L 2 AL 40/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AL 456/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 40/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. Januar 2010 wird aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gegen den Sperrzeitbescheid vom 15. Juli 2008 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte erstattet 4/5 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten in einem Vorverfahren gegen eine Sperrzeitentscheidung.

Die Klägerin stand seit dem 1. Januar 1996 in einem Beschäftigungsverhältnis als Rechtsanwältin bei der Anwaltskanzlei T. J. Mit Schreiben vom 14. Mai 2008 kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 15. Juni 2008. Am 19. Mai 2008 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitsuchend. Am 10. Juni 2008 meldete sie sich zum 16. Juni 2008 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Im "Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses beim Arbeitsgeber nach Kündigung durch den Arbeitnehmer oder Abschluss eines Aufhebungs-/Auflösungsvertrages" gab die Klägerin unter dem 27. Mai 2008 als Grund für ihre Kündigung an, ihr Arbeitgeber habe vier Überwachungskameras installiert, die das gesamte Bürogeschehen aufzeichneten. Die Videos könnten von ihrem Arbeitgeber jederzeit angesehen werden. Diese Vorgehensweise verstoße gegen ihr Persönlichkeitsrecht sowie gegen die Schweigepflicht, die sie gegenüber ihren Mandanten habe. Gegen die zunächst beabsichtigte Installation der Kameras habe sie schriftlich Widerspruch erhoben. Daraufhin habe ihr Arbeitgeber fernmündlich mitgeteilt, die Kameras dennoch zu installieren, und dies auch umgesetzt. Eine Arbeit vor "laufenden Kameras" könne sie nicht länger verantworten. Überdies könnten weitere persönliche Gründe für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nachgereicht werden. So habe ihr Arbeitgeber etwa die Beiträge an die Rentenversicherung unregelmäßig gezahlt.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin vorläufig Arbeitslosengeld und endgültig mit Änderungsbescheid vom 4. Juli 2008 für 360 Tage ab dem 16. Juni 2008 mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 20,27 EUR ab dem 8. September 2008. Zum 1. Juli 2008 nahm die Klägerin eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwältin auf. Mit Schreiben vom 9. Juli 2008 teilte Rechtsanwalt J. auf Nachfrage der Beklagten mit, die installierten Kameras zeichneten das Bürogeschehen erst nach Dienstschluss auf. Hintergrund für die Installation seien drei Einbrüche und Gelddiebstähle im Büro während des letzten Halbjahres. Die Klägerin habe allerdings geglaubt, eine Aufzeichnung des Bürogeschehens solle auch zu den Dienstzeiten erfolgen.

Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15. Juli 2008 den Eintritt einer Sperrzeit im Zeitraum vom 16. Juni 2008 bis 7. September 2008 mit und stellte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während dieser Zeit sowie die Minderung des Anspruchs um 90 Tage fest. Zur Begründung führte sie aus: Die Klägerin habe das Beschäftigungsverhältnis durch eigene Kündigung selbst gelöst. Sie habe voraussehen müssen, dass sie dadurch arbeitslos werde. Die von der Klägerin dargestellten Gründe für ihre Kündigung hätten sich bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht bestätigt. Nach Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Versichertengemeinschaft könne sich die Klägerin unter Berücksichtigung der vorhandenen Unterlagen nicht auf einen wichtigen Grund für ihre Kündigung berufen.

Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 24. Juli 2008 namens und in Vollmacht der Klägerin Widerspruch und beantragte Akteneinsicht. Nach Einsicht in die Verwaltungsvorgänge der Beklagten führte er zur Begründung des Widerspruchs der Klägerin aus: Die von der Beklagten zugrunde gelegte Stellungnahme des vormaligen Arbeitsgebers der Klägerin gebe den Sachverhalt unzutreffend wieder. Es habe lediglich zwei Einbrüche gegeben. Bereits zuvor habe Herr J., der überwiegend in einem zweiten Büro in Z. arbeite, der Klägerin gegenüber abfällig bemerkt, er müsse das Büro in W. stärker überwachen. Die Klägerin habe davon ausgehen müssen, dass es sich um eine Überwachungs- und nicht um eine Schutzeinrichtung handele, da das Arbeitsverhältnis auch im Übrigen nicht durch vertrauensbildende Maßnahmen gestärkt worden sei. Sämtliche angestellten Rechtsanwälte hätten Herrn J. mit der Widerspruchsbegründung beigefügtem Schreiben vom 11. April 2008 ihre Bedenken gegen die Installation der Kameras mitgeteilt. Herr J. habe der Klägerin daraufhin fernmündlich mitgeteilt, er lasse sich nichts vorschreiben und werde ihr zeigen, wie sie die Kameras ein- und ausschalten könne. Dies sei in der Folgezeit aber nicht geschehen. Vielmehr habe Herr J. angemerkt, die Aufzeichnungen auch außerhalb des Büros verfolgen zu können. Er, der Bevollmächtigte der Klägerin, sei zuvor ebenso angestellter Rechtsanwalt bei Herrn J. gewesen und habe dabei in Erfahrung gebracht, dass dieser tatsächlich auf die Aufzeichnungen jederzeit auch außerhalb des Büros habe zugreifen können.

Mit Bescheid vom 16. September 2008 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin ab, indem sie ihren Bescheid vom 15. Juli 2008 aufhob. Zugleich erklärte sie die der Klägerin im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten als nicht erstattungsfähig, da diese nicht notwendig gewesen seien.

Gegen diese Kostenentscheidung erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. September 2008 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Zur Vorbereitung der Widerspruchsbegründung sei eine Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge der Beklagten erforderlich gewesen. Diese könne regelmäßig nur über einen Bevollmächtigten erreicht werden. Sie habe ihren Widerspruch erst nach Kenntnisnahme des Inhalts der Stellungnahme ihres vormaligen Arbeitgebers weiter begründen können. Überdies komme es im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht darauf an, ob der Rechtsschutzsuchende selbst rechtskundig sei und den Widerspruch deshalb auch selbst habe begründen können.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab, indem sie die Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach für erstattungsfähig erklärte. Im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte Erklärung, dass die Zuziehung ihres Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen sei, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Bei Widerspruchsführern, die – wie die Klägerin – die Befähigung zum Richteramt besäßen, sei die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nur in eng begrenzten Ausnahmefällen notwendig. Für ihr Akteneinsichtsgesuch habe sich die Klägerin keines Rechtsanwalts bedienen müssen. Das Recht des bevollmächtigten Rechtsanwalts auf Akteneinsicht leite sich vielmehr aus dem eigenen Recht des von einer behördlichen Entscheidung Betroffenen ab. Anders als einem Rechtsanwalt werde dem Betroffenen eine Einsichtnahme in die Verwaltungsakte lediglich unter behördlicher oder gerichtlicher Aufsicht und nicht durch Übersendung der Akte gewährt. Allein die Aussicht, sich einen persönlichen Behördengang zu ersparen, rechtfertige nicht die Zuziehung eines Bevollmächtigten. Der Betroffene könne stattdessen die Erstattung eventuell durch die Akteneinsichtnahme entstandener Fahrtkosten beantragen. Die Einholung einer zweiten fachkundigen Meinung durch die Klägerin sei auch nicht durch die Schwierigkeit der Angelegenheit geboten gewesen, um den Widerspruch in dem erforderlichen Umfang begründen zu können. Die Klägerin habe sich lediglich durch die Einsichtnahme in die Verwaltungsakte Kenntnis darüber verschaffen müssen, ob ihr ehemaliger Arbeitgeber andere Tatsachen als sie selbst mitgeteilt habe. Zur Begründung ihres Widerspruchs habe die Klägerin Erwägungen und Beobachtungen wiedergegeben, die sie selbst vor der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses angestellt habe. Die lediglich eine halbe Seite umfassende Stellungnahme ihres Arbeitgebers habe gerade keine neuen überraschenden Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, welche die Klägerin nur mit einem weiteren Beistand habe lösen können. Soweit ihr Bevollmächtigter als ehemaliger Angestellter ihres früheren Arbeitgebers gleichartige Beobachtungen gemacht habe, hätte die rechtskundige Klägerin ihn als Zeugen in das Rechtsbehelfsverfahren einführen können. Außerdem habe die Klägerin auf den rechtskundigen Beistand ihres späteren Bevollmächtigten bereits im Zusammenhang mit der Kündigung ihres Beschäftigtenverhältnisses zurückgreifen können. Hiervon ausgehend sei es sogar einem Laien zuzumuten gewesen, im Rechtsbehelfsverfahren die Umstände der unter rechtskundigem Beistand vor der Kündigung geführten Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber und seine eigenen Beobachtungen allein ohne Zuziehung eines Rechtsanwaltes mitzuteilen.

Am 19. November 2008 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Halle Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 erhoben und die Zahlung der angefallenen Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 309,40 EUR beantragt. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen: Es habe auch deshalb Anlass für die Zuziehung eines Bevollmächtigten bestanden, da die Beklagte gegenüber ihrem Bevollmächtigten nicht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt habe, obwohl dieser aus den gleichen Gründen wie sie das Arbeitsverhältnis mit ihrem ehemaligem Arbeitgeber gekündigt habe. Mithin habe sie davon ausgehen müssen, dass die Beklagte entweder ihren Fall ungerechtfertigt anders behandelt habe oder sich im Zeitpunkt der Sperrzeitentscheidung noch nicht überschaubare Rechtsprobleme gestellt hätten. Außerdem habe sie die sie selbst betreffende Angelegenheit nicht mit der gebotenen Objektivität wahrnehmen können, da sie habe damit rechnen müssen, dass die Sperrzeitentscheidung der Beklagten auf einer unvollständigen oder sonst unsachlichen Äußerung ihres ehemaligen Arbeitgebers beruhe.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Mit Urteil vom 25. Januar 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Klägerin im Vorverfahren sei nicht notwendig gewesen: Die Notwendigkeit der Zuziehung beurteile sich nicht nach objektiven Kriterien, sondern danach, ob es ein verständiger Beteiligter unter Berücksichtigung seiner persönlichen Sach- und Rechtskunde im Zeitpunkt der Beauftragung seines Bevollmächtigten für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden. Hiervon ausgehend habe es die Klägerin nicht für erforderlich halten dürfen, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen. Sie verfüge als Rechtsanwältin über die gleiche Ausbildung sowie die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Es könne unterstellt werden, dass die seit 1996 als Rechtsanwältin tätige Klägerin in der Lage sei, ein Widerspruchsverfahren in einer Sperrzeitangelegenheit durchzuführen und in diesem Zusammenhang auch Einsicht in eine Verwaltungsakte nehmen könne. Das Akteneinsichtsrecht stehe nicht nur einem dritten Bevollmächtigten zu. Vielmehr habe jeder Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Verwaltungsakten. Die in Rede stehende Angelegenheit habe sich auch nicht als so umfangreich oder außergewöhnlich schwierig dargestellt, dass es der Beauftragung eines weiteren Rechtsanwaltes bedurft habe. Die Klägerin habe die maßgeblichen Tatsachen allein vortragen können.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin vom 1. März 2010 hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 25. Mai 2011 zugelassen. In der Sache wiederholt die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor: Ein verständiger Bürger, der wie im vorliegenden Fall nach Angabe eines wichtigen Grundes für die Eigenkündigung eines Arbeitsverhältnisses einen Sperrzeitbescheid erhalte, hätte sich angesichts des Inhalts des Bescheides vom 15. Juli 2008 der Hilfe eines Rechtsanwalts bedient. Einer solchen Hilfe habe es bedurft, um gegenüber der Beklagten umfassend darlegen zu können, weshalb eine Kameraüberwachung einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und aus diesem Grund einen wichtigen Grund für die Lösung des Arbeitsverhältnisses darstelle. Unter Umständen wäre es auch auf die Auswertung arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung angekommen. Auf die subjektive Sicht der Klägerin als Rechtsanwältin sei dabei nicht abzustellen. Ein rechtsunkundiger Büroangestellter hätte sich in der Situation, in der sie sich befunden habe, zur Wahrung seiner Interessen eines Rechtsanwaltes bedient, da es nicht ersichtlich gewesen sei, auf welche rechtlichen Erwägungen die Beklagte ihre Sperrzeitentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Vorbringens des Betroffenen gestützt habe. Es sei auch nach einer Akteneinsicht durch den Betroffenen nicht erkennbar gewesen, dass lediglich eine klarstellende Sachverhaltsdarstellung für eine Abhilfeentscheidung ausreichend sein könne.

Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hatte, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. Januar 2010 dahingehend abzuändern, dass der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 hinsichtlich der Kostenentscheidung abgeändert wird und die Beklagte verurteilt wird, 309,40 EUR zu zahlen, beantragt die Klägerin nach einer teilweisen Berufungsrücknahme nunmehr sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. Januar 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 zu verpflichten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gegen den Sperrzeitbescheid vom 15. Juli 2008 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt im Wesentlichen vor: Im Fall der Klägerin habe es sich nicht um eine komplexe oder neue Rechtsmaterie gehandelt. Entscheidungserheblich sei lediglich die Frage gewesen, ob der Klägerin ein wichtiger Grund für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zur Seite gestanden habe. Die Angaben hierzu befänden sich in der Sphäre der Klägerin, die als rechtskundige Bürgerin den Widerspruch damit ohne Weiteres selbst hätte erheben und begründen können. Insofern verfüge sie über ausreichende Selbsthilfemöglichkeiten, zumal nicht ersichtlich sei, weshalb die Klägerin die in ihrer Sphäre liegenden Tatsachen nicht habe allein vortragen können. Überdies habe die Klägerin nach eigener Akteneinsichtnahme auch die Möglichkeit gehabt, ihren Bevollmächtigten als Zeuge zu benennen oder seine schriftliche Aussage zu den Akten zu reichen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Nachdem die Berufungsklägerin ihre Berufung mit Schriftsatz vom 24. Juli 2012 insoweit zurückgenommen hat, als sie auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der für das in Rede stehende Widerspruchsverfahren aufgewendeten Rechtsanwaltskosten begehrt hat, hatte der Senat ausschließlich über die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch die Klägerin zu entscheiden.

Mit dem verbliebenen Streitgegenstand hat die Berufung Erfolg. Sie ist insoweit zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2008 ist, soweit er streitgegenständlich ist, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Erstattung der ihr im Vorverfahren gegen die Sperrzeitentscheidung der Beklagten vom 15. Juli 2008 entstandenen Rechtsanwaltskosten. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Dies ist hier der Fall.

Die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer im Zeitpunkt der Beauftragung seines Bevollmächtigten es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden. Dies ist der Fall, wenn schwierige Sach- oder Rechtsfragen eine Rolle spielen und deshalb ein Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers sich vernünftigerweise eines Rechtsanwalts bedient (BSG, Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 78/04 R, zitiert nach Juris). Ebenso wie im Falle der Selbstvertretung eines Rechtsanwalts darf entgegen der Ansicht des Sozialgerichts im vorliegenden Fall der Beauftragung eines Rechtsanwalts durch einen anderen Rechtsanwalt ein Gebührenanspruch nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden, dieser verfüge allein aufgrund seines beruflichen Hintergrundes oder seines Fachwissens und der Vertrautheit mit den einschlägigen Verwaltungsabläufen ohne Weiteres über die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendige Rechts- und Sachkenntnis (für den Fall der Selbstvertretung eines Rechtsanwalts: BSG, Urteil vom 20. November 2001, B 1 KR 21/00, zitiert nach Juris). Bei der Entscheidung, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, bleiben eigene Rechtskenntnisse unberücksichtigt (für den Fall der Selbstvertretung eines Rechtsanwalts: BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 42/00 R, zitiert nach Juris). Anknüpfungspunkt kann nur die objektive Schwierigkeit der Rechtssache sein, die darüber entscheidet, welche Anforderungen im konkreten Fall an eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung gestellt werden. Es kommt darauf an, ob vom Standpunkt einer vernünftigen Person ohne spezielle Rechtskenntnisse in der gegebenen Konstellation die Zuziehung eines Rechtsbeistandes geboten gewesen wäre. Dabei ist nicht die subjektive Sicht des Widerspruchsführers maßgebend, sondern die Frage, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte (BSG a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze war es für die Klägerin nicht zumutbar, ihre Rechte gegenüber der Beklagten in dem hier in Rede stehenden Widerspruchsverfahren ohne rechtskundigen Beistand zu verfolgen. Dabei war die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht bereits deshalb notwendig, um der Klägerin Einsicht in die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zu verschaffen. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist, wobei die Akteneinsicht nach Abs. 4 Satz 1 der vorgenannten Vorschrift grundsätzlich bei der Behörde erfolgt, die die Akten führt. Dieses Akteneinsichtsrecht besteht nach dem unzweifelhaften Wortlaut der Norm nicht nur für anwaltlich vertretene Beteiligte.

Die Angelegenheit bot aus der Sicht eines verständigen Bürgers in der Situation der Klägerin Schwierigkeiten sowohl tatsächlicher als auch rechtlicher Art, die ein rechtsunkundiger Widerspruchsführer regelmäßig zum Anlass für die Zuziehung eines Rechtsanwaltes genommen hätte, um eine Korrektur der Entscheidung der Beklagten herbeizuführen. Die Beklagte hat in der in Rede stehenden Sperrzeitentscheidung lediglich mitgeteilt, die Darstellung der Klägerin habe sich bei der Aufklärung des Sachverhaltes nicht bestätigt. Sie hat nicht offengelegt, welche Maßnahmen sie zur Sachverhaltsaufklärung ergriffen hat. Insbesondere hat die Beklagte zur Begründung ihrer Entscheidung nicht dargelegt, dass sie eine Stellungnahme des früheren Arbeitgebers der Klägerin eingeholt und dessen abweichende Sachverhaltsdarstellung zugrunde gelegt hat. Für einen verständigen rechtsunkundigen Bürger in der Situation der Klägerin war damit nicht erkennbar, weshalb die Beklagte ihrer Entscheidung einen anderen als den von der Klägerin in dem Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bereits geschilderten Sachverhalt zugrunde gelegt und welche tatsächlichen als auch rechtlichen Schlussfolgerungen sie aus dem von ihr berücksichtigten Sachverhalt gezogen hat. Es war nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob es zur Herbeiführung einer Abhilfeentscheidung nur der ergänzenden Mitteilung tatsächlicher Umstände oder einer Richtigstellung der – der Klägerin unbekannten – Angaben des vormaligen Arbeitgebers bedurft hätte. Vielmehr stellte sich aus Sicht eines verständigen rechtsunkundigen Widerspruchsführers die mit einem erhöhten Prozessrisiko verbundene Problematik eines streitigen Sachverhalts. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte in Bezug auf den späteren Bevollmächtigten der Klägerin eine andere Entscheidung getroffen hat, obwohl dieser ebenso bei Rechtsanwalt J. angestellt gewesen ist und dieses Arbeitsverhältnis aus den gleichen Gründen wie die Klägerin gekündigt hat. Die Klägerin hat vorgetragen, die sie betreffende Sperrzeitentscheidung vor allem vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehen zu können. Aus Sicht eines verständigen Bürgers hat es daher nahe gelegen, sich Rechtsrat darüber einzuholen, welche rechtlichen Gründe eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen und welche Verteidigungsmöglichkeiten im Falle eines streitigen Sachverhalts ergriffen werden können. Zudem ist die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit aufgrund einer Eigenkündigung regelmäßig mit rechtlich schwierigen Fragen verbunden. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als Grund für die erfolgte Eigenkündigung der Klägerin eine Installation von Überwachungskameras in den Büroräumen der Kanzlei gewesen ist, in welcher die Klägerin als Angestellte tätig gewesen ist. Insoweit hat sich für einen rechtsunkundigen Dritten in der Lage der Klägerin auch deshalb aufgedrängt, sich eines Rechtsanwalts zu bedienen, um klären zu lassen, inwieweit vor der Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Ergreifung arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin zumutbar gewesen wäre. Ein verständiger Bürger hätte in dieser Situation davon ausgehen dürfen, dass es unter Umständen zur Darlegung eines wichtigen Grundes für die Kündigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses auf die Kenntnis der einschlägigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und die Darlegung eines rechtserheblichen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht ankommt.

Mit den vorstehenden Gesichtspunkten sind Fragen angesprochen, die im maßgebenden Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten schwierige Fragen sowohl im tatsächlichen als auch im rechtlichen Bereich aufgeworfen haben und deren Beantwortung für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung von einem rechtsunkundigen Bürger – auch mit dem Bildungsstand der Klägerin – nicht ohne anwaltlichen Beistand erwartet werden können. Dabei ist rechtlich unbeachtlich, dass die Klägerin – wie ausgeführt – auch ohne Rechtsanwalt hätte Einsicht in die Verwaltungsvorgänge nehmen und auf diese Weise Kenntnis vom Inhalt der eingeholten Stellungnahme ihres ehemaligen Arbeitgebers erlangen können. In Anbetracht der sich im vorliegenden Fall für einen verständigen Bürger bei Kenntnisnahme des Inhalts und der Begründung der Sperrzeitentscheidung stellenden komplexen Fragen entspricht es weder der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Betreffende zunächst versucht hätte, ohne anwaltliche Hilfe Akteneinsicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zu nehmen, noch ist dies für den Betreffenden in dieser Situation zumutbar, so zu verfahren. Darauf, dass der Bevollmächtigte der Klägerin sich in der Widerspruchsbegründung ausschließlich auf die Mitteilung von Tatsachen beschränkt hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Maßgebend ist insoweit allein die Sicht eines verständigen rechtsunkundigen Bürgers im Zeitpunkt der Beauftragten des Bevollmächtigten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit den §§ 183 Abs. 1 Satz 1, 193 Abs. 4 SGG und spiegelt den Ausgang des Verfahrens unter Berücksichtigung der teilweisen Berufungsrücknahme wider.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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