S 2 SO 151/14 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 151/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Sozialgericht Detmold erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das zuständige Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen, als erstinstanzliches Gericht der Hauptsache aus § 29 Abs.2 Nr.1 SGG.

Gründe:

Zuständig für die Entscheidung über ein Eilverfahren ist gemäß § 86b SGG das Gericht der Hauptsache. Gericht der Hauptsache ist hier in der ersten Instanz gemäß § 29 Abs. 2 Nr.1 SGG das Landessozialgericht. Denn zur Überzeugung des Gerichts umfasst die Zuständigkeit der Schiedsstellen aus § 80 SGB XII nicht nur die Vergütungsvereinbarung im Sinne des § 75 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII sondern auch bereits die Leistungsvereinbarung im Sinne des § 75 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII. Folglich ist das Landessozialgericht auch für diesbezügliche Eilverfahren sachlich zuständig.

Die Landessozialgerichte entscheiden unter anderem gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG im ersten Rechtszug über 1. Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 120 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 80 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

Für jedes Land oder für Teile eines Landes wird gemäß § 80 Abs. 1 SGB XII eine Schiedsstelle gebildet. Die Schiedsstelle besteht gemäß § 80 Abs. 2 SGB XII aus Vertretern der Träger der Einrichtungen und Vertretern der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe in gleicher Zahl sowie einem unparteiischen Vorsitzenden. Die Vertreter der Einrichtungen und deren Stellvertreter werden von den Vereinigungen der Träger der Ein-richtungen, die Vertreter der Träger der Sozialhilfe und deren Stellvertreter werden von diesen bestellt. Bei der Bestellung der Vertreter der Einrichtungen ist die Trägervielfalt zu beachten. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter werden von den beteiligten Organisationen gemeinsam bestellt. Kommt eine Einigung nicht zustande, werden sie durch Los bestimmt. Soweit beteiligte Organisationen keinen Vertreter bestellen oder im Verfahren nach Satz 3 keine Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden und des Stellvertreters benennen, bestellt die zuständige Landesbehörde auf Antrag einer der beteiligten Organisationen die Vertreter und benennt die Kandidaten.

Zur Erfüllung der Aufgaben der Sozialhilfe sollen die Träger der Sozialhilfe gemäß § 75 Abs. 2 SGB XII eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können. Vereinbarungen nach Absatz 3 sind nur mit Trägern von Einrichtungen abzuschließen, die insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und der Sicherstellung der Grundsätze des § 9 Abs. 1 zur Erbringung der Leistungen geeignet sind. Sind Einrichtungen vorhanden, die in gleichem Maße geeignet sind, hat der Träger der Sozialhilfe Vereinbarungen vorrangig mit Trägern abzuschließen, deren Vergütung bei vergleichbarem Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung nicht höher ist als die anderer Träger. Einrichtungen sind gemäß der vorherigen Legaldefinition des § 75 Abs. 1 SGB XII stationäre und teilstationäre Einrichtungen im Sinne von § 13. Die §§ 75 bis 80 finden auch für Dienste Anwendung, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Wird die Leistung von einer Einrichtung erbracht, ist der Träger der Sozialhilfe gemäß dem nachfolgenden § 75 Abs. 3 SGB XII zur Übernahme der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über 1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung), 2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und 3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung) besteht. Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen. Der Träger der Sozialhilfe kann die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung prüfen.

Die Vereinbarung über die Leistung muss gemäß § 76 SGB XII die wesentlichen Leistungsmerkmale festlegen, mindestens jedoch die betriebsnotwendigen Anlagen der Ein-richtung, den von ihr zu betreuenden Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung. In die Vereinbarung ist die Verpflichtung der Einrichtung aufzunehmen, im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebotes Leistungsberechtigte aufzunehmen und zu betreuen. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Vergütungen für die Leistungen nach Absatz 1 be-stehen gemäß § 76 Abs. 2 SGB XII mindestens aus den Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung (Grundpauschale) und für die Maßnahmen (Maßnahmepauschale) sowie aus einem Betrag für betriebsnotwendige Anlagen einschließlich ihrer Ausstattung (Investiti-onsbetrag). Förderungen aus öffentlichen Mitteln sind anzurechnen. Die Maßnahmepauschale kann nach Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem Bedarf kalkuliert werden. Einer verlangten Erhöhung der Vergütung auf Grund von Investitionsmaßnahmen braucht der Träger der Sozialhilfe nur zuzustimmen, wenn er der Maßnahme zuvor zugestimmt hat. Die Träger der Sozialhilfe vereinbaren mit dem Träger der Einrichtung gemäß § 76 Abs. 3 SGB XII Grundsätze und Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit und die Qualitätssicherung der Leistungen sowie für den Inhalt und das Verfahren zur Durchführung von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen. Das Ergebnis der Prüfung ist festzuhalten und in geeigneter Form auch den Leistungsberechtigten der Einrichtung zugänglich zu machen. Die Träger der Sozialhilfe haben mit den nach heimrechtlichen Vorschriften zuständigen Aufsichtsbehörden und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zusammenzuarbeiten, um Doppelprüfungen möglichst zu vermeiden.

Kommt eine Vereinbarung nach § 76 Abs. 2 innerhalb von sechs Wochen nicht zustande, nachdem eine Partei schriftlich zu Verhandlungen aufgefordert hat, entscheidet gemäß § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII die Schiedsstelle nach § 80 auf Antrag einer Partei unverzüglich über die Gegenstände, über die keine Einigung erreicht werden konnte. Gegen die Entscheidung ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Die Klage richtet sich gegen eine der beiden Vertragsparteien, nicht gegen die Schiedsstelle. Einer Nachprüfung der Entscheidung in einem Vorverfahren bedarf es nicht.

In der Kommentierung ist nun der Kompetenzbereich der Schiedsstelle umstritten. Teils wird die Auffassung vertreten, aus der Bezugnahme in § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII auf die Bestimmung des § 76 Abs. 2 ergebe sich, dass die Schiedsstelle nur für den Bereich der Vergütungsvereinbarung, die in § 76 Abs. 2 SGB XII geregelt ist, zuständig sei.

Dem mag das hiesige Gericht zusammen mit der Kommentierung von Jaritz/Eicher im JurisPK, dort § 80 Rdnr. 27 unter Verweis auf dort § 77 Rdnr. 37-45, nicht zu folgen. Zur Überzeugung des hiesigen Gerichts ist die Schiedsstelle unter dem Gedanken des Kompetenzzentrums, der sogar die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts in § 29 SGG begründet, sowohl für den Bereich der Leistungsvereinbarung als auch für den Bereich der Vergütungsvereinbarung systematisch zuständig und dem steht auch nicht der Wortlaut des § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII entgegen. Denn § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII lässt sich nicht nur dahin verstehen, die Schiedsstelle sei (nach näherer Ausgestaltung des Prozederes) nur zuständig, wenn die Vergütungsvereinbarung an sich und aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Vergütung selbst scheitert. Sondern § 77 Abs. 1 S. 3 SGB XII lässt sich auch dahin verstehen, dass die Schiedsstelle auch dann zuständig wird, wenn eine Vergütungsvereinbarung nach sechs Wochen deshalb nicht zustande gekommen ist, weil bereits Meinungsverschiedenheiten über die Leistungsvereinbarung an sich bestehen und man mangels Leistungsvereinbarung auch nicht abschließend über die Höhe der Vergütung sprechen kann. Für diese Auslegung spricht vor allem, dass Leistung und Vergütung dem Grunde nach in einem Synallagma stehen. Die isolierte Vereinbarung der Vergütung bei bestehender Leistungsvereinbarung macht nur unter dem Gedanken der Fortschreibung der Vergütung im Laufe der Zeit gleichsam im Sinne einer bloßen Anpassung der Preisliste an die aktuelle Entwicklung Sinn. Vielfach werden jedoch auch Leistungsumfang und Vergütung in ihrer Interdependenz und der Fortentwicklung von Leistungsstandards umstritten sein. Für die Einzelheiten der Diskussion in der Literatur wird Bezug genommen auf die ganz ausführliche Kommentierung und die weitere Begründung von Jaritz/Eicher im JurisPK (2. Auflage) zu § 77 SGB XII, dort Rdnr. 37-35.

Dort heißt es ab Randnummer 37: "Nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII kann nur die fehlende Einigung der Vertragsparteien über die Vergütungsvereinbarung ("Vereinbarung nach § 76 Abs. 2") durch die Schiedsstelle ersetzt werden. Im Wege einer am Regelungszusammenhang und dem Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung ist jedoch - entgegen der absolut herrschenden Meinung - auch die Leistungsvereinbarung als schiedsstellenfähig anzusehen. Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bilden eine rechtliche Einheit. Die Vergütung einer Leistung kann nur dann vereinbart werden, wenn der Inhalt der Leistung feststeht (zur Akzessorietät der Vergütungsvereinbarung von der Leistungsvereinbarung vgl. die Kommentierung zu § 75 SGB XII und die Kommentierung zu § 76 SGB XII). Die Vergütungsvereinbarung setzt ebenso wie die Festsetzung der Vergütung durch die Schiedsstelle eine wirksame Leistungsvereinbarung voraus und baut auf dieser auf. Teilweise wird in Ansehung dieser denklogischen Einheit von Leistungs- und Vergütungsvereinbarung eine Vorfragenkompetenz der Schiedsstelle für die vergütungsrelevanten Inhalte der Leis-tungsvereinbarung angenommen. Diese Hilfskonstruktion zeigt letztlich die unüberwindbaren praktischen Probleme, die sich aus einer auf die Vergütungsvereinbarung beschränkten Zuständigkeit der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle ergeben.

Rdnr. 38: Dieser logische Zusammenhang zwischen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung muss auch auf der Vertragshilfe- und Rechtsschutzebene gelten. Hierfür sprechen zum einen systematische Erwägungen. Die Parallelregelungen in § 78g Abs. 2 Satz 1 SGB VIII und § 85 Abs. 5 SGB XI sehen jeweils die Schiedsstellenfähigkeit für die Leistungs- und Vergütungsvereinbarung vor, wobei im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung eine dem § 75 Abs. 3 SGB XII entsprechende Aufteilung der Vereinbarung in drei Teilvereinbarungen nicht vorgesehen ist. Vielmehr wird über die Eignung eines Leistungserbringers im Vorfeld durch Zulassungsvertrag nach § 72 SGB XI entschieden, während im nachfolgenden Pflegesatzverfahren in einer Pflegesatzvereinbarung die Inhalte der Leistung (vgl. § 84 Abs. 5 SGB XII) und die dafür zu übernehmende Vergütung geregelt werden. Diese Pflegesatzvereinbarung ist insgesamt schiedsstellenfähig. Würde man im Bereich des SGB XII von den Leistungserbringern verlangen, den Inhalt einer Leistungsvereinbarung bei fehlender Einigung zunächst in einem Klageverfahren vor den Sozialgerichten feststellen zu lassen und danach über die Vergütung dieser Leistungen zu verhandeln, bzw. bei Nichteinigung diesbezüglich ein Schiedsstellenverfahren einzuleiten, wäre diese abweichende Behandlung gegenüber den Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach dem SGB VIII oder SGB XI erbringen, vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen.

Rdnr. 39: Ein sachlicher Grund für diese Beschränkung der Schiedsstellenfähigkeit besteht nicht. Ein solcher kann insbesondere nicht den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Bis zum 31.12.1998 konnten die Inhalte einer Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung durch die Schiedsstelle festgesetzt werden (§ 93 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 BSHG in der Fassung durch das SKWPG vom 21.12.199373). Mit dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23.07.1996 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.1999 die Schiedsstellenfähigkeit auf die Vergütungsvereinbarung beschränkt ohne die hierfür maßgebenden Gründe anzugeben. Solche Gründe sind angesichts des systematischen und inhaltlichen Zusammenhangs zwischen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung auch nicht ersichtlich. Vielmehr sah sich der Gesetzgeber in Anbetracht der mit einer beschränkten Zuständigkeit der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle verbundenen praktischen Nachteile (vgl. dazu Rn. 41 ff.) veranlasst, im Zuge der Einordnung der Sozialhilfe in das Sozialgesetzbuch die bis zum 31.12.1998 bestehende Rechtslage formal wieder herzu-stellen. Die Schiedsstellenfähigkeit sollte nach dem Regierungsentwurf vom 05.09.2003 auf die Leistungsvereinbarung erstreckt werden, um einer Forderung der Praxis Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sollte mit der erweiterten Zuständigkeit der Schiedsstelle vermieden werden, "dass der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung, die den Abschluss einer Leistungsvereinbarung voraussetzt, von einer Partei verhindert werden kann". Zudem wollte der Gesetzgeber mit der Erstreckung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Leistungsvereinbarung einen Anreiz für neue Dienste im Rahmen des persönlichen Budgets schaffen. Diese angestrebte Erweiterung bzw. Wiederherstellung der (ursprünglichen) Kompetenz der Schiedsstellen ist im Vermittlungsausschuss - wiederum ohne Angabe von Gründen - gestrichen worden. Letztlich hatte der Gesetzgeber zwar (gute) Gründe für die Erstreckung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Leistungsvereinbarung, aber keine Gründe für die Beschränkung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Vergütungsvereinbarung, so dass eine Ungleichbehandlung der Leistungserbringer nach dem SGB XII im Vergleich zu denjenigen, die Leistungen nach dem SGB VIII oder SGB XI erbringen, sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Bestrebungen zur Harmonisierung der Schiedsstellenverfahren nach dem SGB XI und SGB XII79 sowie dem SGB VIII80 in Bezug auf die Schiedsstellenfähigkeit sind bislang ohne Erfolg geblieben (vgl. dazu Rn. 144 und die Kommentierung zu § 80 SGB XII Rn. 75).

Rdnr. 40: Für die Erstreckung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Leistungsvereinbarung spricht auch der mit dem Schiedsverfahren verbundene Zweck. Mit der Einführung des Schiedsstellenverfahrens wollte der Gesetzgeber zum einen die Umsetzung des prospek-tiven Entgeltsystems fördern und zum anderen vertragslose Zustände vermeiden. Letzteres soll während eines laufenden Schiedsstellenverfahrens über die Fortgeltungsklausel des § 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII erreicht werden. Dabei lässt der Gesetzgeber aber unberück-sichtigt, dass eine ausgelaufene Vergütungsvereinbarung nur dann fortgelten kann, wenn eine wirksame Leistungsvereinbarung besteht. Ist auch deren Laufzeit beendet und konnten sich die Vertragsparteien (noch) nicht über die Inhalte einer neuen Leistungsvereinbarung einigen, besteht während des Schiedsstellenverfahrens und ggf. eines sich anschließenden Klageverfahrens bezüglich der Vergütungsvereinbarung ein vertragsloser Zustand, der die Interessen des Leistungserbringers, die der Gesetzgeber mit den Regelungen in § 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 4 SGB XII zu schützen beabsichtigt hat (vgl. dazu Rn. 121), nicht ausreichend berücksichtigt. Denn dieser erhält mangels Fortgeltung der bisherigen Vergütungsregelung für die Dauer des Schiedsstellenverfahrens nach § 75 Abs. 4 Satz 3 SGB XII nur die ortsübliche Vergütung vergleichbarer Leistungserbringer. Die Beschränkung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Vergütungsvereinbarung fördert daher vertragslose Zustände, die nach der gesetzlichen Konzeption in § 75 Abs. 4 SGB XII die Ausnahme bilden sollen. Damit wird die Praxis der Sozialhilfeträger begünstigt, den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung durch die fehlende Einigung über die Inhalte einer Leistungsvereinbarung zu verhindern und den Leistungserbringern unter dem Mantel des § 75 Abs. 4 SGB XII eine nach "ihrem Ermessen" angemessene Vergütung zu gewähren.

Rdnr. 41: Die auf die Vergütungsvereinbarung beschränkte Zuständigkeit der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle wirft letztlich unlösbare praktische Probleme auf. Diese Probleme entstehen zum einen beim erstmaligen Abschluss von Vereinbarungen i.S.d. § 75 Abs. 3 SGB XII. Können sich die Vertragsparteien weder über die Leistungsinhalte noch deren Vergütung einigen, müsste zunächst hinsichtlich des Inhalts einer Leistungsvereinbarung ein Klageverfahren durchgeführt werden. Erst nach dessen Abschluss könnte erneut über den Inhalt der Vergütungsvereinbarung verhandelt bzw. bei Nichteinigung deren Inhalt in einem Schiedsverfahren ersetzt werden, wobei dann die mit ihren Verhandlungspositionen unterlegene Vertragspartei auch noch die Möglichkeit hat, den Schiedsspruch gerichtlich überprüfen zu lassen. Dieses Procedere verzögert das Verfahren erheblich und konterkariert so die vom Gesetzgeber beabsichtigte zügige Schaffung vertraglicher Regelungen. Hinzu kommt, dass in der Zwischenzeit ein vertragsloser Zustand besteht, weil die Anknüpfung an vorherige Vereinbarungen i.S.d. Fortgeltung (§ 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII; vgl. dazu Rn. 122 f.) entfällt. Erschwert wird die Situation durch den Umstand, dass das kontradiktorische gerichtliche Verfahren generell nicht auf die vermittelnde Festlegung von Inhalten eines Normvertrages (speziell einer Leistungs- und/oder Prüfungsvereinbarung) zugeschnitten ist. Die Vertragsgestaltung und -ersetzung ist vielmehr zuvörderst Aufgabe der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle. Das Schiedsstellenverfahren dient - im Unterschied zum gerichtlichen Verfahren - primär der Schlichtung und Vermittlung zwischen den gegenläufigen Positionen der Vertragsparteien (Schiedsstelle als Vertragshilfeorgan; vgl. dazu die Kommentierung zu § 80 SGB XII Rn. 28). Erst bei gescheiterter Vermittlung setzt die Schiedsstelle den Vertragsinhalt selbst fest, wobei die "Entscheidung" der Schiedsstelle in der Regel eine Kompromisslösung und weniger die in rechtlicher Hinsicht einzig richtige Lösung darstellt. Das gerichtliche Verfahren ist dagegen primär auf Entscheidung, nicht auf Vermittlung angelegt. Das Gericht kann keine Vertragspartei zum Abschluss eines Vertrages zwingen (Art. 2 Abs. 1 GG). Vielmehr hat es nur die Möglichkeit, die nicht einigungswillige Vertragspartei im Rahmen neuer Vertragsverhandlungen an die Rechtsauffassung des Gerichts zu verbinden (vgl. Rn. 85 f., Rn. 99; zu der im Ausnahmefall möglichen "Durchentscheidung" vgl. Rn. 99). Dies hat zur Folge, dass auch über den Inhalt einer Leistungsvereinbarung erneut zu verhandeln wäre, was zu einer weiteren Verzögerung führt. Letztlich würde man die Vertragsparteien im Gerichtsverfahren mit nachfolgender Verhandlung über den Inhalt einer Leistungsvereinbarung zwingen, sich auf bestimmte Leistungsinhalte festzulegen, ohne zu wissen, ob hierfür in den sich anschließenden Verhandlungen über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ein leistungsgerechter Preis erzielt wird. Dies wiederum ist nicht mit den in § 75 Abs. 3 Satz 2 SGB XII geregelten Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit vereinbar.

Rdnr. 42: Verschärft wird diese Problematik, wenn sich die Beteiligten auch nicht über den Inhalt einer Prüfungsvereinbarung einigen können. Nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist der Abschluss der dort genannten drei Teilvereinbarungen - und somit auch der Prüfungsvereinbarung - Voraussetzung für die Pflicht des Sozialhilfeträgers zur Übernahme der Vergütung des Leistungserbringers. Da die Prüfungsvereinbarung - auch nach der hier vertretenen Auffassung - nicht schiedsstellenfähig ist, müssten nach der herrschenden Meinung jeweils Klageverfahren bezogen auf den Abschluss der Leistungs- und der Prüfungsvereinbarung mit sich anschließender erneuter Verhandlung der Vertragsparteien durchgeführt werden, ehe die Vertragsparteien überhaupt in die Verhandlungen über die Vergütungsvereinbarung treten können, die dann gegebenenfalls durch einen - wiederum gerichtlich überprüfbaren - Schiedsspruch ersetzt werden muss.

Rdnr. 43: Die gleichen praktischen Probleme ergeben sich in den Fällen, in denen die Laufzeit bestehender Vereinbarungen über den Inhalt der Leistung und deren Vergütung beendet ist. Auch in diesem Fall wäre der Inhalt der Leistungsvereinbarung in einem gerichtlichen Verfahren mit nachfolgender Vertrags(nach)verhandlung festzulegen und im Nachgang die Vergütung der Leistung zu verhandeln bzw. im Rahmen eines Schiedsverfahrens festzusetzen. Wegen der fehlenden wirksamen Leistungsvereinbarung kann auch in diesen Fällen eine Fortgeltung über § 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII nicht angenommen werden. Dem versucht die h.M. dadurch entgegenzuwirken, dass sie ein rückwirkendes Inkrafttreten der Leistungsvereinbarung zulässt und eine Fortgeltung der Vergütungsvereinbarung annimmt, solange die Vertragsparteien noch ernsthaft um den Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bemüht sind. (vgl. dazu Rn. 122).

Rdnr. 44: Diese aus der herrschenden Meinung folgenden Konsequenzen sind nicht gemeinschaftsrechtskonform, weil das vom Gesetzgeber grundsätzlich vergaberechtsneutral konzipierte System des sozialhilfehilferechtlichen Leistungserbringungsrechts95 so ausgelegt wird, dass es in den Auswirkungen einer Vergabeentscheidung gleichkommt. Bei der Prüfung der Gemeinschaftsrechtskonformität einer Norm ist nicht deren Formulierung, sondern ihre praktische Anwendung maßgebend. Sind mehrere Auslegungsalternativen denkbar, muss diejenige gewählt werden, die dem Gemeinschaftsrecht am ehesten Rechnung trägt. Entspricht eine mögliche Auslegung nationaler Vorschriften nicht dem Gemeinschaftsrecht, darf diese nicht zugrunde gelegt werden. Sieht man - wie die herrschende Meinung - nur die Vergütungsvereinbarung als schiedsstellenfähig an, begünstigt dies vertragslose Zustände - unter Umständen entstehen diese sogar regelmäßig. In diesen Fällen gewährt der Sozialhilfeträger den nicht vertragsgebundenen Leistungserbringern eine Vergütung, die der durchschnittlich für vergleichbare Leistungserbringer zu zahlenden Vergütung entspricht. Der Sozialhilfeträger kann somit in der Praxis den vertragslosen Zustand nutzen - und tut dies u.U. auch -, um eine nach seinem Gutdünken bemessene Vergütung zu gewähren. Diese Auslegung des § 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ermöglicht dem Sozialhilfeträger letztlich in der Praxis eine Angebotssteuerung. Er kann Vereinbarungen überwiegend mit kostengünstigen Leistungserbringern seiner Wahl schließen und die Vertragsverhandlungen mit anderen Leistungserbringern verzögern. Auf diese Weise können einzelne Anbieter faktisch ausgeschlossen werden, was letztlich bei funktionaler Betrachtung zu einer "De-facto-Vergabe" durch exklusive Konkurrentenauswahl führt, für welche die Regelungen des Vergaberechts gelten (vgl. dazu auch die Kommentierung zu § 75 SGB XII).

Rdnr. 45: Sachgerechte Ergebnisse werden dagegen erzielt, wenn man die inhaltliche Einheit von Leistungs- und Vergütungsvereinbarung auf das Verfahrensrecht und somit die Schiedsstellenfähigkeit überträgt. Die hier vorgeschlagene Erstreckung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Leistungsvereinbarung überschreitet auch nicht die Wortlautgrenze des § 77 Abs. 1 Satz 3. Schiedsstellenfähigkeit ist nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eine Vereinbarung nach § 76 Abs. 2 SGB XII. Vereinbarungen i.S.d. § 76 Abs. 2 SGB XII sind solche über die "Vergütung für Leistungen nach Absatz 1". Leistungen nach Absatz 1 sind die Inhalte einer Leistungsvereinbarung. Angesichts des logischen und auch im Wortlaut des § 76 Abs. 2 SGB XII zum Ausdruck kommenden Zusammenhangs zwischen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung könnte man einen expliziten Verweis des § 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII auf § 76 Abs. 1 SGB XII sogar für entbehrlich halten. Da die Gesetzesmaterialien keinen Aufschluss über die Beweggründe des Gesetzgebers für die Beschränkung der Schiedsstellenfähigkeit auf die Vergütungsvereinbarung geben und die Schiedsstelle ursprünglich auch für die Festsetzung der Inhalte einer Leistungsvereinbarung zuständig war (vgl. dazu Rn. 2 f., Rn. 39) ist nicht ausgeschlossen, dass die im Vergleich zum Regierungsentwurf vorgenommene Änderung im Vermittlungsausschuss diesem offensichtlichen Zusammenhang geschuldet war."

Der Beschluss ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved