L 9 U 3522/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 3155/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3522/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer von der Beklagten als Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - im Folgenden: BK 2301 - anerkannten Lärmschwerhörigkeit.

Der 1949 geborene Kläger war von 1972 bis 1978 bei verschiedenen nicht mehr existierenden Unternehmen im Bereich Steinbruch, Tiefbau und Gleisbau beschäftigt. Ab Oktober 1978 arbeitete er in der Stahlschweißerei der Gerüstbaufirma W. GmbH & Co KG (im Folgenden: Arbeitgeber), einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, an verschiedenen Schweißautomaten. Ab Dezember 2009 war er arbeitsunfähig erkrankt, seit August 2012 bezieht er Altersrente.

Am 11.12.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung mehrerer Berufskrankheiten und in diesem Zusammenhang auch die Gewährung einer Verletztenrente ab 01.01.2009. Hinsichtlich der hier nicht streitgegenständlichen weiteren vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen lehnte die Beklagte in der Folge die Anerkennung von Berufskrankheiten ab; diese Entscheidungen wurden durch das Sozialgericht Heilbronn (SG) bzw. das SG und das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) bestätigt (Urteil des SG vom 29.10.2012 (S 5 U 3156/10) bzw. Gerichtsbescheid des SG vom 27.01.2012 ( S 5 U 3157/10) und Urteil des LSG vom 22.08.2012 (L 1 U 762/12)). Hinsichtlich des vorliegend streitgegenständlichen Hörschadens gab der Kläger an, bereits Anfang der 90er Jahre habe sich erstmals eine Schwerhörigkeit bemerkbar gemacht, in dem jetzigen Ausmaß bestehe sie seit 2007. Seit Juli 2008 trage er Hörgeräte. Gleichzeitig mit der Schwerhörigkeit seien Ohrgeräusche beidseits aufgetreten, die zeitweise vorhanden seien. Der Hörschaden sei durch den Lärm an seinem Arbeitsplatz verursacht worden. Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bei und befragte den behandelnden HNO-Arzt des Klägers Dr. B. Dieser teilte unter dem 11.03.2010 mit, der Kläger habe ihn erstmals am 29.04.2009 aufgesucht und über eine seit längerer Zeit bestehende Hörminderung beidseits geklagt. Zu Tinnitus-Beschwerden habe der Kläger keine Angaben gemacht. Er habe eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits diagnostiziert und gehe von einem älteren Lärmschaden, überlagert mit einem anders bedingten Hörverlust aus. Am 06.07.2009 und 27.08.2009 habe der Kläger ihn nochmals aufgesucht zur Hörgeräteverordnung beidseits. Er legte die von ihm erstellten Audiogramme vom 29.04.2009 und 06.07.2009 mit vor. Weiter zog die Beklagte ein von der B. GmbH (im Folgenden: B.) gefertigtes Audiogramm vom 12.03.2009 (Vorsorgeuntersuchung "Lärm I") und einen Reha-Entlassungsbericht vom 22.04.2010 der Reha-Klinik A. Bad K. bei.

Zur Lärmexposition am Arbeitsplatz teilte der Arbeitgeber einen personenbezogenen äquivalenten Dauerschallpegel von 89,2 dB(A) mit. Dr. H., Abteilung Prävention der Beklagten, führte in seiner Stellungnahme vom 14.04.2010 aus, dass betriebliche Lärmmessungen in der Zeit von 1978 bis 2010 einen Beurteilungspegel von 89 - 92 dB(A) ergaben.

Die Beklagte holte nach Absprache mit dem Kläger ein HNO-ärztliches Gutachten bei Dr. J. ein. In seinem Gutachten vom 23.05.2010 gab dieser an, es bestehe eine beiderseitig als leicht- bis mittelgradig hochtonbetont reduziert zu bezeichnende Innenohrschwerhörigkeit, rechts stärker als links ausgeprägt, wobei am rechten Ohr bereits tieftonbedingte Hörverluste bestünden, beiderseitig aber eine lärmtypische Senkenbildung im Hochtonbereich vorliege mit maximalem Hörverlust in einer Höhe von rechts 70 dB und links 65 dB. Nach Röser 1980 bestehe ein prozentualer Hörverlust von rechts 40% und links 20%, aus dem Sprachaudiogramm ergebe sich unter Zugrundelegung des gewichteten Gesamtwortverstehens ein prozentualer Hörverlust des rechten Ohrs von 50% bei einem solchen des linken Ohrs von 30%. Berechne man diesen am rechten Ohr nach dem einfachen Gesamtwortverstehen, ergebe sich auch hier ein prozentualer Hörverlust von 30%. Es sei nicht möglich, eine lärmunabhängige Komponente von der linksseitig anzunehmenden Lärmschwerhörigkeit am rechten Ohr abzugrenzen. Daher seien nach der Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung letztlich auch die Hörverluste am rechten Ohr als lärmbedingt einzustufen. Unter Zugrundelegung des einfachen Gesamtwortverstehens ergebe sich aber ohnehin nur ein prozentualer Hörverlust des rechten Ohrs von 30% wie auch links. Die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2301 seien aufgrund einer hierfür adäquaten Lärmbelastung erfüllt, betreffend die Gesamtexpositionsdauer wie auch die berechneten/ermittelten Lärmintensitäten. Es bestehe eine berufsbedingte MdE in Höhe von 15 v.H ... Diese sei anzunehmen ab 29.04.2009 (audiologische Untersuchung durch Dr. B.). Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. B. ein, welcher unter dem 01.06.2010 angab, das Ausmaß der Hörminderung des rechten Ohres, das über die Hörminderung des linken Ohres hinausgehe, müsse zusätzliche nicht berufsbedingte Ursachen haben, da eine arbeitsplatzbedingte einseitige Lärmeinwirkung nicht vorgelegen habe. Bei der Beurteilung der berufsbedingten Schwerhörigkeit sei die Hörminderung des linken Ohres auch stellvertretend für das rechte Ohr heranzuziehen. Denn eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit entwickle sich typischerweise symmetrisch. Der berufsbedingte Anteil der festgestellten Hörminderung betreffe das linke Ohr vollständig, das rechte teilweise. Auch wenn Ohrgeräusche anamnestisch erwähnt seien, könnten diese, da eine Objektivierung nicht erfolgt sei, bei der Bemessung der MdE keine Rolle spielen.

Mit Bescheid vom 11.06.2010 stellte die Beklagte das Bestehen einer BK 2301 bei dem Kläger fest. Als Folgen der BK werde eine geringgradige Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beiderseits anerkannt. Nicht anerkannt würden Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich rechts und gelegentlich auftretende Ohrgeräusche. Ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen der Berufskrankheit bestehe nicht. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, das Gehör werde im Schallfeld am Arbeitsplatz grundsätzlich annähernd gleich belastet, so dass beide Ohren ein nahezu identisches lärmbedingtes Schadensbild aufweisen müssten. Auf dem linken Ohr fänden sich keine Hörverluste im lärmuntypischen Tief- und Mitteltonbereich, so dass der Befund an diesem Ohr repräsentativ für den gesamten lärmbedingten Gehörschaden sei. Die Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich rechts seien somit als schicksalhaft von den Folgen der BK abzugrenzen. Da zum Zeitpunkt der Begutachtung keine Ohrgeräusche vorgelegen und diese somit im Bereich der Hochtonschädigung nicht zu sichern gewesen seien, seien diese nicht als weitere Folge der BK anzuerkennen. Eine MdE im rechtenberechtigenden Grade von mindestens 20 v.H. werde durch die Folgen der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit nicht verursacht. Ein Anspruch auf Rente sei daher nicht gegeben. Darüber hinaus bestehe auch kein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von weniger als 20 v.H ... Von weiteren Versicherungsfällen habe sie keine Kenntnis. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers, den dieser nur unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen begründete, als unbegründet zurück.

Am 03.09.2010 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Es sei davon auszugehen, dass in der Stahlschweißerei ein mittlerer Lärmpegel von 89,2 dB(A) herrsche. Selbst wenn man berufsbedingte Gründe nicht ausschließe, spreche der erste Anschein aufgrund des gewaltigen Lärms am Arbeitsplatz für dessen Ursächlichkeit für die Schwerhörigkeit. Dieser Anschein sei nicht erschüttert. Richtigerweise müssten jedoch die Ohren nach rechts und links unterschiedlich entsprechend der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung bewertet werden. Gemäß Teil b GdS-Tabelle bei 5.2.4 sei eine Gesamtschau durchzuführen. Wenn das eine Ohr geringgradig und das andere Ohr mittelgradig geschädigt sei, ergebe sich ein Wert von 20% als MdE und somit eine diesbezügliche Rente.

Das SG hat ein HNO-fachärztliches Gutachten bei Dr. R. eingeholt. Dieser gelangt in seinem Gutachten vom 02.02.2011 zu dem Ergebnis, dass auf der linken Seite eine typische Lärmschadensentwicklung stattgefunden habe. Hingegen seien die vorausgehenden Befunde auf der rechten Seite nur teilweise typisch für die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit. Vor allem deswegen, weil Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich (500-2000 Hz) weit über das übliche zu erwartende Maß hinausgegangen seien und die Neigung zur Progredienz (z.B. bei 1000 Hz) sich auch während der Lärm-Karenz fortgesetzt habe. So könne deutlich eine nicht-lärmbezogene Schädigungskomponente getrennt werden von den beide Hörorgane gleichermaßen in Mitleidenschaft ziehenden lärmbedingten Schädigungsprozessen. Als Gesundheitsstörungen auf HNO-ärztlichem Gebiet, für die ein Zusammenhang mit der beruflichen Lärmbelastung denkbar erscheine, sei daher eine annähernd geringgradige, hochfrequenzbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits zu bezeichnen. Nach der Regel, dass lärmbedingte Haarzellschäden im Innenohr irreversibel seien und demnach lärmbedingte Hörverluste sich nicht bessern ließen, würden die audiologischen Befunde, die seit 2009 für das linke Hörorgan dokumentiert worden seien und auch 2011 bestätigt werden könnten, als repräsentativ für die lärmbedingte Schädigung an beiden Hörorganen angesehen. Denn in aller Regel würden lärmbedingte Hörschädigungen beide Hörorgane in gleichem Umfang treffen, es sei denn, dass ganz besondere Umstände dafür sprächen, dass die Lärmbelastung stets eine Seite ausschließlich belastet habe und die andere Seite durch Schattenwirkung des Kopfes relativ geschützt gewesen sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Arbeit des Klägers in der Halle und in wechselnden Arbeitspositionen nicht gegeben. Die Ermittlung der Schwerhörigkeitsgrades leite sich davon ab, dass der prozentuale Hörverlust nach dem Tonschwellenaudiogramm seit 2009 auf der linken Seite permanent 20% betragen habe und der prozentuale Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm mit 10% angenommen werde. Daraus ergebe sich ein Schwerhörigkeitsgrad mit der Bezeichnung "annähernd geringgradig". Diese Bewertung treffe im Sinne einer allein lärmbedingten Schädigung für beide Hörorgane gleichermaßen zu. Daraus folge, dass der ton- und sprachaudiometrisch festgestellte prozentuale Hörverlust rechts mit 40% nicht im Zusammenhang mit der durch Lärm verursachten Hörschädigung stehe. Dieser Schädigungsanteil sei im Sinne einer lärmbedingten Ursache auch nicht "denkbar", weil der Hauptschadenseffekt auf starker Hörverlustentwicklung im Frequenzbereich um 1000 Hz beruhe, was nach aller Kenntnis im Rahmen einer Lärmschädigung in diesem Umfang (40 dB Hörverlust) keinesfalls vorkomme. Auch der Tinnitus rechts, der von ihm im Bereich von 1000 Hz habe lokalisiert werden können, unterstütze die Vorstellung einer umschriebenen, nicht definitiv zu bezeichnenden Schädigung in diesem Frequenzbereich, der außerhalb des bei Lärmschäden bevorzugt betroffenen Frequenzareals liege. Die danach mit Wahrscheinlichkeit aus der beruflichen Lärmbelastung resultierende annähernd geringgradige, hochfrequenzbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits bedinge eine MdE von 10%. Diese Bewertung ermittle sich nach dem festgestellten prozentualen Hörverlust auf beiden Seiten von je 20% und sei der sog. FELDMANN-Tabelle - Königsteiner Merkblatt 1996 - zu entnehmen. Sie bestehe seit der ersten Dokumentation am 29.04.2009 (Tonschwellenaudiogramm Dr. B.). Er weiche vom Gutachten des Dr. J. in der Wertung der audiologischen Ergebnisse für das rechte Ohr wesentlich ab. Es lasse sich im vorliegenden Fall hinreichend genau eine Abgrenzung zwischen beruflich bedingter Lärmschädigung und anderer zusätzlich einwirkender Schädigungsabläufe realisieren.

Mit Urteil vom 02.07.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe die Gewährung einer Verletztenrente wegen der bei dem Kläger anerkannten BK 2301 zu Recht abgelehnt. Die kausalen Folgen der BK 2301 rechtfertigten keine MdE in Höhe von (mindestens) 20 v.H., so dass der Kläger, bei dem ein Stützrententatbestand nicht festgestellt sei, wegen der BK 2301 keinen Anspruch auf Rente habe. Welcher Grad der Behinderung sich aufgrund der in Rede stehenden Gesundheitsstörungen ergebe, sei hierbei nicht von Relevanz. Dass bei dem Kläger aufgrund der BK 2301 keine MdE von mindestens 20 v.H. bestehe, ergebe sich aus dem schlüssigen Gutachten des Dr. R. vom 20.02.2011. Unstreitig bestehe bei dem Kläger lärmbedingt jedenfalls eine annähernd geringgradige, hochfrequenzbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits. Der auf der rechten Seite darüber hinausgehende Hörverlust sei nicht lärmbedingt, vielmehr sei die am linken Ohr festgestellte Hörstörung repräsentativ für die lärmbedingte Hörstörung insgesamt. Dass die Hörstörung am rechten Ohr insoweit auf eine lärmunabhängige Ursache zurückzuführen sei, als der Hörverlust über denjenigen des linken Ohres hinausgehe, stehe zur Überzeugung des Gerichts aus den Gründen, die Dr. R. zutreffend dargelegt habe, fest. Für einen lärmunabhängigen Hörverlust auf dem rechten Ohr spreche zunächst, dass eine Lärmschwerhörigkeit grundsätzlich ein symmetrisches Bild aufweise. Nachvollziehbare Gründe, weshalb es im Falle des Klägers zu einem lärmbedingten seitendifferenten Lärmverlust hätte kommen können, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Des Weiteren sei es in der Zeit von Juli 2009 bis Mai 2010 zu einer Verbesserung der rechten Seite gekommen, während auf der linken Seite eine Verschlechterung erfolgt sei. Dies entspreche nicht dem Verlauf einer Lärmschwerhörigkeit. Schließlich entspreche der sehr starke Hörverlust von 40 dB bei 1000 Hz rechts nicht dem zu erwartenden Bild einer - rein lärmbedingten - Hörminderung. Demgegenüber seien die für das linke Ohr gefundenen Ergebnisse zur Gänze mit dem bekannten Verlauf einer Lärmschwerhörigkeit in Einklang zu bringen. Es sprächen daher gewichtige Gründe dafür, dass die Hörminderung auf der rechten Seite, soweit sie über diejenige auf der linken Seite hinausgehe, nicht lärmbedingt sei. Nach den dargestellten Grund-sätzen zur Kausalitätsprüfung sei damit der weitergehende Hörverlust nicht lärmbedingt und somit auch bei der Bemessung der MdE nicht zu berücksichtigen. Eine lärmbedingte Hörstörung liege daher auch auf dem rechten Ohr nur in dem Maße vor, wie auf dem linken Ohr festgestellt. Das linke Ohr sei für die bei dem Kläger vorliegende Lärmschwerhörigkeit repräsentativ. Dr. R. komme auf dieser Grundlage nachvollziehbar zu einer MdE von nicht mehr als 10 v.H ... Diese Einschätzung werde bestätigt, wenn man das von Dr. R. für die - wie dargelegt repräsentative - linke Seite ermittelte gewichtete Gesamtwortverstehen von 227,6 in die Tabelle zur MdE-Berechnung aus dem gewichteten Gesamtwortverstehen bei symmetrischer Lärmschwerhörigkeit aus Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit (8. Aufl., S. 347) übertrage.

Hiergegen richtet sich die am 01.08.2012 beim SG eingelegte Berufung des Klägers. Das Gutachten des Dr. R., auf das sich das SG stütze, sei in mehreren Punkten zu beanstanden. Es berücksichtige weder die konkrete Lärmquelle am Arbeitsplatz noch einmalige extrem starke Lärmquellen wie lautes Knallen von links oder rechts. Außerdem stütze es sich auf einen Durchschnittswert von 90 dB(A), tatsächlich werde aber selbst im parteilichen Gutachten ein Wert von bis zu 92 dB(A) angegeben. Eine Auseinandersetzung mit Wirkungen von Lärm oberhalb des Wertes von 90 dB(A) erfolge nicht. Rein vorsorglich werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Ort beantragt. Die Beweislastregel sei nicht beachtet. Da keine Erfahrungen dazu vorlägen, ob Lärm oberhalb von 90 dB(A) ebenfalls beide Ohren gleich schädige, müsse zwingend eine Umkehr der Beweislast dahingehend erfolgen, dass auch die erhöhte Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr berufsbedingt sei. Es sei immens laut gewesen, auch impulsartig. Es obliege der Beklagten darzulegen, dass sie dafür nicht verantwortlich sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 2. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 11. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2010 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 2009 wegen der anerkannten BK 2301 eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Gutachten des Dr. R. liege das Ermittlungsergebnis zu der konkreten beruflichen Lärmexposition am Arbeitsplatz des Klägers zugrunde. Anhaltspunkte für einmalige extrem starke Lärmquellen wie lautes Knallen von links oder rechts hätten sich im gesamten Verfahren nicht ergeben. In dem Bericht des B. vom 12.03.2009 sei ein impulsartiger Lärm nicht bejaht worden. Die jetzt genannten einmaligen Lärmquellen seien auch nicht substantiiert dargelegt und begründet. Dr. R. sei ein Lärmpegel von bis zu 92 dB(A) durchaus bekannt gewesen. Der von ihm genannte Durchschnittswert von 90 dB(A) auf Seite 7 des Gutachtens betreffe die Frage der Risikoeinschätzung für die Entwicklung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit. Eine solche sei hier jedoch unstreitig anerkannt. Für die Frage der Symmetrie des Hörschadens sei ein Beurteilungspegel von mehr als 90 dB(A) nicht relevant. Maßgebend sei der Nachweis einer einseitigen Beschallung am Arbeitsplatz, die jedoch ein "seltenes Ereignis" sei, wofür vorliegend jegliche Anhaltspunkte fehlten. Bei einer Seitendifferenz von bis zu 20% ohne Nachweis einer einseitigen höheren beruflichen Lärmexposition sei zu prüfen, ob nicht andere Einflüsse vorlägen. Zwar sei zur Beurteilung der Kausalität von Hörverlusten im tiefen und mittleren Frequenzbereich nach Mehrtens-Brandenburg "eine lange Lärmexposition mit Lärmeinwirkungen, meist über 95 dB(A) bzw. extrem hohen Schallpegel" von Bedeutung. Aber auch dann werde ein Hörverlust von 30 dB(A) "nur selten erreicht". Dr. R. führe somit zu Recht aus, dass "selbst unter extremen Schallbedingungen mit weit höheren Pegeln als im hiesigen Fall gegeben bei 1000 Hz nicht größere Hörverluste als 30 dB(A) gefunden werden". Entgegen der Berufungsbegründung obliege die Darlegungs- und Beweislast nicht der Beklagten. Die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast seien nicht erfüllt.

Der frühere Berichterstatter hat die Beteiligten auf die beabsichtigte Entscheidung des Senats durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und hat ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das Landessozialgericht nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Der frühere Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht keine Verletztenrente als Folge der anerkannten BK 2301 zu. Ein Stützrententatbestand liegt nicht vor, und die beruflich bedingten Gesundheitsstörungen, die als Folge der anerkannten BK zu berücksichtigen sind, führen zu keiner MdE von mindestens 20 v.H ...

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG) zulässig. Die Beklagte hat im Bescheid vom 11.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2010 nicht nur über das Vorliegen der BK 2301 entschieden, sondern auch über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid wurde im Verfügungssatz über die Feststellung des Vorliegens der BK 2301 und damit der Bejahung eines Versicherungsfalls hinaus auch ein Anspruch auf Rente als Folge der BK abgelehnt (Ziff. 2 des Verfügungssatzes), da eine MdE in rentenberechtigendem Grade, d.h. von mindestens 20 v.H., durch die Folgen der BK nicht vorliege. Die vom Kläger erhobene Leistungsklage ist daher zulässig. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle in diesem Sinne sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden, § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente; die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern, § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII.

Bei dem Kläger ist eine Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anerkannt. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.08.1955 - 2 RU 67/54 - BSGE 1, 174 und Urteil vom 14.11.1984 - 9b RU 38/84 - BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitsfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 - SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N. und Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R - HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls oder der Berufskrankheit beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 2 und Beschluss vom 22.08.1989 - 2 BU 101/89 - HV-Info 1989, 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten (vgl. BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R - Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente beim Kläger nicht vor. Der Senat stützt sich hierzu ebenso wie das SG auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Dr. R. Zwar liegt beim Kläger der Versicherungsfall einer BK 2301 vor, wie die Beklagte im Bescheid vom 11.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2010 festgestellt hat. Allerdings begründen die Folgen der anerkannten BK auch zur Überzeugung des Senats keine MdE von mindestens 20 v.H ... Auch liegt kein Stützrententatbestand vor, insbesondere ist im Zusammenhang mit den weiteren vom Kläger neben der Hörstörung geltend gemachten Erkrankungen das Vorliegen eines oder mehrerer sonstiger Versicherungsfälle nicht festgestellt; insoweit wird auf die zwischen den Beteiligten zwischenzeitlich ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen des SG vom 29.10.2012 (S 5 U 3156/10) und vom 27.01.2012 (S 5 U 3157/10 sowie des LSG vom 22.08.2012 (L 1 U 762/12) Bezug genommen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger begehrte Verletztenrente wegen einer BK 2301 sowie die Grundsätze über die Bemessung der MdE dargelegt und ist auf dieser Grundlage überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass wegen der beim Kläger als lärmbedingt anzusehenden hochfrequenzbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit keine MdE um wenigstens 20 v. H. anzunehmen ist. Dr. R. hat im Rahmen seiner Begutachtung in Bezug auf das linke Ohr Befunde erhoben, die mit den von Dr. B. am 29.04.2009 erhobenen Befunden in Einklang stehen. Auch für den Senat überzeugend hat Dr. R. im Einklang mit der Königsteiner Empfehlung ("Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit [BK-Nr. 2301] - Königsteiner Empfehlung", herausgegeben von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, 5. Auflage 2012), die als antizipiertes Sachverständigengutachten herangezogen werden kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R - und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.2012, L 2 U 4996/10 m.w.N. - Juris) und in Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Dr. J. dargestellt, dass und aus welchen Gründen sich eine eindeutige Abgrenzung zwischen einer beruflich bedingten Lärmschädigung und anderen zusätzlich einwirkenden Schädigungsabläufen im Bereich des rechten Ohres vornehmen lässt und dass insoweit das Ausmaß der Schädigung im Bereich des linken Ohres stellvertretend auch für das rechte Ohr herangezogen werden kann. Auch die Beurteilung der MdE durch Dr. R. steht im Einklang mit der Königsteiner Empfehlung. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend auszuführen, dass es nicht zutrifft, dass Dr. R. nicht die tatsächliche Lärmexposition am Arbeitsplatz des Klägers berücksichtigt habe. Wie schon die Beklagte in der Berufungserwiderung zutreffend unter Nennung der jeweiligen Fundstellen im Gutachten dargestellt hat, waren dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. sowohl der vom Arbeitgeber angegebene personenbezogene äquivalente Dauerschallpegel von 89,2 dB(A) als auch der vom Präventionsdient der Beklagten für die Jahre 1978 bis 2010 aufgrund betrieblicher Lärmmessungen ermittelte Beurteilungspegel von 89 bis 92 dB(A) bekannt. Diese hat er berücksichtigt. Dafür, dass diese nicht der tatsächlichen Lärmexposition des Klägers entsprechen, liegen keine Anhaltspunkte vor. Auf den vom Arbeitgeber angegebenen Pegel hat sich der Kläger selbst mit seiner Klagebegründung berufen. Soweit der Kläger erstmals mit der Berufung geltend gemacht hat, er sei am Arbeitsplatz auch einmaligen extrem starken Lärmquellen wie lautem Knallen von links oder rechts bzw. auch impulsartig auftretendem immens lautem Lärm ausgesetzt gewesen, lässt er offen, wann und unter welchen konkreten Umständen dies erfolgt sein soll. Einmalige extreme Schallereignisse wurden weder der Beklagten angezeigt noch im Klageverfahren mitgeteilt, auch nicht gegenüber den Gutachtern Dr. J. und Dr. R. angegeben. Dieser Berufungsvortrag findet weder in den Angaben des Arbeitgebers noch den Angaben des B. und des Präventionsdienstes der Beklagten noch in den vorherigen Angaben des Klägers selbst im Rahmen des Verwaltungs- und Klageverfahrens eine Stütze, so dass er für den Senat weder nachvollziehbar ist, noch Anlass für weitere Ermittlungen bietet. Einen Fall der Beweislastumkehr dergestalt, dass die Hörschädigung des rechten Ohres aufgrund der vom Kläger mit der Berufung beschriebenen Lärmeinwirkungen vollständig als berufsbedingt anzuerkennen sei, kann der Senat ebenfalls nicht erkennen. Wie bereits oben bzw. vom SG ausgeführt, hat Dr. R. unter Zugrundelegung des zutreffend aufgrund betrieblicher Lärmmessungen ermittelten Beurteilungspegels für den Senat überzeugend dargestellt, dass sich vorliegend in Bezug auf das rechte Ohr eine Abgrenzung in einen berufslärmbedingten Anteil der Erkrankung und einen nicht berufslärmbedingten Anteil eindeutig vornehmen lässt. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger keiner einseitigen Lärmbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt war. Der Arbeitsplatz des Klägers befand sich nach den eigenen Angaben des Klägers in einer Halle, er arbeitete an verschiedenen Maschinen und befand sich dabei teilweise in Bewegung. Von einer einseitigen Beschallung kann daher nicht ausgegangen werden.

Damit ist die Berufung insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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