L 11 AS 585/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 505/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 585/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 131/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht wegen fehlender Entscheidung in der Sache.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.04.2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Nürnberg zurückverwiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 sowie die Zahlung eines Honorars in Höhe von 29.647 EUR für eine Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit.

Der 1959 geborene Kläger bezieht vom Beklagten Alg II. In der Zeit vom 22.01.2009 bis 22.02.2010 war er im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung beim X, B-Straße, A-Stadt, als "Programmierer etc." beschäftigt.

Mit Bescheid vom 28.09.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger und dessen Ehefrau
Alg II für die Zeit vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 jeweils monatlich 323 EUR Regelleistung und 257 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung. Nach dem Auszug seiner Frau wurden dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 09.11.2010 Leistungen für einen Alleistehenden für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 iHv monatlich 359 EUR Regelleistung und 514 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt. Hinsichtlich der Höhe der bewilligten Unterkunftskosten legte der Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte gewährte daraufhin mit Änderungsbescheid vom 06.12.2010 für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 monatlich 535 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung. Dagegen legte der Kläger am 20.12.2010 erneut Widerspruch ein und bemängelte die fehlende Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Hinblick auf seine Neurodermitis- und Diabetes-Erkrankung. Zudem seien höhere Unterkunftskosten zu gewähren. Im Hinblick auf die seinerzeitige Beschäftigung bei der X als Datenbankprogrammierer, Webdesigner und IT-Berater sei ihm noch ein Restlohn von 29.649 EUR zu zahlen. Die Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2011 - W801/11 und W802/11 - zurück. Unter Berücksichtigung der ergangenen Änderungsbescheide seien die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung vollständig übernommen worden. Die dagegen beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage (zuletzt Az: S 8 AS 126/11) hat der Kläger im Berufungsverfahren (Az: L 11 AS 858/11) beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) im Erörterungstermin am 29.01.2013 für erledigt erklärt.

Mit Änderungsbescheid vom 01.03.2011 änderte der Beklagte für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 erneut die Leistungshöhe in Bezug auf die Kosten für Unterkunft und Heizung ab und bewilligte diesbezüglich monatliche 548 EUR. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte neben einem Nachzahlungsanspruch von angeblich nicht ausgezahlten Beträgen auch Leistungen für Frischwasserkosten, weitere Unterkunftskosten und einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung geltend. Im Hinblick auf die Arbeitsgelegenheit bei der X von März 2009 bis März 2010 stehe ihm ein Jahreshonorar iHv 38.400 EUR zu. Abzüglich des vom Beklagten geleisteten Alg II und der Mehraufwandsentschädigung bestehe noch ein Anspruch auf 29.649 EUR. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011 - W1161/11 - als unzulässig zurück. Bei den Überweisungen der Leistungen handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt.

Mit Änderungsbescheid vom 24.03.2011 berücksichtigte der Beklagte die Kosten für Frischwasser iHv 15 EUR monatlich und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 monatlich 359 EUR Regelleistung und 563 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.03.2011 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.03.2011 ab und gewährte eine Regelleistung iHv monatlich 364 EUR. Den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.03.2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2011 - W1206/11 im Hinblick auf die Rüge unvollständiger Leistungsauszahlung als unzulässig bzw im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2012 - W1206/11 als unbegründet zurück, weil mit dem angefochtenen Bescheid nur die Erhöhung des Regelbedarfes zum 01.01.2011 geregelt worden sei. Die dagegen beim SG erhobene Klage (Az: S 8 AS 553/11) hat der Kläger im Berufungsverfahren (Az: L 11 AS 586/11) beim LSG im Termin am 29.01.2013 für erledigt erklärt.

Wegen einer Gesetzesänderung bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 21.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2011 - W2197/11 - für Warmwasserkosten weitere 8 EUR monatlich für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.03.2011. Über die dagegen beim SG erhobene Klage (Az: S 6 AS 979/11) ist bislang nicht entschieden.

Am 11.04.2011 hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011 Klage beim SG erhoben. Ihm sein noch eine Differenz von 180 EUR, jeweils 30 EUR monatlich für November 2010 bis März 2011, auszuzahlen. Daneben habe er Anspruch auf einen Zuschlag für kostenaufwändige Ernährung rückwirkend zum 01.09.2010, auf ein Resthonorar iHv 29.647 EUR zzgl. Zinsen und auf eine Geldsumme von 2.450 EUR wegen des zu Unrecht vorgenommenen Abschlages von 10% bei der Regelleistung für Verheiratete im Zeitraum von Januar 2005 bis Oktober 2010. Mit Urteil vom 19.04.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Aus den Gründen des Widerspruchsbescheides sei der Widerspruch des Klägers unzulässig gewesen. Die Klage im Hinblick auf das Resthonorar und den Betrag von 2.450 EUR sei nicht zulässig, da vorab kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum LSG eingelegt. Im Hinblick auf seine Erkrankungen stehe ihm ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu. Er sei vom 22.01.2009 bis zum 22.02.2010 auf Aufforderung des Beklagten bei der X als Fachinformatiker beschäftigt gewesen. Diesbezüglich habe er einen Anspruch auf tarifliche Entlohnung abzüglich bereits geleistetem Alg II.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.04.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, im Hinblick auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 zu bewilligen sowie den Beklagten zu verurteilen, in Bezug auf die Tätigkeit bei der X e.V. einen Betrag iHv 29.647 EUR zzgl. Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Er halte die Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG begründet.

Streitgegenstand war zuletzt noch die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Alg II im Hinblick auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf für den Zeitraum vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 sowie die Zahlung von 29.647 EUR für die Tätigkeit bei der X.

Hinsichtlich des Antrages auf Gewährung weiterer Leistungen bezüglich des geltend gemachten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 handelt es sich um eine Untätigkeitsklage iSv § 88 Abs 1 SGG. Mit seinem Widerspruch vom 20.12.2010 hat der Kläger erstmals geltend gemacht, der Beklagte habe einen Mehrbedarf zu berücksichtigen. Da jedoch der Beklagte mit dem unangefochtenen Bescheid vom 28.09.2010 für den Bewilligungszeitraum vom 01.10.2010 bis 31.03.2011 keinen Mehrbedarf berücksichtigt hat und sich der Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 09.11.2010 ausdrücklich auf die Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkte (zur Zulässigkeit der Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Kosten der Unterkunft und Heizung vgl BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 1; Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R), war die Frage der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nicht Gegenstand des bereits anhängigen Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 09.11.2010. Die Änderungsbescheide vom 06.12.2010 und 01.03.2011 bezogen sich wiederum nur auf die Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung und wurden gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, das mit dem Widerspruchsbescheid vom 09.03.2011 endete. Über den Antrag auf Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung, der im Hinblick auf den bestandskräftigen Bescheid vom 28.09.2010 einen Überprüfungsantrag iSv § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellt, hat der Beklagte insofern noch nicht entschieden. Eine Entscheidung erfolgte auch nicht im Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011, der sich nur mit der Auszahlung von Leistungen beschäftigte, oder in den folgenden Änderungsbescheiden vom 24.03.2011, 26.03.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.04.2011 und 14.05.2012 sowie dem Änderungsbescheid vom 21.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2011, die alleine Regelungen zur Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung treffen bzw die Erhöhung der Regelleistung zum 01.01.2011 umsetzen. Diesbezüglich führt der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 14.05.2012 aus, dass der angefochtene Änderungsbescheid vom 26.03.2011 keine Regelung über den Mehrbedarf getroffen hat. Da damit bislang keine Entscheidung über den Antrag des Klägers vom 20.12.2010 in Bezug auf den geltend gemachten ernährungsbedingten Mehrbedarf erfolgt ist, hätte das SG prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage iSv § 88 Abs 1 SGG - dahingehend ist der Klageantrag auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs im Hinblick auf das Fehlen einer bisherigen Entscheidung über den insofern beim Beklagten gestellten Antrag auszulegen (vgl dazu Urteil des Senats vom 08.05.2008 - L 11 AS 386/07 - juris) - vorliegen und ggf. den Beklagten zur entsprechenden Verbescheidung verpflichten müssen. Dies hat das SG jedoch unterlassen.

Im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Honoraranspruch in Bezug auf seine Tätigkeit bei der X hat das SG zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen und die vorherige Durchführung eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens gefordert. Die Klage ist als reine Leistungsklage iSv § 54 Abs 5 SGG zulässig (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 11/08 R - FEVS 61, 385). Über den vom Kläger geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch braucht vom in Anspruch genommenen Träger der Grundsicherung nicht zunächst durch Verwaltungsakt entschieden zu werden (BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 98/10 R - SozR 4-4200 § 16 Nr 7). Auch hatte sich der Kläger bereits vor Klageerhebung mit diesem Begehren an den Beklagten gewandt und die Zahlung des entsprechenden Betrages für seine Tätigkeit geltend gemacht (so beispielsweise im Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.03.2011 und dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.03.2011). Die Klage war somit zulässig.

Da das SG damit im Ergebnis weder in Bezug auf die Frage der Leistungshöhe in Bezug auf den ernährungsbedingten Mehrbedarf im Zeitraum 01.02.2011 bis 31.03.2011 noch hinsichtlich des geltend gemachten Honorars für die Tätigkeit bei der X in der Sache entschieden hat, war das Urteil des SG vom 19.04.2011 aufzuheben und der Rechtsstreit an das SG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 159 Abs 1 Nr 1 SGG). Bei einer Zurückverweisung nach § 159 Abs 1 Nr 1 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll die Ausnahme sein (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 159 Rn 5a). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an der Sachentscheidung sowie den Grundsätzen der Prozessökonomie hält es der Senat vorliegend für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Die Frage, ob die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage iSv § 88 Abs 1 SGG in Bezug auf den Überprüfungsantrag wegen der Kosten für einen ernährungsbedingten Mehrbedarf des Klägers vorliegen, wurde bislang vom SG nicht geprüft, es hat noch keine Ermittlungen hierzu durchgeführt. Gleiches gilt im Hinblick auf die Frage eines Zahlungsanspruchs in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers bei der X, wobei insbesondere die Frage der Zusätzlichkeit der Tätigkeit zu prüfen sein wird (vgl BSG, Urteil vom 13.04.2011 - aaO). Hierzu wird das SG weitere Ermittlungen anzustellen haben. Dabei wird auch in Erörterung mit dem Kläger zu prüfen sein, ob die Beschränkung der Untätigkeitsklage auf den Zeitraum vom 01.02.2011 bis 31.03.2011 sinnvoll erscheint oder ggf. ein weitergehender Zeitraum mit einzubeziehen ist. Allerdings hat der Beklagte insofern bereits eine Überprüfung für die Zeit vom dem 01.02.2011 im Erörterungstermin am 29.01.2013 zugesagt.

Das Urteil des SG war demnach aufzuheben und der Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Das SG wird dabei über die Kosten insgesamt entscheiden (vgl Leitherer aaO § 193 Rn 2a).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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