L 3 RA 45/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 4 An 422/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 45/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 69/99 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.04.1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im zweiten Rechtszug. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin von Januar 1992 bis Januar 1997 eine höhere Rente zusteht.

Die am ...1930 geborene Klägerin ist Mutter zweier 1955 und 1960 geborener Kinder. Auf ihren Antrag vom 23.03.1990 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 03.05.1990 vorgezogenes Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit ab 01.08.1990 in Höhe von 452,10 DM (423,17 DM netto). Dem Versicherungsverlauf zum Bescheid vom 03.05.1990 sind u.a. Kindererziehungszeiten von 13 Monaten, 6 Monate mit Pflichtbeiträgen mit Kindererziehung sowie weitere 5 Monate der Zahlung freiwilliger Beiträge mit Kindererziehung zu entnehmen. Die Auswertung der gespeicherten Zeiten ergab eine Summe der anzurechnenden Monate von 303 sowie einen persönlichen Vomhundertsatz von 45,24.

Diese Rente stieg bis auf 613,76 DM monatlich im Januar 1997 an.

Im Februar 1997 beantragte die Klägerin Regelaltersrente wegen vollendetem 65. Lebensjahr, die ihr mit Bescheid vom 04.04.1997 ab Februar 1997 in Höhe von 838,87 DM (775,54 DM netto) bewilligt wurde. Der dieser Bewilligung zugrundegelegte Versicherungsverlauf enthält im Zeitraum von Oktober 1955 bis Juni 1961 24 Monate Pflichtbeiträge für Kindererziehung sowie eine Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vom 01.09.1955 bis zum 30.06.1970. Als belegungsfähige Kalendermonate sind 427 Monate ausgewiesen, als Summe der persönlichen Entgeltpunkte 17,9744.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und trug vor, sie habe nach dem SGB VI nunmehr 35 Jahre rentenrechtlicher Zeiten, bei deren Berücksichtigung ihr bereits ab 01.08.1993 Altersruhegeld für langjährig Versicherte und ab 01.01.1992 Altersrente für Frauen zugestanden hätte. Die Beklagte wäre im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gehalten gewesen, auf eine Antragstellung hinzuwirken. Die Beklagte wies die Klägerin darauf hin, daß entsprechende andere Renten innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Monates hätten beantragt werden müssen, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren; bei späterer Antragstellung beginne die Rente erst ab dem Antragsmonat, hier also im Februar 1997. Da der Widerspruch gegen den ursprünglichen Bewilligungsbescheid unzulässig sei, betrachte sie das Schreiben der Klägerin als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X.

Mit Bescheid vom 18.07.1997 lehnte die Beklagte sodann die rückwirkende Gewährung einer Altersrente für Frauen ab 01.01.1992 sowie eine Altersrente für langjährige Versicherte ab 01.08.1993 mit der Begründung ab, eine Verletzung der Aufklärungspflicht sei nicht erkennbar.

Ihren Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, sie habe erst durch den Rentenbescheid vom 04.04.1997 erfahren, daß sie nach dem Rentenreformgesetz 1992 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten habe. Dies sei nach dem Bescheid vom 03.05.1990 unter Berücksichtigung der damals geltenden Vorschriften des AVG nicht der Fall gewesen. Für sie sei daher nicht erkennbar gewesen, bereits ab 01.01.1992 die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente nach § 39 SGB VI erfüllt zu haben. Hierauf habe die Beklagte hinweisen müssen, damit ein Rentenantrag rechtzeitig hätte gestellt werden können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.1997 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Ihre Klage hat die Klägerin damit begründet, die Rentenversicherungsträger sollten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß Leistungen beansprucht werden könnten. Ein solcher Fall habe bei ihr vorgelegen, da sie selbst aus dem Rentenbescheid von 1990 nicht habe erkennen können, daß sie 1992 35 Jahre rentenrechtlicher Zeiten aufweisen werde.

Mit Urteil vom 30.04.1998 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente ab dem 01.08.1995 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruches für die Gewährung einer Altersrente für Frauen zum 01.01.1992 bzw. eine Altersrente für langjährig Versicherte, für die die Klägerin ab 01.08.1993 die übrigen Voraussetzungen erfüllt habe, hat das Sozialgericht mangels eines für die Beklagte erkennbaren Beratungsbegehrens nicht als erfüllt angesehen. Der Beklagten als Träger in einer Massenverwaltung könne nicht abverlangt werden, sämtliche Rentenfälle ab dem 60. Lebensjahr individuell auf die jeweils in Betracht kommenden Umwandlungsmöglichkeiten hin zu überprüfen.

Ein Herstellungsanspruch hinsichtlich der rechtzeitigen Beantragung der Regelaltersrente bestehe jedoch unter Berücksichtigung von § 115 Abs. 6 SGB VI. Danach sollten die Träger der Rentenversicherung in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß die Versicherten eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Hierfür genüge es jedoch nicht, daß die Versicherten nicht ausreichend informiert seien und deshalb ein Antrag nicht gestellt werde. Es müsse vielmehr auch ein geeigneter Fall vorliegen. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn das Bestehen einer Hinweispflicht ohne umfang reiche individuelle Prüfungen oder weitere Tatsachenfeststellungen möglich sei. Für einen allgemeinen Hinweis geeignet seien Fälle dann, wenn der betreffende Personenkreis schon festgestellt oder aufgrund gespeicherter Tatbestandmerkmale mittels einfachen Computerprogrammes ermittelt werden könne. Wenn ausschließlich die Erreichung einer Altersgrenze, wie hier bei der Klägerin des 65. Lebensjahres, für die Zugehörigkeit zum betroffenen Personenkreis ausschlaggebend sei, liege ein geeigneter Fall vor. Die Beklagte sei daher nach § 115 Abs. 6 SGB VI verpflichtet gewesen, die Klägerin auf die Möglichkeit und, wegen des Rentenbeginns nach § 99 SGB VI, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, die Umwandlung ihrer vorgezogenen Rente in eine Regelaltersrente rechtzeitig zu beantragen. Es sei auch kein erheblicher Mehraufwand, allen Rentenanpassungsmitteilungen an Adressaten mit vollendetem 64. Lebensjahr einen Hinweis auf die Umwandlungsmöglichkeit in Regelaltersrente zukommen zu lassen. Zweifel daran, daß die Klägerin im Falle zutreffender und rechtzeitiger Information einen rechtzeitigen Antrag gestellt hätte, bestünden nicht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerechte Berufung der Beklagten, mit der sie darauf hinweist, daß in der Literatur § 115 Abs. 6 SGB VI als nicht anspruchsgewährende Blankettformulierung angesehen werde. Selbst bei gegenteiliger Annahme sei unter Beachtung der vorhandenen Rechtsprechung sowie der Gesetzgebungsmaterialien deutlich, daß eine Hinweispflicht hinsichtlich der Möglichkeit, Regelaltersrente zu beantragen, nur dann bestehe, wenn die Regelaltersrente zugleich die erste Rentengewährung darstelle. So sähen es auch die ab dem 01.07.1998 in Kraft getretenen gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger vor.

Das "Geeignetsein" in § 115 Abs. 6 SGB VI könne bei Nachfolgerenten nur an die Voraussetzung geknüpft sein, daß in der Regel eine höhere Rente zu erwarten sei. Dies sei einer Entscheidung des BSG zu entnehmen (8 RKn 1/97). Bei bisher nach dem AVG berechneten und nach § 307 SGB VI umgewerteten Renten könnten sich zwar auch im Einzelfall höhere Rentenansprüche ergeben. Dies sei jedoch wegen des Zusammenwirkens der zahlreichen Berechnungsfaktoren nicht die Regel und von vornherein auch überhaupt nicht erkennbar. Zur Vermeidung von im Ergebnis dann doch zu keinem Vorteil führenden Hinweisen müsse also eine Probeberechnung durchgeführt werden. Solche Fälle seien nicht für Hinweise geeignet im Sinne von § 115 Abs. 6 SGB VI. Da der Beklagten aus den Versicherungsunterlagen der Klägerin zudem die zu einer höheren Rentengewährung führenden Daten ohne Nachforschung und ohne eine individuelle Neuberechnung nicht bekannt gewesen seien und aufgrund von Verwaltungserfahrungen auch nicht hätten bekannt sein müssen, sei sie zu einem Hinweis auch nicht verpflichtet gewesen.

Auf Anfrage hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, daß die gemeinsamen Richtlinien zu § 115 Abs. 6 SGB VI eine Hinweispflicht nur für Erstbezieher von Renten enthalten. Mit der Akte der Klägerin habe sich zwischen Januar 1992 und Februar 1997 kein Sachbearbeiter persönlich befaßt und auch nicht befassen müssen. Die Umwertung der Rente nach § 307 SGB VI wie auch die Neufeststellung nach Art. 82 RRG 92 zum 01.01.1992 sei maschinell durchgeführt worden. Es sei durch aus möglich, Versicherte kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres mit Mitteln der EDV zu bestimmen und auf die Möglichkeit einer Antragstellung hinzuweisen.

Die Differenz zwischen der Höhe der nach dem AVG berechneten und ab 01.08.1990 gezahlten Rente und der nach SGB VI in der Fassung des WFG berechneten Rente ab 01.02.1997 beruhe in erster Linie auf der Anwendung von § 262 SGB VI, beeinflußt durch die Bewertung der beitragsfreien Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung sowie der Bewertung der Beitragszeiten/Ausbildungszeiten bis Dezember 1956.

Das Ineinandergreifen der Faktoren sei kompliziert. Zu einer konkreten Aussage, ob die SGB VI-Rente höher als die AVG-Rente ausfallen würde, habe es daher grundsätzlich einer vollständigen Rentenberechnung bedurft. 0hne Rentenberechnung könne allenfalls die Vermutung bestehen, daß sich die eine oder andere Regelung nach dem SGB VI günstiger aus wirken könne als die entsprechende Regelung des AVG.

Der Beklagten sei in der Zeit nach Verabschiedung des SGB VI von Anfang an klar gewesen, daß die Berechnung einer Regelaltersrente nach dem SGB VI je nach Wirkung der einzelnen Berechnungsfaktoren in dem einen Fall zu einer höheren und dem anderen Fall zu einer niedrigeren Rente führen konnte, wobei eine Verringerung sich jedoch nicht in einer niedrigeren Leistungsgewährung habe auswirken können, da die Entgeltpunkte nach § 88 SGB VI geschützt blieben. Diesbezügliche Erkenntnisse hätten den Mitarbeitern der Beklagten seit Anfang 1990 zur Verfügung gestanden und seien - etwa bei Beratungsgesprächen - verwertbar gewesen. Zum Verhältnis der Fälle, in denen eine rechtzeitig in Anspruch genommene Regelaltersrente über bisher bezogene Renten liegen würde, lägen keine Erkenntnisse vor. Derzeit noch nicht berechnet seien etwa 300.000 Fälle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.04.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiter der Meinung, daß die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihr bei Vollendung des 65. Lebensjahres einen Hinweis auf die Möglichkeit einer Umwandlung von vorgezogenem Altersruhegeld in Regelaltersrente nach dem SGB VI zu erteilen. Dies habe sie durch elektronische Datenverarbeitung sicherstellen können. Eine weitergehende Prüfung sei, da sämtliche Versicherungsunterlagen bereits vorgelegen hätten, nicht erforderlich gewesen. Wegen Verletzung einer sonach bestehenden Hinweispflicht sei die Beklagte verpflichtet, ihr rückwirkend ab dem 01.08.1995 die entgangenen höheren Rentenbezüge nachzuzahlen.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 18.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.1997 aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung einer Regelaltersrente ab dem 01.08.1995 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen verurteilt.

Dieser Anspruch steht der Klägerin trotz Versäumung der Antragsfrist aus § 99 Abs. 1 SGB VI zu, da sie als Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches in Verbindung mit § 115 Abs. 6 SGB VI so zu stellen ist, als hätte sie den Antrag auf Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, deren übrige Voraussetzungen im August 1995 vorlagen (§§ 35, 50 SGB VI), rechtzeitig gestellt.

Die Verletzung einer Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI ist unabhängig von einem wegen einer konkreten Aktenbearbeitung bestehenden Beratungsanlaß prinzipiell geeignet, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auszulösen (BSG B 5 RJ 62/97 R vom 22.10.1998 mit weiteren Nach weisen). Der Einwand der Beklagten, bis zur Bearbeitung des Antrages der Klägerin vom Februar 1997 habe sich kein Mitarbeiter mit der Akte befaßt, ist schon aus diesem Grund unerheblich.

§ 115 Abs. 6 SGB VI hat auch anspruchsgewährenden Charakter. Die Vorschrift verschafft jedenfalls dem als Mitglied einer Fallgruppe bestimmbaren Adressaten eines Hinweises ein subjektiv-öffentliches Recht auf dessen Erteilung, das dementsprechend den Rentenversicherungsträger verpflichtet, den Angehörigen der Fallgruppe die entsprechenden Hinweise im Regelfall ("soll") zu geben (BSG a.a.O. sowie B 5 RJ 18/98 R vom 07.07.1998 unter Anschluß an die Rechtsprechung des 13. und 8. Senates, u.a. BSG 13 RJ 23/98 vom 22.10.1996 - BSGE 79, 168 ff. = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1 sowie 8 RKn 1/97 - BSG 81, 251 ff. = SozR 3-2600 § 115 Nr. 2; a.A. Meyer, Gemeinschaftskommentar Rd-Nr. 44 zu § 115 SGB VI ).

Diese Hinweispflicht hängt auch nicht davon ab, daß die Rentenversicherungsträger jedenfalls im streitigen Zeitraum noch keine gemeinsamen Richtlinien nach § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI erlassen hatten, sondern dies erst durch den Erlaß der gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger gemäß § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI, in Kraft ab dem 01.07.1998, geschehen ist (hierzu Zepke, DAngVers. 1998, 448). Die Richtlinien dienen nämlich nicht dazu, eine grundsätzlich bestehende Pflicht des Rentenversicherungsträgers aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI auszuhebeln, ihr Ziel ist es vielmehr, eine einheitliche Verwaltungsübung zu "geeigneten Fällen" herbeizuführen (Hessisches LSG, Urteil vom 29.09.1998 - L 12 RJ 866/98 -). Ausschließlichkeitswirkung kommt ihnen keineswegs zu. Die Ansicht der Beklagten, die Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI bestehe nur in Fällen der erstmaligen Beantragung, wird daher nicht durch den Hinweis gestützt, daß die gemeinsamen Richtlinien nur Fälle der erstmaligen Beantragung betreffen.

Daß die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI keineswegs nur die erstmalige Rentenbeantragung, sondern vielmehr auch den Übergang zwischen verschiedenen Rentenarten erfaßt, ist im übrigen in der Rechtsprechung anerkannt (BSG B 5 RJ 62/97 R vom 22.10.1998; Hessisches LSG, a.a.O., LSG NRW L 4 RA 70/98 (B 5 RA 40/99 R beim BSG anhängig); L 18 KN 68/96 vom 22.07.1997). Dies erschließt sich auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, wie die Gesetzesmaterialien belegen. Die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI als besondere Ausprägung der allgemeinen Beratungs- und Hinweispflichten nach § 16 ff. SGB I wurde eingeführt zum Ausgleich für die Einführung des harten Antragsprinzipes aus § 99 Abs. 1 SGB VI, das für alle Rentenarten und unabhängig vom Vorbezug einer anderen Rentenart gilt. Der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung schlug seinerzeit vor, es solle ein entsprechender Hinweis in den Fällen erfolgen, in denen es naheliege, daß Versicherte Leistungen in Anspruch nehmen wollten, wie zum Beispiel bei der Regelaltersrente und bei der Hinterbliebenenrente; dies sei ein geeigneter Bereich für eine konkrete Informationspflicht (Bundestagsdrucksache 11/5530, S. 46 zu § 116 Abs. 6 f.). Ein sachlicher Grund für eine Differenzierung zwischen erstmaligen Renten und Anschlußrenten ist auch darüber hinaus solange jedenfalls nicht ersichtlich, wie man dem Gesetzgeber nicht blank unterstellen muß, durch die Einführung von im Einzelfall übersehenen Antragserfordernissen Einsparungen vorzunehmen (BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 1 mit weiteren Nachweisen der unveröffentlichten Dokumente, wonach in den Beratungen zum RRG 1992 erwogen wurde, Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung könnten durchaus auch unter Nutzung der Möglichkeiten der automatisierten Datenverarbeitung von Amts wegen erbracht werden, was dann allerdings wegen der vermuteten Gefahr größerer Nachzahlungen nicht umgesetzt wurde).

Die Einführung des Antragserfordernisses nach § 99 SGB VI wie dementsprechend auch die gleichfalls alle Rentenarten betreffende Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI ist viel mehr mit dem Bestreben des Gesetzgebers zu erklären, den Versicherten durch die Wahl des Antragszeitpunktes ein Gestaltungsrecht einzuräumen, wie es nach dem Recht der RVO beispielsweise in § 1248 Abs. 6 RVO der Fall war. Diese Regelung sollte den Versicherten die Möglichkeit geben, weitere Beiträge für die Erfüllung einer Wartezeit oder zur Verbesserung der Rentenhöhe zu entrichten (amtliche Begründung BT-Drs. 4/2572 S. 24 zu Nr. 6). Im SGB VI fehlt eine dem § 1248 Abs. 6 RVO entsprechende Regelung. Dies hat seinen Grund darin, daß mit dem Rechtsübergang von der RVO zum SGB VI das Versicherungsfallprinzip durch das Rentenbeginnprinzip abgelöst wurde. Konsequent ist die Systematik des SGB VI für alle Rentenarten auf den Rentenbeginn, dessen Regelung vereinheitlicht werden sollte, ausgerichtet worden (Amtliche Begründung zum RRG 1992 vom 07.03.1989, Bundestagsdrucksache 11/4124, S. 175 zu § 98). Anstelle der Möglichkeit, den Zahlungsbeginn einer Rente durch die Verschiebung des Versicherungsfalls zu beeinflussen, haben die Versicherten im Recht des SGB VI nunmehr Einfluß auf Beginn und Höhe der Rente durch die Wahl des Zeitpunktes der Antragstellung (vgl. §§ 75, 77 SGB VI). Dabei hat der Gesetzgeber auch bewußt die Folgen einer späteren Antragstellung geregelt (BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 1 mit Nachweis der teilweise nicht veröffentlichten Materialien). Exemplarisch für eine Anspruchskonstellation, in der der Versicherte durch Wahl des Antragszeitpunktes Einfluß auf seine Rentenhöhe nehmen kann, steht § 115 Abs. 3 SGB VI, wonach die Bezieher einer Rente wegen EU oder BU bestimmen können, daß ihr Rente nicht ab Vollendung des 65. Lebensjahres als Regelaltersrente weiter geleistet wird. Es ergibt sich hieraus, daß die vom Gesetzgeber beabsichtigte Dispositionsmöglichkeit in Form der Wahl des Antragszeitpunktes gerade beim Übergang zwischen verschiedenen Rentenarten für die Versicherten von Bedeutung ist, und den in den Gesetzesmaterialien genannten Beispielen der Anträge auf Regelaltersrente und Hinterbliebenenrente bei Beachtung der gesetzgeberischen Zielsetzung hinsichtlich des Antragserfordernisses im übrigen nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, eine Hinweispflicht solle nur bei Anträgen auf erstmalig zu gewährende Renten bestehen.

Bei der Klägerin lag im hier in Betracht kommenden Antragszeitraum nach § 99 Abs. 1 SGB VI bis einschließlich Oktober 1995 ein geeigneter Fall und damit eine Hinweispflicht der Beklagten nach § 115 Abs. 6 SGB VI vor, da die Klägerin nach den bei der Beklagten bereits gespeicherten und für die Berechnung der zuvor bezogenen Rente bereits aufgearbeiteten Daten ihres Versicherungsverlaufes zu einem abgrenzbaren und mittels EDV zu bestimmenden Personenkreis von Beziehern einer nach dem AVG berechneten Rente zählte, bei dem sich in einer nennenswerten Anzahl von Fällen, wenn nicht gar typischerweise bei Beantragung der nach dem SGB VI zu berechnen den Regelaltersrente eine Besserstellung ergibt.

Die Besserstellung der Klägerin nach dem Recht des SGB VI gegenüber der Rentenberechnung nach dem AVG folgt aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren, wie insbesondere aus der Anwendung von § 262 SGB VI, der Andersbewertung der beitragsfreien Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung und der Bewertung der Beitrags- und Ausbildungszeiten bis Ende 1956.

Nach dem Recht des AVG (Art. II § 54 b Abs. 1 AnVNG) war die Rente nach Mindesteinkommen für nach dem 31.12.1972 eingetretene Rentenfälle in der Weise geregelt, daß der Versicherte bis zum Rentenfall mindestens 25 Jahre (300 Versicherungsmonate) ohne Zeiten der freiwilligen Versicherung und Ausfallzeiten zurückgelegt haben mußte. Die 25 Jahre mußten mit Pflichtbeiträgen und - soweit vorhanden - mit Ersatzzeiten erreicht werden. Erfüllte der Versicherte diese Voraussetzungen, wurde er bei der Rentenberechnung hinsichtlich der Pflichtbeitragszeiten vor dem 01.01.1973 so behandelt, als habe er 75% dessen verdient, was der Durchschnitt aller Versicherten verdient hatte. Dagegen bezieht die Mindestbewertung nach § 262 SGB VI alle bis zum 31.12.1991 entrichteten vollwertigen Pflichtbeiträge in die Mindestbewertung ein. Ergibt sich aus allen zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten ein geringerer Durchschnittswert als 0,0625 Entgeltpunkte je Monat, wird der Durchschnitt der bis zum 31.12.1991 vorhandenen vollwertigen Pflichtbeiträge um das 1,5-Fache, höchstens jedoch auf 75% des Durchschnittsentgelts aller Versicherten angehoben. Voraussetzung sind dabei nicht 25, sondern 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten. Zu den 35 Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten zählen jetzt nicht nur Pflichtbeiträge und Ersatzzeiten, sondern auch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bzw. wegen Pflege, freiwillige Beiträge und Anrechnungszeiten.

Die Klägerin hatte die in Art. II § 54 b AnVNG geforderten 25 Jahre nicht erfüllt, so daß seinerzeit eine Anhebung ihrer Pflichtbeiträge auf den 75%-Wert nicht möglich war. Durch die günstigere Bewertung der Kindererziehungszeiten, insbesondere die Einführung der rentenrechtlichen Kindererziehungspauschale, der gleichfalls eingeführten 2 Monate Anrechnungszeit wegen Schwangerschaft sowie weiterer 9 Monate einer pauschalen Anrechnungszeit profitierte die Klägerin jedoch schon zum 01.01.1992 wegen der nunmehr erreichten 35 Versicherungsjahre von dem in Art. 82 Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vorgesehenen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten; die AVG-Rente wurde bereits für Bezugszeiten ab dem 01.01.1992 um einen Zuschlag in Höhe von 2,8013 Entgeltpunkten erhöht. Allerdings hatte Art. 82 RRG 1992 nur eine Anhebung der Pflichtbeiträge bis zum 31.12.1972 vorgesehen.

Zur für die Rentenhöhe entscheidenden Anwendung der Regelung des SGB VI zur Rente nach Mindesteinkommen in § 262 SGB VI kam es erst bei der Beantragung der Regelaltersrente nach § 35 SGB VI.

Eine Veränderung in der Bewertung der beitragsfreien Zeiten der Klägerin ergab sich insofern, als ihre 31 Monate Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nach § 32 a Abs. 3 AVG 116,87 Werteinheiten (1,1687 Entgeltpunkte) ergab, während der Gesamtleistungswert aus der Vergleichsbewertung nach § 73 SGB VI zu einem Wert von monatlich 0,0507 Entgeltpunkten, insgesamt 1,5717 Entgeltpunkten führte. Darüber hinaus waren bei ihr erstmals bei der nach dem SGB VI in der Fassung des WFG berechneten Regelaltersrente 2 Monate Anrechnungszeit wegen Schwangerschaft sowie 9 Monate pauschale Anrechnungszeit mit dem vollen Gesamtleistungswert von 0,0596 Entgeltpunkten, insgesamt 0,6556 Entgeltpunkte hinzugekommen, was ein Plus von 1,0586 Entgeltpunkten ergab. Letztlich wirkte sich auch die Bewertung der ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung, die als Zeiten einer beruflichen Ausbildung gelten und gleichzeitig Anrechnungszeiten darstellten (April 1946 bis April 1948 und Oktober 1948 bis August 1949) mit 0,9671 zusätzlichen Entgeltpunkten aus. Dagegen war zuvor nach § 32 Abs. 4 a AVG der Monatsdurchschnitt mit den Pflichtbeiträgen der ersten 5 Kalenderjahre höher; es gab also keine zusätzlichen Werteinheiten. Für die Ausbildungszeit (die versicherungsfrei absolvierte Lehre) gab es aus den vor dem 01.01.1965 zurückgelegten Beitragszeiten nur einen Monatsdurchschnitt von 2,93 Werteinheiten.

Die Klägerin wurde damit direkt insbesondere durch die er weiterte Berücksichtigung und mittelbar durch die Neubewertung ihrer Kindererziehungszeiten sowie der Berücksichtigungszeiten wegen ihrer Kindererziehung nach dem SGB VI im Verhältnis zu der nach dem AVG bestehenden Rechtslage bessergestellt.

Damit gehörte sie zu der abgrenzbaren und schon vor Inkrafttreten des SGB VI, erst recht dann bei Vollendung ihres 65. Lebensjahres für die Beklagte erkennbar begünstigten Zielgruppe von Frauen mit Kindererziehungszeiten.

Bereits nach den Materialien zum RRG 1992 war nämlich der Wille des Gesetzgebers deutlich erkennbar, die Alterssicherung für Frauen zu verbessern und die Neuregelung bzw. -bewertung von Kindererziehungszeiten als Instrument dieses Vorhabens einzusetzen. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BTDrs 11/5530) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - RRG 1992 -, der Fraktionen (BTDrs 11/4124) sowie dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BTDrs 11/4452, S. 39) heißt es auf Seite 44: "Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP führten die Mängel der für die Anrechnung von Ausfallzeiten maßgeblichen Halbbelegung (nach AVG/RVO) an. So habe das damit verbundene "Alles-oder-Nichts-Prinzip" in erster Linie Frauen aufgrund ihrer Erwerbsbiographie betroffen. Die Halbbelegung werde von jeder zweiten verheirateten Frau mit Kindern nicht erfüllt ... Das Gesamtleistungsmodell werde die Anrechnung und Bewertung beitragsfreier Zeiten (zugunsten der Frauen) auf der Grundlage des Beitrags der Versicherten zur Solidargemeinschaft regeln. Die Bewertung er folge in Abhängigkeit von der Gesamtleistung der Beitragszahlung während des gesamten Versicherungslebens, das mit dem vollendeten 16. Lebensjahr beginne und mit dem jeweiligen Versicherungsfall ende. Lücken im Versicherungsleben würden den Gesamtleistungswert mindern, wobei jedoch künftig 6 hohe Beiträge in einem Kalenderjahr nicht günstiger wirkten als 12 halb so hohe Beiträge im gleichen Zeitraum. Dieses Prinzip werde durch verschiedene Regelungen ergänzt, um sozialpolitisch nicht gewünschte Auswirkungen zu vermindern. Die nun eingeführten Kindererziehungs- und Pflegeberücksichtigungszeiten würden sich für die Gesamtleistungsbewertung so auswirken, als seien Beiträge auf der Grundlage von 75 v.H. des durchschnittlichen Entgelts der Versicherten entrichtet worden. Dies bewirke, daß durch Kindererziehung und Pflege verursachte Lücken die Gesamtleistungsbewertung nicht absenkten bzw. diese sogar erhöhten, soweit der Wert aus den übrigen Zeiten oder während dieser Zeit unter 75% liege." Weiter a.a.O., S. 49 unter der Überschrift "C Familienbezogene Elemente" heißt es: " ... Eine weitere Verbesserung sei die Einführung von Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung und Pflege. Im Gesamtleistungsmodell werde durch die Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung und Pflege der Gesamtleistungswert verbessert." Weiter a.a.O., S. 55: ... "Mit dem Rentenreformgesetz 1992 würden künftig auch die Pflichtbeiträge der Jahre 1971 bis 1973 in die Rente nach Mindesteinkommen einbezogen ... Voraussetzung für die Anhebung sei künftig eine 35-jährige Wartezeit, auf die jedoch - statt wie bisher bei der 25-jährigen Wartezeit - auch Kinder- und Pflegeberücksichtigungszeiten sowie Ausfallzeiten und freiwillige Beitragszeiten angerechnet würden. Man gehe davon aus, daß sich dies für Frauen mit Kindern als eine Erleichterung der Zugangsvoraussetzungen auswirke." Eine Ausweitung des Rentenvolumens war ebenso deutlich bereits vom Gesetzgeber gesehen worden. In der a.a.O., Bl. 94, eingefügten Tabelle zu den finanziellen Auswirkungen von Einzelmaßnahmen wird hinsichtlich der Neuordnung der beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten ein jährlicher Mehrbedarf von zwischen 100 und 600 Millionen für die Jahre 1993 bis 2010 angenommen.

Die familienpolitische Zielsetzung wie auch die hierauf zurückzuführenden zu erwartenden finanziellen Auswirkungen fanden in der Fachliteratur eine der Bedeutung des Gesetzgebungsvorhabens entsprechende Resonanz (vgl. statt anderer: Tureck, Entwurf eines Rentenreformgesetzes 1992, Die Angestelltenversicherung 1989, 365 f.; RRG 1992: Auswirkungen auf die Anwartschaftsstruktur der Versicherten, Die Angestelltenversicherung 1990, 93 f.).

Insbesondere war der durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten entstehende finanzielle Mehrbedarf erkannt und hinsichtlich seiner unzureichenden Deckung kritisiert worden: "Weder im SGB VI (Art. 1 RRG 1992) noch in den übrigen Artikeln des RRG 1992 ist eine konkrete Verpflichtung enthalten, daß der Bund die Aufwendungen sowohl aus der Anrechnung von Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) als auch von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 Abs. 1 SGB VI) zu tragen hat. Lediglich im allgemeinen Teil der Begründung des Entwurfes eines RRG 1992 (BTDrs 11/4124) finden sich auf Seite 142 Ausführungen, wonach "vorgesehen ist, daß die Aufwendungen für Zeiten der Kindererziehung künftig nicht mehr vom Bund erstattet werden, sondern der Bundeszuschuß zur Abgeltung dieser Aufwendungen im Jahre 1992 zusätzlich um die Aufwendungen für Kindererziehungszeiten im Jahre 1991 in Höhe von voraussichtlich 4,8 Milliarden DM erhöht wird" ... Die gewiß nicht geringen Aufwendungen der Versicherungsträger aus der Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die in dem Betrag von 4,8 Milliarden DM nicht enthalten sein können, werden nicht erwähnt" (Tureck, a.a.O.). Zur Abschätzung der sich ergebenden Veränderungen der Anwartschaftsstruktur der Versicherten wie auch des damit einhergehenden Finanzbedarfes wurde auf der Basis des Rentenzugangs aus dem Jahre 1988 eine Stichprobenrechnung in 90.000 Fällen und damit im Umfange von rund 17% des gesamten Rentenzuganges dieses Jahres in der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung durchgeführt. Hierbei wurde festgestellt, daß die zu erwartenden Auswirkungen auf das Anwartschaftsvolumen insgesamt und damit auf die durchschnittlichen Rentenhöhen als eher gering einzustufen seien. So sei davon auszugehen, daß sich das Anwartschaftsvolumen im Rentenzugang kurzfristig lediglich um etwa 1 bis 2% erhöhen werde. Anders als die eher geringen globalen Effekte der Neuregelung zunächst erwarten ließen, müsse allerdings mit spürbaren Auswirkungen auf die individuellen Rentenanwartschaften gerechnet werden. Für den Rentenzugang 1992 er gäben sich insbesondere für die Frauen durch die Maßnahmen des RRG 1992 zum Teil erhebliche Steigerungen der Anwartschaften im Vergleich zum alten Recht, und zwar für die Frauen der Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 7,9% und für die Frauen der Angestelltenversicherung in Höhe von 3,3%. Zu Beginn der Übergangsphase 1992 führten die Neuregelungen des RRG 1992 für knapp 38% der Männer und für mehr als 54% der Frauen zu einer Anwartschaftserhöhung. Dagegen ergäben sich für 35% der Männer, aber nur für 17% der Frauen Anwartschaftsminderungen. Erheblich höher (als bei den Männern) fielen die durchschnittlichen Erhöhungs- und Minderungsbeträge bei den Frauen aus. Aufgrund der im Regelfall geringeren Rentenanwartschaften der Frauen führe dies zu relativen Änderungen in beachtlicher Höhe. Zu Beginn der Übergangsphase belaufe sich der durchschnittliche Erhöhungsbetrag für die bessergestellten Frauen auf 83,-- DM bzw. 12% der für diesen Personenkreis ermittelten Durchschnittsrente nach geltendem Recht. In diesem Zusammenhang sei auf das mit der Rentenreform verbundene Ziel hinzuweisen, die rentenrechtliche Sicherung von denjenigen Personen zu verbessern, die aus familiären Gründen ihre Erwerbstätigkeit eingeschränkt oder gänzlich auf eine solche verzichtet hätten. Zu nennen sei hier zunächst die Ausdehnung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten, dann die Einführung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder -pflege und sodann die Gesamtleistungsbewertung. Daß die familienbezogenen Maßnahmen einen erheblichen Einfluß auf die Entwicklung der Anwartschaftsstruktur hätten, werde erkennbar, wenn man in der Gruppe der Frauen eine Unterscheidung danach vornehme, ob Kindererziehungszeiten vorlägen. Hier zeige sich verstärkt eine Anwartschaftserhöhung durch das RRG 1992 bei Frauen, für die Kindererziehungszeiten angerechnet würden. Dies betreffe sowohl die Anteilswerte als auch den Umfang der Anwartschaftsveränderung. So führe die Neuregelung des RRG 1992 zu Beginn der Übergangsphase (ab 1992) für rund 56% der Frauen mit Kindererziehungszeiten zu Anwartschaftserhöhungen im Vergleich zu den rund 49% der Frauen ohne Kindererziehungszeiten. Dem stünden Anwartschaftsminderungen bei knapp 14% der Frauen mit Kindererziehungszeiten und bei rund 29% der Frauen ohne Kindererziehungszeiten gegenüber (Reimann/Tenbusch, a.a.O. mit Zusammenstellung der Einzeldaten).

Bei der aufgrund der bereits gespeicherten Zeiten und Altersdaten mit Mitteln der EDV daher leicht abgrenzbaren Gruppe von Frauen mit Kindererziehungszeiten wie der Klägerin handelt es sich damit seit Veröffentlichung der Gesetzesmaterialien erkennbar um einen abstrakt bestimmbaren Adressatenkreis eines Hinweises auf der Grundlage von § 115 Abs. 6 SGB VI, bei dem die Beklagte dementsprechend zumindest bei der ebenfalls mit Mitteln der EDV leicht zu überwachenden Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren zum Hin weis auf eine Antragstellung verpflichtet war.

Daß sich eine Besserstellung einer absoluten Mehrheit der Antragsteller bei Stellung eines Antrages ergibt bzw. ergeben hätte, hält der Senat im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (B 5 RJ 62/97 R vom 22.10.1998) mit Rücksicht auf die eingehend beschriebenen gesetzgeberischen Zielvorstellungen nicht für ein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung des Kreises geeigneter Fälle für eine Hinweispflicht im Rahmen von § 115 Abs. 6 SGB VI.

Die Verwirklichung vom Gesetzgeber zugestandener sozialer Rechte kann unter Beachtung des Auslegungszieles einer möglichst weitgehenden Verwirklichung dieser Rechte (§§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) nicht von einem Mehrheitserfordernis abhängig gemacht werden. Für diese zusätzliche, im Gesetz nicht enthaltene Voraussetzung sieht der Senat weder eine gesetzliche Grundlage noch im übrigen Notwendigkeit.

Dies gilt um so mehr, als sich die Frage, ob es im Einzelfall tatsächlich zu einer Besserstellung infolge der Antragstellung kommt, wegen der Vielzahl teilweise gegenläufig wirkender Faktoren der Rentenberechnung ohnehin erst durch Berechnung im Einzelfall klären läßt, die wiederum nicht automatisch, sondern erst auf ein Auskunftsersuchen hin oder im Rahmen einer zu bearbeitenden Antragstellung durchgeführt wird. So hat die Beklagte selbst eingeräumt, keine Information zum Verhältnis der Fälle zu besitzen, in denen sich eine Besserstellung ergibt zu den Fällen, in denen dies nicht der Fall ist.

Auf eine Überlastung bei Berechnung der nach Angaben der Be klagten noch etwa 30.000 ungeklärten Fälle kann sich die Be klagte nicht berufen. Solange der Gesetzgeber sie nicht im Einzelfall (zum Beispiel bei der Aussetzung der Verpflichtungen nach § 149 Abs. 2 SGB VI durch § 274 b SGB VI bis zum 31.12.1996) von einer gesetzlichen Pflicht entbindet, ist die Beklagte gehalten, die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen personellen und sachlichen Kapazitäten sicherzustellen. Eine Überlastung durch die Abarbeitung noch etwa 300.000 "offener" Fälle hält der Senat zudem für unwahrscheinlich, nachdem es bereits 1989 mit den damals eher weniger weitreichenden Möglichkeiten und Kapazitäten der EDV möglich war, 90.000 Fälle rein probeweise durchzurechnen (Reimann/Tenbusch, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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