 2 und § 47 Abs. 1 GKG. Danach war auf den Auffangstreitwert abzustellen. Für eine Bestimmung des Streitwertes in hiervon abweichender Höhe nach der wirtschaftlichen Bedeutung fehlen hinreichende Anhaltspunkte (vgl. BSG, Beschluss vom 5. März 2010 - Az.: B 12 R 8/09 R, zitiert nach Juris). Ein Rückgriff auf die mögliche Höhe einer Nachzahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung scheidet bereits deshalb aus, weil dies nicht unmittelbar Streitgegenstand eines auf Feststellung der Versicherungsfreiheit gerichteten Verfahrens ist.
Rechtskraft
Aus
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