S 13 R 1258/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 R 1258/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 577/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 13. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2012 wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 100.609,76 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen aufgrund einer Betriebsprüfung in Höhe von insgesamt 100.609,76 EUR.

Die Klägerin betreibt unter der Fa. C. ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung mit Einstellung, Einsatz und Beschäftigung gewerblicher und kaufmännischer Arbeitnehmer als Zeitpersonal bei Betrieben und Unternehmen aller Art. Sie verfügt über eine Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die bei der Klägerin beschäftigten Leiharbeitnehmer waren für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 auf der Basis des zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP), dem Bundesverband Deutscher Dienstleistungsunternehmen e.V. (BVD), dem Arbeitgeberverband Mercedarius geschlossenen Tarifvertrags beschäftigt.

Aufgrund eines bestandskräftigen Bescheides vom 18.09.2008 hatte die Beklagte aufgrund einer Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2004 bis 31.12.2007 eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 348,13 EUR festgesetzt.

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10), wonach die CGZP nicht tariffähig sei, führte die Beklagte in der Zeit vom 19.12.2011 bis 03.02.2012 bei der Klägerin eine erneute Betriebsprüfung nach § 28 p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch. Mit Anhörungsschreiben vom 06.02.2012 nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilte sie der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, aufgrund der Feststellungen der stichprobenweise durchgeführten Prüfung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 100.609,76 EUR zu erheben. Die Bestätigung der Tarifunfähigkeit der CGZP durch das BAG habe die Unwirksamkeit der geschlossenen Tarifverträge zur Folge, so dass es zur Anwendung des § 10 Abs. 4 AÜG komme. Dadurch könne der betroffene Leiharbeitnehmer von dem Verleiher den Lohn eines im Betrieb des Entleihers beschäftigten, vergleichbaren Arbeitnehmers beanspruchen. Die Differenz zwischen dem zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers sei somit individuell nachzuerheben, wobei sich folgende prozentuale Lohnabstände aufgrund der ermittelten Durchschnittswerte ergeben würden:

Gruppe Helfer 8,00 %
Gruppe Fachhelfer 10,70 %
Gruppe Facharbeiter 2,05 %
Gruppe Bürohilfen 5,20 %
Gruppe Sachbearbeiter 1,10 %
Gruppe Ingenieure 2,50 %

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 05.03.2012 Einwendungen. Das BAG habe die Tarifunfähigkeit lediglich gegenwartsbezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beim Landesarbeitsgericht - LAG - Berlin-Brandenburg (am 07.12.2009) und nicht für die Vergangenheit festgestellt. Die Klägerin genieße aufgrund des bestandskräftigen Prüfbescheids vom 18.09.2008 für die Zeiträume 2006 bis 2007 Vertrauensschutz und aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BAG zumindest bis zum 21.12.2010. Auch könne eine rückwirkende Unwirksamkeit von Tarifverträgen aus Praktikabilitätsgründen nicht richtig sein. Der betroffene Arbeitgeber genieße auch aus arbeitsrechtlicher Sicht Vertrauensschutz. Die Vergütungsdifferenzen seien zudem für die Gruppe der Helfer, Facharbeiter, Sachbearbeiter und Ingenieure deutlich überschritten.

Anschließend stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.03.2012 anhörungsgemäß die Nachforderung an Sozialversicherungsbeiträgen fest. Zwar habe das BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 die Frage der Tarifunfähigkeit nur gegenwartsbezogen beantwortet. Die tragenden Gründe seien jedoch auch auf die Zeit vor 2009 zu übertragen. Auch bestehe an der vom BAG offen gelassenen Frage, ob die CGZP überhaupt von tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen geschlossen worden sei und über die soziale Mächtigkeit verfügt habe, erhebliche Zweifel, da höchstens 0,18 % der im Jahre 2008 beschäftigten Leiharbeitnehmer Mitglieder der in der CGZP zusammengeschlossenen Vereinigung gewesen seien. Im Rahmen der summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass die Gewerkschaft von Anfang an tarifunfähig gewesen und die geschlossenen Tarifverträge damit unwirksam seien. Vertrauensschutz hinsichtlich der Tariffähigkeit könne nicht bestehen. Der bestandskräftige Bescheid vom 18.09.2008 aufgrund der letzten Betriebsprüfung stehe der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser stelle regelmäßig nur einen ausschließlich belastenden Verwaltungsakt dar, schließe eine weitergehende als die festgesetzte Forderung jedoch nicht aus. Eine Betriebsprüfung könne nicht umfassend und erschöpfend sein und dürfe sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken. Da die Vergütungsdifferenzen einvernehmlich festgelegt worden seien, sei der Einwand, die Beklagte beabsichtige diese deutlich zu überschreiten, nicht nachvollziehbar.

Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.04.2012 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein und begründete diesen wie die erhobenen Einwendungen. Eine rückwirkende Rechtswirkung der BAG-Entscheidung scheide aus, da dieses seine Entscheidung nur gegenwartsbezogen verstanden habe. Die Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung wie auch ein vorausgegangenes nachhaltiges Verhalten der Verwaltung könne für Arbeitgeber zu Vertrauensschutz führen. Auch hätte es die Beklagte versäumt, trotz Kenntnis über die Problematik entsprechende Vorbehalte in Prüfbescheide aufzunehmen. Die Jahre 2006 bis 2007 seien nicht mehr bescheidungsfähig, da sie durch Bescheid vom 18.09.2008 abschließend erledigt seien. Auch sei die Frage streitig, ob sich die Tarifunfähigkeit einer Gewerkschaft überhaupt rückwirkend auf die Wirksamkeit der durch sie geschlossenen Tarifverträge auswirken könne.

Die ebenso von der Klägerin beantragte Aussetzung der Vollziehung des Bescheides lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 23.04.2012 ab, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden und die Vollziehung keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Auf den zum Sozialgericht Augsburg mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 07.05.2012 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides wurde unter dem Az.: S 3 R 510/12 ER mit Beschluss vom 09.07.2012 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs insoweit angeordnet, als Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 nachgefordert wurden. Im Übrigen wurde der Antrag zurückgewiesen. Die Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 01.01.2008 hätte eine Rücknahme des ursprünglichen Beitragsbescheides nach § 45 SGB X erfordert. Dies sei nicht geschehen. Soweit die Beitragsjahre 2006 und 2007 erfasst seien, bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung. Für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2009 stehe fest, dass die Tarifgemeinschaft tarifunfähig gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2012 wies die Beklagte sodann den Widerspruch zurück. Zwischenzeitlich stehe materiell-rechtlich fest, dass die CGZP zu keinem Zeitpunkt tariffähig gewesen sei. Die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 sei auch nicht überraschend gewesen, so dass kein Vertrauensschutz bestanden habe. Auch würden Betriebsprüfungen nach dem Stichprobenprinzip durchgeführt und dem Arbeitgeber keine Entlastung erteilen. Durch die ergehenden Beitragsbescheide werde somit nicht abschließend entschieden. Durch die Verjährungsfrist nach § 25 SGB IV sei ein Beitragsschuldner hinreichend geschützt. Es sei darüber hinaus unzutreffend, dass aufgrund einer vorangegangenen Betriebsprüfung die Geltendmachung von Ansprüchen für bereits geprüfte Zeiträume ausgeschlossen sei. Dem in diesem Zusammenhang ergangenen Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) vom 18.01.2011 folge die Beklagte nicht. Dieses betreffe einen Einzelfall in einem anders gelagerten Sachverhalt und stehe im Widerspruch zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, mit der sich das BayLSG nicht auseinandergesetzt habe. Das BayLSG habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Rentenversicherungsträger bei Betriebsprüfungen nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet seien. Erst aufgrund der mit Beschluss des BAG im Dezember 2010 festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP sei ein behördliches Handeln ermöglicht worden. Ein Berufen auf Vertrauensschutz sei damit nicht möglich.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 03.12.2012 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Zur Begründung der Klage wurde vorgetragen, dass die Beitragsnachforderungen für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2006 verjährt seien. Die Klägerin habe frühestens im Jahr 2011 mit Absetzung der Entscheidungsgründe des BAG von der Entscheidung vom 14.12.2010 Kenntnis von einer möglichen Beitragsnachzahlungsverpflichtung erlangen können. Aufgrund der vierjährigen Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV seien die auf das Jahr 2006 entfallenden Beitragsforderungen somit verjährt. Da der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 ausdrücklich eine gegenwartsbezogene Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt habe und erst mit Beschluss vom 23.05.2012 festgestellt wurde, dass die CGZP von Beginn ihrer Tätigkeit an tarifunfähig gewesen sei, seien auch die auf das Kalenderjahr 2007 entfallenden Beiträge verjährt. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung habe sich die Klägerin auf die bis dahin allgemein angenommene Rechtslage verlassen können.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BayLSG sei zudem für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 keine rückwirkende Änderung der bestandskräftigen Feststellung möglich, da die Beklagte den Bescheid vom 18.09.2008 nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen habe.

Die Klägerin könne sich insgesamt für den gesamten relevanten Zeitraum hinsichtlich der Tariffähigkeit der CGZP auf Vertrauensschutz berufen. Die BAG-Entscheidungen vom 14.12.2010 und vom 23.05.2012 hätten erhebliche Neuerungen beinhaltet, so dass eine Rückwirkung ausgeschlossen sei. Das Vertrauen in die Tariffähigkeit sei schützenswert. In entsprechender Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsvertrag bzw. von der fehlerhaften Gesellschaft (fehlerhafter Tarifvertrag) sei eine rückwirkende Unwirksamkeit zu verneinen.

Die Beklagte trägt hiergegen vor, dass es keiner Aufhebung des Bescheides vom 18.09.2008 nach den Regelungen des § 45 SGB X für den Prüfzeitraum bis 31.12.2007 bedurft habe. Die im streitigen Bescheid geprüften Arbeitnehmer seien durch diesen nicht betroffen gewesen. Betriebsprüfungen würden keine abschließenden Regelungen beinhalten und hätten nicht den Zweck, den Beitragsschuldner zu schützen oder ihm Entlastung zu erteilen.

Aufgrund der Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg und des BAG habe die Klägerin in Kenntnis der Möglichkeit der Abführung von Beiträgen in unzutreffender Höhe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, so dass Ansprüche erst in 30 Jahren verjähren und zum Zeitpunkt der Entscheidung des BAG noch nicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährt gewesen seien. Ein Verwirkungshandeln der Beklagten sei nicht gegeben. Da bereits im Jahr 2011 hinsichtlich der streitbefangenen Nachforderungen Schriftwechsel zwischen der Klägerin und der Beklagten geführt worden sei, sei eine Verjährung der Beiträge für das Jahr 2007 ausgeschlossen. Da die Tariffähigkeit der CGZP bereits von ihrer Gründung an umstritten gewesen sei, könne sich die Klägerin diesbezüglich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Auch sei der gute Glaube an die Tariffähigkeit einer Vereinigung nicht geschützt. Vertrauensschutz ergebe sich auch nicht aus den Grundsätzen der Lehre von fehlerhaften Dauerschuldverhältnissen, da die schutzwürdigen Interessen der Leiharbeitnehmer aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes entgegenstünden. Auch die Grundsätze der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft seien auf den streitigen Sachverhalt nicht übertragbar. Zusammenfassend lasse nur ein wirksamer Tarifvertrag eine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall der Gleichbehandlung nach §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG zu.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 13.03.2012 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 31.10.2012 aufzuheben.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen. Beigezogen war zudem die Akte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum Az.: S 3 R 510/12 ER.

Entscheidungsgründe:

Das Sozialgericht Augsburg ist zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich und örtlich zuständig. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Der Bescheid vom 13.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2012 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin als Arbeitgeberin zur Entrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in der festgestellten Höhe verpflichtet ist.

Diese Verpflichtung resultiert unmittelbar aus § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28 d SGB IV) zu zahlen. Absatz 1 der Bestimmung stellt als zahlungspflichtigen Schuldner den Arbeitgeber fest. Die Regelungen der einzelnen Sozialversicherungszweige (§ 253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - für die Krankenversicherung, § 174 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch
- SGB VI - für die Rentenversicherung und § 348 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch
- SGB III - für die Arbeitslosenversicherung) verweisen auf die Regelungen des SGB IV über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag und somit auch auf § 28 e SGB IV. Dabei gehört die Zahlungspflicht des Arbeitgebers zu seinen Hauptpflichten im Rahmen seiner Indienstnahme als Privater (vgl. Seewald in Kasseler-Kommentar, § 28 e SGB IV, Anm. 1). Arbeitgeber ist nach der Definition der Rechtsprechung derjenige, der einen anderen beschäftigt und zu dem der Beschäftigte in persönlicher Abhängigkeit steht (vgl. § 7 SGB IV). Die Arbeitgebereigenschaft ist gekennzeichnet durch die Tragung des Risikos und der Lohn- und Gehaltszahlungspflicht. Diese Pflicht ergibt sich aus dem Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses (vgl. BayLSG, Urteil vom 27.01.2009, Az.: L 5 R 265/08). Die zur Bestimmung der Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags heranzuziehenden Arbeitsentgelte sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Nach Überzeugung des Gerichts ergibt sich die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der streitgegenständlichen Nachforderungssumme aufgrund der von der Beklagten durchgeführten Betriebsprüfung. Nach § 28 p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und sonstigen Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Nach § 10 Abs. 4 AÜG ist die Klägerin als Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren. Soweit ein auf das Arbeitsverhältnis anzuwendender Tarifvertrag abweichende Regelungen trifft, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren, §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG. Im Falle der Unwirksamkeit der Vereinbarung zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 2 AÜG hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Equal pay).

Da die Tarifverträge der CGZP mit hiervon abweichenden Regelungen aufgrund der Feststellung der Tarifunfähigkeit laut Beschluss des BAG vom 14.12.2010 unwirksam waren, stand den Leiharbeitnehmern der Klägerin nach dem Equal pay-Prinzip ein Anspruch auf ein Arbeitsentgelt zu, das dem der vergleichbaren Arbeitnehmer des jeweiligen Entleihers entsprach. Das Gericht geht entgegen der Auffassung der Klägerin davon aus, dass die Entscheidung über die Tarifunfähigkeit der CGZP nicht nur Wirkung für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit entfaltet. Im Beschluss vom 22.05.2012 unter dem Az.: 1 ABN 27/12 über die Nichtzulassungsbeschwerde wegen der vorgehenden Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2012, Az.: 24 TaBV 1285/11, hat das BAG die Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP auch für die Vergangenheit klargestellt. Die CGZP war somit ab ihrer Gründung zu keinem Zeitpunkt tariffähig (vgl. BAG, Urteil vom 13.03.2013, Az.: 5 AZR 954/11). Nachdem § 9 Nr. 2 AÜG jedoch einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraussetzt, waren die abgeschlossenen Tarifverträge von Anfang an unwirksam. Schließt eine Vereinigung ohne Tariffähigkeit einen Tarifvertrag ab, ist dieser Tarifvertrag von Anfang an unwirksam und damit nichtig. Da ein Lohnanspruch nach dem Equal pay-Prinzip zudem nicht die Rückabwicklung eines Vertrages zum Gegenstand hat, geht auch der Hinweis des Bevollmächtigten der Klägerin auf die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsvertrages mit der Folge einer ex nunc-Unwirksamkeit fehl. Vor dem Hintergrund der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Arbeitnehmer wäre hier das gegenteilige Ergebnis die Folge, dass bei der Annahme einer ex tunc-Unwirksamkeit gerade der schutzbedürftige Arbeitnehmer benachteiligt wäre.

Auch Gründe des Vertrauensschutzes sind nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die Klägerin von ihrer Beitragspflicht zu entlasten. Hierzu wird auf das Urteil des BAG vom 13.03.2013 verwiesen, wonach zum einen ein guter Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, insbesondere an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, nicht geschützt ist und zum anderen der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 keine Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung beinhaltete, da eine solche in der Vergangenheit nicht vorlag. Nach dem sog. Entstehungsprinzip gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind die Ansprüche der Träger der Sozialversicherung daher entstanden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorgelegen haben.

Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, dass Vertrauensschutz im Sinne einer Verwirkung des Forderungsanspruchs vorliegt, weil die Beklagte mit bestandskräftigem Prüfbescheid vom 18.09.2008 eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 348,13 EUR für den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 31.12.2007 festgesetzt hat. Für die Annahme einer Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bedarf es eines Verwirkungsverhaltens, einer Verwirkungsgrundlage sowie eines Vertrauenstatbestands. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte es über einen längeren Zeitraum hinweg unterlassen habe, ein Recht nicht geltend zu machen und dadurch die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass eine spätere Geltendmachung, durch die ihr ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde, nicht mehr erfolgen würde. Betriebsprüfungen bezwecken keine Entlastung der Arbeitgeber, sofern bestimmte Beanstandungen unterblieben sind. Das Gericht schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass Betriebsprüfungen in der Regel stichprobenartig durchgeführt werden und keine abschließenden Regelungen beinhalten. Ein Schutz des Beitragsschuldners oder die Erteilung einer Entlastung resultiert hieraus damit nicht.

Das Gericht sieht auch keine Veranlassung für die Erforderlichkeit einer Aufhebung des Prüfbescheides vom 18.09.2008 nach § 45 SGB X durch die Beklagte. Nach Absatz 1 der Vorschrift darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit bei Vorliegen von weiteren Voraussetzungen zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Es ist bereits fraglich, ob der Prüfbescheid vom 18.09.2008 einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt. Der sich maßgeblich aus dem Verfügungssatz und durch Auslegung ergebende Verwaltungsaktcharakter lässt keine Begünstigung der Klägerin erkennen. Aus dem Prüfbescheid ergibt sich im Gegenteil eine von dieser zu leistende Nachforderung, nicht jedoch die positive Aussage, dass darüber hinaus weitere Forderungen aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausgeschlossen sind. Aus dem Inhalt des Prüfbescheids ergibt sich somit nicht die Feststellung einer Entlastung sofern eine bestimmte Beanstandung unterblieben ist, sondern lediglich eine Regelung im Interesse der Sozialversicherungsträger. Der Entscheidung des BayLSG vom 22.03.2012, Az.: L 5 R 138/12 B ER, wonach eine Nachforderung von Beiträgen nur unter Berücksichtigung der Regelung in § 45 SGB X zulässig ist, wird vor diesem Hintergrund nicht gefolgt. Ergänzend wird auf das Urteil des BSG vom 30.10.2013, Az.: B 12 AL 2/11 R, verwiesen, worin das Bestehen einer Vertrauensgrundlage für den Arbeitgeber bei unterbliebenen Beanstandungen in Beitragsnachforderungsfällen verneint wird. Eine materielle Bindungswirkung derartiger Betriebsprüfungen könne sich danach lediglich dann und insoweit ergeben, als die Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sei (vgl. BSG, a.a.O.). Dieser Sachverhalt liegt in der zugrunde liegenden Klage jedoch nicht vor.

Die festgestellte Nachforderung ist auch nicht verjährt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren, nach Satz 2 der Vorschrift verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin aufgrund der Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg und des BAG bereits in den Jahren 2009 bzw. 2010 zumindest darüber Kenntnis hatte, dass die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge aufgrund einer möglichen Tarifunfähigkeit der CGZP in unzutreffender Höhe erfolgen könnte. Für einen bedingten Vorsatz reicht es aus, wenn die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge in zutreffender Höhe jedoch billigend in Kauf genommen wurde.

Die Höhe der Nachforderungsbeträge auf der Grundlage von prozentualen Lohnabständen aufgrund ermittelter Durchschnittswerte ist im Klageverfahren zwischen den Beteiligten unstreitig. Gegen die angenommene Höhe sprechen keine Bedenken.

Nach Auffassung des Gerichts ist eine Fehlerhaftigkeit der von der Beklagten erlassenen Bescheide insgesamt nicht nachgewiesen. Die fehlende Nachweislichkeit geht zulasten der Klägerin, die nach dem Grundsatz der objektiven Beweislastverteilung die für sie günstigen Umstände zu belegen hat. Ein entsprechender Nachweis ist ihr nach Dafürhalten des Gerichts nicht gelungen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2012 erweist sich somit als rechtmäßig.

Da die Klägerin als Arbeitgeber nicht zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehört, ist gemäß § 197 a SGG der Streitwert auf 100.609,76 EUR festzusetzen (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Rechtskraft
Aus
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