L 9 U 5217/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 U 3867/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5217/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) streitig.

Der 1944 geborene Kläger absolvierte nach Beendigung der Schule ab dem 24.04.1962 eine Ausbildung zum Dreher bei der Firma D. Aktiengesellschaft, die er im März 1965 mit Erfolg abschloss. Anschließend war er bis 30.09.1965 weiter bei seinem Ausbildungsbetrieb beschäftigt. Die Entlohnung erfolgte nach der Lohngruppe 6, Ortsklasse I. Der am Unfalltag gültige Tarif sah keine von Lebensjahren (nicht Berufsjahren) abhängigen Leistungssteigerungen vor. In der Zeit vom 01.07.1965 bis 30.09.1965 erhielt er einen Brutto-Arbeitsverdienst in Höhe von 1.966,35 DM. Vom 23.09.1965 bis 30.09.1965 bezog er wegen Krankheit keinen Lohn; in dieser Zeit hätte er 185,63 DM verdient, was einem Wochenlohn von 154,69 DM entspricht. Am 01.10.1965 hätte er 30,94 DM verdient; am 02. und 03.10.1965 bestand kein Verdienstanspruch, da es sich um Samstag und Sonntag handelte. Am 04.10.1965 nahm der Kläger bei der Firma T. (im Folgenden: T.) eine Tätigkeit als Fernmeldemonteur auf. Dort wurde er nach Lohngruppe 6, Ortsklasse I des Tarifvertrags der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in Hessen vom 04.03.1965 entlohnt. Der Tarifvertrag sah von Lebensjahren abhängige Lohnsteigerungen über das 21. Lebensjahr hinaus nicht mehr vor. In der Zeit vom 04.10.1965 bis 30.06.1966 bezog der Kläger einen Brutto-Arbeitsverdienst von 7.339,56 DM (7.191,71 DM Lohn, 30,00 DM Weihnachtsgeld, 54,00 DM Auslösungen bzw. Trennungsgelder, 9,95 DM zusätzliches Urlaubsgeld, 54,00 DM Prämie).

Am 01.07.1966 erlitt der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Firma T. einen Arbeitsunfall, bei dem er sich u. a. Frakturen am rechten und linken Unterschenkel zuzog.

Im Oktober 1967 wandte sich der Kläger mit einem Schreiben an die Beklagte und teilte unter dem 03.10.1967 mit: "Bis zu meinem Unfall war ich als Fernmeldemonteur bei der Firma T. in D. beschäftigt. Zukünftig werde ich meinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können, da die Tätigkeit eines Fernmeldemonteurs fast nur stehend verrichtet wird. In absehbarer Zeit werde ich wieder gesund geschrieben werden, und stehe somit vor einem großen Problem. Vielleicht können sie mir in beruflicher Hinsicht helfen, und mir einen Rat für die Zukunft geben." Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Herr W., Berufshelfer im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus F., unter dem 03.11.1967 einen Bericht, wegen dessen Inhalts auf Band I Bl. 130/3-38 der Verwaltungsakten Bezug genommen wird.

Nach der Arbeitsunfähigkeit vom 01.07.1966 bis zum 26.12.1967 nahm der Kläger die Tätigkeit als Fernmeldemonteur bei der Firma T. wieder auf. Nach Bestehen der Ausleseprüfung am 24./25.09.1968 nahm der Kläger zum Wintersemester 1968/1969 an der ehemaligen Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen D., Fachrichtung Elektrotechnik, ein Studium auf, welches er im Februar 1972 mit dem Diplom abschloss.

Nachdem dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 20.02.1968 eine Rente als vorläufige Entschädigung gewährt worden war, bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 09.04.1968 ab dem 01.06.1968 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. Die Rente wurde jeweils nach einem JAV von 9.522,58 DM berechnet, was der Summe der bei der Firma D. und der Firma T. in der Zeit vom 01.07.1965 bis 30.06.1966 erzielten Bruttoarbeitsverdienste (7.339,56 DM + 1.966,35 DM + 185,63 DM + 30,94 DM) entsprach. Mit Bescheid vom 05.12.2002 wurde die MdE ab 25.07.2002 auf 30 v. H. neu festgesetzt. Zuletzt stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2008 die MdE ab 02.01.2008 mit 40 v. H. neu fest und passte die Höhe der Rente dementsprechend an; hierbei wurde der JAV ab 01.07.2007 in Höhe von 23.167,64 EUR berücksichtigt. Bei der Berechnung der Rente wurde jeweils der entsprechend der Rentenanpassungsgesetze und -verordnungen erhöhte JAV zugrunde gelegt, der der Tätigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls entsprach.

Auf Anfrage des Klägers vom 04.12.1975, ob der JAV seinem inzwischen höheren tatsächlichen Jahresverdienst anzupassen sei, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 12.12.1975 mit, Grundlage für die Berechnung der Geldleistungen sei stets der Verdienst, den der Verletzte im Jahr vor dem Unfall erzielt habe. Der spätere berufliche Aufstieg müsse unberücksichtigt bleiben. Am 22.06.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung des seiner Rente zugrundeliegenden JAV. Zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls habe er sich in Ausbildung befunden, so dass der berücksichtigte JAV nicht die tatsächliche Entwicklung seines Verdienstes widerspiegle. Er legte das Zeugnis der Telefonbau und Normalzeit vom 04.10.1968 (Bl. 125-3 der Verwaltungsakte), das Diplom vom 22.02.1990 (Bl. 125-4 der Verwaltungsakte) sowie zwei Bestätigungen der Hochschule D. vom 15.08.2009 (Bl. 129-3 und 129-4 der Verwaltungsakte) vor. Hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen wird mitgeteilt, dass als Vorbildung für das Ingenieurstudium das Zeugnis der mittleren Reife in Verbindung mit einer abgeschlossenen einschlägigen Lehre notwendig war. Für die Fachrichtung Elektrotechnik wurden zusätzlich zur schulischen Vorbildung die Lehrberufe Elektromaschinenbauer, Starkstromelektriker, Elektromechaniker, Rundfunk- und Fernsehtechniker und Fernmeldemonteur empfohlen. Bei anderen einschlägigen Lehrberufen war ein Zusatzpraktikum von drei bis vier Monaten erforderlich. Eine zusätzliche abgeschlossene Lehre sei nicht verlangt; der Kläger habe sich jedoch entschieden, eine zusätzliche Lehre zu absolvieren. Der erforderliche Nachweis sei durch den Kläger in Form einer zusätzlichen Ausbildung bzw. Umschulung zum Fernmeldemonteur erbracht worden. Eine Mitarbeiterin der Hochschule teilte der Beklagten am 13.01.2010 telefonisch mit, es sei nicht mehr feststellbar, ob der Kläger sich bereits für ein Studium ab dem Wintersemester 1966 beworben habe. Bewerbungsunterlagen würden nur bei tatsächlicher Studienaufnahme aufbewahrt. Ein Vorsemester sei nicht Pflicht gewesen. Voraussetzung sei allein die Ausleseprüfung gewesen, die im Herbst vor dem Beginn des Studiums stattgefunden habe.

Mit Bescheid vom 20.04.2010 lehnte die Beklagte die Neufeststellung des mit Bescheid vom 20.02.1968 festgestellten JAV nach § 573 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse stehe nicht im Vollbeweis fest, dass sich der Kläger, der die Beweislast hierfür trage, zum Zeitpunkt des Unfalls in einer Stufenausbildung befunden habe, die bereits vor dem Unfall geplant gewesen sei. Durch die Firma T. sei dem Kläger ein Gesellen- und kein Lehrlingsgehalt oder eine Praktikumsvergütung gezahlt worden. Der Kläger habe mit Schreiben vom 03.10.1967 mitgeteilt, zukünftig Probleme bei der Ausübung des Berufs Fernmeldemonteur zu haben. Erstmals mit Schreiben des Unfallbetriebs vom 21.02.1969 sei der Beklagten mitgeteilt worden, dass der Kläger ausgeschieden sei, um die Ingenieurschule zu besuchen. Aus dem im Jahr 1967 geführten Schriftwechsel sei nicht ersichtlich, dass der Kläger bereits vor dem Unfall das Ingenieurstudium geplant habe. Lediglich die Tätigkeit als Fernmeldemonteur sei ein Indiz für das geplante Studium. Da der Kläger jedoch ein Gesellengehalt erhalten habe und ein Arbeitsvertrag nicht mehr vorgelegt werden könne, könne nicht bewiesen werden, ob es sich bei der Tätigkeit um eine Ausbildung bzw. Umschulung gehandelt habe. Die Höhe des Gehalts deute auf ein reguläres Arbeitsverhältnis hin.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zu deren Begründung vorgetragen, schon nach Ausscheiden aus seinem Ausbildungsbetrieb im September 1965 habe er den Plan gefasst, später ein Studium der Elektrotechnik zu absolvieren. Um die Zulassungsvoraussetzungen der Hochschule D. zu erfüllen, habe er am 04.10.1965 die Tätigkeit als Fernmeldemonteur bei der Firma T. begonnen. Es sei ursprünglich geplant gewesen, das Studium im Oktober 1966 zu beginnen. Angesichts des Arbeitsunfalls und der schweren gesundheitlichen Folgen sei dies jedoch erst im Oktober 1968 möglich gewesen. Im Herbst 1967 habe er sich zur Metallentfernung in stationäre Behandlung begeben müssen. Aus seinem Schreiben vom 03.10.1967 ergebe sich nichts anderes. Damals sei es ihm darum gegangen, finanzielle Sicherheit bis zum nächstmöglichen Termin zum Studienbeginn zu erlangen.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Bruders des Klägers, G. H., als Zeuge im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 29.04.2011. Hinsichtlich des Inhalts seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 19 ff) Bezug genommen.

Nach entsprechendem Hinweis hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 24.10.2011 die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Abänderung der Bescheide sei § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Vorliegend seien dessen Voraussetzungen nicht erfüllt, da die Beklagte bei Erlass des Verwaltungsakts weder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei noch das Recht unrichtig angewandt habe. Berechnungsgrundlage für die dem Kläger aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 01.07.1966 dem Grunde nach unstreitig zustehende Verletztenrente sei - neben dem Grad der MdE - der JAV des Verletzten. Hierfür sei im Regelfall der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Verletzten in den letzten 12 Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Arbeitsunfall eingetreten sei, maßgebend. Grundsätzlich blieben diese Verdienstverhältnisse für alle Zukunft die Grundlage der Geldleistung, spätere Erwerbsaussichten seien in der Regel bei der Feststellung des JAV rechtlich unbeachtlich. Eine Ausnahme gelte u. a. dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintrete (§ 573 Abs. 1 RVO). Die Voraussetzungen des § 573 RVO seien beim Kläger nicht erfüllt. Er habe sich zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls nicht in einer Ausbildung befunden. Es sei unerheblich, dass der Kläger bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und einen weiteren Berufsausbildungsabschluss angestrebt habe. Die Tatsache, dass bereits ein Beruf erlernt worden sei, schließe die Annahme einer weiteren Berufsausbildung nicht aus. Das Gericht habe nach dem glaubhaften und schlüssigen Vortrag des Klägers sowie der ebenso glaubhaften Aussage des Zeugen G. H. im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 29.04.2011 keinen Zweifel daran, dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt seines Arbeitsunfalls den Plan gefasst habe, zum nächstmöglichen Termin, nämlich im Oktober 1966, das Studium an der Hochschule D. zu beginnen. Der Kläger habe schlüssig dargelegt, dass er die Zulassungsvoraussetzungen für den von ihm angestrebten Studiengang der Elektrotechnik alleine durch seinen Schulabschluss und seine Ausbildung zum Dreher noch nicht erreicht und eine gewisse Praktikumszeit in einem von der Hochschule empfohlenen Lehrberuf zu absolvieren hatte. Die vom Kläger zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls durchgeführte Tätigkeit sei nicht direkt der Ausbildung zum Ingenieur der Elektrotechnik zuzurechnen. Diese Tätigkeit diene vorgeschaltet dazu, überhaupt erst die Möglichkeit, das Studium zu beginnen, zu schaffen. Indes fehle es an dem von der Rechtsprechung geforderten Merkmal eines geordneten Ausbildungsganges, in die dieses Praktikum mit einbezogen sei. Man könne allenfalls bei weiter Auslegung des Ausbildungsbegriffs diese Tätigkeit zugunsten des Klägers gleichsam als "Vorstufe" der Ausbildung zum Ingenieur zurechnen. Selbst dann würde sich im Ergebnis nichts ändern, da vorliegend der Kläger zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls bereits die benötigten vier Monate in dem Beruf des Fernmeldemonteurs absolviert und damit die Zulassungsvoraussetzungen für den Studiengang erfüllt hatte. Er habe sich deshalb nicht mehr in der genannten Vorstufe befunden. Es werde nicht verkannt, dass es dem Kläger frühestens im Oktober 1966 möglich gewesen wäre, das Studium aufzunehmen und es daher wenig Sinn gemacht hätte, die Tätigkeit bei der Firma Telefonbau und Normalzeit vorher aufzugeben, zumal er auf das Einkommen angewiesen gewesen sei. Das BSG habe auch entschieden, dass die zum Unfall führende Tätigkeit bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein müsse. Insoweit müsse also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben seien; vielmehr genüge der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung. In die Schul- oder Berufsausbildung seien solche Unterbrechungen einzubeziehen, die mit ihr notwendigerweise und regelmäßig verbunden seien. Die Ausbildung verzögernde, aber ihr zuzurechnenden Übergangszeiten könnten in der Regel eine Dauer von bis zu vier Monaten haben. Der Kläger habe bereits im September 1965 seinen Ausbildungsbetrieb verlassen und die Tätigkeit bei der Firma T. im Oktober 1965 begonnen. Der Arbeitsunfall sei erst am 01.07.1966, also fast neun Monate später, gewesen. Frühestmöglicher Studienbeginn wäre im Oktober 1966, also 17 Monate später gewesen. Die Übergangszeit habe sich damit nicht mehr im Rahmen des Üblichen gehalten.

Gegen den am 27.10.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.11.2011 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen den bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft. Die zum Unfall führende Tätigkeit sei bei dem Kläger bereits als Teil der Ausbildung anzusehen. Der Zeitraum von Oktober 1965 bis zum Unfalleintritt im Sommer 1966 habe der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten gedient und sei als Zeit der Berufsausbildung anzusehen. Die Tätigkeit des Klägers habe ihren berufsvorbereitenden Charakter nicht dadurch verloren, dass sie zeitlich länger - bis zum möglichen Studienbeginn - ausgeübt werde. Der von der Rechtsprechung geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Tätigkeit und der Ausbildung bestehe vorliegend. Ein früherer Studienbeginn als zum 01.10.1966 sei nicht möglich gewesen. Die durch das SG zitierte Entscheidung betreffe die zeitliche Länge zwischen Abitur und Studienbeginn; um einen solchen Sachverhalt gehe es vorliegend nicht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Oktober 2011 zu verurteilen, den Bescheid vom 20. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 20. Februar 1968 und die folgenden Bescheide abzuändern, den der Berechnung der wegen des Unfalls vom 1. Juli 1966 gewährten Rente zugrunde zu legenden Jahresarbeitsverdienst unter Berücksichtigung seines im Februar 1972 abgeschlossenen Studiums zum Diplom-Ingenieur neu festzusetzen und ihm rückwirkend ab 1. Januar 2004 eine entsprechend höhere Verletztenrente zu gewähren,

hilfsweise als Zeugen zu hören

1. den Bruder des Klägers, Herrn G. H. zum Beweis dafür, dass der Kläger bereits im Jahre 1965 vom Wehrdienst, den er zunächst zum 01.10.1965 antreten sollte, zurückgestellt wurde. 2. Frau G. S., Cousine des Klägers zum Beweis dafür, dass sie durch Gespräche mit dem Kläger in den Jahren 1965 und 1966 weiß, dass dieser beabsichtigte, ein Studium aufzunehmen und vorher noch nach Abschließen der Lehre und Beendigung des Lehrverhältnisses eine weitere Beschäftigung als Fernmeldemonteur aufnehmen wollte, die als Zugangsvoraussetzung für das Studium vorgesehen war. Das Studium sollte im Jahr 1966 aufgenommen werden. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide sowie die Ausführungen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend wird ausgeführt, dass der Jahresarbeitsverdienst auch nicht nach § 573 Abs. 2 RVO anzupassen sei. Aus dem vorliegenden Entgeltnachweis der Firma Telefonbau und Normalzeit ergebe sich, dass gemäß dem zum Unfallzeitpunkt gültigen Tarifvertrag von Lebensjahren abhängige Lohnsteigerungen ab dem 21. Lebensjahr nicht mehr vorgesehen gewesen seien. Das 21. Lebensjahr sei am 01.07.1966 bereits erreicht gewesen. Somit komme weder § 90 Abs. 2 SGB VII noch § 573 Abs. 2 RVO für die Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes in Betracht. § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII führe nicht zu einer Anwendung des § 90 Abs. 2 SGB VII in den "Altfällen", bei denen Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des Jahresarbeitsverdienstes bereits vor dem 01.01.1997 eingetreten gewesen seien. Damit sei lediglich der in § 573 Abs. 2 RVO maßgeblich gewesene JAV jener Versicherten zu überprüfen und neu festzusetzen, die vor Inkrafttreten des SGB VII das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten.

Die Berichterstatterin hat am 30.01.2015 einen Erörterungstermin durchgeführt, wegen der Einzelheiten der Angaben des Klägers wird auf die Niederschrift über den Erörterungstermin Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie der angefochtene Bescheid vom 20.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.07.2010 sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente unter Berücksichtigung eines höheren JAV hat.

Rechtsgrundlage für die begehrte Abänderung der Bescheide ist § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 SGB X).

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme der Kläger gegenüber der Beklagten begehrt, nicht rechtswidrig ist. Der Bescheid vom 20.02.1968, der erstmals den JAV festgelegt hat, sowie die nachfolgenden Bescheide sind hinsichtlich des - hier allein streitigen - der Berechnung der Verletztenrente zugrunde gelegten JAV nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente unter Berücksichtigung eines höheren JAV. Die Beklagte hat der Berechnung der dem Kläger gewährten Verletztenrente auch nach Bestehen der Diplomprüfung zutreffend den JAV zugrunde gelegt, den er in dem Zeitraum 01.07.1965 bis 30.06.1966, den zwölf Monaten vor dem Arbeitsunfall, erzielt hat.

Der JAV war nach § 571 RVO in der bis zum 31.12.1996 gültigen Fassung zu bestimmen. Danach gilt als Jahresarbeitsverdienst der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall. Grundsätzlich bleiben diese Verdienstverhältnisse für alle Zukunft die Grundlage der Geldleistungen; spätere Erwerbsaussichten sind in der Regel bei der Feststellung des JAV rechtlich unbeachtlich (so für § 571 Abs. 1 Satz 1 RVO Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.12.1991, 2 RU 69/90; Urteil vom 28.01.1993, 2 RU 15/92, Juris). Die Ausnahme von diesem Grundsatz nach § 573 Abs. 1 RVO greift im vorliegenden Fall nicht. Diese Vorschrift ist, obgleich sie durch Art. 35 Nr. 1 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) mit Wirkung vom 01.01.1997 (Art. 36 Satz 1 UVEG) aufgehoben und durch § 90 Abs. 1 SGB VII ersetzt worden ist, im vorliegenden Fall noch anzuwenden. Dies folgt aus den Übergangsvorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII ff). Bei der Regelung des anzuwendenden Rechts differenziert das SGB VII hinsichtlich der Rechtsanwendung zwischen Versicherungsfällen vor und nach seinem Inkrafttreten. Die Grundentscheidung trifft § 212 SGB VII dahingehend, dass die §§ 1 bis 211 SGB VII (nur) für Versicherungsfälle gelten, die nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sind, so dass für vor dem 01.01.1997 eingetretene Versicherungsfälle weiterhin die Vorschriften des Dritten Buches der RVO Anwendung finden. Eine für den vorliegenden Fall relevante abweichende Regelung trifft § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, wonach die Vorschriften des SGB VII über den JAV auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals oder aufgrund des § 90 SGB VII neu festgesetzt wird. Die Festsetzung des JAV erfolgte bereits im Jahr 1968 und damit vor Inkrafttreten des SGB VII; auch wird der JAV nicht aufgrund von § 90 Abs. 1 SGB VII neu festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, führt § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht zu einer Anwendung des § 90 SGB VII auf "Altfälle", bei denen die Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des JAV bereits vor dem 01.01.1997 eingetreten waren. Die Anwendung des § 90 SGB VI auf solche "Altfälle" setzt vielmehr voraus, dass dessen Tatbestand in vollem Umfang erst nach dem 01.01.1997 erfüllt worden ist (so zu § 90 Abs. 2 SGB VII BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 28/01 R und Urteil vom 18.09.2012, B 2 U 14/11 R, Juris). Nachdem die Berufsausbildung bereits im Jahr 1972 und damit vor dem Inkrafttreten des SGB VII abgeschlossen war, findet § 90 Abs. 2 SGB VII auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung; vielmehr ist § 573 Abs. 1 RVO heranzuziehen.

Nach § 573 Abs. 1 RVO wird, wenn sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, wenn es für den Berechtigten günstiger ist, der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet. Der neuen Berechnung ist dann das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist.

Nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.09.2012, B 2 U 11/11 R, Juris) ist eine fiktive Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes bei Eintritt des Versicherungsfalls vor oder während der Schulausbildung lediglich dann möglich, wenn eine anschließende Berufsausbildung wegen dieses Versicherungsfalls nicht fristgerecht und erfolgreich beendet wurde. Das BSG sieht in dieser Rechtsprechung in § 90 Abs. 1 SGB VII eine Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV und verlangt einen typisierend angenommenen zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls in Form einer Verzögerung des geplanten Ausbildungsendes oder in Form eines Ausbildungsabbruchs, der durch § 90 SGB VII auszugleichen sei. Nachdem der Kläger das Studium am 21.02.1972 erfolgreich mit dem Diplom abschließen konnte, käme unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung lediglich eine Verzögerung des Ausbildungsabschlusses aufgrund des Versicherungsfalls in Betracht. Der Senat kann offen lassen, ob dieser Rechtsprechung, die in Literatur und Rechtsprechung (Schudmann in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, Stand 02.04.2014, § 90 Rdnr. 26; SG Reutlingen, Urteil vom 28.10.2013, S 7 U 3373/11, Juris) kritisiert wird, zu folgen ist, da er im Ergebnis zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt des Unfalls am 01.07.1966 nicht in einer Ausbildung befunden hat, da jedenfalls der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Voraussetzungen für das Studium erfüllt waren, und dem geplanten Studienbeginn zu lang war, als dass er noch als unbeachtliche Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten angesehen werden kann.

Wie das SG zutreffend ausführt, ist es für die Frage, ob sich der Kläger in einer Ausbildung befunden hat, unerheblich, dass er bereits über eine abgeschlossene Ausbildung als Dreher verfügt und einen weiteren (höheren) Bildungsabschluss angestrebt hat.

Die Berufsausbildung im Sinne von § 573 Abs. 1 RVO ist nicht zwingend bereits mit dem Erwerb eines ersten beruflichen Abschlusses beendet. Wesentlich für den Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 573 Abs. 1 RVO ist, welches Berufsziel der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls angestrebt hat und dass er dieses Ziel auch nach Abschluss einer ggf. vorgehenden Lehre umgehend weiterverfolgt hat. Von einer einheitlichen Ausbildung ist dabei nicht nur im Fall einer Stufenausbildung auszugehen, bei der der erfolgreiche Abschluss einer Stufe Zulassungsvoraussetzung für die Zulassung zur weiteren Ausbildungsstufe ist. Ausreichend ist vielmehr, wenn eine Ausbildung in eine darauf aufbauende Ausbildung einmündet, wie es von vornherein auch geplant war und objektiv sinnvoll ist (BSG, Urteil vom 15.08.1993, 2 RU 24/02, Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.05.2014, L 3 U 19/12, Juris).

Hiervon ausgehend bestehen bereits Zweifel daran, ob zum Unfallzeitpunkt die Aufnahme des Studiums gerade zum Wintersemester 1966/67 konkret geplant war. Der Senat hat - wie das SG - keine Zweifel daran, dass der Kläger geplant hatte, ein Studium der Elektrotechnik aufzunehmen. Der Kläger hat im Erörterungstermin glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, bereits während der Ausbildung zum Dreher den Entschluss gefasst zu haben, ein Studium der Elektrotechnik aufzunehmen und dass er, um die für das Studium - nach den Angaben der Hochschule D. auch unstreitig - erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, vorab eine Tätigkeit als Fernmeldemonteur aufgenommen hat. Der frühestmögliche und von ihm angestrebte Studienbeginn sei dann Oktober 1966 gewesen. Diese Angaben werden durch die Aussage des Bruders des Klägers gegenüber dem SG bestätigt. Zweifel daran, ob die Studienaufnahme tatsächlich bereits für Oktober 1966 geplant war, ergeben sich, worauf die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend hinweist, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers unmittelbar nach dem Unfall. So sprach er in dem Schreiben vom 03.10.1967 allein davon, dass er seinen "Beruf" als Fernmeldemonteur wohl nicht mehr fortführen könne. Ein geplantes Studium wird nicht erwähnt. Auch gegenüber dem Berufshelfer W. hat der Kläger wohl ein vor dem Unfall konkret angedachtes Studium nicht erwähnt, zumindest finden sich in dessen Bericht vom 03.11.1967 keine dementsprechenden Angaben. In der Unfallanzeige der Firma T. vom 07.07.1966 wird als Berufsbezeichnung "Fernmeldemonteur" angegeben, ohne darauf hinzuweisen, dass der Kläger dort lediglich etwa im Rahmen eines studienvorbereitenden Praktikums tätig gewesen sei. In ihrem Zeugnis vom 04.10.1968 führt die Firma vielmehr aus, der Kläger habe die Tätigkeit dort aufgenommen, "um sich zum Fernmeldemonteur umzuschulen". Ein Arbeitsvertrag mit der Firma T. konnte nicht mehr vorgelegt werden. Der Angabe von Frau G. in ihrem Schreiben für die Hochschule D. vom 15.08.2009, wonach der Kläger sich dazu entschieden habe, eine zusätzliche Lehre zu absolvieren, kommt für den Senat keine entscheidende Aussagekraft zu. Der Kläger weist insoweit zutreffend darauf hin, dass nicht ersichtlich ist, auf welche Unterlagen sich Frau G. für diese Angaben stützt; deren Vernehmung als Zeugin ist aus Sicht des Senats daher nicht erforderlich.

Letztlich kommt es aus Sicht des Senats aber nicht darauf an, ob der Studienbeginn durch den Unfall verzögert worden ist, da die Tätigkeit bei der Firma T. zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht als Zeit der Schul- oder Berufsausbildung angesehen werden kann. Die zum Unfall führende Tätigkeit muss nicht Teil der Ausbildung sein; insoweit muss kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; der zeitliche Zusammenhang genügt (BSG, Urteil vom 07.11.200, B 2 U 31/99 R und Urteil vom 04.12.1991, 2 RU 69/90, Juris). Als Zeit der Schul- und Berufsausbildung ist auch nicht nur die Zeit anzusehen, in der das Kind oder der Jugendliche tatsächlich an Ausbildungsmaßnahmen teilnimmt, sondern auch die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, sofern sich diese im Rahmen des Üblichen hält. In die Schul- oder Berufsausbildung sind solche Unterbrechungen einzubeziehen, die mit ihr notwendigerweise oder regelmäßig verbunden sind (BSG, Urteil vom 07.11.2000, B 2 U 31/99 R). Diese die Ausbildung verzögernden, aber ihr zuzurechnenden Übergangszeiten können in der Regel eine Dauer von bis zu vier Monaten haben (BSG, Urteil vom 07.11.2000, a.a.O., m.w.N.). Vorliegend hält sich die Übergangszeit, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht im Rahmen des Üblichen. Der Kläger hat bereits im September 1965 seinen Ausbildungsbetrieb verlassen und die Tätigkeit bei der Firma T. im Oktober 1965 aufgenommen. Der Arbeitsunfall ereignete sich erst am 01.07.1996, also fast neun Monate später, frühester Studienbeginn wäre im Oktober 1966, also 14 Monate später gewesen. Nachdem vier Monate praktische Tätigkeit als Fernmeldemonteur Voraussetzung für die Zulassung zum Studium waren, sind die ersten vier Monate der Tätigkeit bei der Firma T. als Teil der Ausbildung anzusehen. Mit Ablauf des Monats Januar 1966 hatte der Kläger daher die Zulassungsvoraussetzungen für das angestrebte Studium erfüllt. Bis zum geplanten Beginn des Studiums im Oktober 1966 wären daher noch acht Monate zu überbrücken gewesen, was nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, nicht mehr im Rahmen der üblichen Überbrückungszeit liegt.

Ein höherer, der Rentenberechnung zugrunde zu legender JAV ergibt sich auch nicht aus § 573 Abs. 2 RVO. War der Verletzte - wie der Kläger - zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls noch nicht 25 Jahre alt, so wird, wenn es für den Berechtigten günstiger ist, der JAV dem Arbeitsentgelt angepasst, das zur Zeit des Arbeitsunfalls von der Vollendung eines bestimmten Lebensalters ab, höchstens aber des 25. Lebensjahrs, für Personen mit gleichartiger Tätigkeit durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist. Aus dem vorliegenden Entgeltnachweis der Firma T., bei der der Kläger zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls beschäftigt war, ergibt sich, dass gemäß dem damals gültigen Tarifvertrag von Lebensjahren abhängige Leistungen ab dem 21. Lebensjahr nicht mehr vorgesehen waren. Nachdem der Kläger bereits am 09.07.1965 das 21. Lebensjahr vollendet hatte, war eine tarifvertragliche altersabhängige Leistung nicht mehr vorgesehen. § 573 Abs. 2 RVO greift nicht. Unabhängig davon, dass § 90 Abs. 2 SGB VII, der statt auf die Vollendung des 25. auf die des 30. Lebensjahrs abstellt, vorliegend keine Anwendung findet, da dessen Tatbestand (Vollendung des 30. Lebensjahrs) bereits vor Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 erfüllt war (vgl. zur Anwendbarkeit BSG, Urteil vom 18.09.2012, a.a.O., und Urteil vom 04.06.2002, a.a.O., m.w.N.), lagen auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor; eine altersabhängige Lohnerhöhung war tarifvertraglich nach Vollendung des 21. Lebensjahres nicht vorgesehen.

Den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hilfsweise gestellten Beweisanträgen auf Einvernahme des Bruders und der Cousine des Klägers als Zeugen war nicht nachzugehen, weil es auf die dort formulierten Beweisfragen für den vorliegenden Rechtsstreit mangels Entscheidungserheblichkeit nicht ankommt. Für die Frage, ob eine beantragte Beweiserhebung vorzunehmen ist, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten ist, den Sachverhalt zu den von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkten weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (st. Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 31.07.1975, 5 BJ 28/75; BSG, Urteil vom 06.11.2011, B 9 V 12/11 B, Juris). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen, insbesondere bevor es eine Beweislastentscheidung trifft. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl. BSG, Beschluss vom 06.02.2007, B 8 KN 16/05 B). Da die Zeit zwischen dem Ende der für das Studium erforderlichen Praktikumsdauer im Januar 1966 und dem nach dem Vortrag des Klägers beabsichtigten Studienaufnahme im Oktober 1966 nicht mehr der üblichen Überbrückungszeit entsprach, kam es auf die Frage, ob der Kläger tatsächlich beabsichtigte, das Studium im Oktober 1966 aufzunehmen und ob ggf. die Einberufung zum Wehrdienst ihn daran ohnehin gehindert hätte, nicht streitentscheidend an. Die Einvernahme der im Hilfsbeweisantrag benannten Zeugen war daher mangels Entscheidungserheblichkeit der Beweistatsachen nicht veranlasst.

Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 24.10.2011 ist daher nicht zu beanstanden; die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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