L 6 VG 5497/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 VG 2340/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 5497/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Nach §§ 177 Abs. 1, 178 Abs. 1 StGB in der bis zum 04.07.1997 geltenden
Fassung waren erzwungener Beischlaf oder sexuelle Nötigung in der Ehe nicht strafbar.
2. Um die Rechtsfeindlichkeit positiv festzustellen, muss daher voll bewiesen werden, dass nicht nur
vorsätzlich sexuelle Handlungen verübt wurden sondern dies auch in feindseliger Willensrichtung geschehen ist.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 10. November 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) geworden ist.

Die 1959 in K., Bosnien und Herzegowina, geborene Klägerin kroatischer Volkszugehörigkeit ist kroatische Staatsangehörige. Sie übersiedelte im Jahr 1978 in die Bundesrepublik Deutschland und ist im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Die 1980 geschlossene Ehe mit dem zehn Jahre älteren G. P. K. (G.K.) wurde, nach Trennung der Eheleute im Jahr 2002, 2005 geschieden. Am 10.12.2004 stellte die Klägerin beim Landratsamt B., Versorgungsamt - Außenstelle R. - (im Folgenden: Landratsamt), einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG wegen sexueller Übergriffe von 1985 bis 1989 im Schlafzimmer. 1989 habe ihr Ehemann sexuelle Übergriffe an der Tochter versucht.

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wurden verschiedene Befund- und Behandlungsberichte aktenkundig:

Im Entlassungsbericht der Fachklinik E., Interdisziplinäre Schmerzklinik, vom 07.10.2002, wo sich die Klägerin vom 21.08. bis 18.09.2002 in akut-stationärer Behandlung befand, werden ein chronisches regionales Schmerzsyndrom des rechter Arms, Ein- und Durchschlafstörungen sowie eine Muskelschwäche der rechten oberen Extremität, aber keine psychische Störung von Krankheitswert diagnostiziert. Die Klägerin sei bis heute mit ihrer Partnerschaft zufrieden. Probleme habe es mit ihrer Schwiegermutter gegeben, die sie nie akzeptiert habe. Von ihrem Mann sei sie aber immer unterstützt worden. In den Einzelgesprächen und in der Schmerzbewältigungsgruppe ließen sich Probleme aus den Bereichen Angst und Depression nicht explorieren (Bl. 11 f. B-Akten).

Im Entlassungsbericht der Schussentalklinik, Fachkrankenhaus für Internistische Psychosomatik und Psychotherapie A., vom 20.04.2004, wo die Klägerin vom 28.02. bis 31.03.2004 stationär behandelt worden ist (rezidivierende depressive Störung, zur Zeit mittelgradige Episode, Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung [rechter Arm]), wird im Rahmen der Berufs- und Sozialanamnese angegeben, die finanzielle Situation der Klägerin sei sehr knapp, es bestünden auch geringe Schulden. Sie bewohne mit ihrem Sohn eine Mietwohnung und lebe von dem Ehemann getrennt, da er Alkoholiker sei. Zu den psychischen Beschwerden bei Aufnahme wird ausgeführt, sie habe zwar vor eineinhalb Jahren während der stationären Behandlung in einer Schmerzklinik erklärt, alles in ihrem Leben sei wunderbar, dies stimme aber nicht. Ihr Ehemann sei Alkoholiker. Sie habe Schuldgefühle wegen eines Vorfalles im Jahr 1989 zwischen ihrem Mann und ihrer damals neunjährigen Tochter. Sie werfe sich vor, ihre Tochter nicht rechtzeitig geschützt zu haben. Sie sei eines Tages nach Hause gekommen und habe ihren betrunkenen Mann und ihre Tochter dabei überrascht, wie sie sich gegenseitig die Genitalien manipuliert hätten. Außer ihrer Schwiegermutter, die inzwischen verstorben sei, und ihrer Schwägerin habe sie lange Zeit niemand davon erzählt, da beide sie für verrückt erklärt hätten. Der Anlass zur Trennung von ihrem Mann vor einem Jahr sei ein Streit zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn gewesen, der in eine Handgreiflichkeit ausgeartet sei. Auch die häufigen Verdächtigungen und Beschimpfungen ihres Mannes, der eifersüchtig sei und ihr Affären mit anderen Männern unterstellt habe, hätten dazu beigetragen. Nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt habe, habe sie sich ein viertel bis ein halbes Jahr frei und gut gefühlt. Doch dann hätten ihre Auseinandersetzungen mit einer Arbeitskollegin ihr zu schaffen gemacht. Sie habe sich aus ihrem Bekanntenkreis immer mehr zurückgezogen und sich um Weihnachten herum wegen der Belastungen am Arbeitsplatz damit beschäftigt, ob sie sich das Leben nehmen wolle. Mehrere ihrer Arbeitskolleginnen seien "falsche Weiber", die sie ungerecht behandelten, sie als "Schrapnelle" beschimpften und ihr dann aus dem Weg gingen und sie nicht beachteten. Von ihrem Chef fühle sie sich nicht ausreichend geschützt und im Stich gelassen. Hinsichtlich der biographischen Angaben der Klägerin wird ausgeführt, sie sei als Kind bei Spott schnell wütend geworden und habe begonnen zu prügeln. In der Schule sei sie wegen ihrer Schlägereien als Mädchen berühmt-berüchtigt gewesen. Sie habe nie geweint, sondern habe es darauf ankommen lassen, andere zum Weinen zu bringen. Mit 19 Jahren sei sie nach Deutschland gekommen und habe hier 1980 geheiratet. Ihr Ehemann sei fast zwei Jahrzehnte als Wachmann bei einer privaten Wach- und Schließgesellschaft tätig gewesen. An diesem Arbeitsplatz seien intensive Trinkgelage üblich gewesen und ihr Mann sei Alkoholiker geworden. Wenn er nüchtern gewesen sei, hätte sie gerne mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt, doch wenn er betrunken gewesen sei und nach Alkohol gerochen habe, habe sie ihn zurückgewiesen. Mehrfach habe er sie trotzdem zum Geschlechtsverkehr gezwungen und sie hätte sich dies gefallen lassen, da sie geglaubt habe, eine Frau müsse das dem Familienfrieden wegen erdulden. Erst nachdem sie entdeckt habe, dass ihr Mann die neunjährige Tochter sexuell missbrauche, hätte sie sich nicht mehr von ihm anfassen lassen. Weihnachten 2002 habe sie ihren Mann nach einem Streit zwischen ihm und dem Sohn, der in eine Handgreiflichkeit gemündet sei, veranlasst, die gemeinsame Wohnung zu verlassen.

Im Entlassungsbericht des Zentrums für Psychiatrie Bad Schussenried vom 07.09.2004, wo die Klägerin vom 27.07. bis 01.09.2004 stationär behandelt wurde, wurde eine rezidivierende depressive Störung bei Arbeitsplatzkonfliktsituation diagnostiziert. Zur Vorgeschichte wird ausgeführt, es habe sich bei der Klägerin ohne frühere depressive Hinweise ab Sommer 2003 ein zunehmend depressives Bild entwickelt. Vorausgegangen seien eine schwierig und verletzend erlebte Ehe sowie eine verstärkte Kreuzschmerzsymptomatik ab Frühjahr 2003 mit laufend erforderlichen Schmerztabletten. Der Einweisung vorausgegangen sei ein Dauerkonflikt am Arbeitsplatz ab Anfang April 2004 mit ständigen Reibereien dadurch, dass sich die Klägerin von ihrem Chef und besonders zwei Kolleginnen gemobbt gefühlt habe. Im Verlaufsbericht wird geschildert, die belastende Situation am Arbeitsplatz habe schon vor mehreren Jahren begonnen, als die Klägerin zusammen mit ihrer Anwältin darauf bestanden habe, nach Tarif angemessen bezahlt zu werden. Sie habe zwar Recht bekommen, sei aber von da an durch Kolleginnen und speziell durch ihren direkten Vorgesetzten gemobbt worden. Belastet gewesen sei sie überdies schon lange durch ihre Ehe. Ihr Ehemann habe zu viel Alkohol getrunken, was ab ca. 1985 schlimm geworden sei. Sie habe von ihm verlangt, damit aufzuhören, was er aber nicht gemacht habe, worauf sie sich dann am 21.12.2002 von ihm getrennt habe. Es habe auch zusätzliche Konflikte in der Ehe gegeben. Eine anfängliche Wochenendbeurlaubung nach Hause sei insofern belastend verlaufen, als die Klägerin auf dem Parkplatz eine Arbeitskollegin getroffen habe und von ihr herabsetzend angesprochen worden sei. Hierauf habe die Klägerin einige Tage benötigt, um sich davon wieder zu erholen.

Auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung befand sich die Klägerin vom 29.11.2005 bis 10.01.2006 in stationärer Behandlung im Reha-Zentrum Bad F., Abteilung Psychosomatik. Im Entlassungsbericht vom 18.01.2006 wird ausgeführt, die Klägerin habe berichtet, ihren Ehemann vor Weihnachten 2002 aus der Wohnung geworfen zu haben. Der Ehemann sei Alkoholiker, sei beleidigend gewesen und habe die Kinder geschlagen. Danach sei es ihr zunächst gut gegangen, im Frühjahr 2003 sei sie jedoch zunehmend depressiver geworden. Im September 2005 sei die Ehe geschieden worden. Die Ehe sei massiv konfliktbehaftet gewesen. Der Ehemann sei Alkoholiker gewesen und habe über einen Zeitraum von zwei Jahren die gemeinsame Tochter sexuell missbraucht. Die Konflikte am Arbeitsplatz hätten begonnen, nachdem sie mit rechtsanwaltlicher Hilfe eine bessere Bezahlung erstritten habe. Zum Rehabilitationsverlauf wird ausgeführt, im Verlauf der Gespräche habe sich abgezeichnet, dass die Klägerin im familiären Bereich schwere Kränkungen erlebt habe. So sei sie in Deutschland von Angehörigen ihres Mannes nicht akzeptiert worden. Als sich Probleme in der Ehe und die Alkoholprobleme des Ehemannes entwickelt hätten, sei sie nicht unterstützt worden. Auffallend sei gewesen, dass sie aus der erlebten Ablehnung keine Konsequenzen gezogen, sondern im Gegenteil auf die Unterstützung der Personen gehofft habe. Sie habe sich hierbei beharrlich festhaltend umso tiefer enttäuscht gezeigt. Etwas Ähnliches habe sich am Arbeitsplatz abgespielt, an dem es seit mehreren Jahren erhebliche Konflikte gebe. Sie habe wiederholt Situationen geschildert, in denen sie sich schwer gekränkt gefühlt habe, aber in der feindlich erlebten Umgebung verblieben sei. Deutlich seien bei der Klägerin einerseits abhängige Persönlichkeitszüge, andererseits ein forsches, kämpferisches Verhalten geworden, durch das sie für sich auch Dinge erreiche, aber kaum verstanden habe, dass andere Menschen darauf nicht positiv reagierten. Die Empathiefähigkeiten der Klägerin seien eingeschränkt, die Klägerin sei auf eine Opferhaltung konzentriert. So habe die Stationsärztin auf Wunsch der Klägerin die Krankengymnastik für die Wirbelsäule abgesetzt. Zu einem späteren Zeitpunkt habe sich die Klägerin darüber beschwert, nichts für ihre Rückenbeschwerden bekommen zu haben. Sie habe sich abwertend über die körperliche Behandlung geäußert, sich aber zugleich bei der Ärztin darüber beschwert, keine Verlängerung der Reha bekommen zu haben, weil sie von den ersten zwei Wochen nicht viel habe profitieren können.

Außerdem hat das Landratsamt im Hinblick auf den von der Klägerin geschilderten sexuellen Missbrauch des Ehemannes an der gemeinsamen Tochter Unterlagen des Kreisjugendamtes beigezogen. Hieraus ergibt sich, dass die Familie seit Februar 1995 bekannt war. Tochter und Mutter hätten berichtet, die Tochter sei im Grundschulalter und dann erneut 1994 während eines Krankenhausaufenthalts der Mutter missbraucht worden. Im Rahmen des Hilfeplans nach § 36 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) die Klägerin im Hinblick auf die Trennung von ihrem Ehemann, die auch von Seiten der beiden Kinder gewünscht gewesen sei, bestärkt worden sei. Die Klägerin habe jedoch wegen gemeinsamer Schulden Bedenken gehabt und sei von einem Rechtsanwalt dahingehend beraten worden abzuwarten, bis die Lebensversicherung des Ehemannes Ende 1996 fällig werde (Bl. 64 B-Akten). Die als pädagogische Einzelbetreuerin für die fünfzehnjährige Tochter gemäß § 30 SGB VIII für den Zeitraum vom 01.09.1995 bis 31.07.1996 bestellte E. G., BFZ F., führte in ihrem Bericht vom 11.07.1996 aus, unter dem übermäßigen Alkoholkonsum des Vaters und damit einhergehender Unkontrolliertheit und Unberechenbarkeit leide die ganze Familie. Der Vater weise alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe zurück, halte seinen Alkoholgenuss für vertretbar und sehe daher keinen Anlass, sein Verhalten zu ändern. Die Klägerin sehe aufgrund der äußeren Rahmenbedingungen zur Zeit keine Möglichkeit, sich und die Kinder aus der für sie untragbaren Situation zu lösen.

Anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Klägerin beim Landratsamt E. 2005 gab sie an, sie habe nach der Geburt ihres Sohnes P. im Jahr 1982 nicht mehr mit ihrem Mann schlafen wollen, da dieser fast täglich sehr betrunken gewesen sei und sie beim Geschlechtsverkehr Schmerzen gehabt habe. Dann habe ihr Mann gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit Gewalt erzwungen, er habe sie festgehalten. Als er morgens betrunken nach Hause gekommen sei, sei er zu ihr gekommen und habe sie überwältigt. Nach dem Vorfall mit ihrer Tochter J. habe sie sich dann endgültig von ihm abgewendet. Sie habe ihren Mann zunächst nicht verlassen können, weil die finanziellen Verhältnisse sehr schlecht gewesen seien und sie zwei Kinder zu versorgen gehabt habe.

Mit (bestandskräftigem, § 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Bescheid vom 20.07.2006 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab und führte zur Begründung aus, es gebe für den behaupteten sexuellen Missbrauch keine Zeugen, auch eine Anzeige sei nicht erfolgt. Der sexuelle Missbrauch könne somit nicht beweiskräftig festgestellt werden. Zwar sei es aufgrund des bekannt aggressiven Verhaltens des früheren Ehemannes durchaus möglich, dass sie das Opfer von sexuellem Missbrauch in der Ehe geworden sei. Diese bloße Möglichkeit reiche jedoch nach dem OEG nicht aus. Es müsse eine so hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass darauf die Überzeugung von der Wahrheit begründet werden könne. Sie habe den Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann wegen des Familienfriedens erduldet. Hinweise auf mögliche sexuelle Gewalt durch ihren Ehemann aus der Zeit von 1985 bis 1989 lägen nicht vor. Sie habe den sexuellen Kontakt zu ihrem Ehemann 1989 umgehend beenden können und sei noch bis Dezember 2002 in der ehelichen Gemeinschaft verblieben. Bis zur Trennung solle es zu einem weiteren sexuellen Kontakt nicht mehr gekommen sein. Die Beschwernisse am rechten Arm seien auf einen Sturz auf einer Treppe zurückzuführen. Für eine Gewalteinwirkung lägen keine Hinweise vor. Nachdem ein entschädigungsfähiger Tatbestand im Sinn des § 1 OEG nicht vorliege, müsse dem Antrag der Erfolg versagt bleiben.

Am 16.12.2008 stellte die Klägerin den hier streitgegenständlichen Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Überprüfung des Bescheides vom 20.07.2006. Fernmündlich teilte sie am 05.01.2009 mit, sie sei zwar damals bei ihrem Mann geblieben, habe aber 20 Jahre auf dem Sofa genächtigt. Im Bett habe sie nicht mehr schlafen können. Ihre Therapeutin habe ihr gesagt, sie solle den Bescheid noch einmal überprüfen lassen. Sie habe 100 Stunden Therapie erhalten, eine weitere Therapie bekomme sie von ihrer Krankenkasse jedoch nicht mehr bezahlt.

Mit Bescheid vom 12.01.2009 lehnte das Landratsamt den Antrag nach § 44 SGB X ab, da auch nach nochmaliger Überprüfung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs ausgegangen werden könne. Nach sämtlichen Berichten der Fachkliniken seien zum sexuellen Missbrauch keine Angaben gemacht worden. Aus dem Akteninhalt ergebe sich lediglich, dass sie den Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann wegen des Familienfriedens erduldet habe. Andere Hinweise auf sexuelle Gewalt ergäben sich nicht.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung u. a. vor, hinter dem Ehemann habe ganz offensichtlich seine Mutter gestanden, die von ihr Gehorsam gefordert habe. Dieser Gehorsam sei mit der Drohung eingefordert worden, dafür zu sorgen, dass sie in ihre Heimat zurückgeschickt werde, wenn sie nicht das tue, was der Ehemann wolle. Der Zwang sei erst abgefallen, als die Schwiegermutter gestorben sei. Es wurde gebeten, die Personen, die tatsächlich Angaben machen könnten, zu befragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch ohne weitere Sachverhaltsaufklärung mit gleichbleibender Begründung zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.08.2009 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, es sei ab 1985 zu sexuellen Übergriffen im betrunkenen Zustand durch den Ehemann der Klägerin gekommen. Statt Hilfestellung habe die Schwiegermutter damit gedroht, für ihre Ausweisung aus Deutschland zu sorgen, wenn sie etwas unternehme. Sie habe sich nicht getraut, das Haus mit den Kindern zu verlassen aus Angst, die Kinder und letztlich auch ihre Bleibe zu verlieren. 1989 sei es zu Übergriffen auf die Tochter gekommen. Sie habe viele Jahre unter ihrem Ehemann, seinem Alkohol und seinen sexuellen Wünschen gelitten. Aus Angst, in das damalige Jugoslawien zurück zu müssen und ihre Kinder zu verlieren, habe sie diese Dinge ertragen. Das ihr nach eigenem Dafürhalten Mögliche habe sie getan, indem sie bereits früh aus dem Schlafzimmer ausgezogen sei und auf einem Sofa im Wohnzimmer genächtigt habe. Es gebe keine Stellungnahme des Ehemannes, sodass es hier dringenden Handlungsbedarf gegeben hätte, den der Beklagte jedoch nicht erkannt habe.

Das SG hat die Diplompsychologin N. als sachverständige Zeugin gehört. Diese gab unter dem 23.12.2009 an, die Klägerin vom 12.07.2005 bis 28.01.2009 in 100 Sitzungen psychotherapeutisch behandelt zu haben. Bereits im Erstgespräch habe die Klägerin angegeben, ihre Tochter habe im April 2005 einen Suizidversuch gemacht, weil ihr geschiedener Ehemann sie jahrelang sexuell missbraucht habe. In der fünften Sitzung habe sie am 20.02.2006 erzählt, der Ehemann habe täglich Alkohol getrunken, sei krankhaft eifersüchtig gewesen und habe sie trotz Gegenwehr vergewaltigt. Als ihre Tochter neun Jahre alt gewesen sei, habe sie ihn im Bett der Tochter erwischt. Sie habe daraufhin ihre Tochter nicht mehr mit ihm allein gelassen und sei davon ausgegangen, dass der Inzest beendet gewesen sei, was jedoch nicht der Fall gewesen sei, wie sie im April 2005 erfahren habe. Dies habe bei ihr eine schwere suizidale Krise ausgelöst.

In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 08.12.2009 hat der Neurologe und Psychiater Dr. B. ausgeführt, die Klägerin seit 2004 zu behandeln. Es handle sich um eine anhaltend chronifiziert depressive Entwicklung mit rezidivierender Verschlechterung, teils schwergradig ausgeprägt, einhergehend zeitweise mit Dissoziation. Daneben bestehe eine chronische Schmerzstörung. Die Klägerin habe über ihre problematische Ehe berichtet, sich aus Schamgefühl heraus jedoch nicht konkret über die ehelichen Probleme im Einzelnen ausgelassen.

Mit Schreiben vom 10.06.2010 hat die Klägerin nochmals darauf hingewiesen, dass ihr Ehemann von dem Beklagten zu keiner Zeit vorgeladen und befragt worden sei. Dieser Versuch hätte unternommen werden müssen. Mit weiterem Schreiben vom 09.09.2010 hat die Klägerin vorgetragen, ihre Gegenwehr habe sich nicht nur auf ein bloßes Erdulden beschränkt, sie habe wiederholt ein Küchenmesser gezückt, das sie dann schützend vor sich gehalten habe. Ein solches habe sie auch immer neben sich beim Schlafen gehabt, um gegen alles gewappnet zu sein. Die Klägerin beantragte nochmals die Einvernahme des Ehemannes.

Das SG hat die Schwerbehindertenakte der Klägerin beigezogen. Im dort vorgelegten Entlassungsbericht der Schussental-Klinik, Fachkrankenhaus und Rehabilitationsklinik für Internistische Psychosomatik und Psychotherapie, vom 27.09.2010 wird über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 20.04. bis 20.05.2010 berichtet (anhaltende somatoforme Schmerzstörung, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode, Agoraphobie mit Panikstörung, psychogene Essverhaltensstörung mit Adipositas permagna, chronisch rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorfällen und -operationen, chronische Gastritis, Diabetes mellitus Typ 2). Im Rahmen der psychodynamischen Hypothese und Verhaltensanalyse wird darin ausgeführt, die Anamnese, die Beschwerdeschilderung und das Verhalten der Klägerin wiesen auf einen Schuldkonflikt hin, in dem die Schuld bereitwillig, bis hin zur masochistischen Unterwerfung auf sich genommen werde und Selbstvorwürfe vorherrschten, ergänzt durch einen Versorgungs- versus Autarkiekonflikt, in dem die Wünsche nach Versorgung und Geborgenheit zu starker Abhängigkeit führten. Die Klägerin vermittle im Verlauf des Gesprächs den Eindruck, sich für die auf sich geladene Schuld selbst bestrafen zu müssen, indem sie sich dem Leben verweigere, mit Einnahme einer passiv-resignierten Haltung, Hilfe nur von außen erwartend. Während des gesamten Behandlungsprozesses sei die Patientin äußerst langsam gewesen, strikt auf ihre körperlichen Beschwerden fixiert, sich nur als Opfer widrigster Lebensbedingungen sehend. Im gesamten therapeutischen Verlauf habe sich die Patientin hochgradig ambivalent gezeigt, einerseits sich sehr hilfsbedürftig darstellend, andererseits berichtend, dass ihre ehemalige Psychotherapeutin nach zwei Jahren Psychotherapie und 100 Therapiestunden aufgegeben habe und mit ihrem Latein am Ende gewesen sei. In der zusammenfassenden Beurteilung wird ausgeführt, es hätten eindeutige Diskrepanzen zwischen Beschwerden und Befund beobachtet werden können, es habe der Eindruck einer mangelnden Kooperation respektive Verdeutlichungstendenz bestanden. Es handle sich bei der Klägerin um eine passive Persönlichkeitsstruktur mit sekundärem Krankheitsgewinn und einer fixierten Erwartungshaltung, Hilfe nur von außen auf strikt sozial-finanzieller Ebene zu erhalten, einschneidende Einbußen in der Lebensqualität einhergehend mit Verstärkung der Angst, Depression und Schmerzsymptomatik in Kauf nehmend.

Im Erörterungstermin des SG vom 18.11.2010 hat die Klägerin angegeben, ihr Ehemann habe als Wachmann gearbeitet und sei immer morgens besoffen zurückgekommen. Er sei dann zu ihr ins Bett gekommen. Sie schlafe auf dem Bauch und er habe sie mit dem Arm im Genick heruntergedrückt, ihr die Kleider weggerissen und sie von hinten genommen. Dies sei ungefähr dreimal die Woche geschehen. Sie habe dann schließlich den Wecker gestellt, um aufzustehen, bevor er nach Hause komme. Dann sei sie ausgezogen und habe auf dem Sofa geschlafen. Dies sei etwa fünf, sechs Jahre so gegangen und habe nach der Geburt ihres Sohnes 1983 begonnen. Vor der Geburt des Sohnes sei es nicht so krass und nicht so schmerzhaft gewesen. Ob es schön gewesen sei, wisse sie gar nicht mehr. Dies sei bis Samstag vor Ostern 1989 so gegangen. Er sei zu ihr ins Bett gekommen und habe mit ihr schlafen wollen. Dies habe sie aber nicht gewollt. Dann sei er aus dem Schlafzimmer herausgegangen. Sie habe gedacht, er sei im Wohnzimmer. Als sie aber das Bett ihrer Tochter habe quietschen hören, sei sie hingegangen, um zu schauen, was mit ihrer Tochter sei. Da habe er auf ihrer Tochter gelegen. Er habe das aber immer gemacht, wenn sie nicht zu Hause gewesen sei. Wenn er morgens besoffen nach Hause gekommen sei, habe sie ja auf dem Bauch im Bett gelegen. Sie habe schon versucht, sich zu wehren, habe es aber nicht gekonnt. Er habe sie ja im Genick gepackt. Sie habe auch versucht, mit dem Fuß zu treten, das sei aber in der Lage nicht gegangen. Sie habe damals zwischen 55 und 60 kg gewogen, er sei ungefähr 1,90 m groß und entsprechend schwer gewesen. Wenn er betrunken gewesen sei, sei er noch viel stärker gewesen. Wenn er nüchtern gewesen sei, habe sie versucht, mit ihm über die Sache zu reden. Er habe aber alles abgestritten. Nachdem sie gesehen habe, was ihr Mann mit ihrer Tochter gemacht habe, sei sie aus dem Schlafzimmer ausgezogen und habe auf dem Sofa geschlafen. Von da ab habe er sie in Ruhe gelassen, weil sie ein Messer in der Nacht bei sich gehabt habe. Sie habe immer mit dem Messer geschlafen. Es habe dann keinen Geschlechtsverkehr mehr zwischen ihr und ihrem Mann gegeben. Er habe es schon versucht, sie zu packen, aber sie habe sich mit dem Messer gewehrt. Auf dem Sofa habe sie dann auch nicht mehr auf dem Bauch geschlafen und dies gar nicht mehr können, weil sie die Couch nicht aufgeklappt habe. Als sie ihrer Schwiegermutter hiervon erzählt habe, habe sie gesagt, sie könne nach Jugoslawien gehen, aber ohne die Kinder. Ihre Schwägerin habe das sowieso nicht ernst genommen und mit ihrer eigenen Familie habe sie nicht gesprochen. Von den Behörden sei ihr zwar eine Wohnung angeboten worden, die sei aber im Erdgeschoss gewesen, da hätte er ja einsteigen können. In diese Wohnung sei sie gar nicht eingezogen. Im Jahr 2002 sei ihr Mann dann ausgezogen, nachdem er versucht habe, ihren damals schon fast erwachsenen Sohn zu schlagen. Einmal im Jahr 1988 habe sie sich gewehrt. Dann habe ihr Ehemann seine Mutter angerufen, die abends um 23.00 Uhr noch gekommen sei und gesagt habe, dass sie seine Frau sei. Sie habe wegen der Schulden ihres Mannes nicht gewusst, womit sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder hätte bestreiten sollen. Hätte sie eine Wohnung gehabt, wäre sie auch gegangen. Die ihnen angebotene Wohnung habe aber schon 600,00 DM gekostet, sie selbst habe nur 700,00 DM verdient. Der Kontakt mit dem Jugendamt sei nicht über sie zustande gekommen. Sie sei auch nicht zum Jugendamt gegangen, um den Missbrauch ihrer Tochter zu melden. Sie habe immer versucht, ihre Kinder von dem Vater fernzuhalten. 1994 habe sie plötzlich ins Krankenhaus gemusst und niemand für die Kinder gehabt. Da habe er sich wieder an ihrer Tochter vergriffen. Sie habe nicht gewusst, dass sie ihren Mann hätte anzeigen können.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung des SG hat die Klägerin weiter ausgeführt, ihr geschiedener Ehemann habe die Kinder geschlagen, ihnen aber verboten, es ihr zu sagen. Sie habe er nicht geschlagen. Wenn sie aufrecht gestanden habe, habe sie sich wehren können. Er habe schon versucht, sie zu schlagen, sie habe sich aber mit einem Stuhl oder einem Teller, den sie geworfen habe, wehren können. Einmal habe sie einen Teller an die Wand geworfen. Er sei gegen ihren Willen nur zu ihr gekommen, wenn sie im Bett auf dem Bauch gelegen habe. Er sei dann von hinten gekommen. Er habe sie nicht umgedreht. Sie habe ein Nachthemd getragen und Unterwäsche. Er habe dann die Unterhose weggezogen.

Mit Urteil vom 10.11.2011 hat das SG den Beklagten zur Gewährung von Versorgung nach dem OEG dem Grunde nach verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei in ihrer Ehe von 1985 bis 1989 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden. In dieser Zeit sei der Ehemann der Klägerin wiederholt morgens in alkoholisiertem Zustand nach Hause gekommen und habe die auf dem Bauch schlafende Klägerin im Genick gepackt, ihr die Kleidung weggerissen und den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen ausgeführt. Allein durch das Körpergewicht ihres Ehemannes sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, sich aus der Umklammerung herauszuwinden, wobei noch hinzugekommen sei, dass er sie im Genick gepackt und festgehalten habe. Hierbei habe es sich um körperlich wirkende, durch Einsatz körperlicher Mittel auf die körperliche Integrität und die sexuelle Selbstbestimmung der Klägerin abzielende Angriffshandlungen gehandelt. Die Klägerin habe die Übergriffe ihres Mannes insoweit geduldet, als sie nicht alle ihr möglichen Mittel der Gegenwehr außerhalb der Situation der Überwältigung genutzt habe. Dies habe jedoch vor dem Hintergrund gestanden, dass sie der Meinung gewesen sei, als Ehefrau die sexuellen Wünsche ihres Mannes zu erfüllen und bei einem Scheitern der Ehe ohne ihre Kinder in die Heimat zurückkehren zu müssen. Das Erdulden von Gewalt aufgrund von Einschüchterung und Angst vor ernsthaften Konsequenzen bedeute jedoch nicht, dass diese im Einvernehmen stattgefunden habe bzw. keine Gewalttat darstelle. Das Hinnehmen von Gewalt ändere nichts an der Tatsache, dass Gewalt ausgeübt worden sei und dass es ihr in den Momenten, da sie schlafend im Bett gelegen und ihr Ehemann sich auf sie gelegt habe, nicht möglich gewesen sei, ihren Ehemann abzuwehren. Der Ehemann habe auch gewusst, dass die sexuellen Übergriffe gegen den Willen der Klägerin geschehen. Spätestens, nachdem die Klägerin ihn darauf angesprochen habe, habe ihm klar gewesen sein müssen, dass dies gegen den Willen der Klägerin geschehen sei. Es habe daher eine feindliche Willensrichtung vorgelegen. Diese sei auch nicht durch die Trunkenheit des Ehemannes beseitigt worden. Die Übergriffe des Ehemannes der Klägerin seien auch rechtswidrig und strafbar gewesen. In der Zeit von 1985 bis 1989 sei zwar gemäß § 177 Strafgesetzbuch (StGB) in der damals geltenden Fassung die Vergewaltigung in der Ehe nicht als Vergewaltigung strafbar gewesen. Gewaltsame sexuelle Übergriffe gegen den Willen der Ehefrau seien jedoch als sexuelle Nötigung gemäß § 178 StGB in der damals geltenden Fassung strafbewehrt gewesen.

Gegen das dem Beklagten am 22.11.2011 zugestellte Urteil hat dieser am 14.12.2011 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es könne von einem relevanten Übergriff erst dann ausgegangen werden, wenn die Klägerin ihren Widerstand bzw. ihr fehlendes Einverständnis zum Geschlechtsverkehr dem Partner ausreichend deutlich gemacht habe und er deshalb einen Widerstand habe überwinden müssen. Gerade dies gehe aber aus den bisherigen Aussagen der Klägerin nicht eindeutig hervor. Immer wieder sei die Rede von einer "Duldung" gewesen, um des Familienfriedens willen oder weil die Schwiegermutter entsprechend interveniert habe oder weil sie die Tochter habe schützen wollen. Auch zur Frage, wie der Täter ihren Widerstand habe überwinden müssen, seien die Ausführungen der Klägerin nicht schlüssig. Sie habe angegeben, dass er sie nie geschlagen habe und gegen ihren Willen nur dann zu ihr gekommen sei, wenn sie im Bett auf dem Bauch gelegen habe. Andererseits wolle die Klägerin den Wecker gestellt haben und aufgestanden sein, bevor ihr Ehemann nach Hause gekommen sei. Auch wird ausgeführt, sie habe sich im Stehen gegen ihn wehren können. Entscheidend sei die bereits mehrfach aufgeworfene, aber nie beantwortete Frage, weshalb die Klägerin die behaupteten Übergriffe im Jahr 1989 habe schlagartig beenden können, als sie es wirklich gewollt habe. Soweit im Urteil ausgeführt werde, die Klägerin habe sich erst ab 1989 "ernsthaft" gegen den Täter gewehrt, als durch den Missbrauch an ihrer Tochter eine neue Situation entstanden sei, sei dies nicht nachvollziehbar, denn sie habe nichts anderes getan, als sich durch Verlassen des Schlafzimmers den Zugriffen zu entziehen. Danach hätten auch keine Misshandlungen und kein Geschlechtsverkehr mehr stattgefunden. Ob dies nur deshalb so gewesen sei, weil sie "immer mit einem Messer schlief", begegne erheblichen Zweifeln. Die Klägerin habe wegen "beabsichtigter Handgreiflichkeiten" zwischen ihrem damals 19-jährigen Sohn und ihrem geschiedenen Ehemann, letzteren sogar dazu bringen können, an Weihnachten die Wohnung dauerhaft zu verlassen. Ebenfalls nicht überzeugend sei, wenn die Klägerin angebe, die ihnen angebotene Wohnung im Erdgeschoss nicht habe beziehen wollen, weil ihr Ehemann jederzeit hätte einsteigen können, andererseits sie aber noch fast 13 Jahre weiterhin mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung gelebt habe. Wenn von Seiten der Klägervertreterin angegeben werde, die Klägerin habe sich erfolglos um die Unterstützung durch die Behörden bemüht, stehe dies im Widerspruch zum eigenen Vortrag der Klägerin, die zu Protokoll gegeben habe, keinen Kontakt zu den Behörden gesucht zu haben und auch nicht zum Jugendamt gegangen zu sein, als sie den Missbrauch an ihrer Tochter bemerkt habe. Die Klägerin habe auch nach Beendigung der Ehe offensichtlich nie in Erwägung gezogen, den Täter über eine Strafanzeige zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 10. November 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung weiter ausgeführt, der zum Einsatz gekommene Wecker habe nicht immer seinen Zweck erfüllt, denn der Ehemann sei nicht regelmäßig zur vorhergesehenen Zeit nach Hause gekommen, sondern oftmals auch früher, also ohne Vorwarnung durch den Wecker. Einmal habe sie die Tür mit dem Erfolg abgeschlossen, dass er sie eingeschlagen habe, um zu ihr zu kommen.

Aufgrund einer seelischen Störung, funktionellen Organbeschwerden und eines chronischen Schmerzsyndroms hat das Landratsamt B. mit Abhilfebescheid vom 24.10.2007 bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 80 festgestellt. Weitere Verschlimmerungsanträge wurden hingegen abgelehnt (zuletzt mit Bescheid vom 05.06.2012).

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten den Sach- und Streitstand am 07.02.2013 erörtert. Hier hat die Klägerin angegeben, der Antrag ihrer Tochter auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG sei abgelehnt worden.

Der Senat hat den geschiedenen Ehemann der Klägerin als Zeugen zur mündlichen Verhandlung vom 21.03.2013 geladen und gegen ihn wegen nicht ausreichend entschuldigten Fernbleibens zum Termin ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,00 EUR festgesetzt (Senatsbeschluss vom 27.03.2013). Auch zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.06.2013 wurde der Ehemann der Klägerin zunächst als Zeuge geladen. Nachdem er sich mit Schreiben vom 31.05.2013 jedoch auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, wurde die Zeugenladung aufgehoben.

Der Senat hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.06.2013 ausführlich befragt. Hinsichtlich der von ihr gemachten Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die vorgelegten Behördenakten einschließlich der beigezogenen OEG-Akten der Tochter der Klägerin sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Soweit das SG im angefochtenen Urteil den Beklagten dem Grunde nach zur Gewährung von Versorgung nach dem OEG verurteilt hat, hat es den Beklagten zur Leistung verurteilt, obwohl dieser bereits die Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs abgelehnt und über eine Leistung nicht entschieden hat. Erst wenn festgestellt wäre, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist, kann sie darauf aufbauend später Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und Grundrente, beanspruchen. In der jetzigen Situation hingegen kann sie in zulässiger Weise nur die Grundlage der in Frage kommenden Leistungsansprüche im Wege einer Feststellungsklage klären lassen (zur Klage auf Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R; allgemein BSG, Urteil vom 21.09.2010 - B 2 U 25/09 R, zustimmend BSG, Beschluss vom 24.05.2012 - B 9 V 4/12 B). Eine Verurteilung des Beklagten zur Leistung von Beschädigtenversorgung, sei es auch nur dem Grunde nach, war daher schon unter formellen Gesichtspunkten nicht zulässig. Darüber hinaus könnte die Klägerin als kroatische Staatsangehörige Versorgungsansprüche nur auf § 1 Abs. 5 OEG stützen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach § 10 Satz 3 OEG in den Fällen des § 1 Abs. 5 und 6 OEG dieses Gesetz nur Anwendung auf Taten findet, die nach dem 30.06.1990 begangen worden sind. Für Taten, die vor dem 01.07.1990 begangen worden sind, findet § 10a OEG unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 7 OEG entsprechende Anwendung. Nach § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG besteht ein Versorgungsanspruch jedoch nur unter der weiteren Voraussetzung, dass der Geschädigte allein infolge der Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig ist. Das SG hat den Beklagten dem Grunde nach zur Leistung verpflichtet, ohne diese Voraussetzungen im Einzelnen festzustellen.

Die Klägerin hat indes auch keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 20.07.2006. Der Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 12.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2009 die Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2006 abgelehnt. Denn dessen Rechtswidrigkeit ist nicht erwiesen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2 der Vorschrift). Da der Beklagte durch Bescheid vom 20.07.2006 bereits die Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs abgelehnt und über die Gewährung von Sozialleistungen nicht entschieden hat, kommt vorliegend lediglich eine Rücknahme nach § 44 Abs. 2 SGB X in Betracht (vgl. zur Unterscheidung der Anwendungsbereiche des § 44 Abs. 1 und 2 SGB X: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rdnr. 4, 5). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes. Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44).

Auch aus heutiger Sicht hat der Beklagte bei Erlass des Bescheides zu Recht angenommen, dass bei Würdigung aller bekannten Umstände vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe des geschiedenen Ehemannes der Klägerin in der Zeit von 1985 bis 1989 nicht erwiesen sind.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 StGB auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985 vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 6 und 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).

Zu Recht hat das SG in der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch nach dem Vorbringen der Klägerin das von ihr vorgetragene, durch keine Zeugenaussagen objektivierte Verhalten ihres Ehemannes im hier relevanten Zeitraum von 1985 bis 1989 nicht nach § 177 StGB strafbar gewesen wäre. Denn nach § 177 Abs. 1 StGB in der bis zum 04.07.1997 geltenden Fassung wurde mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt. Erst durch das 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 01.07.1997 (BGBl. I 1607) wurde das Tatbestandsmerkmal "außerehelich" gestrichen und damit die Vergewaltigung in der Ehe nicht mehr nur als Nötigung nach § 240 StGB, sondern mit der weit härteren Strafandrohung nach § 177 StGB geahndet. Nicht zutreffend ist dagegen die Auffassung des SG, die von der Klägerin geschilderten Handlungen ihres damaligen Ehemannes seien als sexuelle Nötigung gemäß § 178 StGB in der damals geltenden Fassung strafbewehrt gewesen. Denn auch nach § 178 Abs. 1 StGB in der bis zum 04.07.1997 geltenden Fassung war mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft worden, wer einen anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, außereheliche sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen. Da, wie oben dargestellt, der Gewaltbegriff des § 1 OEG nicht mit dem des § 240 StGB übereinstimmt, fehlt es somit insgesamt auch nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin an einer Straftat, die als solche bereits die Rechtsfeindlichkeit des Schädigers implizieren würde.

Mithin muss positiv festgestellt werden, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin im Zeitraum von 1985 bis 1989 nicht nur vorsätzlich sexuelle Handlungen an der Klägerin verübt hat, sondern dies auch in feindseliger Willensrichtung geschehen ist. Hiervon kann zur Überzeugung des Senats indes nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgegangen werden.

Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein.

Die vorgetragenen sexuellen Übergriffe in den Jahren 1985 bis 1989 sind nicht bewiesen. Weder hat die Klägerin bei der Polizei Anzeige erstattet, noch hat sie zeitnah anderen Personen von den Vorfällen erzählt. Selbst bei der pädagogischen Einzelbetreuung für ihre Tochter waren sexuelle Übergriffe auf die Klägerin nie Gegenstand, wohl zweimalige Vorfälle auf die Tochter 1989 und 1994, wobei sich daraus keine Rückschlüsse auf eine Vergewaltigung in der Ehe ziehen lassen. Eine ärztliche Untersuchung ist ebenfalls nicht erfolgt. Aus den Scheidungsunterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Vergewaltigung.

Gem. § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).

Diese besondere Beweiserleichterung ist auch im Falle der Klägerin zu beachten. Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten (BSG SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind. Vorliegend steht zwar der geschiedene Ehemann der Klägerin als Auskunftsperson grundsätzlich zur Verfügung, den das SG im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach §§ 103 und 106 SGG zur Vernehmung als Zeugen in die mündliche Verhandlung hätte laden müssen. Nachdem dieser im Berufungsverfahren jedoch von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) Gebrauch gemacht hat und daher als Zeuge nicht mehr zu berücksichtigen war (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 2/12 R - Terminsbericht Nr. 17/13), fehlt es an weiteren Beweismitteln, die das Vorbringen der Klägerin belegen könnten.

Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; BSGE 45, 9; vgl. auch BSG SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.

Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für glaubhaft, dass die Klägerin in den Jahren 1985 bis 1989 Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen geworden ist.

Denn nach den Gesamtumständen, wie sie sich aus den Akten und dem Vorbringen der Klägerin ergeben, besteht nicht die gute Möglichkeit, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin in feindseliger Willensrichtung gehandelt hat. Zu Recht hat der Beklagte in der Berufung darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Klägerin, ausgehend von ihren eigenen Schilderungen, äußerst ambivalent gewesen ist und es im Falle eines geduldeten Geschlechtsverkehrs keiner feindseligen Willensrichtung des Ehemannes zur Ausübung desselben bedurfte. Eindeutige Hinweise darauf, dass die sexuellen Handlungen des Ehemannes in feindseliger Willensrichtung ausgeübt worden sind, vermag der Senat nicht zu erkennen, insbesondere wäre der von der Klägerin behauptete, von Seiten ihres damaligen Ehemannes aber stets bestrittene übermäßige Alkoholgenuss, noch kein Indiz für ein Handeln in feindseliger Willensrichtung. Dagegen bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin, wenn schon nicht ausdrücklich positiv gestimmt, so doch zumindest passiv die sexuellen Handlungen geduldet hat und es damit zu keinem erzwungenem Sexualverkehr gekommen ist.

Auch für den Senat ist insoweit von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen im Jahr 1989 die behaupteten erzwungenen sexuellen Übergriffe allein durch die Verlegung der Schlafstätte vom gemeinsamen Ehebett im Schlafzimmer auf die Couch im Wohnzimmer und den Wechsel der bis dahin jahrelang eingenommenen Schlafposition von der Bauchlage in die Seitenlage beenden konnte. Waren diese Maßnahmen ausreichend, um den Ehemann in den folgenden 13 Jahren von jeglichen sexuellen Annäherungen gegenüber der Klägerin abzuhalten, spricht dies mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass für diesen zuvor die fehlende Bereitschaft der Klägerin, an dem Geschlechtsverkehr teilzunehmen, nicht ausreichend deutlich gewesen ist. Soweit die Klägerin insoweit vorgetragen hat, sie habe sich mittels eines Küchenmessers vor den Übergriffen geschützt, hält der Senat im Hinblick darauf, dass die Klägerin weder im behördlichen Erst- noch im Überprüfungsverfahren und auch im gerichtlichen Verfahren erst mit Schriftsatz vom 09.09.2010 hiervon berichtet hat, einen solchen nicht bestätigten Sachverhalt für nicht erwiesen. Zudem entspricht es nicht der Lebenswahrscheinlichkeit, dass sich der Ehemann der Klägerin durch ein Messer neben dem Sofa von Annäherungsversuchen hätte abhalten lassen, zumal die Klägerin angegeben hat, ihr Ehemann sei zu unregelmäßigen Zeiten nach Hause gekommen und habe sie auch im Schlaf angetroffen. Den Einsatz eines Messers hätte er daher sicherlich zu verhindern gewusst, hätte er die Klägerin zum Geschlechtsverkehr zwingen wollen. Hinzu kommt, dass die Klägerin gerne mit ihrem Ehemann Geschlechtsverkehr hatte, solange dieser nicht alkoholisiert gewesen ist (vgl. Entlassungsbericht Schussentalklinik vom 20.04.2004), der Ehemann selbst aber eine übermäßige Alkoholisierung bestritten hat. Auf einen geduldeten Geschlechtsverkehr deutet auch hin, dass die Klägerin über Jahre hinweg die Schlafposition (Bauchlage) beibehalten hat, die es ihrem Ehemann ermöglicht haben soll, gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. Dies dürfte aus Sicht des Ehemannes wenn nicht als Einverständnis, dann doch zumindest als Zeichen eines geduldeten Geschlechtsverkehrs interpretiert worden sein. Schließlich hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die Äußerungen der Schwiegermutter der Klägerin, sie sei als Ehefrau zur Duldung des Geschlechtsverkehrs mit ihrem Ehemann verpflichtet, als Indiz dafür gewertet werden können, dass sich die Klägerin nicht erkennbar gegen die sexuellen Handlungen ihres Ehemannes gewehrt hat. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt, sie habe ihren Ehemann durchaus auch von nicht gewollten Zudringlichkeiten abhalten können (vgl. Sitzungsniederschrift vom 20.06.2013).

Dass noch nicht einmal die Klägerin selbst die an ihr vollzogenen sexuellen Handlungen ihres früheren Ehemannes als tätliche Angriffe bewertet hat, wird durch weitere Tatsachen belegt: Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt ihren Ehemann wegen dieser Vorfälle bei der Polizei angezeigt. Sie hat darüber hinaus gegen den ersten ablehnenden Bescheid des Beklagten keinen Rechtsbehelf eingelegt und erst aufgrund der Empfehlung der Psychotherapeutin, bei der sie sich zu diesem Zeitpunkt in Behandlung befand, einen Überprüfungsantrag gestellt. In der Fachklinik E. hat sie im Jahr 2002 äußerst positiv über ihr Eheleben und ihren Ehemann berichtet und lediglich Probleme mit der Schwiegermutter geschildert. Hierauf im Erörterungstermin des Berichterstatters angesprochen, vermochte sie keine nachvollziehbaren Gründe für den Bruch in der Darstellung zu nennen. In der Schussentalklinik hat die Klägerin im Jahr 2004 zwar angegeben, den Ehemann zurückgewiesen zu haben, wenn er nach Alkohol gerochen habe, gleichwohl aber gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Dies habe sie sich aber gefallen lassen, bis sie 1989 entdeckt habe, dass ihr Ehemann die neunjährige Tochter missbrauche. Dass vom Nachweis eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs nicht ausgegangen werden kann, wenn schon der Wechsel der Schlafstätte ausgereicht hat, um die Fortsetzung dieses Zwangs zu beenden, wurde bereits oben ausgeführt. Auch der Umstand, dass die Klägerin bis 2002, also weitere 13 Jahre nach Einstellung der sexuellen Handlungen, mit ihrem Ehemann in der gemeinsamen Wohnung gelebt hat, spricht gegen eine vorherige Bedrohungslage. Die von der Klägerin angebotene Erklärung für die späte Trennung, nämlich Existenzängste sowie die Furcht, in ihr Heimatland ohne ihre Kinder zurückkehren zu müssen, überzeugen vor dem Hintergrund eines gesicherten ausländerrechtlichen Status (unbefristete Aufenthaltserlaubnis) und angebotener Hilfeleistungen durch das Jugendamt nicht. Insgesamt lassen die in den medizinischen Berichten geschilderten Persönlichkeitsmerkmale der Klägerin auch nicht die Annahme zu, sie hätte sich von ihrem Ehemann einschüchtern oder gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen zwingen lassen. Die Klägerin hat sich selbst in ihrer Kindheit als Mädchen geschildert, das sich geprügelt und andere zum Weinen gebracht hat. Auch in der Ehe ist sie körperlichen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg gegangen und hat sich mit einem Stuhl oder einem Teller, den sie gegen die Wand geworfen hat, behauptet. Die Klägerin hat selbst angegeben, sie habe sich außerhalb des Bettes in stehender Position gegen ihren Ehemann durchsetzen können. Dem entspricht auch der äußerliche Eindruck, den die Klägerin auf den Senat in der mündlichen Verhandlung gemacht hat und wird bestätigt durch den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad F. vom 18.01.2006, in dem über ein forsches, kämpferisches Verhalten der Klägerin berichtet wird. Die Klägerin ist im Jahr 2002 auch nicht etwa aus der gemeinsamen Wohnung geflohen, sondern hat ihren Ehemann aus selbiger "rausgeworfen". Anlass hierfür waren nicht gewaltsame Übergriffe des Ehemannes gegenüber der Klägerin, sondern drohende Handgreiflichkeiten zwischen dem Ehemann und dem volljährigen Sohn. Hätte die Klägerin sich als Opfer tätlicher Angriffe aufgrund von sexuellen Übergriffen durch ihren Ehemann gesehen, wäre auch zu erwarten gewesen, dass sie im Laufe der stationären Behandlungen, die auch psychologische Einzelbetreuung beinhalteten, hierüber berichtet hätte. Abgesehen von dem Aufenthalt in der Fachklinik E., wo die Klägerin nur Positives über ihren Ehemann zu berichten wusste, hat sie bei den folgenden Behandlungen zwar auf den übermäßigen Alkoholkonsum ihres Ehemannes hingewiesen. Von sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigungen hat sie hingegen nicht berichtet. Gegenstand der Behandlungen waren daher auch nicht eheliche, sondern die Konflikte der Klägerin am Arbeitsplatz. Dass diese gravierende psychische Auswirkungen bei der Klägerin hatten, wird dadurch deutlich, dass allein die Begegnung mit einer Arbeitskollegin und deren Äußerungen anlässlich einer Wochenendbeurlaubung im Rahmen der Behandlung in der Schussentalklinik 2004 zu einer mehrtägigen Verstimmung der Klägerin führte.

Hat die Klägerin somit eine feindselige Willensrichtung ihres früheren Ehemannes bei sexuellen Handlungen in den Jahren von 1985 bis 1989 nicht glaubhaft gemacht, hat der Beklagte zu Recht die Rücknahme des Bescheides vom 20.07.2006 abgelehnt.

Die Berufung des Beklagten war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolgreich.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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