L 3 U 5677/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 588/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5677/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. November 2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die 1942 geborene Klägerin ist Inhaberin der Textilreinigungsfirma K. in K. und seit 01.01.1995 bei der Beklagten pflichtversicherte Unternehmerin. Am 18.02.2009 zeigte sie bei der Beklagten einen Unfall an, den sie am 13.12.2008 erlitten hatte. Sie gab hierzu an, ihr Ladengeschäft bestehe aus zwei Ebenen, die durch eine schräge Rampe miteinander verbunden seien. Am Unfalltag habe sie einen vollen Wäschewagen hochgeschoben und sei davon ausgegangen, dass dieser oben stehen bleibe. In diesem Moment habe die Ladentüre geklingelt und sie sei schon ein paar Schritte nach unten gelaufen, als der Wäschewagen die Rampe zurück gerollt sei. Sie habe eine seitliche ruckartige Bewegung gemacht, um den Wagen aufzufangen. Dabei habe sie einen rasenden Schmerz verspürt.

Die Orthopädin Dr. G., in deren Behandlung sich die Klägerin daraufhin am 15.12.2008 begab, veranlasste am 10.02.2009 eine Überweisung zum H-Arzt Dr. K ... Gegenüber der Beklagten teilte sie mit, versicherungsrechtlich bestehe wahrscheinlich kein Zusammenhang zwischen dem Schieben eines Wäschewagens und dem (diagnostizierten) Bandscheibenvorfall. Dr. K., der die Klägerin am 11.02.2009 untersuchte, führte in dem am gleichen Tag erstellten Bericht unter Hinweis auf die ihm vorliegenden MRT-Bilder vom 17.12.2008 aus, es beständen ein Bandscheibenprolaps im Bereich L 3/4 mit Schmerzen, die in die linke untere Extremität ausstrahlten und eine deutliche Quadrizepsatrophie.

Die Beklagte holte bei der m. Betriebskrankenkasse das Vorerkrankungsverzeichnis ein, befragte den Hausarzt der Klägerin, Dr. M., zu vorbestehenden Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule und veranlasste sodann eine Begutachtung durch Dr. R., Chefarzt der Chirurgischen Klinik der S. Kliniken K ... Dr. M. führte unter dem 21.06.2009 aus, die Klägerin, die seit 27.03.2000 in seiner Behandlung stehe, sei lediglich am 30.11.2004 und 13.12.2004 wegen eines Schulter-Arm-Syndroms sowie am 11.05.2005 wegen Nacken- und geringen Kreuzschmerzen behandelt worden. Dr. R. gelangte in seinem Gutachten vom 30.06.2009 zu dem Ergebnis, das Ereignis vom 13.12.2008 sei lediglich eine Gelegenheitsursache für den Bandscheibenvorfall im Bereich L 3/4. Zwar habe ein Vorschaden nicht bestanden, wie das Vorerkrankungsverzeichnis bestätige, es sei jedoch von einer Schadensanlage mit degenerativen Veränderungen sämtlicher Lendenwirbelsäulensegmenten auszugehen. Das MRT vom 17.12.2008 habe neben dem seitlichen Prolaps im Zwischenwirbelraum L 3/4 mit Einengung der L 3-Wurzel geringe degenerative Veränderungen im Segment L 1/2 und L 2/3 sowie degenerative Veränderungen der Segmente L 4/5 und L 5/S 1 ergeben. Der Chirurg T., Praxiskollege von Dr. K., nahm auf Anforderung der Beklagten zum Unfallzusammenhang Stellung und führte am 08.07.2009 aus, je nach Schwere des Wäschewagens, Neigung der Rampe und Stellung der Klägerin zu dem beschleunigten Wagen im Augenblick des Abbremsens sei die Entstehung eines Bandscheibenprolapses zum Beispiel durch eine gleichzeitige Rotationsbewegung der LWS durchaus möglich. Eine Hyperlordosierung wie sie im Augenblick des Abfangens des Wäschewagens mutmaßlich erfolgt sei, spreche eher gegen die Annahme eines frisch entstandenen Bandscheibenprolapses; auch die im MRT bereits nachweisbaren, deutlich fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen in den Nachbarsegmenten sprächen dagegen. Unter Würdigung sämtlicher Aspekte sei eher von einer Gelegenheitsursache auszugehen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.07.2009 die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sowie die Gewährung von Leistungen ab.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und machte geltend, für das Bestehen einer Schadensanlage sei die Beklagte beweisbelastet. Am betroffenen Wirbelsäulensegment L 3/4 habe Dr. R. keine degenerativen Veränderungen beschrieben, sondern lediglich in den benachbarten Segmenten. Auch dann, wenn von einer Schadensanlage im Bereich L 3/4 ausgegangen werde, sei damit die Frage, ob eine rechtlich wesentliche oder unwesentliche Ursache vorliege, noch nicht beantwortet. Eine rechtlich unwesentliche Ursache liege vor, wenn der Schaden wahrscheinlich auch etwa zur selben Zeit und im selben Umfang sowie entweder spontan oder unter Mitwirkung eines äußeren Ereignisses, das aber das Maß alltäglicher Belastung nicht überschreite, eingetreten wäre. Bei dem Auffangen eines Wäschewagens, dessen Gewicht jetzt erstmals mit 75 bis 100 kg angegeben wurde, handele es sich nicht um eine alltägliche Belastung. Auch habe Dr. K. im H-Arzt-Bericht vom 11.02.2009 die Frage unter Ziffer 10, ob Hergang und Befund gegen die Annahme eines Arbeitsunfalles sprächen, verneint.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2010 zurück und verwies auf die Ausführungen des Dr. R ...

Mit der dagegen am 16.02.2010 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Das SG hat zunächst Dr. G. als sachverständige Zeugin gehört. Auf deren Auskunft vom 17.06.2010 wird Bezug genommen. Sodann hat es von Amts wegen ein Gutachten bei dem Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S. und auf Antrag der Klägerin ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Dr. H. eingeholt.

Dr. S. hat unter dem 28.10.2010 ausgeführt, weder eine ruckartige Abwehrbewegung noch ein durch den Wäschewagen verursachtes Anpralltrauma sei geeignet, eine traumatische Bandscheibenläsion zu verursachen. Adäquate Hergänge seien eine schwere Stauchung der Lendenwirbelsäule bei einem Sturz, Überschlag, Hinausschleudern aus offenem Wagen oder eine ungewöhnlich überraschende, daher unkoordinierte Kraftanstrengung. Ferner seien für die Bejahung eines traumatischen Bandscheibenvorfalles - wenn auch minimale - knöcherne oder ligamentäre Verletzungen im betroffenen Wirbelsäulensegment zu fordern. Derartige Verletzungen im Bereich L 3/4 seien auf keiner der Kernspinaufnahmen vom 17.12.2008 dokumentiert. Ein Zusammenhang zwischen dem angeschuldigten Ereignis und dem Bandscheibenvorfall L 3/4 sei nicht zu begründen.

Dr. H. hat im Gutachten vom 15.03.2011 ausgeführt, für die Anerkennung eines traumatischen Bandscheibenschadens sprächen die vorbestehende Beschwerdefreiheit und das direkte Einsetzen der Symptome nach dem Unfall. Gegen einen Zusammenhang spreche der Unfallmechanismus. Es sei von einer abrupten Rotationsbewegung der LWS ohne übermäßige Flexions- oder Extentionsbewegung auszugehen, die als brüske Rumpfbewegung als üblich gelte. Ein Hyperflexionstrauma der LWS im Sinne eines Klappmessermechanismus mit gleichzeitiger axialer Stauchung, welches einen geeigneten Unfallmechanismus darstelle, habe die Klägerin nicht erlitten. Ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 13.12.2008 und dem Bandscheibenvorfall hat Dr. H. verneint. In der von der Klägerin beantragten ergänzenden Stellungnahme ist Dr. H. am 23.08.2011 bei seiner Einschätzung verblieben.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.11.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 13.12.2008 und dem Bandscheibenvorfall L 3/4 und den hierdurch verursachten Beschwerden sei nicht zu bejahen.

Die Klägerin hat am 23.12.2011 Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen vertieft.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. November 2011 und des Bescheides der Beklagten vom 28. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 zu verurteilen, das Ereignis vom 13. Dezember 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen, die bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden/Störungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und des linken Beines als Folgen des Arbeitsunfalles vom 13. Dezember 2008 anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen wegen der Folgen des erlittenen Arbeitsunfalles vom 13.12.2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG. Das SG habe zu Recht entschieden, dass der am 17.12.2008 diagnostizierte Bandscheibenprolaps L 3/4 nicht ursächlich auf das Ereignis vom 13.12.2008 zurückzuführen sei. Das SG habe zwar nicht geprüft, ob überhaupt ein geeigneter Unfallhergang vorgelegen habe; letztendlich komme es darauf jedoch gar nicht an, da entscheidend sei, ob begleitende knöcherne oder Bandverletzungen im betroffenen Segment vorgelegen hätten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010. Mit der dort getroffenen Regelung hat die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sowie die Gewährung von Leistungen abgelehnt.

Mit ihrem Antrag begehrt die Klägerin eine behördliche und nicht eine unmittelbar gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalles und von Unfallfolgen. Die insoweit erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Anerkannt ist, dass ein Verletzter seinen Anspruch auf Feststellung, dass ein Unfall ein Arbeitsunfall und eine Gesundheitsstörung Folge dieses Arbeitsunfalles ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen kann. Es besteht vielmehr ein Wahlrecht, ob stattdessen das Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage, gerichtet gegen den Verwaltungsakt, der den vom Verletzten erhobenen Anspruch ablehnt, und einer Verpflichtungsklage verfolgt wird (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R -, juris Rn. 9 m.w.N. auf Rechtsprechung und Literatur).

Die Sachentscheidungsvoraussetzungen dieser Klagearten liegen hier vor. Insbesondere ist die Klägerin auch klagebefugt (formell beschwert) im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie (möglicherweise) in ihrem Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsaktes, der einen Arbeitsunfall und Unfallfolgen feststellen soll, verletzt ist.

Grundsätzlich kann ein Versicherter vom Unfallversicherungsträger den Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes über das Vorliegen eines Versicherungsfalles und ggf. der diesem zuzurechnenden Unfallfolgen beanspruchen. Hierzu ist der Unfallversicherungsträger auch im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hinreichend ermächtigt.

Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlage für die von der Klägerin begehrten Feststellungen sind §§ 102, 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Über beide Begehren - Feststellung eines Arbeitsunfalles und Feststellung von Unfallfolgen - hat die Beklagte entschieden, über letzteres jedenfalls inzident, indem in der Begründung des angefochtenen Bescheides ein Bandscheibenvorfall L 3/4 als Unfallfolge verneint wurde. Eine ausdrückliche, förmliche Entscheidung des Unfallversicherungsträgers über die einzelne Unfallfolge ist nicht erforderlich (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 15.03.2012 - L 10 U 945/10 -, juris Rn. 18 m.w.N. auf die Rechtsprechung des BSG). Die prozessuale Voraussetzung einer Verwaltungsentscheidung und eines durchgeführten Vorverfahrens liegt insoweit vor.

2. Soweit die Klägerin darüber hinaus mit ihrer Klage die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von - nicht näher bezeichneten - Leistungen begehrt, ist die Berufung unbegründet, weil die Klage unzulässig ist. Denn insoweit begehrt die Klägerin ein Grundurteil über Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne der §§ 26 ff. SGB VII. Ein solcher Klageantrag ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R -, juris) unzulässig. Denn einem Grundurteil (§ 130 SGG) sind nur die in Betracht kommenden Geldleistungen zugänglich. Geht es - wie hier - um die Frage, ob ein bestimmter Unfall ein Arbeitsunfall ist sowie um die Entschädigungspflicht dem Grunde nach, so steht im Entscheidungszeitpunkt nicht fest, welche der in Frage kommenden Leistungen (Krankenbehandlung, Rehabilitation, Verletztengeld, Verletztenrente u.a.) und in welchem Zeitraum beansprucht werden können. Die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid verfügte Ablehnung von "Leistungen" für die geltend gemachten Schäden ist insoweit kein mit einer Leistungsklage anfechtbarer Entscheidungssatz. Soweit das SG daher die auch auf Leistungen gerichtete Klage (konkludent) abgewiesen hat, ist die Berufung der Klägerin zwar zulässig, jedoch unbegründet. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen.

3. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der Versichertentätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B U 1/05 R -, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist ein Arbeitsunfall der Klägerin im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Ereignis vom 13.12.2008 nicht nachgewiesen. Zwar sind die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles insoweit erfüllt, als es bei der Verrichtung der versicherten Tätigkeit der Klägerin zu einer Einwirkung auf ihren Körper gekommen ist, in dem sie den zurückrollenden Wäschewagen versuchte abzufangen und es zu einer seitlichen ruckartigen Bewegung gekommen ist.

Dagegen ist dem Senat die Feststellung nicht möglich, dass durch diese Einwirkung ein Gesundheitserstschaden entstanden ist.

Gesundheitserstschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Arbeitsunfalles gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolgen) sind (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 16/11 R -, juris Rn. 19) oder sich in der Folge ggf. unter Hinzutreten weiterer Bedingungen entwickeln oder der versicherten Tätigkeit aufgrund Spezialvorschriften (z.B. § 11 SGB VII) zuzurechnen sind (mittelbare Unfallfolgen).

Soweit die Klägerin einen rasenden Schmerz verspürte, ist damit noch keine substantielle körperliche Verletzung dargelegt, sondern - jedenfalls zunächst - nur eine Reizung der Schmerz-Sensoren (Pschyrembel, klinisches Wörterbuch 2014, 265. Aufl., Seite 1911, 1912).

Der Bandscheibenvorfall im Zwischenwirbelraum L 3/4, der zeitnah zum angeschuldigten Ereignis vom 13.12.2008 festgestellt worden ist, kann nicht wesentlich kausal auf jenes Ereignis zurückgeführt werden.

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R -, juris Rn. 11). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs (der haftungsbegründenden wie auch der haftungsausfüllenden Kausalität) die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Die Kausalitätsbeurteilung hat dabei auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 17).

Dies zugrunde gelegt hält es der Senat nicht für hinreichend wahrscheinlich, dass das Unfallereignis vom 13.12.2008 wesentliche Ursache für den Bandscheibenvorfall L 3/4 mit Wurzelkompression L 3 gewesen ist. Insoweit folgt der Senat insbesondere den Ausführungen von Dr. S. in dessen im gerichtlichen Verfahren erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten, denen sich der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. H. voll umfänglich angeschlossen hat. Beide Sachverständige haben ihrer Beurteilung die Annahme zugrunde gelegt, dass isolierte Bandscheibenverletzungen in Verbindung mit einem direkten Trauma als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sind. Diese Prämisse entspricht einer gefestigten in der medizinischen Unfallliteratur vertretenen Ansicht (so Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 436; Becher/Ludolph, Grundlagen der ärztlichen Begutachtung, 1. Auflage 2012, S. 124; Mehrhoff/ Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Auflage 2012, S. 270). Bewegungen mit Scher- oder Rotationswirkung, Überbeugung, Überstreckung sowie Zugbelastung können grundsätzlich eine gesunde Bandscheibe zerreißen, wobei jedoch als Ausdruck der erforderlichen Schwere des Unfallereignisses Begleitverletzungen ligamentärer oder knöcherner Art vorliegen müssen. In diesem Fall ist auch bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen der Unfall wesentliche Teilursache. Ohne Begleitverletzung ist demgegenüber die Schadensanlage wesentlich (Schönberger/Mehrtens/Vallentin, a.a.O.).

Hiervon ausgehend haben Dr. S. und ihm folgend Dr. H. in Übereinstimmung mit dem oben dargelegten aktuellen medizinischen Schrifttum ausgeführt, dass ein für die Schädigung einer gesunden Bandscheibe geeigneter Unfallmechanismus vorliegend nicht erkennbar ist. Eine seitliche ruckartige Bewegung, wie sie die Klägerin beschrieben hat, vermag einen Bandscheibenvorfall nicht zu verursachen, insbesondere nicht eine - wie die Klägerin ausdrücklich für sich reklamiert - gesunde Bandscheibe im Bereich L 3/4. Eine substantielle äußere Krafteinwirkung hätte sich zudem in einer Mitverletzung von Bändern und/oder Knochen abbilden müssen. Insoweit kommt der Kernspintomographie, die selbst kleinste Begleitverletzungen aufzudecken in der Lage ist, wesentliche Bedeutung für die Entscheidungsfindung zu. Bei der am 17.12.2008 durchgeführten Kernspintomographie zeigten sich weder knöcherne noch ligamentäre Verletzungen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall und dem angeschuldigten Ereignis kann vor diesem Hintergrund nicht wahrscheinlich gemacht werden.

Auch die Tatsache, dass an Nachbarsegmenten deutliche degenerative Veränderungen vorliegen, spricht für ein anlagebedingtes Leiden, wie der Facharzt für Chirurgie K. in seiner Stellungnahme ausgeführt hat. Soweit die Klägerin hierzu ausführt, für die Frage, ob ein Ereignis wesentliche oder unwesentliche Ursache sei, komme es nicht darauf an, ob es geeignet sei, einen gesunden Körper zu schädigen, macht sie (wohl) geltend, dass der Versicherte so geschützt ist, wie er die Arbeit antritt. Auch dieser Aspekt führt jedoch nicht zu einer anderen Beurteilung: Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat zwar "anhand" des konkreten und individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber stets auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Zur Bejahung eines traumatischen Bandscheibenvorfalles müssen ohne Ausnahme Begleitverletzungen vorliegen, wenigstens minimale. Daran scheitert das klägerische Begehren.

Nicht verkannt wird, dass die Klägerin vor dem angeschuldigten Ereignis beschwerdefrei war und die Beschwerden erst unmittelbar danach einsetzten. Richtig ist, dass für eine positive Kausalitätsbeurteilung diese Merkmale vorliegen müssen, sie allein begründen jedoch nicht den ursächlichen Zusammenhang.

Auch der Hinweis der Klägerin auf den H-Arzt-Bericht des Dr. K. lässt keine andere Beurteilung zu. Darin hat er zwar die Frage unter Nr. 10, ob Hergang und Befund gegen die Annahme eines Arbeitsunfalles sprechen, verneint. Eine abschließende Kausalitätsbeurteilung ist damit regelmäßig nicht verbunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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