Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 317/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 229/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 verurteilt, dem Kläger das Hörgerät C. xxx1 als Sachleistung zu Verfügung zu stellen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ein Hörgerät, dessen Kosten oberhalb des Festbetrags liegen, zur Verfügung zu stellen ist.
Der 1963 geborene Kläger arbeitet als technischer Angestellter in einem Ingenieurbüro für Versorgungstechnik. Zu seinen Aufgaben gehört die Bauleitung und Bauüberwachung. In diesem Rahmen nimmt er nach den Angaben des Arbeitgebers (Arbeitgebererklärung vom 19.08.2014) regelmäßig an Baubesprechungen und Bausitzungen teil. Mit Bescheid vom 20.06.2008 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund (die Beigeladene) dem Kläger Hörgeräte als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Am 19.08.2014 beantragte der Kläger erneut bei der Beigeladenen Hörgeräte unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 25.07.2014 als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Beigefügt war unter anderem ein Angebot für die Versorgung mit dem Hörgerät C. xxx1 für 4280,00 EUR sowie die Arbeitgebererklärung vom 19.08.2014. Am 01.09.2014 leitete die Beigeladene den Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an die Beklagte weiter. Nach Auffassung der Beigeladenen beinhalteten die Höranforderungen im Beruf als Technischer Angestellter in einem Planungsbüro keine spezifische berufsbedingte Notwendigkeit für höherwertige Hörgeräte. "Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch – auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen bzw. störenden Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz – stellt eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die bei nahezu jeder Berufsausübung besteht und daher keine spezifisch berufsbedingte Bedarfslage begründen kann."
Mit Bescheid vom 22.09.2014 bewilligte die Beklagte den Festbetrag für die Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.594,00 EUR.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, da im Störgeräusch und in größeren Gruppen ein ausreichendes Sprachverständnis nicht gegeben sei. Sein langjähriges Tinnitusleiden werde nicht ausreichend unterdrückt, ein konzentriertes Arbeiten an seinem Arbeitsplatz sei daher unmöglich.
Mit Schreiben vom 29.09.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie im Wege der Amtshilfe eine Stellungnahme der Beigeladenen angefordert habe. Die Beigeladene blieb bei ihrer Einschätzung, dass kein berufsbedingter Mehrbedarf vorliege.
Mit Schreiben vom 22.10.2014 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf, über seinen Widerspruch zu entscheiden. Daraufhin erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 30.10.2014, dass die von dem Kläger geschilderten subjektiv empfundenen Vorteile nicht feststellen werden können. Das Gerät der Marke D. xxx2 (zum Festbetrag) sei geeignet, seinen Hörverlust im notwendigen Umfang auszugleichen. Die Beigeladene habe aus den bereits mitgeteilten Gründen eine Beteiligung abgelehnt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem Freiburger Sprachtest seien auch mit dem eigenanteilsfreien Gerät die gleichen Werte erzielt worden wie mit dem gewählten Gerät. Das gewählte Gerät habe noch zusätzliche Komfortmodule; außerdem verfüge die gewählte Technik über die kleinstmögliche Bauform, was sich ebenfalls in erheblicher Weise auf den Preis auswirke und nicht dem objektiven Sprachverstehen dient.
Am 15.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass die Geräte zum Freibetrag nicht ausreichend seien im beruflichen Alltag des Klägers: Bei den Festbetragsgeräten werde dessen Tinnitusleiden nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger sei staatlich geprüfter Techniker im Bereich Mess- und Regeltechnik. Bei seiner Tätigkeit in einem Planungsbüro mit 25 Mitarbeitern komme es auf ein exaktes Hörverständnis von Zahlen und Gesprächsinhalten an. Dies sei dem Kläger insbesondere bei Terminen vor Ort, auf der Straße oder auf einer Baustelle beziehungsweise in größeren Gruppen oder im Rahmen von Telefonkonferenzen absolut unmöglich. Zu dessen beruflicher Tätigkeit gehöre unter anderem die Teilnahme an Baubesprechungen, bei denen der Kläger essentielle technische Informationen, Festlegungen und Ergebnisse von Bauaufsichtsbehörden, Bauherrschaften, Architekten und Beauftragten für Arbeitssicherheit entgegen nehmen und diese an die Baufirma weiterleiten müsse. Beim Akustiker werde unter klinischen Bedingungen getestet. Im Alltag sei es dem Kläger nur mit dem gewählten Gerät gelungen, bei wechselnder Geräuschkulisse auf der Straße, der Baustelle oder im Büro das notwendige Hören zu ermöglichen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger von den Kosten für die Hörgeräteversorgung der Marke C. xxx1 freizustellen,
Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass ein bestmöglicher Ausgleich mit den eigenanteilsfreien Geräten nach den objektiven Werten erreicht werde. Der von dem Kläger angegebene Funktionsvorteil sei als rein subjektiv zu begreifen, da objektiv identische Werte vorliegen.
Die mit Beschluss vom 07.01.2016 beigeladene Deutsche Rentenversicherung Bund führt aus, dass die Höranforderungen an das zugrunde liegende spezifische Berufsbild und damit einen typischen Arbeitsplatz dieses Berufsbildes nicht die Anforderungen übersteige, denen Menschen täglich im privaten Lebensbereich ausgesetzt seien. Auch hier seien diverse Störquellen und Umweltgeräusche unvermeidbar. Es gehöre zu den allgemeinen Anforderungen an jeden Arbeitsplatz/jede Berufsausübung in Kommunikation mit anderen Arbeitnehmern treten zu können, zu telefonieren, Kundenkontakte zu halten sowie Tätigkeiten unter einer gewissen Geräuschkulisse auszuüben. Für diese gewöhnlich wiederkehrenden Alltagssituationen habe die gesetzliche Krankenversicherung für einen ausreichenden und zweckmäßigen Ausgleich zu sorgen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des anpassenden Akustikers. Dieser führt ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21.06.2016 aus: "Wenn ich eine Hörgeräteanpassung vornehme, dann ist das Ziel einen 100%-igen Ausgleich zu erreichen. Dies wird im Ruheraum ausgemessen. Wir gehen dabei nach DIN 45621, dem Freiburger Sprachtest, vor. Auch wenn dort unter Störschall gemessen wird, ist es so, dass der Störschall z. B. von hinten kommt und das gesprochene Wort von vorne. Der Betroffene hat dann Zeit das Hörgerät entsprechend manuell einzustellen und sich auf die Situation anzupassen. Bei den Kassengeräten ist es so, dass jeweils rechts und links die Einstellungen vorgenommen werden muss. Bei dem Gerät, das sich Herr A. ausgesucht hat, mit dem er am besten bei der Arbeit zurechtkommt, ist es so, dass die Anpassung automatisch erfolgt, ohne dass er aktiv werden muss. Das Gerät kann sich entsprechend in großen Gruppen oder auch bei Hintergrundstörgeräusche automatisch anpassen. Das Gerät hat eine stärkere Störgeräuschunterdrückung und einen Impulsstopp. Außerdem hat das Hörgerät eine automatische Zoom-Funktion, so dass die automatische Ausrichtung der Mikrofone erfolgt und Störgeräusche von rechts oder links jeweils ausgeblendet werden."
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Mehrkosten für das Hörgerät C. xxx1 zu übernehmen und dem Kläger das Hörgerät damit als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat die Leistung zwar zu Unrecht abgelehnt. Sie ist aber nicht als Krankenkasse zur Leistung verpflichtet, sondern hat die Leistung als zweitangegangener Leistungsträger (§ 14 SGB IX) nach den für die Beigeladene geltenden Vorschriften zu erbringen.
Das Hörgerät C. xxx1 ist keine Leistung, die die Beklagte im Rahmen des SGB V zur Verfügung stellen müsste. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu lindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Dazu bestimmt § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Das Hörgerät dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Ziel ist der vollständige funktionelle Ausgleich. Von der Krankenkasse wird als Ausgleich geschuldet das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen. Im Gegensatz dazu ist die Rentenversicherung zuständig, wenn es sich ausschließlich um berufliche oder arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile handelt.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass mit den Hörgeräten für den Kläger ausschließlich ein arbeitsplatzspezifischer Gebrauchsvorteil verbunden ist und dass dieser Vorteil notwendig ist für die weitere Berufsausübung. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Angaben des Arbeitgebers, des Klägers zu den Anforderungen an das Hören während seiner Berufsausübung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme. In Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann eine Bürotätigkeit als Vergleichsmaßstab für eine Tätigkeit angenommen werden, die keine über das übliche Maß hinausgehenden Anforderungen an das Hörvermögen stellt. Das Bundessozialgericht war in dem von ihm zu entscheidenden Fall (B 3 KR 5/12 R) davon ausgegangen, dass eine Moderatoren- und Dozententätigkeit besondere Anforderungen an die Hörfähigkeit stellt. Wegen üblicherweise vorhandenen Störgeräuschen seien diese einem spezifisch akustischen Umfeld ausgesetzt, das sich z. B. von einer normalen Bürotätigkeit deutlich unterscheide. Bei dem Kläger gehen die Anforderungen an das Hörvermögen über die Anforderungen hinaus, die an eine Bürotätigkeit zu stellen sind. Der Kläger hat überzeugend und nachvollziehbar geschildert, welchen besonderen Anforderungen an das Hörvermögen er während seiner Arbeit insbesondere auf der Baustelle ausgesetzt ist. Dabei ist es für das Gericht ohne weiteres ersichtlich, dass auf einer Baustelle eine größere Geräuschkulisse vorhanden ist als bei den meisten anderen Arbeitsplätzen insbesondere im Bürobereich. Daraus ergeben sich besonders komplexe Anforderungen an das Hören. Nach den Ausführungen des Zeugen lässt sich aus den ermittelten objektiv gleichen Werten im Ruheraum nicht schließen, dass der Kläger auf der Baustelle mit beiden Geräten gleich gut Hören kann. Insbesondere kommen Störgeräusche nicht wie im Ruheraum nur von hinten und das gesprochene Wort von vorne. Auch fehlt es bei der Arbeit an der Zeit, ständig manuell die Hörgeräte anzupassen, um optimal zu hören. Der Kläger hätte dann doch wieder die Situation, dass er zunächst nicht richtig hört und nachfragen muss, bis er seine Hörgeräte für den Moment richtig ausgerichtet hat. Bei der Begehung einer Baustelle mit sich ständig ändernden Geräuschkulissen und Richtungen, aus denen die Geräusche kommen, sind solcher sich wiederholenden Vorgänge im Rahmen einer auszuübenden Beschäftigung nicht vertretbar und nicht zumutbar.
Der Kläger hat aufgrund dessen einen Anspruch auf Versorgung mit dem Hörgerät nach § 9 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX gegenüber der Beigeladenen. Diesen Anspruch hat die Beklagte als nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für die Entscheidung zuständiger Leistungsträger gegenüber dem Kläger zu erfüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ein Hörgerät, dessen Kosten oberhalb des Festbetrags liegen, zur Verfügung zu stellen ist.
Der 1963 geborene Kläger arbeitet als technischer Angestellter in einem Ingenieurbüro für Versorgungstechnik. Zu seinen Aufgaben gehört die Bauleitung und Bauüberwachung. In diesem Rahmen nimmt er nach den Angaben des Arbeitgebers (Arbeitgebererklärung vom 19.08.2014) regelmäßig an Baubesprechungen und Bausitzungen teil. Mit Bescheid vom 20.06.2008 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund (die Beigeladene) dem Kläger Hörgeräte als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Am 19.08.2014 beantragte der Kläger erneut bei der Beigeladenen Hörgeräte unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 25.07.2014 als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Beigefügt war unter anderem ein Angebot für die Versorgung mit dem Hörgerät C. xxx1 für 4280,00 EUR sowie die Arbeitgebererklärung vom 19.08.2014. Am 01.09.2014 leitete die Beigeladene den Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an die Beklagte weiter. Nach Auffassung der Beigeladenen beinhalteten die Höranforderungen im Beruf als Technischer Angestellter in einem Planungsbüro keine spezifische berufsbedingte Notwendigkeit für höherwertige Hörgeräte. "Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch – auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen bzw. störenden Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz – stellt eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die bei nahezu jeder Berufsausübung besteht und daher keine spezifisch berufsbedingte Bedarfslage begründen kann."
Mit Bescheid vom 22.09.2014 bewilligte die Beklagte den Festbetrag für die Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.594,00 EUR.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, da im Störgeräusch und in größeren Gruppen ein ausreichendes Sprachverständnis nicht gegeben sei. Sein langjähriges Tinnitusleiden werde nicht ausreichend unterdrückt, ein konzentriertes Arbeiten an seinem Arbeitsplatz sei daher unmöglich.
Mit Schreiben vom 29.09.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie im Wege der Amtshilfe eine Stellungnahme der Beigeladenen angefordert habe. Die Beigeladene blieb bei ihrer Einschätzung, dass kein berufsbedingter Mehrbedarf vorliege.
Mit Schreiben vom 22.10.2014 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf, über seinen Widerspruch zu entscheiden. Daraufhin erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 30.10.2014, dass die von dem Kläger geschilderten subjektiv empfundenen Vorteile nicht feststellen werden können. Das Gerät der Marke D. xxx2 (zum Festbetrag) sei geeignet, seinen Hörverlust im notwendigen Umfang auszugleichen. Die Beigeladene habe aus den bereits mitgeteilten Gründen eine Beteiligung abgelehnt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem Freiburger Sprachtest seien auch mit dem eigenanteilsfreien Gerät die gleichen Werte erzielt worden wie mit dem gewählten Gerät. Das gewählte Gerät habe noch zusätzliche Komfortmodule; außerdem verfüge die gewählte Technik über die kleinstmögliche Bauform, was sich ebenfalls in erheblicher Weise auf den Preis auswirke und nicht dem objektiven Sprachverstehen dient.
Am 15.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass die Geräte zum Freibetrag nicht ausreichend seien im beruflichen Alltag des Klägers: Bei den Festbetragsgeräten werde dessen Tinnitusleiden nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger sei staatlich geprüfter Techniker im Bereich Mess- und Regeltechnik. Bei seiner Tätigkeit in einem Planungsbüro mit 25 Mitarbeitern komme es auf ein exaktes Hörverständnis von Zahlen und Gesprächsinhalten an. Dies sei dem Kläger insbesondere bei Terminen vor Ort, auf der Straße oder auf einer Baustelle beziehungsweise in größeren Gruppen oder im Rahmen von Telefonkonferenzen absolut unmöglich. Zu dessen beruflicher Tätigkeit gehöre unter anderem die Teilnahme an Baubesprechungen, bei denen der Kläger essentielle technische Informationen, Festlegungen und Ergebnisse von Bauaufsichtsbehörden, Bauherrschaften, Architekten und Beauftragten für Arbeitssicherheit entgegen nehmen und diese an die Baufirma weiterleiten müsse. Beim Akustiker werde unter klinischen Bedingungen getestet. Im Alltag sei es dem Kläger nur mit dem gewählten Gerät gelungen, bei wechselnder Geräuschkulisse auf der Straße, der Baustelle oder im Büro das notwendige Hören zu ermöglichen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger von den Kosten für die Hörgeräteversorgung der Marke C. xxx1 freizustellen,
Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass ein bestmöglicher Ausgleich mit den eigenanteilsfreien Geräten nach den objektiven Werten erreicht werde. Der von dem Kläger angegebene Funktionsvorteil sei als rein subjektiv zu begreifen, da objektiv identische Werte vorliegen.
Die mit Beschluss vom 07.01.2016 beigeladene Deutsche Rentenversicherung Bund führt aus, dass die Höranforderungen an das zugrunde liegende spezifische Berufsbild und damit einen typischen Arbeitsplatz dieses Berufsbildes nicht die Anforderungen übersteige, denen Menschen täglich im privaten Lebensbereich ausgesetzt seien. Auch hier seien diverse Störquellen und Umweltgeräusche unvermeidbar. Es gehöre zu den allgemeinen Anforderungen an jeden Arbeitsplatz/jede Berufsausübung in Kommunikation mit anderen Arbeitnehmern treten zu können, zu telefonieren, Kundenkontakte zu halten sowie Tätigkeiten unter einer gewissen Geräuschkulisse auszuüben. Für diese gewöhnlich wiederkehrenden Alltagssituationen habe die gesetzliche Krankenversicherung für einen ausreichenden und zweckmäßigen Ausgleich zu sorgen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des anpassenden Akustikers. Dieser führt ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21.06.2016 aus: "Wenn ich eine Hörgeräteanpassung vornehme, dann ist das Ziel einen 100%-igen Ausgleich zu erreichen. Dies wird im Ruheraum ausgemessen. Wir gehen dabei nach DIN 45621, dem Freiburger Sprachtest, vor. Auch wenn dort unter Störschall gemessen wird, ist es so, dass der Störschall z. B. von hinten kommt und das gesprochene Wort von vorne. Der Betroffene hat dann Zeit das Hörgerät entsprechend manuell einzustellen und sich auf die Situation anzupassen. Bei den Kassengeräten ist es so, dass jeweils rechts und links die Einstellungen vorgenommen werden muss. Bei dem Gerät, das sich Herr A. ausgesucht hat, mit dem er am besten bei der Arbeit zurechtkommt, ist es so, dass die Anpassung automatisch erfolgt, ohne dass er aktiv werden muss. Das Gerät kann sich entsprechend in großen Gruppen oder auch bei Hintergrundstörgeräusche automatisch anpassen. Das Gerät hat eine stärkere Störgeräuschunterdrückung und einen Impulsstopp. Außerdem hat das Hörgerät eine automatische Zoom-Funktion, so dass die automatische Ausrichtung der Mikrofone erfolgt und Störgeräusche von rechts oder links jeweils ausgeblendet werden."
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Mehrkosten für das Hörgerät C. xxx1 zu übernehmen und dem Kläger das Hörgerät damit als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat die Leistung zwar zu Unrecht abgelehnt. Sie ist aber nicht als Krankenkasse zur Leistung verpflichtet, sondern hat die Leistung als zweitangegangener Leistungsträger (§ 14 SGB IX) nach den für die Beigeladene geltenden Vorschriften zu erbringen.
Das Hörgerät C. xxx1 ist keine Leistung, die die Beklagte im Rahmen des SGB V zur Verfügung stellen müsste. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu lindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Dazu bestimmt § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Das Hörgerät dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Ziel ist der vollständige funktionelle Ausgleich. Von der Krankenkasse wird als Ausgleich geschuldet das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen. Im Gegensatz dazu ist die Rentenversicherung zuständig, wenn es sich ausschließlich um berufliche oder arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile handelt.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass mit den Hörgeräten für den Kläger ausschließlich ein arbeitsplatzspezifischer Gebrauchsvorteil verbunden ist und dass dieser Vorteil notwendig ist für die weitere Berufsausübung. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Angaben des Arbeitgebers, des Klägers zu den Anforderungen an das Hören während seiner Berufsausübung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme. In Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann eine Bürotätigkeit als Vergleichsmaßstab für eine Tätigkeit angenommen werden, die keine über das übliche Maß hinausgehenden Anforderungen an das Hörvermögen stellt. Das Bundessozialgericht war in dem von ihm zu entscheidenden Fall (B 3 KR 5/12 R) davon ausgegangen, dass eine Moderatoren- und Dozententätigkeit besondere Anforderungen an die Hörfähigkeit stellt. Wegen üblicherweise vorhandenen Störgeräuschen seien diese einem spezifisch akustischen Umfeld ausgesetzt, das sich z. B. von einer normalen Bürotätigkeit deutlich unterscheide. Bei dem Kläger gehen die Anforderungen an das Hörvermögen über die Anforderungen hinaus, die an eine Bürotätigkeit zu stellen sind. Der Kläger hat überzeugend und nachvollziehbar geschildert, welchen besonderen Anforderungen an das Hörvermögen er während seiner Arbeit insbesondere auf der Baustelle ausgesetzt ist. Dabei ist es für das Gericht ohne weiteres ersichtlich, dass auf einer Baustelle eine größere Geräuschkulisse vorhanden ist als bei den meisten anderen Arbeitsplätzen insbesondere im Bürobereich. Daraus ergeben sich besonders komplexe Anforderungen an das Hören. Nach den Ausführungen des Zeugen lässt sich aus den ermittelten objektiv gleichen Werten im Ruheraum nicht schließen, dass der Kläger auf der Baustelle mit beiden Geräten gleich gut Hören kann. Insbesondere kommen Störgeräusche nicht wie im Ruheraum nur von hinten und das gesprochene Wort von vorne. Auch fehlt es bei der Arbeit an der Zeit, ständig manuell die Hörgeräte anzupassen, um optimal zu hören. Der Kläger hätte dann doch wieder die Situation, dass er zunächst nicht richtig hört und nachfragen muss, bis er seine Hörgeräte für den Moment richtig ausgerichtet hat. Bei der Begehung einer Baustelle mit sich ständig ändernden Geräuschkulissen und Richtungen, aus denen die Geräusche kommen, sind solcher sich wiederholenden Vorgänge im Rahmen einer auszuübenden Beschäftigung nicht vertretbar und nicht zumutbar.
Der Kläger hat aufgrund dessen einen Anspruch auf Versorgung mit dem Hörgerät nach § 9 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX gegenüber der Beigeladenen. Diesen Anspruch hat die Beklagte als nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für die Entscheidung zuständiger Leistungsträger gegenüber dem Kläger zu erfüllen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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