Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1859/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 300/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Dezember 2004 ganz und der Bescheid der Beklagten vom 5. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2004, soweit die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 in der Zeit vom 8. Juli 1980 bis eine 31. Dezember 1997 abgelehnt worden ist, aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 8. Juli 1980 bis 31. Dezember 1997 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente für weiter zurückliegende Zeiträume hat.
Der am 1947 geborene Kläger ist Rechtshänder. Er erlitt am 5. Dezember 1978 bei seiner Beschäftigung als Maschinenbediener bei der Firma D. einen Arbeitsunfall mit einer Presse, was noch am selben Tag eine Teilamputation des rechten Mittel- und Kleinfingers erforderlich machte. Der erstbehandelnde Arzt Dr. F. , Städtisches Krankenhaus St. G. , teilte der Beklagten mit, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 20 v. H. bestehe. Arbeitsfähigkeit bestand wieder nach dem 10. März 1979.
Wegen fortbestehender Schmerzen am rechten Kleinfinger erfolgten im Juli und September 1979 jeweils nochmalige Resektionen. In den entsprechenden Arztbriefen von Prof. Dr. M. , Goldenbühl-Krankenhaus V.-S., wurde die MdE auf unter 20 v. H. bewertet.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1979 fragte der Betriebsrat der Firma D. bei der Beklagten an, ob dem Kläger trotz der schweren Verletzung wirklich keine Unfallrente zustehe. Wenn dies nach Überprüfung nicht der Fall sein sollte, so müsste ihm zumindest ein Schmerzensgeld zustehen. Es werde gebeten, die Angelegenheit noch einmal zu überprüfen, ob wirklich kein Anspruch auf eine Unfallrente bestehe. Die Beklagte antwortete mit Schreiben an den Betriebsrat vom 29. Oktober 1979, dass nach den vorliegenden Berichten von Prof. Dr. M. keine MdE in rentenberechtigendem Grade vorliege. Rentenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten daher nicht gewährt werden. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes sei gesetzlich nicht vorgesehen.
Im Juli 1980 erfolgte wegen weiter bestehender Schmerzen eine erneute Resektion (stationärer Aufenthalt vom 1. Juli bis 11. Juli 1980, Arbeitsunfähigkeit bis 27.7.1980). Mit Mitteilung vom 11. Juli 1980 (über die Entlassung aus der stationären Behandlung) schätzte Prof. Dr. M. die MdE auf etwa 20 v. H. ein, mit nachfolgender Mitteilung vom 23. Juli 1980 (über Eintritt der Arbeitsfähigkeit) wieder auf unter 20 v. H.
Nachdem der Kläger gegenüber den behandelnden Ärzten weiterhin anhaltende Schmerzen vorgebracht hatte, fand am 6. März 1981 bei Dr. H. , Städtisches Krankenhaus St. G. , erneut eine Stumpfresektion am Kleinfinger rechts statt. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 29. März 1981. Dr. H. berichtete mit Schreiben vom 19. März 1981, die Schwellung der rechten Hand sei rückläufig, die Wunde heile ohne Probleme ab. Mit Mitteilung vom 26. März 1981 schätzte er die MdE auf weniger als 20 v. H. In einem Wiedererkrankungsbericht vom 10. Oktober 1981 beschrieb er reizlose Verhältnisse und einen regelrechten Faustschluss. Er konnte keinen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den vom Kläger jetzt vorgebrachten Missempfindungen am Unter- und distalen Oberarm rechts erkennen.
Dr. H. , Städtisches Krankenhaus St. G. , bei dem sich der Kläger am 15. September 1999 vorstellte, berichtete über ein Carpaltunnelsyndrom rechts, das er als möglicherweise posttraumatisch (Unfall vom 5. Dezember 1978) einordnete, außerdem über einen Verdacht auf ein (unfallunabhängiges) Sulcus-ulnaris-Syndrom rechts.
Mit Anwaltsschreiben vom 22. Januar 2002 beantragte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente. Aus Unkenntnis seiner rechtlichen Ersatzansprüche habe er bisher die Rechtsangelegenheit nicht verfolgen lassen. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten bei Privatdozent Dr. L. , Klinikum der Stadt V.-S., ein, der neben den Verlusten des 5. Handstrahls und des Mittelfingerendgliedes rechts eine Kraftminderung der rechten Hand feststellte und die MdE auf 20 v. H. ab 30. März 1981 einschätzte. Mit Bescheid vom 5. August 2003 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. ab 1. Januar 1998.
Der Kläger legte hiergegen über seine Prozessbevollmächtigte Widerspruch insbesondere mit dem Ziel eines früheren Rentenbeginns ein. Mit Telefax vom 11. November 2003 nahm die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch unter Angabe des Datums des Bescheides, des Datums des Widerspruchs und des korrekten Aktenzeichens der Beklagten zurück. Hintergrund war eine Verwechslung mit einem anderen vom Kläger bei der Beklagten anhängigen und von derselben Bediensteten der Beklagten bearbeiteten Widerspruchsverfahren, in dem die Prozessbevollmächtigte des Klägers angefragt worden war, ob nach Einholung eines dem Kläger negativen Gutachtens der Widerspruch zurückgenommen werde. Zwar hatte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rücknahme des Widerspruchs für das andere Widerspruchsverfahren verfügt, ihr Bürovorsteher jedoch die Verfahren verwechselt und die Prozessbevollmächtigte den ohne Akte zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz hinsichtlich der Daten nicht kontrolliert.
Am 12. März 2004 teilte dies die Prozessbevollmächtigte mit und bat um Wiederaufnahme des Verfahrens, vorsorglich um Überprüfung des Bescheids vom 5. August 2003 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Beklagte erklärte, sie sei mit der Wiederaufnahme des Widerspruchsverfahrens einverstanden und wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 den Widerspruch zurück. Sie berief sich auf Verjährung und führte zur Begründung aus, die behandelnden Ärzte hätten während der gesamten Behandlungszeit die MdE bei Abschluss der Behandlung immer mit unter 20 v. H. angegeben. Für die Beklagte habe kein Handlungsbedarf bestanden. Eine Begutachtung werde bei einer MdE unter 20 v. H. nicht eingeleitet. Erst auf Grund des Rentenantrages vom Januar 2002 habe sie tätig werden müssen und sei es geworden. Die Verjährungsfrist setze mit diesem Antrag ein.
Der Kläger hat am 15. Juni 2004 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben, das die Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2004 abgewiesen hat. In der Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe zwar über den Betriebsrat im Oktober 1979 einen Rentenantrag gestellt. Dieser sei jedoch mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. Oktober 1979 abgelehnt worden. Weitere Rentenanträge habe der Kläger bis Januar 2002 nicht gestellt, so dass etwaige Ansprüche auf Gewährung einer Verletztenrente vor dem Jahr 1998 verjährt seien.
Der Kläger hat gegen das ihm am 21. Januar 2005 zugestellte Urteil am 24. Januar 2005 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Dezember 2004 ganz und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004 teilweise aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 8. Juli 1980 bis 31. Dezember 1997 zu gewähren, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 8. Juli 1980 bis 31. Dezember 1997 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, höchsthilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Rentenantrags im Hinblick auf den Rentenbeginn.
Dem Rentenanspruch für die Zeit vor dem 1. Januar 1998 steht nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rücknahme des Widerspruches gegen den Bescheid vom 5. August 2003 erklärte. Zwar kann die Rücknahme des Widerspruchs nicht wegen Irrtums angefochten oder widerrufenen werden (BSG, Beschluss vom 23. September 1971, 8 RV 55/71 in SozR Nr. 19 zu § 78 SGG). Ausnahmen gelten insbesondere, wenn Wiederaufnahmegründe nach §§ 179, 180 SGG, §§ 580 ff ZPO vorliegen (Schlegel in H. , SGG, § 83 Rdnr. 11). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch kann das Schreiben vom 12. März 2004 angesichts seines eindeutigen Wortlautes nicht als erneuter, verspäteter Widerspruch aufgefasst werden, über den die Beklagte möglicherweise in der Sache hätte entscheiden dürfen (siehe zu ähnlichen Fällen BSG, Urteil vom 15. September 1978, 11 RK 2/78 in SozR 1500 § 87 Nr. 5; Urteil vom 12. Oktober 1979, 12 RK 19/78 in SozR § 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 13. August 1986, 9a RV 8/86 in SozR 1500 § 84 Nr. 5).
Allerdings war es für die beide Widerspruchsverfahren des Klägers bearbeitende Bedienstete der Beklagten erkennbar, dass der Rücknahmeerklärung ein Versehen zu Grunde lag. Denn im anderen Widerspruchsverfahrens hatte die Beklagte mit Schreiben vom 31. Oktober 2003 angefragt, ob der Widerspruch zurückgenommen werde. Die Rücknahme des Widerspruchs datiert vom 11. November 2003 und steht somit in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anfrage im anderen Widerspruchsverfahren. Eine vergleichbare Anfrage der Beklagten war im hier vorangehenden Widerspruchsverfahren zum damaligen Zeitpunkt nicht erfolgt. Es bestand für den Kläger auch kein Anlass den Widerspruch zurückzunehmen, nachdem er erst mit Schreiben vom 20. Oktober 2003 eine weitere Begründung abgegeben und hierauf noch keine Reaktion der Beklagten erhalten hatte.
In solchen Fällen ist ein Widerruf der Rücknahmeerklärung zulässig, weil der auch im Prozessrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung - hier Rücknahme des Widerspruchs - verbietet (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., vor § 60 Rdnr. 12a m.w.N. zur Rechtsprechung). Mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Widerspruchsverfahrens übte der Kläger dieses Widerrufsrecht aus, sodass die Beklagte zu Recht über den Widerspruch in der Sache entschied.
Dem geltend gemachten Rentenanspruch steht auch nicht § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Schreiben der Beklagten vom 29. Oktober 1979 an den Betriebsrat als rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt anzusehen wäre. Denn in diesem Falle würde es sich bei dem hier angefochtenen Bescheid vom 5. August 2003 um eine teilweise, nämlich zeitlich beschränkte Rücknahme dieses Verwaltungsaktes handeln, wie sie in § 44 Abs. 1 SGB X vorgesehen ist. Nach Satz 1 ist ein Verwaltungsakt, bei dessen Erlass von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach Abs. 4 der Vorschrift werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw. des Antrages erbracht.
Zutreffend ist allerdings das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 29. Oktober 1979 um einen Verwaltungsakt handelte. Dieses Schreiben der Beklagten war die unmittelbare Reaktion auf die Anfrage des Betriebsrats vom 11. Oktober 1979 über Ansprüche des Klägers. Auch der Kläger geht - wie die Beklagte - davon aus, dass es sich bei diesem Schreiben des Betriebsrats um einen Leistungsantrag handelte. Dementsprechend muss dann auch die Antwort der Beklagten als Bescheidung dieses Antrages und damit als Verwaltungsakt ausgelegt werden. Dies war nach der damaligen Rechtslage auch so vorgesehen. Nach § 1569a der damals geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) hatte eine förmliche Feststellung - durch schriftlichen Bescheid, § 1583 RVO - nur in bestimmten Fällen zu ergehen, insbesondere aber nach § 1569a Abs. 2 RVO auf Antrag des Berechtigten. Diese Regelung umfasste auch Ablehnungsentscheidungen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1965, 2 RU 113/63 in SozR Nr. 1 zu § 1569a RVO). Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass dem Schreiben der Beklagten nach dem in der Akte enthaltenen Entwurf keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, obwohl § 1590 RVO dies vorsah. Dies hindert jedoch nicht die Annahme eines Verwaltungsaktes, weil eine Rechtsbehelfsbelehrung schon damals nicht Existenzvoraussetzung für einen Verwaltungsakt war (BSG, Urteil vom 24. Juli 1957, 2 RU 85/55 in SozR Nr. 15 zu § 66 SGG). Ihr Fehlen hatte und hat lediglich Folgen für die Widerspruchsfrist (vgl. § 66 SGG; BSG, a.a.O) und kann ein - hier allerdings angesichts der sonstigen Umstände nicht durchschlagendes - Kriterium von mehreren bei der Auslegung eines Schriftstückes sein. Die Einwände des Klägers betreffend die Erkennbarkeit der erlassenden Behörde und die Unterschrift hat die Beklagte im Berufungsverfahren für den Senat nachvollziehbar ausgeräumt.
Gleichwohl findet § 44 SGB X hier keine Anwendung, weil die Ablehnung eines Rentenanspruchs zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig war. Denn die - wie sogleich darzulegen ist - zu einer MdE von 20 v.H. führenden Verletzungsfolgen entwickelten sich erst in der Folgezeit, insbesondere durch die nachfolgenden weiteren Teil-Amputationen des kleinen Fingers im Juli 1980 und März 1981. Hiervon geht auch der Kläger aus, wenn er seinen Rentenanspruch erst für die Zeit ab 8. Juli 1980 geltend macht. Auch aus den Arztbriefen des Prof. Dr. M. aus dem Jahre 1979 ergeben sich keine Hinweise auf eine rentenberechtigende MdE.
Dass Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 verblieben sind, die eine MdE um 20 v. H. auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1998 begründen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch der Senat kommt auf der Grundlage des Gutachtens von Privatdozent Dr. L. , insbesondere dessen eingehender Begründung der MdE im ergänzenden Schreiben vom 4. März 2003, zu diesem Ergebnis. Privatdozent Dr. L. hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass bei einem Verlust des 5. Handstrahls der Intaktheit der übrigen Finger eine besondere Bedeutung zukommt, der Stumpf des Mittelfingers berührungsempfindlich ist und die Kraftminderung der Hand (erklärbar durch die Schädigung der Handbinnenmuskulatur) das Ausmaß übersteigt, das allein durch den Gliedverlust zu erklären ist. Damit besteht "dem Grunde nach" ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach §§ 580, 581 Reichsversicherungsordnung i.V.m. §§ 212, 214 Abs. 3 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Nach der letztgenannten Regelung gelten die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII (1. Januar 1997) eingetreten sind, wenn diese Leistung nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen ist. Letzteres ist nicht der Fall. Unter "erstmals festzusetzen" ist nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, B 2 U 1/00 R) auch eine ablehnende Entscheidung zu verstehen. Diese liegt hier - wie ausgeführt - in der Ablehnung von Leistungen gegenüber dem Betriebsrat im Jahre 1979. Es bleibt daher bei dem aus § 212 SGB VII sich ergebenden Grundsatz, dass die bisherigen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über Rentenleistungen auf Fälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eintraten, weiterhin anzuwenden sind.
Damit findet grundsätzlich auch § 1546 RVO in der bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung Anwendung (BSG, a.a.O.), wonach bei fehlender Feststellung von Amts wegen und einer Anmeldung des Anspruchs durch den Geschädigten später als zwei Jahre nach dem Unfall die Leistungen mit dem Ersten des Antragsmonats beginnen. Indessen führt dies hier zu keiner Begrenzung des Leistungsanspruches des Klägers. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29. Mai 1964, 2 RU 130/60 in SozR Nr. 6 zu § 1546 RVO) liegt eine Feststellung in diesem Sinne auch vor, wenn - wie hier - die Kosten der Heilbehandlung auch ohne förmlichen Bescheid übernommen wurden bzw. wenn - wie hier gegenüber dem Betriebsrat - eine Ablehnung der Entschädigung erfolgte.
Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren allerdings in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind (§ 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]). Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sinngemäß (§ 45 Abs. 2 SGB I). Die Verjährung wird auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder durch die Erhebung eines Widerspruchs gehemmt (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB I); die Hemmung wirkt dann bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB I).
Da der Kläger einen Rentenantrag erst mit Schreiben vom 22. Januar 2002 stellte, waren die Rentenansprüche in der Zeit bis zum 31. Dezember 1997 verjährt. Anhaltspunkte für eine Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung nach § 45 Abs. 2 SGB I i.V.m. den §§ 202 ff BGB in der Zeit vor dieser Antragstellung und hinsichtlich des streitigen Zeitraums sind nicht ersichtlich. Das Schreiben des Betriebsrats vom 11. Oktober 1979 ist - wie dargelegt - zwar als Rentenantrag auszulegen, der jedoch noch im selben Monat beschieden wurde, womit eine verjährungsunterbrechende Wirkung nach sechs Monaten entfiel.
Die Verjährungseinrede ist im vorliegenden Fall auch nicht von vornherein wegen unzulässiger Rechtsausübung (Verstoß gegen Treu und Glauben) ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss könnte sich nur auf eine besonders krasse Pflichtverletzung der Beklagten stützen, etwa wenn die Verjährung arglistig oder durch rechtswidrige Maßnahmen herbeigeführt worden ist, die Erhebung der an sich gerechtfertigten Einrede zu einer groben Unbilligkeit führen oder einen wirtschaftlichen Notstand auslösen würde (vgl. BSG, Urteil vom 12.08.1987, 10 RKg 16/86 in SozR 1200 § 14 Nr. 26; Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 17/96 in SozR 3-1200 § 45 Nr. 6 m.w.N.). Solches ist hier aber nicht ersichtlich. Dass die Beklagte die Unfallfolgen nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt näher aufklärte, kann vor dem Hintergrund der Angaben der behandelnden Ärzte Dr. F. , Prof. Dr. M. und Dr. H. , es liege keine MdE um 20 v. H. vor, nicht als "besonders krasses Versäumnis" angesehen werden.
Die demnach grundsätzlich zulässige Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte setzt regelmäßig die Ausübung von Ermessen voraus. Die Gründe hierfür sind in dem Bescheid, mit dem die Leistungen für zurückliegende Zeit versagt werden, zu nennen (vgl § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 SGB I)
Die Ermessensentscheidung der Beklagten entspricht diesen Anforderungen nicht. Denn es ist unzutreffend, wenn in den Ermessenserwägungen dargelegt wird, für die Beklagte habe vor dem Antrag vom 22. Januar 2002 kein Handlungsbedarf bestanden. Zwar verneinten die behandelnden Ärzte bei Abschluss der Behandlung jeweils eine MdE um 20 v. H. Dies gilt indessen nicht für die Behandlung durch Dr. H. am 15. September 1999. Dieser hat eine Schwellung und Taubheitsgefühle an der rechten Hand sowie ein möglicherweise auf den Unfall zurückzuführendes Carpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Eine Einschätzung der MdE hat er nicht vorgenommen. Dementsprechend hatte die Beklagte damals allen Anlass, im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) tätig zu werden. Dann hätte sie früher eine rentenberechtigende MdE festgestellt und der Verjährungszeitraum wäre kürzer. Nach ihren eigenen, im Widerspruchsbescheid dargestellten Kriterien hätte sich die Beklagte deshalb insoweit nicht auf Verjährung berufen dürfen.
Daran ändert auch nichts, dass bei einer isolierten Betrachtung der beiden Amputationen (Mittelfinger, Kleinfinger) eine rentenberechtigende MdE nicht unmittelbar nahe lag (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 641: Verlust Kleinfinger MdE 20 v. H. für sechs Monate, dann MdE 10 v. H.; Verlust Endglied Mittelfinger MdE 0 v. H.). Aus dem Kurzbericht von Dr. H. waren Umstände erkennbar, die auf eine besondere, mit den "normalen" MdE-Werten nicht abgegoltene Situation hinwiesen und Privatdozent Dr. L. zeigte schließlich Umstände auf, die zu einer anderen Beurteilung geführt haben.
Zur Leistung kann der Senat die Beklagte nicht verurteilen, da keine Ermessenschrumpfung auf Null vorliegt und somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte sich auch ohne Ermessensfehler (ggfs auch teilweise) auf die Verjährung berufen könnte. Eine Ermessensschrumpfung auf Null kann eintreten, wenn die Gesamtheit der Umstände das Absehen von der Verjährungseinrede gebietet (BSG, Urteil 22.10.1996 a.a.O.). Dies kann hier schon deswegen nicht angenommen werden, weil sich der Kläger - trotz fortbestehender Beschwerden und weiteren Teil-Amputationen - nach dem Schreiben des Betriebsrats vom 29. Oktober 1979 bis zum Jahr 2002 nie wieder selbst an die Beklagte wandte und um Überprüfung der Unfallfolgen bat.
Auch sonstige Umstände, die zu einer derartigen Ermessensschrumpfung führen würden, liegen nicht vor. Der Versicherungsträger ist nicht gehindert, sich auf die Verjährung zu berufen, selbst wenn diese durch einen eigenen Fehler entstanden ist (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1984, 9a RV 60/83, in SozR 1200 § 45 Nr. 5). Dieser Fehler muss aber als solcher in den Ermessenserwägungen bewertet und mit anderen Ermessensgesichtspunkten abgewogen werden. Der Versicherungsträger ist auch allein im Hinblick auf eine Unkenntnis des Versicherten von den ihm zustehenden Ansprüchen regelmäßig nicht verpflichtet, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten (BSG, Urteil 22.10.1996 a.a.O.). Allerdings ist auch diese Unkenntnis bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
Die Beklagte ist daher zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§ 131 Abs. 3 SGG, vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 54 Rdnr. 31). Bei ihrer erneuten Bescheiderteilung wird die Beklagte neben den bereits erwähnten Aspekten auch zu berücksichtigen haben, dass Privatdozent Dr. L. eine Einschätzung der MdE nur für die Zeit ab dem 30. März 1981 (Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit infolge der Stumpfresektion durch Dr. H. ) abgab, der Kläger jedoch bereits ab dem 8. Juli 1980 Rente begehrt. Die Beklagte wird die MdE in der streitgegenständlichen Zeit davor gegebenenfalls feststellen müssen, etwa durch Einholung medizinischer Unterlagen bei Prof. Dr. M. und ergänzende Nachfrage bei Privatdozent Dr. L. , soweit eine Verletztenrente angesichts der Verletztengeldansprüche des Klägers in Betracht kommt. Sie kann jedoch auch zugunsten des Klägers eine rentenberechtigende MdE sowie einen Rentenanspruch in dieser Zeit unterstellen, wenn hierfür ermessensfehlerfrei Verjährung eingewandt oder der Rentenanspruch erfüllt wird. Vor diesem Hintergrund, vor allem weil jedenfalls für die Zeit ab 30. März 1981 eine Ermessensentscheidung der Beklagten über die Einrede der Verjährung erforderlich ist, hält es der Senat nicht für sachgerecht, die erforderlichen Ermittlungen für den unklaren Zeitraum davor selbst durchzuführen.
Auf die Berufung des Klägers ist das Urteil des Sozialgerichts deshalb abzuändern und der Klage im ausgesprochenem Umfang stattzugeben.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente für weiter zurückliegende Zeiträume hat.
Der am 1947 geborene Kläger ist Rechtshänder. Er erlitt am 5. Dezember 1978 bei seiner Beschäftigung als Maschinenbediener bei der Firma D. einen Arbeitsunfall mit einer Presse, was noch am selben Tag eine Teilamputation des rechten Mittel- und Kleinfingers erforderlich machte. Der erstbehandelnde Arzt Dr. F. , Städtisches Krankenhaus St. G. , teilte der Beklagten mit, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 20 v. H. bestehe. Arbeitsfähigkeit bestand wieder nach dem 10. März 1979.
Wegen fortbestehender Schmerzen am rechten Kleinfinger erfolgten im Juli und September 1979 jeweils nochmalige Resektionen. In den entsprechenden Arztbriefen von Prof. Dr. M. , Goldenbühl-Krankenhaus V.-S., wurde die MdE auf unter 20 v. H. bewertet.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1979 fragte der Betriebsrat der Firma D. bei der Beklagten an, ob dem Kläger trotz der schweren Verletzung wirklich keine Unfallrente zustehe. Wenn dies nach Überprüfung nicht der Fall sein sollte, so müsste ihm zumindest ein Schmerzensgeld zustehen. Es werde gebeten, die Angelegenheit noch einmal zu überprüfen, ob wirklich kein Anspruch auf eine Unfallrente bestehe. Die Beklagte antwortete mit Schreiben an den Betriebsrat vom 29. Oktober 1979, dass nach den vorliegenden Berichten von Prof. Dr. M. keine MdE in rentenberechtigendem Grade vorliege. Rentenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten daher nicht gewährt werden. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes sei gesetzlich nicht vorgesehen.
Im Juli 1980 erfolgte wegen weiter bestehender Schmerzen eine erneute Resektion (stationärer Aufenthalt vom 1. Juli bis 11. Juli 1980, Arbeitsunfähigkeit bis 27.7.1980). Mit Mitteilung vom 11. Juli 1980 (über die Entlassung aus der stationären Behandlung) schätzte Prof. Dr. M. die MdE auf etwa 20 v. H. ein, mit nachfolgender Mitteilung vom 23. Juli 1980 (über Eintritt der Arbeitsfähigkeit) wieder auf unter 20 v. H.
Nachdem der Kläger gegenüber den behandelnden Ärzten weiterhin anhaltende Schmerzen vorgebracht hatte, fand am 6. März 1981 bei Dr. H. , Städtisches Krankenhaus St. G. , erneut eine Stumpfresektion am Kleinfinger rechts statt. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 29. März 1981. Dr. H. berichtete mit Schreiben vom 19. März 1981, die Schwellung der rechten Hand sei rückläufig, die Wunde heile ohne Probleme ab. Mit Mitteilung vom 26. März 1981 schätzte er die MdE auf weniger als 20 v. H. In einem Wiedererkrankungsbericht vom 10. Oktober 1981 beschrieb er reizlose Verhältnisse und einen regelrechten Faustschluss. Er konnte keinen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den vom Kläger jetzt vorgebrachten Missempfindungen am Unter- und distalen Oberarm rechts erkennen.
Dr. H. , Städtisches Krankenhaus St. G. , bei dem sich der Kläger am 15. September 1999 vorstellte, berichtete über ein Carpaltunnelsyndrom rechts, das er als möglicherweise posttraumatisch (Unfall vom 5. Dezember 1978) einordnete, außerdem über einen Verdacht auf ein (unfallunabhängiges) Sulcus-ulnaris-Syndrom rechts.
Mit Anwaltsschreiben vom 22. Januar 2002 beantragte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente. Aus Unkenntnis seiner rechtlichen Ersatzansprüche habe er bisher die Rechtsangelegenheit nicht verfolgen lassen. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten bei Privatdozent Dr. L. , Klinikum der Stadt V.-S., ein, der neben den Verlusten des 5. Handstrahls und des Mittelfingerendgliedes rechts eine Kraftminderung der rechten Hand feststellte und die MdE auf 20 v. H. ab 30. März 1981 einschätzte. Mit Bescheid vom 5. August 2003 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. ab 1. Januar 1998.
Der Kläger legte hiergegen über seine Prozessbevollmächtigte Widerspruch insbesondere mit dem Ziel eines früheren Rentenbeginns ein. Mit Telefax vom 11. November 2003 nahm die Prozessbevollmächtigte den Widerspruch unter Angabe des Datums des Bescheides, des Datums des Widerspruchs und des korrekten Aktenzeichens der Beklagten zurück. Hintergrund war eine Verwechslung mit einem anderen vom Kläger bei der Beklagten anhängigen und von derselben Bediensteten der Beklagten bearbeiteten Widerspruchsverfahren, in dem die Prozessbevollmächtigte des Klägers angefragt worden war, ob nach Einholung eines dem Kläger negativen Gutachtens der Widerspruch zurückgenommen werde. Zwar hatte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rücknahme des Widerspruchs für das andere Widerspruchsverfahren verfügt, ihr Bürovorsteher jedoch die Verfahren verwechselt und die Prozessbevollmächtigte den ohne Akte zur Unterschrift vorgelegten Schriftsatz hinsichtlich der Daten nicht kontrolliert.
Am 12. März 2004 teilte dies die Prozessbevollmächtigte mit und bat um Wiederaufnahme des Verfahrens, vorsorglich um Überprüfung des Bescheids vom 5. August 2003 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Beklagte erklärte, sie sei mit der Wiederaufnahme des Widerspruchsverfahrens einverstanden und wies mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 den Widerspruch zurück. Sie berief sich auf Verjährung und führte zur Begründung aus, die behandelnden Ärzte hätten während der gesamten Behandlungszeit die MdE bei Abschluss der Behandlung immer mit unter 20 v. H. angegeben. Für die Beklagte habe kein Handlungsbedarf bestanden. Eine Begutachtung werde bei einer MdE unter 20 v. H. nicht eingeleitet. Erst auf Grund des Rentenantrages vom Januar 2002 habe sie tätig werden müssen und sei es geworden. Die Verjährungsfrist setze mit diesem Antrag ein.
Der Kläger hat am 15. Juni 2004 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben, das die Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2004 abgewiesen hat. In der Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe zwar über den Betriebsrat im Oktober 1979 einen Rentenantrag gestellt. Dieser sei jedoch mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. Oktober 1979 abgelehnt worden. Weitere Rentenanträge habe der Kläger bis Januar 2002 nicht gestellt, so dass etwaige Ansprüche auf Gewährung einer Verletztenrente vor dem Jahr 1998 verjährt seien.
Der Kläger hat gegen das ihm am 21. Januar 2005 zugestellte Urteil am 24. Januar 2005 Berufung eingelegt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Dezember 2004 ganz und den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2004 teilweise aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 8. Juli 1980 bis 31. Dezember 1997 zu gewähren, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über die Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 8. Juli 1980 bis 31. Dezember 1997 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, höchsthilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Rentenantrags im Hinblick auf den Rentenbeginn.
Dem Rentenanspruch für die Zeit vor dem 1. Januar 1998 steht nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rücknahme des Widerspruches gegen den Bescheid vom 5. August 2003 erklärte. Zwar kann die Rücknahme des Widerspruchs nicht wegen Irrtums angefochten oder widerrufenen werden (BSG, Beschluss vom 23. September 1971, 8 RV 55/71 in SozR Nr. 19 zu § 78 SGG). Ausnahmen gelten insbesondere, wenn Wiederaufnahmegründe nach §§ 179, 180 SGG, §§ 580 ff ZPO vorliegen (Schlegel in H. , SGG, § 83 Rdnr. 11). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch kann das Schreiben vom 12. März 2004 angesichts seines eindeutigen Wortlautes nicht als erneuter, verspäteter Widerspruch aufgefasst werden, über den die Beklagte möglicherweise in der Sache hätte entscheiden dürfen (siehe zu ähnlichen Fällen BSG, Urteil vom 15. September 1978, 11 RK 2/78 in SozR 1500 § 87 Nr. 5; Urteil vom 12. Oktober 1979, 12 RK 19/78 in SozR § 1500 § 84 Nr. 3; Urteil vom 13. August 1986, 9a RV 8/86 in SozR 1500 § 84 Nr. 5).
Allerdings war es für die beide Widerspruchsverfahren des Klägers bearbeitende Bedienstete der Beklagten erkennbar, dass der Rücknahmeerklärung ein Versehen zu Grunde lag. Denn im anderen Widerspruchsverfahrens hatte die Beklagte mit Schreiben vom 31. Oktober 2003 angefragt, ob der Widerspruch zurückgenommen werde. Die Rücknahme des Widerspruchs datiert vom 11. November 2003 und steht somit in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anfrage im anderen Widerspruchsverfahren. Eine vergleichbare Anfrage der Beklagten war im hier vorangehenden Widerspruchsverfahren zum damaligen Zeitpunkt nicht erfolgt. Es bestand für den Kläger auch kein Anlass den Widerspruch zurückzunehmen, nachdem er erst mit Schreiben vom 20. Oktober 2003 eine weitere Begründung abgegeben und hierauf noch keine Reaktion der Beklagten erhalten hatte.
In solchen Fällen ist ein Widerruf der Rücknahmeerklärung zulässig, weil der auch im Prozessrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung - hier Rücknahme des Widerspruchs - verbietet (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., vor § 60 Rdnr. 12a m.w.N. zur Rechtsprechung). Mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Widerspruchsverfahrens übte der Kläger dieses Widerrufsrecht aus, sodass die Beklagte zu Recht über den Widerspruch in der Sache entschied.
Dem geltend gemachten Rentenanspruch steht auch nicht § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Schreiben der Beklagten vom 29. Oktober 1979 an den Betriebsrat als rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt anzusehen wäre. Denn in diesem Falle würde es sich bei dem hier angefochtenen Bescheid vom 5. August 2003 um eine teilweise, nämlich zeitlich beschränkte Rücknahme dieses Verwaltungsaktes handeln, wie sie in § 44 Abs. 1 SGB X vorgesehen ist. Nach Satz 1 ist ein Verwaltungsakt, bei dessen Erlass von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach Abs. 4 der Vorschrift werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw. des Antrages erbracht.
Zutreffend ist allerdings das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 29. Oktober 1979 um einen Verwaltungsakt handelte. Dieses Schreiben der Beklagten war die unmittelbare Reaktion auf die Anfrage des Betriebsrats vom 11. Oktober 1979 über Ansprüche des Klägers. Auch der Kläger geht - wie die Beklagte - davon aus, dass es sich bei diesem Schreiben des Betriebsrats um einen Leistungsantrag handelte. Dementsprechend muss dann auch die Antwort der Beklagten als Bescheidung dieses Antrages und damit als Verwaltungsakt ausgelegt werden. Dies war nach der damaligen Rechtslage auch so vorgesehen. Nach § 1569a der damals geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) hatte eine förmliche Feststellung - durch schriftlichen Bescheid, § 1583 RVO - nur in bestimmten Fällen zu ergehen, insbesondere aber nach § 1569a Abs. 2 RVO auf Antrag des Berechtigten. Diese Regelung umfasste auch Ablehnungsentscheidungen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1965, 2 RU 113/63 in SozR Nr. 1 zu § 1569a RVO). Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass dem Schreiben der Beklagten nach dem in der Akte enthaltenen Entwurf keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, obwohl § 1590 RVO dies vorsah. Dies hindert jedoch nicht die Annahme eines Verwaltungsaktes, weil eine Rechtsbehelfsbelehrung schon damals nicht Existenzvoraussetzung für einen Verwaltungsakt war (BSG, Urteil vom 24. Juli 1957, 2 RU 85/55 in SozR Nr. 15 zu § 66 SGG). Ihr Fehlen hatte und hat lediglich Folgen für die Widerspruchsfrist (vgl. § 66 SGG; BSG, a.a.O) und kann ein - hier allerdings angesichts der sonstigen Umstände nicht durchschlagendes - Kriterium von mehreren bei der Auslegung eines Schriftstückes sein. Die Einwände des Klägers betreffend die Erkennbarkeit der erlassenden Behörde und die Unterschrift hat die Beklagte im Berufungsverfahren für den Senat nachvollziehbar ausgeräumt.
Gleichwohl findet § 44 SGB X hier keine Anwendung, weil die Ablehnung eines Rentenanspruchs zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig war. Denn die - wie sogleich darzulegen ist - zu einer MdE von 20 v.H. führenden Verletzungsfolgen entwickelten sich erst in der Folgezeit, insbesondere durch die nachfolgenden weiteren Teil-Amputationen des kleinen Fingers im Juli 1980 und März 1981. Hiervon geht auch der Kläger aus, wenn er seinen Rentenanspruch erst für die Zeit ab 8. Juli 1980 geltend macht. Auch aus den Arztbriefen des Prof. Dr. M. aus dem Jahre 1979 ergeben sich keine Hinweise auf eine rentenberechtigende MdE.
Dass Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 1978 verblieben sind, die eine MdE um 20 v. H. auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1998 begründen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch der Senat kommt auf der Grundlage des Gutachtens von Privatdozent Dr. L. , insbesondere dessen eingehender Begründung der MdE im ergänzenden Schreiben vom 4. März 2003, zu diesem Ergebnis. Privatdozent Dr. L. hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass bei einem Verlust des 5. Handstrahls der Intaktheit der übrigen Finger eine besondere Bedeutung zukommt, der Stumpf des Mittelfingers berührungsempfindlich ist und die Kraftminderung der Hand (erklärbar durch die Schädigung der Handbinnenmuskulatur) das Ausmaß übersteigt, das allein durch den Gliedverlust zu erklären ist. Damit besteht "dem Grunde nach" ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach §§ 580, 581 Reichsversicherungsordnung i.V.m. §§ 212, 214 Abs. 3 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Nach der letztgenannten Regelung gelten die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII (1. Januar 1997) eingetreten sind, wenn diese Leistung nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen ist. Letzteres ist nicht der Fall. Unter "erstmals festzusetzen" ist nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, B 2 U 1/00 R) auch eine ablehnende Entscheidung zu verstehen. Diese liegt hier - wie ausgeführt - in der Ablehnung von Leistungen gegenüber dem Betriebsrat im Jahre 1979. Es bleibt daher bei dem aus § 212 SGB VII sich ergebenden Grundsatz, dass die bisherigen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über Rentenleistungen auf Fälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eintraten, weiterhin anzuwenden sind.
Damit findet grundsätzlich auch § 1546 RVO in der bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung Anwendung (BSG, a.a.O.), wonach bei fehlender Feststellung von Amts wegen und einer Anmeldung des Anspruchs durch den Geschädigten später als zwei Jahre nach dem Unfall die Leistungen mit dem Ersten des Antragsmonats beginnen. Indessen führt dies hier zu keiner Begrenzung des Leistungsanspruches des Klägers. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29. Mai 1964, 2 RU 130/60 in SozR Nr. 6 zu § 1546 RVO) liegt eine Feststellung in diesem Sinne auch vor, wenn - wie hier - die Kosten der Heilbehandlung auch ohne förmlichen Bescheid übernommen wurden bzw. wenn - wie hier gegenüber dem Betriebsrat - eine Ablehnung der Entschädigung erfolgte.
Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren allerdings in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind (§ 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]). Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sinngemäß (§ 45 Abs. 2 SGB I). Die Verjährung wird auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder durch die Erhebung eines Widerspruchs gehemmt (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB I); die Hemmung wirkt dann bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB I).
Da der Kläger einen Rentenantrag erst mit Schreiben vom 22. Januar 2002 stellte, waren die Rentenansprüche in der Zeit bis zum 31. Dezember 1997 verjährt. Anhaltspunkte für eine Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung nach § 45 Abs. 2 SGB I i.V.m. den §§ 202 ff BGB in der Zeit vor dieser Antragstellung und hinsichtlich des streitigen Zeitraums sind nicht ersichtlich. Das Schreiben des Betriebsrats vom 11. Oktober 1979 ist - wie dargelegt - zwar als Rentenantrag auszulegen, der jedoch noch im selben Monat beschieden wurde, womit eine verjährungsunterbrechende Wirkung nach sechs Monaten entfiel.
Die Verjährungseinrede ist im vorliegenden Fall auch nicht von vornherein wegen unzulässiger Rechtsausübung (Verstoß gegen Treu und Glauben) ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss könnte sich nur auf eine besonders krasse Pflichtverletzung der Beklagten stützen, etwa wenn die Verjährung arglistig oder durch rechtswidrige Maßnahmen herbeigeführt worden ist, die Erhebung der an sich gerechtfertigten Einrede zu einer groben Unbilligkeit führen oder einen wirtschaftlichen Notstand auslösen würde (vgl. BSG, Urteil vom 12.08.1987, 10 RKg 16/86 in SozR 1200 § 14 Nr. 26; Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 17/96 in SozR 3-1200 § 45 Nr. 6 m.w.N.). Solches ist hier aber nicht ersichtlich. Dass die Beklagte die Unfallfolgen nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt näher aufklärte, kann vor dem Hintergrund der Angaben der behandelnden Ärzte Dr. F. , Prof. Dr. M. und Dr. H. , es liege keine MdE um 20 v. H. vor, nicht als "besonders krasses Versäumnis" angesehen werden.
Die demnach grundsätzlich zulässige Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte setzt regelmäßig die Ausübung von Ermessen voraus. Die Gründe hierfür sind in dem Bescheid, mit dem die Leistungen für zurückliegende Zeit versagt werden, zu nennen (vgl § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 SGB I)
Die Ermessensentscheidung der Beklagten entspricht diesen Anforderungen nicht. Denn es ist unzutreffend, wenn in den Ermessenserwägungen dargelegt wird, für die Beklagte habe vor dem Antrag vom 22. Januar 2002 kein Handlungsbedarf bestanden. Zwar verneinten die behandelnden Ärzte bei Abschluss der Behandlung jeweils eine MdE um 20 v. H. Dies gilt indessen nicht für die Behandlung durch Dr. H. am 15. September 1999. Dieser hat eine Schwellung und Taubheitsgefühle an der rechten Hand sowie ein möglicherweise auf den Unfall zurückzuführendes Carpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Eine Einschätzung der MdE hat er nicht vorgenommen. Dementsprechend hatte die Beklagte damals allen Anlass, im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) tätig zu werden. Dann hätte sie früher eine rentenberechtigende MdE festgestellt und der Verjährungszeitraum wäre kürzer. Nach ihren eigenen, im Widerspruchsbescheid dargestellten Kriterien hätte sich die Beklagte deshalb insoweit nicht auf Verjährung berufen dürfen.
Daran ändert auch nichts, dass bei einer isolierten Betrachtung der beiden Amputationen (Mittelfinger, Kleinfinger) eine rentenberechtigende MdE nicht unmittelbar nahe lag (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 641: Verlust Kleinfinger MdE 20 v. H. für sechs Monate, dann MdE 10 v. H.; Verlust Endglied Mittelfinger MdE 0 v. H.). Aus dem Kurzbericht von Dr. H. waren Umstände erkennbar, die auf eine besondere, mit den "normalen" MdE-Werten nicht abgegoltene Situation hinwiesen und Privatdozent Dr. L. zeigte schließlich Umstände auf, die zu einer anderen Beurteilung geführt haben.
Zur Leistung kann der Senat die Beklagte nicht verurteilen, da keine Ermessenschrumpfung auf Null vorliegt und somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte sich auch ohne Ermessensfehler (ggfs auch teilweise) auf die Verjährung berufen könnte. Eine Ermessensschrumpfung auf Null kann eintreten, wenn die Gesamtheit der Umstände das Absehen von der Verjährungseinrede gebietet (BSG, Urteil 22.10.1996 a.a.O.). Dies kann hier schon deswegen nicht angenommen werden, weil sich der Kläger - trotz fortbestehender Beschwerden und weiteren Teil-Amputationen - nach dem Schreiben des Betriebsrats vom 29. Oktober 1979 bis zum Jahr 2002 nie wieder selbst an die Beklagte wandte und um Überprüfung der Unfallfolgen bat.
Auch sonstige Umstände, die zu einer derartigen Ermessensschrumpfung führen würden, liegen nicht vor. Der Versicherungsträger ist nicht gehindert, sich auf die Verjährung zu berufen, selbst wenn diese durch einen eigenen Fehler entstanden ist (BSG, Urteil vom 13. Dezember 1984, 9a RV 60/83, in SozR 1200 § 45 Nr. 5). Dieser Fehler muss aber als solcher in den Ermessenserwägungen bewertet und mit anderen Ermessensgesichtspunkten abgewogen werden. Der Versicherungsträger ist auch allein im Hinblick auf eine Unkenntnis des Versicherten von den ihm zustehenden Ansprüchen regelmäßig nicht verpflichtet, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten (BSG, Urteil 22.10.1996 a.a.O.). Allerdings ist auch diese Unkenntnis bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
Die Beklagte ist daher zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§ 131 Abs. 3 SGG, vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 54 Rdnr. 31). Bei ihrer erneuten Bescheiderteilung wird die Beklagte neben den bereits erwähnten Aspekten auch zu berücksichtigen haben, dass Privatdozent Dr. L. eine Einschätzung der MdE nur für die Zeit ab dem 30. März 1981 (Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit infolge der Stumpfresektion durch Dr. H. ) abgab, der Kläger jedoch bereits ab dem 8. Juli 1980 Rente begehrt. Die Beklagte wird die MdE in der streitgegenständlichen Zeit davor gegebenenfalls feststellen müssen, etwa durch Einholung medizinischer Unterlagen bei Prof. Dr. M. und ergänzende Nachfrage bei Privatdozent Dr. L. , soweit eine Verletztenrente angesichts der Verletztengeldansprüche des Klägers in Betracht kommt. Sie kann jedoch auch zugunsten des Klägers eine rentenberechtigende MdE sowie einen Rentenanspruch in dieser Zeit unterstellen, wenn hierfür ermessensfehlerfrei Verjährung eingewandt oder der Rentenanspruch erfüllt wird. Vor diesem Hintergrund, vor allem weil jedenfalls für die Zeit ab 30. März 1981 eine Ermessensentscheidung der Beklagten über die Einrede der Verjährung erforderlich ist, hält es der Senat nicht für sachgerecht, die erforderlichen Ermittlungen für den unklaren Zeitraum davor selbst durchzuführen.
Auf die Berufung des Klägers ist das Urteil des Sozialgerichts deshalb abzuändern und der Klage im ausgesprochenem Umfang stattzugeben.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved