Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 2508/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 3350/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. August 2014 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 1. August 2014 bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 23. Juli 2014, längstens bis zum 31. Januar 2015, vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 691,00 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes streitig.
Die 1991 in Griechenland geborene Antragstellerin ist griechische Staatsangehörige. Sie ist in Deutschland aufgewachsen und besuchte von 2003 bis 2008 eine Haupt-/Werkrealschule, die sie mit dem Hauptschulabschluss abschloss. Anschließend siedelte sie 2008 nach Griechenland über, um dort einen Schulabschluss zu erwerben. Seit Oktober 2012 lebt die Antragstellerin wieder in Deutschland; die Große Kreisstadt B. erteilte ihr am 09.11.2012 eine Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Laut Mietvertrag vom 25.07.2013 beträgt die Miete für die von der Antragstellerin bewohnte 23 m² große Wohnung monatlich 300,00 EUR. In den Mietkosten sind Kosten für Heizung, Wasser, Abfallgebühren und Kabelfernsehanschluss enthalten.
Die Antragstellerin übte zwischenzeitlich eine Arbeitsgelegenheit im Sinne von § 16d SGB II beim Caritasverband K. e. V. aus, wofür sie im Oktober 2013 81,00 EUR, im November 2013 80,00 EUR und im Dezember 2013 72,00 EUR erhielt.
Der damals zuständige Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende lehnte einen Antrag der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 05.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.04.2013 wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Mit Beschluss vom 13.05.2013 verpflichtete das Sozialgericht Karlsruhe (SG) den damaligen Träger, der Antragstellerin vorläufig und längstens bis zum 31.08.2013 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren (S 15 AS 1547/13 ER). Die Beschwerde des damaligen Antragsgegners hiergegen wurde durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Beschluss vom 05.06.2013 (L 2 AS 2259/13 ER-B) als unzulässig verworfen.
Zum 01.08.2013 zog die Antragstellerin in den Zuständigkeitsbereich des jetzigen Antragsgegners und beantragte dort ebenfalls Arbeitslosengeld II. Dieser hatte ihr zuvor nach § 22 Abs. 4 SGB II eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten ihrer neuen Wohnung erteilt. Ferner schloss er mit ihr am 01.08.2013 eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich u. a. zur Gewährung von Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II verpflichtete. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lehnte der Antragsgegner aber mit Bescheid vom 08.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2013 unter Berufung auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Das SG verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 22.08.2013 (L 15 AS 2815/13 ER), der Antragstellerin ab dem 01.09.2013 längstens bis zum 31.01.2014, vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 682,00 EUR zu gewähren. Diesen Beschluss führte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28.08.2013 und Änderungsbescheid vom 23.11.2013 aus.
Einen erneuten Antrag vom 22.01.2014 auf Leistungen nach dem SGB II lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2014 ab. Die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Sie halte sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf und habe nicht den Status einer Arbeitnehmerin erworben. Sie arbeite im Schnitt lediglich 38,8 Stunden im Monat für einen Stundenlohn von 2,00 EUR, so dass sie in den Monaten Oktober bis Dezember 2013 durchschnittlich lediglich 77,67 EUR verdient habe. Die Tätigkeit sei somit zu gering und lediglich von unwesentlicher Bedeutung. Das Aufenthaltsrecht beruhe lediglich auf der Arbeitsuche in Deutschland nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und bleibe bei Arbeitslosigkeit lediglich für die Dauer von sechs Monaten bestehen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU berufen. Zwar lebe ihr Vater in Deutschland. Zu diesem habe sie jedoch keinen Kontakt. Ein Verstoß der fraglichen Norm gegen Primär- oder Sekundärrecht der Europäischen Union sei nicht ersichtlich. Auch auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Sie falle als Griechin zwar in dessen Schutzbereich, aufgrund des von der Bundesregierung erklärten Vorbehalts, der im Übrigen wirksam sei, seien aber auch Staatsangehörige von Signatarstaaten ausgeschlossen. Den erneuten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das SG mit Beschluss vom 17.02.2014 (S 15 AS 343/14 ER) mangels Anordnungsanspruch ab. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob das LSG mit Beschluss vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B) den Beschluss des SG auf und verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.02.2014 bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 28.01.2014, längstens bis zum 31.07.2014, vorläufig Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In Umsetzung des Beschlusses gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 691,00 EUR.
Am 21.07.2014 beantragte die Antragstellerin die Weitergewährung der Leistungen über den 31.07.2014 hinaus. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.07.2014 erneut unter Bezugnahme auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab.
Den erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 31.07.2014 hat das SG mit Beschluss vom 07.08.2014 abgelehnt. Der nach § 86 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendige Anordnungsanspruch liege nicht vor. Die Antragstellerin halte sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland auf; ihre Tätigkeit bei der Caritas sei nur eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II; die nicht den Status als Arbeitnehmerin im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) begründe. Andere Aufenthaltszwecke lägen nicht vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der demnach Ansprüchen der Antragstellerin entgegenstehe, könne nicht europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass er auf EU-Bürger nicht anzuwenden sei. Dies ließen der Wortlaut und die ausdrücklich erklärten Beweggründe des Gesetzgebers schon methodisch nicht zu. Diese Auslegungsgrenzen müssten auch bei einer europarechtskonformen Auslegung beachtet werden. Die fragliche Regelung sei auch verfassungsgemäß. Sie verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es liege auch kein Verstoß gegen europäisches Recht vor. Weder seien das Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) noch das Diskriminierungsrecht aus Art. 18 AEUV verletzt. Art. 4 der Verordnung (VO) 883/2004 vom 29.04.2004 sei nicht verletzt, weil diese Norm durch die speziellere Regelung in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie (RL) 2004/38/EG vom 29.04.2004 verdrängt werde und diese einen Leistungsausschluss wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zulasse. Auch Art. 1 EFA sei nicht verletzt, da der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin habe keinerlei Umstände vorgebracht, die eine Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland begründen könnten. Ein Anspruch auf vorläufige Leistungsbewilligung folge auch nicht aus § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Eine Folgenabwägung sei nicht vorzunehmen. Die Kammer habe eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage vorgenommen, so dass schon deswegen eine Folgenabwägung weder nötig noch möglich sei. Durch eine Folgenabwägung könnten dem Rechtsuchenden keine Leistungen zugesprochen werden, die ihm nach Auffassung des jeweils erkennenden Gerichts aus materiell-rechtlichen Gründen nicht zustünden.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 08.08.2014 Beschwerde erhoben, zu deren Begründung sie auf die Ausführungen des LSG im Beschluss vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B) Bezug nimmt. Eine abschließende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zur vorliegenden Rechtsfrage stehe weiterhin aus.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der Antragsgegner war aufgrund der verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin für den laufenden Bewilligungsabschnitt 01.08.2014 bis - längstens - 31.01.2015 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 691,00 EUR zu gewähren. Entgegen der Ansicht des SG liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatzes 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn dem Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Die Gerichte müssen, da sie sich schützend und fördernd vor die (möglichen) Grundrechte der Betroffenen zu stellen haben, die Sach- und Rechtslage entweder abschließend prüfen oder aber anhand einer Folgenabwägung entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Eine abweichende Rechtslage, wonach generell und ausnahmslos in Eilsachen eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ausreiche, ergibt sich auch nicht aus dem vom SG zitierten Senatsbeschluss des BVerfG vom 13.04.2010 (1 BvR 216/07, Juris). Zwar dürfen nach dem Beschluss des BVerfG Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, hierbei ist aber dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind der Antragstellerin im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuzusprechen. Der Senat folgt im Wesentlichen der Entscheidung des 3. Senats des LSG vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B); auch weiterhin sind zu viele Punkte ungeklärt, als dass sich der Senat eine abschließende Meinung über die Sach- und Rechtslage bilden könnte.
Der Senat hat zunächst keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II zumindest glaubhaft gemacht sind. Die volljährige, erwerbsfähige Antragstellerin ist hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, zu Lasten der Antragstellerin eingreift, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden.
Nicht abschließend geklärt ist bereits, ob sich die Antragstellerin auch auf andere Aufenthaltszwecke als den der Arbeitsuche stützen kann.
Die Frage, ob die Antragstellerin als griechische Staatsangehörige, die sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält, nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist oder ob der dort geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen gegen europäisches Recht verstößt, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat mit Beschluss vom 12.12.2013 das Verfahren nach Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung einzuholen zu der Frage nach der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Art. 4 der Koordinierungs-VO (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit), sowie mit Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV und der Unionsbürger-RL (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten). Eine Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen (C-67/4) liegt noch nicht vor. Das Votum des Generalanwalts Melchior Wathelet zu seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 in der beim EuGH anhängigen Rechtssache Dano (C-333/13), die eine ähnliche Fallgestaltung betrifft, zeigt wiederum in seiner Umfänglichkeit und Komplexität auf, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage des Leistungsausschlusses offen ist und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend beantwortet werden kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.07.2014, L 12 AS 1031/14 B ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.06.2014, L 25 AS 1511/14 B, Juris).
Entgegen der Ansicht des SG ist der Senat auch nicht davon überzeugt, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II selbst bei einem Verstoß gegen die Koordinierungs-VO weiter anzuwenden wäre, weil aus methodischen Gründen kein Raum für eine erweiternde europarechtskonforme Auslegung sei. Zwar kann der EuGH eine mitgliedstaatliche Umsetzungsnorm nicht für nichtig erklären, möglicherweise stehen den betroffenen Unionsbürgern dann aber Ansprüche unmittelbar aus der Verordnung zu (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.03.2014, a.a.O.).
Allein aufgrund der ungeklärten europarechtlichen Fragestellung sind zuletzt in vergleichbaren Fällen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch sämtliche am LSG Baden-Württemberg mit Verfahren des SGB II befassten Senate (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.07.2012, L 1 AS 2751/12 ER-B, Beschluss vom 05.03.2014, L 2 AS 486/14 ER-B, Beschluss vom 06.03.2014, L 3 AS 898/14 ER-B, Beschluss vom 08.04.2013, L 7 AS 970/13 ER-B, Beschluss vom 21.06.2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und Beschluss vom 15.05.2014, L 13 AS 1845/14 ER-B, zit. nach http://www.sozialgerichtsbarkeit.de) und in der Rechtsprechung ganz überwiegend (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20.12.2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, Beschluss vom 10.10.2013, L 19 AS 129/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.06.2014, L 25 AS 1511/14 B ER, a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.01.2014, L 13 AS 266/13 B ER, zit. jeweils nach Juris) Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung zugesprochen worden. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Die durch den Senat damit vorzunehmende Folgenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Es ist nicht ersichtlich, dass die Nachteile, die der Antragstellerin entstünden, wenn ihr Eilantrag endgültig abgelehnt würde, ihr aber nach einem Hauptsacheverfahren doch Leistungen nach dem SGB II zustünden, zumutbar wären. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann der Antragstellerin im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Außerdem ist - worauf der 3. Senat zutreffend hingewiesen hat - nicht geklärt, ob der Antragstellerin eine Rückkehr nach Griechenland zumutbar wäre. Zweifel hieran bestehen, nachdem der Vater der Antragstellerin in Deutschland lebt und sie selbst hier aufgewachsen ist. Von einer überwiegenden Integration im Inland ist daher auszugehen. Den seitens der Antragstellerin drohenden Nachteilen steht auf der Seite des Antragsgegners lediglich das fiskalische Interessen gegenüber, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten.
Der Antragstellerin sind daher einstweilig die Regelleistung für alleinstehende Hilfebedürftige in Höhe von monatlich 391,00 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 300,00 EUR zu gewähren.
Die zeitliche Befristung entspricht dem sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Gründe für eine längere Bewilligung (§ 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II) sind nicht ersichtlich, nachdem die Antragsgegnerin Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erbringt und nicht erkennbar ist, dass diese aussichtslos wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 1. August 2014 bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 23. Juli 2014, längstens bis zum 31. Januar 2015, vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 691,00 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes streitig.
Die 1991 in Griechenland geborene Antragstellerin ist griechische Staatsangehörige. Sie ist in Deutschland aufgewachsen und besuchte von 2003 bis 2008 eine Haupt-/Werkrealschule, die sie mit dem Hauptschulabschluss abschloss. Anschließend siedelte sie 2008 nach Griechenland über, um dort einen Schulabschluss zu erwerben. Seit Oktober 2012 lebt die Antragstellerin wieder in Deutschland; die Große Kreisstadt B. erteilte ihr am 09.11.2012 eine Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Laut Mietvertrag vom 25.07.2013 beträgt die Miete für die von der Antragstellerin bewohnte 23 m² große Wohnung monatlich 300,00 EUR. In den Mietkosten sind Kosten für Heizung, Wasser, Abfallgebühren und Kabelfernsehanschluss enthalten.
Die Antragstellerin übte zwischenzeitlich eine Arbeitsgelegenheit im Sinne von § 16d SGB II beim Caritasverband K. e. V. aus, wofür sie im Oktober 2013 81,00 EUR, im November 2013 80,00 EUR und im Dezember 2013 72,00 EUR erhielt.
Der damals zuständige Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende lehnte einen Antrag der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 05.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.04.2013 wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Mit Beschluss vom 13.05.2013 verpflichtete das Sozialgericht Karlsruhe (SG) den damaligen Träger, der Antragstellerin vorläufig und längstens bis zum 31.08.2013 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren (S 15 AS 1547/13 ER). Die Beschwerde des damaligen Antragsgegners hiergegen wurde durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Beschluss vom 05.06.2013 (L 2 AS 2259/13 ER-B) als unzulässig verworfen.
Zum 01.08.2013 zog die Antragstellerin in den Zuständigkeitsbereich des jetzigen Antragsgegners und beantragte dort ebenfalls Arbeitslosengeld II. Dieser hatte ihr zuvor nach § 22 Abs. 4 SGB II eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten ihrer neuen Wohnung erteilt. Ferner schloss er mit ihr am 01.08.2013 eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich u. a. zur Gewährung von Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II verpflichtete. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lehnte der Antragsgegner aber mit Bescheid vom 08.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2013 unter Berufung auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Das SG verpflichtete den Antragsgegner mit Beschluss vom 22.08.2013 (L 15 AS 2815/13 ER), der Antragstellerin ab dem 01.09.2013 längstens bis zum 31.01.2014, vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 682,00 EUR zu gewähren. Diesen Beschluss führte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28.08.2013 und Änderungsbescheid vom 23.11.2013 aus.
Einen erneuten Antrag vom 22.01.2014 auf Leistungen nach dem SGB II lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2014 ab. Die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Sie halte sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf und habe nicht den Status einer Arbeitnehmerin erworben. Sie arbeite im Schnitt lediglich 38,8 Stunden im Monat für einen Stundenlohn von 2,00 EUR, so dass sie in den Monaten Oktober bis Dezember 2013 durchschnittlich lediglich 77,67 EUR verdient habe. Die Tätigkeit sei somit zu gering und lediglich von unwesentlicher Bedeutung. Das Aufenthaltsrecht beruhe lediglich auf der Arbeitsuche in Deutschland nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und bleibe bei Arbeitslosigkeit lediglich für die Dauer von sechs Monaten bestehen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU berufen. Zwar lebe ihr Vater in Deutschland. Zu diesem habe sie jedoch keinen Kontakt. Ein Verstoß der fraglichen Norm gegen Primär- oder Sekundärrecht der Europäischen Union sei nicht ersichtlich. Auch auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Sie falle als Griechin zwar in dessen Schutzbereich, aufgrund des von der Bundesregierung erklärten Vorbehalts, der im Übrigen wirksam sei, seien aber auch Staatsangehörige von Signatarstaaten ausgeschlossen. Den erneuten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das SG mit Beschluss vom 17.02.2014 (S 15 AS 343/14 ER) mangels Anordnungsanspruch ab. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob das LSG mit Beschluss vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B) den Beschluss des SG auf und verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung, der Antragstellerin für die Zeit vom 01.02.2014 bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 28.01.2014, längstens bis zum 31.07.2014, vorläufig Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In Umsetzung des Beschlusses gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 691,00 EUR.
Am 21.07.2014 beantragte die Antragstellerin die Weitergewährung der Leistungen über den 31.07.2014 hinaus. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23.07.2014 erneut unter Bezugnahme auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab.
Den erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 31.07.2014 hat das SG mit Beschluss vom 07.08.2014 abgelehnt. Der nach § 86 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendige Anordnungsanspruch liege nicht vor. Die Antragstellerin halte sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland auf; ihre Tätigkeit bei der Caritas sei nur eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II; die nicht den Status als Arbeitnehmerin im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) begründe. Andere Aufenthaltszwecke lägen nicht vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der demnach Ansprüchen der Antragstellerin entgegenstehe, könne nicht europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass er auf EU-Bürger nicht anzuwenden sei. Dies ließen der Wortlaut und die ausdrücklich erklärten Beweggründe des Gesetzgebers schon methodisch nicht zu. Diese Auslegungsgrenzen müssten auch bei einer europarechtskonformen Auslegung beachtet werden. Die fragliche Regelung sei auch verfassungsgemäß. Sie verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es liege auch kein Verstoß gegen europäisches Recht vor. Weder seien das Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) noch das Diskriminierungsrecht aus Art. 18 AEUV verletzt. Art. 4 der Verordnung (VO) 883/2004 vom 29.04.2004 sei nicht verletzt, weil diese Norm durch die speziellere Regelung in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie (RL) 2004/38/EG vom 29.04.2004 verdrängt werde und diese einen Leistungsausschluss wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zulasse. Auch Art. 1 EFA sei nicht verletzt, da der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin habe keinerlei Umstände vorgebracht, die eine Unzumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland begründen könnten. Ein Anspruch auf vorläufige Leistungsbewilligung folge auch nicht aus § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Eine Folgenabwägung sei nicht vorzunehmen. Die Kammer habe eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage vorgenommen, so dass schon deswegen eine Folgenabwägung weder nötig noch möglich sei. Durch eine Folgenabwägung könnten dem Rechtsuchenden keine Leistungen zugesprochen werden, die ihm nach Auffassung des jeweils erkennenden Gerichts aus materiell-rechtlichen Gründen nicht zustünden.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 08.08.2014 Beschwerde erhoben, zu deren Begründung sie auf die Ausführungen des LSG im Beschluss vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B) Bezug nimmt. Eine abschließende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zur vorliegenden Rechtsfrage stehe weiterhin aus.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der Antragsgegner war aufgrund der verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin für den laufenden Bewilligungsabschnitt 01.08.2014 bis - längstens - 31.01.2015 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 691,00 EUR zu gewähren. Entgegen der Ansicht des SG liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatzes 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn dem Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Die Gerichte müssen, da sie sich schützend und fördernd vor die (möglichen) Grundrechte der Betroffenen zu stellen haben, die Sach- und Rechtslage entweder abschließend prüfen oder aber anhand einer Folgenabwägung entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Eine abweichende Rechtslage, wonach generell und ausnahmslos in Eilsachen eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ausreiche, ergibt sich auch nicht aus dem vom SG zitierten Senatsbeschluss des BVerfG vom 13.04.2010 (1 BvR 216/07, Juris). Zwar dürfen nach dem Beschluss des BVerfG Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, hierbei ist aber dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind der Antragstellerin im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuzusprechen. Der Senat folgt im Wesentlichen der Entscheidung des 3. Senats des LSG vom 06.03.2014 (L 3 AS 898/14 ER-B); auch weiterhin sind zu viele Punkte ungeklärt, als dass sich der Senat eine abschließende Meinung über die Sach- und Rechtslage bilden könnte.
Der Senat hat zunächst keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II zumindest glaubhaft gemacht sind. Die volljährige, erwerbsfähige Antragstellerin ist hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer ausgeschlossen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, zu Lasten der Antragstellerin eingreift, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden.
Nicht abschließend geklärt ist bereits, ob sich die Antragstellerin auch auf andere Aufenthaltszwecke als den der Arbeitsuche stützen kann.
Die Frage, ob die Antragstellerin als griechische Staatsangehörige, die sich allein zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält, nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist oder ob der dort geregelte Ausschluss von Unionsbürgern von Leistungen gegen europäisches Recht verstößt, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat mit Beschluss vom 12.12.2013 das Verfahren nach Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung einzuholen zu der Frage nach der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Art. 4 der Koordinierungs-VO (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit), sowie mit Art. 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art. 18 AEUV und der Unionsbürger-RL (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten). Eine Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen (C-67/4) liegt noch nicht vor. Das Votum des Generalanwalts Melchior Wathelet zu seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 in der beim EuGH anhängigen Rechtssache Dano (C-333/13), die eine ähnliche Fallgestaltung betrifft, zeigt wiederum in seiner Umfänglichkeit und Komplexität auf, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage des Leistungsausschlusses offen ist und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend beantwortet werden kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.07.2014, L 12 AS 1031/14 B ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.06.2014, L 25 AS 1511/14 B, Juris).
Entgegen der Ansicht des SG ist der Senat auch nicht davon überzeugt, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II selbst bei einem Verstoß gegen die Koordinierungs-VO weiter anzuwenden wäre, weil aus methodischen Gründen kein Raum für eine erweiternde europarechtskonforme Auslegung sei. Zwar kann der EuGH eine mitgliedstaatliche Umsetzungsnorm nicht für nichtig erklären, möglicherweise stehen den betroffenen Unionsbürgern dann aber Ansprüche unmittelbar aus der Verordnung zu (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.03.2014, a.a.O.).
Allein aufgrund der ungeklärten europarechtlichen Fragestellung sind zuletzt in vergleichbaren Fällen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch sämtliche am LSG Baden-Württemberg mit Verfahren des SGB II befassten Senate (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.07.2012, L 1 AS 2751/12 ER-B, Beschluss vom 05.03.2014, L 2 AS 486/14 ER-B, Beschluss vom 06.03.2014, L 3 AS 898/14 ER-B, Beschluss vom 08.04.2013, L 7 AS 970/13 ER-B, Beschluss vom 21.06.2013, L 12 AS 1432/13 ER-B und Beschluss vom 15.05.2014, L 13 AS 1845/14 ER-B, zit. nach http://www.sozialgerichtsbarkeit.de) und in der Rechtsprechung ganz überwiegend (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20.12.2013, L 12 AS 2265/13 B ER und L 12 AS 2266/13 B, Beschluss vom 10.10.2013, L 19 AS 129/13, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.06.2014, L 25 AS 1511/14 B ER, a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.01.2014, L 13 AS 266/13 B ER, zit. jeweils nach Juris) Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung zugesprochen worden. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Die durch den Senat damit vorzunehmende Folgenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Es ist nicht ersichtlich, dass die Nachteile, die der Antragstellerin entstünden, wenn ihr Eilantrag endgültig abgelehnt würde, ihr aber nach einem Hauptsacheverfahren doch Leistungen nach dem SGB II zustünden, zumutbar wären. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann der Antragstellerin im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Außerdem ist - worauf der 3. Senat zutreffend hingewiesen hat - nicht geklärt, ob der Antragstellerin eine Rückkehr nach Griechenland zumutbar wäre. Zweifel hieran bestehen, nachdem der Vater der Antragstellerin in Deutschland lebt und sie selbst hier aufgewachsen ist. Von einer überwiegenden Integration im Inland ist daher auszugehen. Den seitens der Antragstellerin drohenden Nachteilen steht auf der Seite des Antragsgegners lediglich das fiskalische Interessen gegenüber, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten.
Der Antragstellerin sind daher einstweilig die Regelleistung für alleinstehende Hilfebedürftige in Höhe von monatlich 391,00 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 300,00 EUR zu gewähren.
Die zeitliche Befristung entspricht dem sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Gründe für eine längere Bewilligung (§ 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II) sind nicht ersichtlich, nachdem die Antragsgegnerin Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erbringt und nicht erkennbar ist, dass diese aussichtslos wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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