L 10 AS 3193/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2161/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 3193/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
auch L 10 AS 3194/15 B ER PKH
Die Beschwerde gegen die einstweiligen Rechtsschutz ablehnende Entscheidung im Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. November 2015 (L 10 AS 3193/15 B ER) wird zurückgewiesen. Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin D L beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten. Auf die Beschwerde (L 10 AS 3194/15 B ER PKH) wird die die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung im Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. November 2015 aufgehoben und dem Antragsteller für das erstinstanzliche einstweilige Rechtschutzverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin D L beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.

Gründe:

I.

Die Beschwerde (L 10 AS 3193/15 B ER) ist zulässig; sie ist nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch, der allein aus §§ 16 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), 81 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) begründet sein kann, auf (vorläufige) Erteilung eines Bildungsgutscheines für die Teilnahme an einer Weiterbildung zum Rettungssanitäter im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Zwar mag insoweit eine Situation bestehen, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar macht (Anordnungsgrund), was davon abhängt, ob die Besorgnis des Antragstellers, der von ihm in Aussicht genommene Kurs werde nicht dauerhaft mit Regelmäßigkeit angeboten, berechtigt ist und ob nachteilige Änderungen der als günstig beschriebenen Arbeitsmarktlage (eine "echte" Einstellungszusage liegt mit dem Schreiben des Kreisverbandes des Deutsche Roten Kreuzes Ostvorpommern vom 28. Mai 2015 ( Bl 58 Gerichtsakte – GA –) nicht vor) zu erwarten sind.

Dem muss indes nicht weiter nachgegangen werden, da es jedenfalls am Anordnungsanspruch fehlt. Die Erwägungen, die das Sozialgericht (SG) dazu angestellt hat, die von ihm mitgeteilten Gründe für die Einschätzung, die beabsichtigte Maßnahme sei nicht geeignet, den Antragsteller dauerhaft beruflich einzugliedern (Seite 4 letzter Absatz bis Seite 6 erster Absatz des Beschlusses) sind – vorbehaltlich der im Weiteren darzulegenden Einschränkung bzgl der Systematik der Ausführungen – tragfähig, der Senat nimmt darauf nach eigener Sachprüfung Bezug (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Insoweit ist ergänzend zu verdeutlichen, dass seitens des Antragsgegners mit der Beauftragung des Dipl Psych B mit der Erstellung eines Gutachtens sachgerechte Ermittlungen stattgefunden haben, die zu dem zurück-haltend formulierten, in der Sache aber klaren Ergebnis geführt haben, dass der Gutachter die Eignung des Antragstellers für die angestrebte Tätigkeit nicht uneingeschränkt bejaht. Diese Einschätzung beruht auf zwei relativ ausführlichen Untersuchungen und einer ersichtlich sorgfältigen Vorgehensweise (Rücksprache zu den Anforderungen mit einer sachkundigen Stelle) und überzeugt nicht zuletzt wegen der nicht außer Acht zu lassenden Ausgangssituation. Die in der Voruntersuchung im Juni 2013 (Gutachten Dr W, Bl 49ff GA) festgehaltenen Einschränkungen physischer und psychischer Art stehen den insoweit hohen Anforderungen des angestrebten Berufs eindeutig entgegen. Sie sind ihrer Art nach nicht typischerweise vorübergehend und belastbare Erkenntnisse zu einer Verbesserung sind nicht dokumentiert. Allein die Auskunft des behandelnden Arztes Dr A (vom 13. Mai 2015 – Bl 6 GA) reicht dazu nicht aus, da sie stark formalisiert ist und keine Begründung enthält. Aus diesen Gründen verfängt die Kritik der Beschwerdebegründung zur Vagheit der gutachterlichen Feststellungen nicht.

Die bislang genannten Gründe rechtfertigen die Bewertung, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Darüber hinaus ist folgendes festzuhalten. Das SG hat (ohne dies im Ergebnis so durchzuführen) angenommen, es habe über den erhobenen Anspruch im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, im Rahmen derer ein Anspruchsteller regelmäßig eine ihm günstige Entscheidung zu erwarten hat, wenn der Anspruch nicht zweifelsfrei unbegründet ist. Dem Senat erscheint zweifelhaft, ob hier nicht schlicht nach der Glaubhaftmachung des erhobenen Anspruchs zu fragen ist (bzw ein "strengerer" Abwägungsmaßstab bei der Folgenabwägung anzuwenden ist), da nicht existenzsichernde Leistungen, sondern Teilhabeleistungen streitgegenständlich sind, deren Versagung nicht in gleicher Weise die Qualität eines Eingriffs in zwingend zu gewährleistende Rechtspositionen hat. Näherer Betrachtung bedarf dies hier nicht, denn der Antragsteller kann hier bereits deshalb keine antragsgemäß zusprechende Entscheidung erwarten, weil die begehrte Entscheidung (Erteilung eines bestimmten Bildungsgutscheines) im Ermessen des Antragsgegners steht. Das SG hat die Geeignetheit der (erfolgreichen) Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme zur Integration in den Arbeitsmarkt als Element der Ermessensbetätigung gewürdigt. Dies ist unzutreffend. Nach § 81 Abs 1 Satz 1 SGB III können (= Einräumung von Ermessen auf der Rechtsfolgenseite) Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung gefördert werden, wenn (Abs 1 Satz 1 Nr 1) die Weiterbildung notwendig ist, um (1. Altn) sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern. Die Notwendigkeit ist Voraussetzung der Förderung; sie setzt zweierlei voraus, nämlich die Geeignetheit der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zur Erreichung des Eingliederungszwecks – für die insoweit zu treffende Prognose ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt – und die Weiterbildungsfähigkeit des Anspruchstellers, im Rahmen derer in einer gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren prognostischen Einzelbeurteilung etwa die Einschätzung seiner persönlichen Eignung für die Maßnahme/die anschließende Berufsausübung zu beurteilen ist (dazu umfassend B. Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Stand der Einzelkommentierung September 2014, RdNrn 43, 48 zu § 81; zur persönlichen Eignung als Anspruchsvoraussetzung auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 11. Mai 2000 – B 7 AL 18/99, juris RdNr 17f). Eine Restunsicherheit bzgl dieser Fragestellung "schlägt also nicht auf die Ermessenausübung durch".

Zur Ermessensausübung gehört aber zweifelsfrei ein anderer Gesichtspunkt, der im Gutachten des Dipl Psych B eindeutig Ausdruck findet und der einer Ermessensreduzierung "auf Null" zwingend entgegensteht. Dass der Gutachter andere, vom Antragsteller ebenfalls als in Betracht kommend angesehene Tätigkeiten (Wachschutz/ Informationstechnik) nachvollziehbar für den Antragsteller für günstiger hält (bereits Gleichwertigkeit würde hier ausreichen), rechtfertigt jedenfalls die Aussage, dass keine vollständige Ermessenschrumpfung eingetreten ist, vielmehr – auch wenn die Berücksichtigung des konkreten Ausbildungswunsches im Rahmen der Ermessensausübung von Gewicht ist (vgl B. Schmidt, aaO, RdNrn 88, 91) – jedenfalls ein Aus-wahlermessen bei dem Antragsgegner verbleibt, dem Antragsteller, der die weiteren Anspruchsvoraussetzungen nach § 81 Abs 1 Satz 1 SGB III erfüllen dürfte, eine andere als die von ihm gewünschte Maßnahme anzubieten (für ein Auswahlermessen unabhängig von der vom Antragsteller angestrebten Maßnahme B. Schmidt, aaO, RdNr 46). Der Senat hatte trotz dieses Zusammenhangs keine Verpflichtung zur Neubescheidung auszusprechen (dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 20. Juli 2015 – L 10 AS 193/15 B juris, RdNr 12f); zum einen ist im Rahmen der Hauptbegründung dargelegt, dass es an einer Glaubhaftmachung bereits der Anspruchsvoraussetzungen fehlt, zum anderen rechtfertigen die hier konkret gestellten Anträge die Aussage, dass eine Bescheidungsanordnung (die eben nicht zur Erteilung eines Bildungsgutscheines für eine Weiterbildung zum Rettungssanitäter führen würde) nicht beantragt ist.

II.

Dem Antragsteller war für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens L 10 AS 3193/15 B ER Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu gewähren, da seinem Begehren im Hinblick auf die einer kontroversen Würdigung zugängliche Tatsachen- und einer unübersichtlichen Rechtslage (etwa auch wegen der Möglichkeit, einen Teilerfolg iS eines Bescheidungstenors zu erreichen) eine hinreichende (nicht nur entfernte) Erfolgsaussicht – und dies ist für die Belange des Prozesskostenhilferechts ausreichend - nicht abgesprochen werden konnte (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 Abs 1 Satz 1, 121 Abs 2 1. Alt Zivilprozessordnung (ZPO)).

III.

Die zulässige Beschwerde L 10 AS 3194/15 B ER PKH ist auch begründet. Der Rechtsverfolgung konnte – wie bereits ausgeführt – die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 Abs 1 Satz 1, 121 Abs 2 1. Alt ZPO).

Eine Kostenentscheidung bzgl dieses Beschwerdeverfahrens ist entbehrlich; Gerichtskosten werden nicht erhoben und außergerichtliche Kosten werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

IV.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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