Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 271/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1322/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. August 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) gemäß § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der 1964 geborene Kläger übte in der Zeit zwischen seiner Schulentlassung und dem Beginn des Studiums an der P.-Universität M. im Juli und August 1983 eine Aushilfstätigkeit bei dem Bauunternehmen H. G. GmbH aus. Während dieser Tätigkeit erlitt er am 26. August 1983 einen Arbeitsunfall mit schwerer Vorfußquetschung und als deren Folge den Verlust der 2. bis 4. Zehe rechts.
Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. und ab dem 1. September 1984 nach einer MdE von 30 v.H. Als JAV wurde der Mindestbetrag, d.h. 60 % der Bezugsgröße für das Jahr 1983, zugrunde gelegt. Seit dem 1. August 1985 bezieht der Kläger eine Rente nach einer MdE von 20 v.H.
Der Kläger hatte im Oktober 1983 sein Studium begonnen. Er teilte der Beklagten unter dem 15. Oktober 1984 mit: "Ich studiere im Hauptfach Politikwissenschaft, in den Nebenfächern Soziologie und Geschichte mit erstrebtem Studienabschluß Diplom. Gemäß Regelstudienzeit ist mein Studium im September 1988 beendet. Über- bzw. Unterschreitungen sind dabei jedoch nicht auszuschließen. Mein Berufsziel ist Journalist. Wie weit sich der Arbeitsmarkt nach meinen Berufswünschen richten wird, steht einstweilen aber dahin.” Am 10. Januar 1989 teilte der Kläger der Beklagten mit, er werde sein Studium der Politikwissenschaften aller Voraussicht nach im Wintersemester 1989/90 abschließen. Die von ihm angestrebte Berufstätigkeit liege im Bereich des Journalismus, ggf. der wissenschaftlichen Politik- und Verbandsberatung. Angesichts der problematischen Arbeitsmarktlage für Politikwissenschaftler sei dies jedoch ein unverbindlicher Wunsch, der sich ggf. nicht oder nicht sofort realisieren ließe. Aufgrund weiterer Nachfragen der Beklagten berichtete der Kläger unter dem 1. Februar 1991, er befinde sich in der Abschlußphase des Hauptstudiums. Für die sich anschließende Diplomarbeit sei, je nach Forschungsorientierung, ein Zeitraum von zwei bis drei Semestern zu veranschlagen. An seinem Berufsziel einer journalistischen Tätigkeit habe sich nichts geändert. Im Juli 1993 teilte der Kläger mit, er habe seine Ausbildung an der P.-Universität M. beendet. Seit dem 1. Januar 1993 sei er freiberuflich als Fernsehredakteur und Autor bei der Deutschen Welle TV beschäftigt. Sein monatliches Einkommen betrage ca. 4.500,00 DM. Im August gab er an, er habe die Universität ohne akademischen Abschluß verlassen, da die Möglichkeit zum Berufseinstieg nur kurzfristig habe erfolgen können und er deshalb seine Diplomarbeit nicht mehr begonnen habe. Studienziel sei die Absolvierung des Diplomstudienganges Politikwissenschaft gewesen, um darauf aufbauend ein Volontariat möglichst in einem TV-Sender mit Berufsziel Journalist zu absolvieren. Unverhoffterweise sei ihm die Erlangung des Berufszieles jedoch ohne Hochschulabschluß und Volontariat gelungen. Neben dem Studium habe er als Öffentlichkeitsreferent der Studentenschaft und als Abgeordnetenmitarbeiter im Hessischen Landtag gearbeitet. So habe er allein durch diese Tätigkeiten ein fachliches Qualifikationsniveau erreicht, das dem Diplomabschluß in Politikwissenschaft bzw. einem Volontariat vergleichbar sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. August 1993 eine Neuberechnung des JAV ab. Das Studium sei aus Gründen abgebrochen worden, die nicht unfallbedingt seien.
In seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Berufsziel sei stets gewesen, als Journalist zu arbeiten. Er habe zur Erlangung dieses Berufsziels seine Ausbildung beendet, ohne – wie bis dahin angestrebt – das Studienziel (Politikwissenschaft) mit Diplomtitel abzuschließen. Das Berufsbild des Journalisten kenne keinen verbindlichen bzw. fest umrissenen Ausbildungsweg. Diesem eigentümlichen Sachverhalt trage der Gesetzgeber Rechnung, indem er die Berufsbezeichnung nicht schütze und damit auch nicht hinsichtlich der Ausbildung normiere. Um als Journalist bei überregionalen Qualitätszeitungen bzw. Rundfunkanstalten tätig zu sein, empfiehlten die Berufsverbände bzw. die Bundesanstalt für Arbeit die Kombination von Fachstudium und Volontariat als erfolgversprechendsten Ausbildungsweg. Diesen Ausbildungsweg habe er erheblich abgekürzt, indem er ohne Studienabschluß (Diplom) die Berufstätigkeit aufgenommen habe. Seine Tätigkeit als Öffentlichkeitsreferent und Abgeordnetenmitarbeiter im Hessischen Landtag sei dem Ausbildungsweg zugehörig, weil seine Tätigkeit als Öffentlichkeitsreferent ein Äquivalent zum Volontariat sei und er durch die Tätigkeit im Landtag die fachspezifische Qualifikation für den politischen Journalisten erworben habe.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1994 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Der Kläger hat hiergegen beim Sozialgericht Marburg (SG) am 17. Mai 1994 Klage erhoben und geltend gemacht, für den Beruf des Journalisten seien formelle Abschlüsse nicht erforderlich. Gefordert würden vielmehr praktische Fertigkeiten, die im Studium nicht vermittelt würden. Die wissenschaftlichen Kenntnisse seien sinnvoll, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Der Zugang zum Beruf des Journalisten sei frei und praktisch an keine besondere Form der Ausbildung gebunden. Zum Beweis für sein Vorbringen hat der Kläger eine Bestätigung von S. R. von der Deutschen Welle vom 29. März 1995 sowie die Rahmenvereinbarung zwischen dem Kläger und der Deutschen Welle vom 5. Januar 1995/20. Februar 1995 vorgelegt. Er hat außerdem auch Kopien von Aufsätzen von Dovifat und Claudia Mast zu den Akten gereicht. Die Beklagte hat die Auffassung geäußert, entscheidend sei, daß der Kläger zur Unfallzeit im Hauptfach Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Soziologie und Geschichte studiert habe mit dem erstrebten Studienabschluß Diplom und dem vagen Berufsziel "Journalist” und er diese Studien jedoch vorzeitig beendet habe, aus Gründen, die nicht unfallbedingt seien.
Das SG hat durch Urteil vom 13. August 1996 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO ab dem 1. Januar 1993 unter Zugrundelegung des Berufes eines Journalisten neu festzustellen. In den Gründen hat es ausgeführt, ob eine begonnene Ausbildung als abgeschlossen anzusehen sei, richte sich letztlich nach dem Ausbildungsziel und dem für das Erreichen des Ausbildungszieles erforderlichen Abschluß. Der Kläger habe zwar das Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte begonnen, sein eigentliches Ausbildungsziel im Sinne eines Berufszieles sei aber nicht das Absolvieren des Studiums und der Beruf des Politikwissenschaftlers, sondern von Beginn seines Studiums an sei das eigentliche Berufsziel der Journalistenberuf gewesen. Für den Kläger sei nicht der Abschluß des Studiums, sondern das Erreichen des Berufsziels wesentlich gewesen. Es sei nicht gerechtfertigt auf einen formellen Abschluß abzustellen, wenn der angestrebte Beruf auch ohne formalen Abschluß vollwertig ausgeübt werden könne und dieses Berufsziel auch konkret erreicht werde. Wolle man auch in diesen Fällen nur auf den formellen Abschluß abstellen, so werde dies zu einer Benachteiligung dieses Personenkreises führen im Vergleich zu denjenigen, die nach Erreichen des formellen Abschlusses ihrer Berufsausbildung in den Genuß der Neuberechnung des JAV kämen. Aus dem gesetzgeberischen Grundgedanken, die in einer Berufs- oder Schulausbildung Stehenden bei Erreichen der in § 573 Abs. 1 RVO angegebenen Zeitpunkte hinsichtlich der Berechnung des JAV so zu stellen, als ob sie erst in diesem Zeitpunkt den Unfall erlitten hätten, rechtfertige sich die Gleichstellung des Klägers mit den Versicherten, die die Berufsausbildung mit einem förmlichen Abschluß beendeten. Der Kläger habe über sein Studium und seine weiteren Nebentätigkeiten sein Berufsziel genauso erreicht wie ein anderer Versicherter, der üblicherweise sein Berufsziel aber nur erreichen könne, wenn er auch einen formellen Abschluß habe. Würde man die Fälle wie den vorliegenden von der Anwendung des § 573 Abs. 1 RVO ausschließen, so werde der Kläger ungerechtfertigt so gestellt, als ob er aus nicht unfallbedingten Gründen sein Berufsziel nicht erreicht habe. Hingegen erscheine es gerechtfertigt bei den Versicherten, die ihr Berufsziel nur über einen förmlichen Abschluß in Form einer Prüfung erreichen könnten, die Neuberechnung zu versagen, da das Gesetz nun einmal auf den Abschluß einer Ausbildung abstelle. Die meisten Berufe könnten jedoch nicht vollwertig ohne formalen Abschluß oder ohne jeweils für den Beruf vorgeschriebene Ausbildungsgänge ergriffen werden, so daß auch eine Neuberechnung nach § 573 Abs. 1 RVO ohne eigentlichen Anknüpfungspunkt bleibe. Eine Neuberechnung nach § 573 Abs. 1 RVO werde in diesen Fällen auch häufig zu keiner wesentlichen Änderung des JAV führen. Im Falle des Klägers stelle sich dies jedoch anders dar, weil der Kläger in seinem Beruf auch ohne einen förmlichen Universitätsabschluß nunmehr den Beruf eines Journalisten/Redakteurs vollwertig ausübe. Zugunsten des Klägers sei § 573 Abs. 1 RVO nach Erreichen des Berufszieles anzuwenden und die Verletztenrente unter Berücksichtigung des neuen JAV neu zu berechnen. Da der Beruf des Journalisten/Redakteurs auch ohne formalen Abschluß vollwertig ausgeübt werde, komme die Neuberechnung des JAV allerdings erst mit Beginn der Ausübung dieses Berufes in Betracht, da auf das Kriterium des förmlichen Abschluß nicht abgestellt werden könne.
Gegen dieses ihr am 19. September 1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1996 am 16. Oktober 1996 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, bei der Berufsausbildung handele es sich um den Weg zur Erreichung des Berufszieles in einer bestimmten Berufsgruppe, zu der es einen bestimmten Ausbildungsweg gebe. Für das Berufsfeld Journalismus gebe es jedoch keine verbindliche, also bestimmte Ausbildungswege, so daß es sich bei dem vorzeitig aus unfallunabhängigen Gründen ohne Diplom beendeten Studium nicht um eine Berufsausbildung handele. Nicht jede einem Berufsziel dienende Ausbildungsmaßnahme sei Berufsausbildung im Sinne der Ausnahmeregelung des § 573 Abs. 1 RVO, es müsse sich vielmehr um eine für die Erreichung des Berufszieles notwendige Maßnahme handeln. Das ohne Diplom abgeschlossene Studium stelle in diesem Sinne keine notwendige Ausbildung für den Beruf des Journalisten dar. Es bestehe auch keine Veranlassung, eine vermeintliche Gesetzeslücke zu füllen. Wenn eine solche vorgelegen hätte, so habe der Gesetzgeber dies im Rahmen des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes novellierend regeln können. § 90 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 7. Teil (SGB 7) enthalte jedoch eine entsprechende Neuregelung nicht. Auch dieser Umstand weise daraufhin, daß der Gesetzgeber den von dieser Gesetzesvorschrift erfaßten Personenkreis bewußt eingeschränkt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. August 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat vorgetragen, sein Berufsziel sei von vornherein der Journalismus gewesen. Insofern sei für ihn der Abschluß eines der Studiengänge nicht entscheidend gewesen, sondern die Erreichung des Berufsziels Journalist. Dieser Beruf könne jedoch auf vielfältige Weise erreicht werden. Es sei daher schon von entscheidender Bedeutung, daß er die Studien in den angegebenen Fächern über Jahre verfolgt habe und letztendlich den Beruf eines Journalisten/Redakteurs erreicht habe, ohne die einzelnen Studiengänge förmlich abzuschließen. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, daß im Rahmen des § 573 Abs. 1 RVO auf einen förmlichen Abschluß abgestellt werden solle, obwohl das stets angestrebte und verkündete Berufsziel des Journalisten erreicht sei.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Neuberechnung des seiner Verletztenrente zugrunde liegenden JAV nach § 573 Abs. 1 RVO hat.
Nach § 573 Abs. 1 RVO und dem inhaltlich gleichlautenden § 90 Abs. 1 SGB 7 ist der JAV, wenn sich der Verletzte im Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu zu berechnen, soweit das für den Berechtigten günstiger ist. Der neuen Berechnung ist das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt ist oder sonst ortsüblich ist. Diese Vorschrift enthält eine Abweichung von dem Grundsatz, daß die Verdienstverhältnisse in dem Jahre vor dem Unfall auch für die Zukunft die Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten nicht berücksichtigt werden (Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 573 Rdnr. 3). Dieser Sonderregelung liegt der Gedanke zugrunde, daß die zur Zeit des Versicherungsfalls in einer Schul- oder Berufsausbildung Stehenden vom Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung an hinsichtlich der Berechnung des JAV so zu stellen sind, als ob sie den Versicherungsfall erst in diesem Zeitpunkt erlitten hätten. Der Versicherte muß den Versicherungsfall nicht bei einer Verrichtung erlitten haben, die im inneren Zusammenhang mit der Ausbildung steht. Denn nach dem Normzweck sollen Härten für die Versicherten ausgeglichen werden, welche durch einen Arbeitsunfall zu Schaden kommen, bevor sie die mit ihrer Ausbildung erstrebte Erwerbsstellung erreicht haben (Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 3; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 Rdnr. 8).
Als Berufsausbildung sind nicht nur eine formelle Lehre anzusehen, sondern auch andere mit dem Ziel der Ausbildung ausgeübte Tätigkeiten mit geringerer Entlohnung, wenn sie dem Erwerb der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für den erstrebten Beruf dienen und Voraussetzung für dessen Ausübung sind. Berufsausbildung i.S.d. § 573 RVO ist auch die Hochschulausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 3). Für den eigenständigen Begriff der Berufsausbildung im Sinne von § 573 ist es wesentlich, welcher mögliche Abschluß mit der zur Zeit des Unfalls begonnenen Ausbildung angestrebt wird (BSG SozR-3 2200 § 573 Nr. 2; Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 3). Berücksichtigt werden kann im übrigen nur eine zur Zeit des Unfalls begonnene Ausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 5).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger im Wintersemester 1983 das Studium der Politikwissenschaften mit den Nebenfächern Soziologie und Geschichte aufgenommen und den Studienabschluß Diplom angestrebt. Nach Abschluß des Diplomstudienganges wollte er darauf aufbauend ein Volontariat in einem TV-Sender absolvieren. Er folgte damit einer Empfehlung der Berufsverbände bzw. der Bundesanstalt für Arbeit, wonach die Kombination von Fachstudium und Volontariat als erfolgversprechendster Ausbildungsweg zum Journalisten anzusehen ist.
Diesen von ihm zunächst angestrebten Studienabschluß hat der Kläger nicht erreicht Er hat sein Studium aus nicht unfallbedingten Gründen abgebrochen, ohne mit der Diplomarbeit zu beginnen bzw. sich förmlich zur Diplomprüfung anzumelden.
Nach Auffassung des SG spielt der fehlende Ausbildungsabschluß dann keine Rolle, wenn der Versicherte von vornherein eine Berufstätigkeit angestrebt hat, für die keine Ausbildung bzw. kein bestimmter Ausbildungsweg vorgeschrieben ist. Entscheidend soll in diesen Fällen sein, ob der Versicherte sein Berufsziel erreicht hat, unabhängig davon, ob er eine ehemals als förderlich erachtete Ausbildung abgeschlossen hat. Maßgebender Zeitpunkt für den Anspruch auf Neuberechnung des JAV soll in diesen Fällen der Beginn der Ausübung des (angestrebten) Berufes sein.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, denn die "Beendigung der Ausbildung” gehört zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 573 Abs. 1 RVO, sie gehört auch zu dem Begriff der Berufsausbildung i.S.d. § 573 RVO, so daß ein vorheriger Abbruch der Ausbildung aus Gründen, die nicht unfallbedingt sind, in jedem Fall einen Anspruch auf Neuberechnung ausschließt.
Hierfür spricht der Wortlaut des § 573 Abs. 1 Satz 1 RVO, der die voraussichtliche "Beendigung der Ausbildung” als Zeitpunkt nennt, ab dem eine Neuberechnung des JAV zu erfolgen hat. Eine Anknüpfung an die voraussichtliche Beendigung der Ausbildung ermöglicht es, die individuellen Verhältnisse des Verletzten und den zu erwartenden Verlauf der Ausbildung zu prognostizieren. Ab welchem Zeitpunkt der JAV neu zu berechnen ist hängt davon ab, zu welcher Zeit der Verletzte die im Unfallzeitpunkt begonnene Ausbildung ohne den Eintritt des Unfallereignisses beendet hätte. Wird das Ausbildungsende wegen der Unfallfolgen verzögert, so ist der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen, an dem die Ausbildung ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich beendet worden wäre. Nicht nur bei einer Verzögerung der Ausbildung, sondern auch bei einer Aufgabe der Ausbildung wegen der Unfallfolgen ist das voraussichtliche Ende einer ohne Eintritt des Unfallereignisses ordnungsgemäß weitergeführten Ausbildung zu bestimmen. Der maßgebende Zeitpunkt für die Neuberechnung des JAV läßt sich in diesen Fällen nur bestimmen, wenn mit der zur Zeit des Unfalls begonnenen Ausbildung ein möglicher Abschluß angestrebt wurde. Wesentlich für den Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 573 Abs. 1 RVO und des § 90 Abs. 1 SGB 7 ist deshalb, ob ein zu bestimmender Abschluß angestrebt wird. Dieser kann durch das Ablegen einer Prüfung gekennzeichnet sein oder auch in der Weise, daß ein Ausbildungsabschnitt, dessen Dauer von vornherein festgelegt oder bestimmbar ist, zu absolvieren ist, wie dies z.B. bei einem Praktikum oder einem Lehrgang der Fall ist. Würde das Anstreben eines Berufsziels allein genügen und käme es auf eine bestimmbare Beendigung der Ausbildung nicht an, ließe sich der maßgebende Zeitpunkt für die Neuberechnung des JAV nicht bestimmen, wenn das im Unfallzeitpunkt angestrebte Berufsziel wegen der Unfallfolgen nicht erreicht werden kann oder unfallbedingt der Beginn der Berufsausübung verzögert wurde.
Gegen die vom SG vorgenommene Auslegung des § 573 Abs. 1 RVO spricht auch der Wortlaut des Satzes 2 dieser Vorschrift. Danach ist der neuen Berechnung das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag oder sonst ortsüblich ist Eine im wesentlichen gleichlautende Regelung ist in § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB 7 enthalten. Wesentliches Kriterium bei der Neuberechnung des JAV ist der Ausbildungsstand bzw. die Qualifikation, die mit Beendigung der Ausbildung erreicht wurde oder voraussichtlich erreicht worden wäre. Das Entgelt, das für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag oder sonst ortsüblich ist, wird der Neuberechnung des JAV zugrunde gelegt. Fehlt es jedoch an einem Erreichen eines Abschlusses oder einem angestrebten Ausbildungsabschluß, so fehlt auch ein Anknüpfungspunkt bei der Neuberechnung des JAV nach § 573 Abs. 1 S. 2 RVO.
Die "Beendigung der Ausbildung”, d.h. ein prognostizierbarer Ausbildungsabschluß, gehört folglich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 573 Abs. 1 RVO, Der Grundsatz, daß der Abbruch der Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen einen Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO ausschließt (vgl. Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 5; Brackmann, a.a.O., § 90 Rdnr. 19), gilt deshalb auch dann, wenn ein Berufsziel angestrebt wird, für das es keinen vorgeschriebenen Ausbildungsgang gibt und der Beruf mit unterschiedlichen "Werdegängen” ausgeübt werden kann. Hat sich ein Versicherter in einem solchen Fall für einen "Werdegang”, d.h. eine Ausbildung entschieden – wie hier der Kläger für einen Diplomstudiengang mit Abschluß –, so ist die voraussichtliche Beendigung dieser Ausbildung bzw. die Beendigung dieser Ausbildung für die Neuberechnung des JAV maßgebend. Wird diese im Unfallzeitpunkt gewählte Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen abgebrochen, so besteht kein Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO. Dies stellt keine Ungleichbehandlung dieser Versicherten dar. Denn auch derjenige, der eine im Unfallzeitpunkt begonnene Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen abbricht – sei es, weil nun ein anderes Berufsziel angestrebt wird oder es an der Neigung oder Eignung für den ursprünglich gewählten Beruf fehlt – und eine andere Ausbildung beginnt und abschließt, hat keinen Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO. Denn berücksichtigt wird im Rahmen des § 573 Abs. 1 RVO nur eine zur Zeit des Unfalls begonnene Ausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 5).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil dieser Rechtsstreit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf wirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) gemäß § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der 1964 geborene Kläger übte in der Zeit zwischen seiner Schulentlassung und dem Beginn des Studiums an der P.-Universität M. im Juli und August 1983 eine Aushilfstätigkeit bei dem Bauunternehmen H. G. GmbH aus. Während dieser Tätigkeit erlitt er am 26. August 1983 einen Arbeitsunfall mit schwerer Vorfußquetschung und als deren Folge den Verlust der 2. bis 4. Zehe rechts.
Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. und ab dem 1. September 1984 nach einer MdE von 30 v.H. Als JAV wurde der Mindestbetrag, d.h. 60 % der Bezugsgröße für das Jahr 1983, zugrunde gelegt. Seit dem 1. August 1985 bezieht der Kläger eine Rente nach einer MdE von 20 v.H.
Der Kläger hatte im Oktober 1983 sein Studium begonnen. Er teilte der Beklagten unter dem 15. Oktober 1984 mit: "Ich studiere im Hauptfach Politikwissenschaft, in den Nebenfächern Soziologie und Geschichte mit erstrebtem Studienabschluß Diplom. Gemäß Regelstudienzeit ist mein Studium im September 1988 beendet. Über- bzw. Unterschreitungen sind dabei jedoch nicht auszuschließen. Mein Berufsziel ist Journalist. Wie weit sich der Arbeitsmarkt nach meinen Berufswünschen richten wird, steht einstweilen aber dahin.” Am 10. Januar 1989 teilte der Kläger der Beklagten mit, er werde sein Studium der Politikwissenschaften aller Voraussicht nach im Wintersemester 1989/90 abschließen. Die von ihm angestrebte Berufstätigkeit liege im Bereich des Journalismus, ggf. der wissenschaftlichen Politik- und Verbandsberatung. Angesichts der problematischen Arbeitsmarktlage für Politikwissenschaftler sei dies jedoch ein unverbindlicher Wunsch, der sich ggf. nicht oder nicht sofort realisieren ließe. Aufgrund weiterer Nachfragen der Beklagten berichtete der Kläger unter dem 1. Februar 1991, er befinde sich in der Abschlußphase des Hauptstudiums. Für die sich anschließende Diplomarbeit sei, je nach Forschungsorientierung, ein Zeitraum von zwei bis drei Semestern zu veranschlagen. An seinem Berufsziel einer journalistischen Tätigkeit habe sich nichts geändert. Im Juli 1993 teilte der Kläger mit, er habe seine Ausbildung an der P.-Universität M. beendet. Seit dem 1. Januar 1993 sei er freiberuflich als Fernsehredakteur und Autor bei der Deutschen Welle TV beschäftigt. Sein monatliches Einkommen betrage ca. 4.500,00 DM. Im August gab er an, er habe die Universität ohne akademischen Abschluß verlassen, da die Möglichkeit zum Berufseinstieg nur kurzfristig habe erfolgen können und er deshalb seine Diplomarbeit nicht mehr begonnen habe. Studienziel sei die Absolvierung des Diplomstudienganges Politikwissenschaft gewesen, um darauf aufbauend ein Volontariat möglichst in einem TV-Sender mit Berufsziel Journalist zu absolvieren. Unverhoffterweise sei ihm die Erlangung des Berufszieles jedoch ohne Hochschulabschluß und Volontariat gelungen. Neben dem Studium habe er als Öffentlichkeitsreferent der Studentenschaft und als Abgeordnetenmitarbeiter im Hessischen Landtag gearbeitet. So habe er allein durch diese Tätigkeiten ein fachliches Qualifikationsniveau erreicht, das dem Diplomabschluß in Politikwissenschaft bzw. einem Volontariat vergleichbar sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. August 1993 eine Neuberechnung des JAV ab. Das Studium sei aus Gründen abgebrochen worden, die nicht unfallbedingt seien.
In seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Berufsziel sei stets gewesen, als Journalist zu arbeiten. Er habe zur Erlangung dieses Berufsziels seine Ausbildung beendet, ohne – wie bis dahin angestrebt – das Studienziel (Politikwissenschaft) mit Diplomtitel abzuschließen. Das Berufsbild des Journalisten kenne keinen verbindlichen bzw. fest umrissenen Ausbildungsweg. Diesem eigentümlichen Sachverhalt trage der Gesetzgeber Rechnung, indem er die Berufsbezeichnung nicht schütze und damit auch nicht hinsichtlich der Ausbildung normiere. Um als Journalist bei überregionalen Qualitätszeitungen bzw. Rundfunkanstalten tätig zu sein, empfiehlten die Berufsverbände bzw. die Bundesanstalt für Arbeit die Kombination von Fachstudium und Volontariat als erfolgversprechendsten Ausbildungsweg. Diesen Ausbildungsweg habe er erheblich abgekürzt, indem er ohne Studienabschluß (Diplom) die Berufstätigkeit aufgenommen habe. Seine Tätigkeit als Öffentlichkeitsreferent und Abgeordnetenmitarbeiter im Hessischen Landtag sei dem Ausbildungsweg zugehörig, weil seine Tätigkeit als Öffentlichkeitsreferent ein Äquivalent zum Volontariat sei und er durch die Tätigkeit im Landtag die fachspezifische Qualifikation für den politischen Journalisten erworben habe.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1994 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Der Kläger hat hiergegen beim Sozialgericht Marburg (SG) am 17. Mai 1994 Klage erhoben und geltend gemacht, für den Beruf des Journalisten seien formelle Abschlüsse nicht erforderlich. Gefordert würden vielmehr praktische Fertigkeiten, die im Studium nicht vermittelt würden. Die wissenschaftlichen Kenntnisse seien sinnvoll, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Der Zugang zum Beruf des Journalisten sei frei und praktisch an keine besondere Form der Ausbildung gebunden. Zum Beweis für sein Vorbringen hat der Kläger eine Bestätigung von S. R. von der Deutschen Welle vom 29. März 1995 sowie die Rahmenvereinbarung zwischen dem Kläger und der Deutschen Welle vom 5. Januar 1995/20. Februar 1995 vorgelegt. Er hat außerdem auch Kopien von Aufsätzen von Dovifat und Claudia Mast zu den Akten gereicht. Die Beklagte hat die Auffassung geäußert, entscheidend sei, daß der Kläger zur Unfallzeit im Hauptfach Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Soziologie und Geschichte studiert habe mit dem erstrebten Studienabschluß Diplom und dem vagen Berufsziel "Journalist” und er diese Studien jedoch vorzeitig beendet habe, aus Gründen, die nicht unfallbedingt seien.
Das SG hat durch Urteil vom 13. August 1996 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO ab dem 1. Januar 1993 unter Zugrundelegung des Berufes eines Journalisten neu festzustellen. In den Gründen hat es ausgeführt, ob eine begonnene Ausbildung als abgeschlossen anzusehen sei, richte sich letztlich nach dem Ausbildungsziel und dem für das Erreichen des Ausbildungszieles erforderlichen Abschluß. Der Kläger habe zwar das Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte begonnen, sein eigentliches Ausbildungsziel im Sinne eines Berufszieles sei aber nicht das Absolvieren des Studiums und der Beruf des Politikwissenschaftlers, sondern von Beginn seines Studiums an sei das eigentliche Berufsziel der Journalistenberuf gewesen. Für den Kläger sei nicht der Abschluß des Studiums, sondern das Erreichen des Berufsziels wesentlich gewesen. Es sei nicht gerechtfertigt auf einen formellen Abschluß abzustellen, wenn der angestrebte Beruf auch ohne formalen Abschluß vollwertig ausgeübt werden könne und dieses Berufsziel auch konkret erreicht werde. Wolle man auch in diesen Fällen nur auf den formellen Abschluß abstellen, so werde dies zu einer Benachteiligung dieses Personenkreises führen im Vergleich zu denjenigen, die nach Erreichen des formellen Abschlusses ihrer Berufsausbildung in den Genuß der Neuberechnung des JAV kämen. Aus dem gesetzgeberischen Grundgedanken, die in einer Berufs- oder Schulausbildung Stehenden bei Erreichen der in § 573 Abs. 1 RVO angegebenen Zeitpunkte hinsichtlich der Berechnung des JAV so zu stellen, als ob sie erst in diesem Zeitpunkt den Unfall erlitten hätten, rechtfertige sich die Gleichstellung des Klägers mit den Versicherten, die die Berufsausbildung mit einem förmlichen Abschluß beendeten. Der Kläger habe über sein Studium und seine weiteren Nebentätigkeiten sein Berufsziel genauso erreicht wie ein anderer Versicherter, der üblicherweise sein Berufsziel aber nur erreichen könne, wenn er auch einen formellen Abschluß habe. Würde man die Fälle wie den vorliegenden von der Anwendung des § 573 Abs. 1 RVO ausschließen, so werde der Kläger ungerechtfertigt so gestellt, als ob er aus nicht unfallbedingten Gründen sein Berufsziel nicht erreicht habe. Hingegen erscheine es gerechtfertigt bei den Versicherten, die ihr Berufsziel nur über einen förmlichen Abschluß in Form einer Prüfung erreichen könnten, die Neuberechnung zu versagen, da das Gesetz nun einmal auf den Abschluß einer Ausbildung abstelle. Die meisten Berufe könnten jedoch nicht vollwertig ohne formalen Abschluß oder ohne jeweils für den Beruf vorgeschriebene Ausbildungsgänge ergriffen werden, so daß auch eine Neuberechnung nach § 573 Abs. 1 RVO ohne eigentlichen Anknüpfungspunkt bleibe. Eine Neuberechnung nach § 573 Abs. 1 RVO werde in diesen Fällen auch häufig zu keiner wesentlichen Änderung des JAV führen. Im Falle des Klägers stelle sich dies jedoch anders dar, weil der Kläger in seinem Beruf auch ohne einen förmlichen Universitätsabschluß nunmehr den Beruf eines Journalisten/Redakteurs vollwertig ausübe. Zugunsten des Klägers sei § 573 Abs. 1 RVO nach Erreichen des Berufszieles anzuwenden und die Verletztenrente unter Berücksichtigung des neuen JAV neu zu berechnen. Da der Beruf des Journalisten/Redakteurs auch ohne formalen Abschluß vollwertig ausgeübt werde, komme die Neuberechnung des JAV allerdings erst mit Beginn der Ausübung dieses Berufes in Betracht, da auf das Kriterium des förmlichen Abschluß nicht abgestellt werden könne.
Gegen dieses ihr am 19. September 1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1996 am 16. Oktober 1996 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, bei der Berufsausbildung handele es sich um den Weg zur Erreichung des Berufszieles in einer bestimmten Berufsgruppe, zu der es einen bestimmten Ausbildungsweg gebe. Für das Berufsfeld Journalismus gebe es jedoch keine verbindliche, also bestimmte Ausbildungswege, so daß es sich bei dem vorzeitig aus unfallunabhängigen Gründen ohne Diplom beendeten Studium nicht um eine Berufsausbildung handele. Nicht jede einem Berufsziel dienende Ausbildungsmaßnahme sei Berufsausbildung im Sinne der Ausnahmeregelung des § 573 Abs. 1 RVO, es müsse sich vielmehr um eine für die Erreichung des Berufszieles notwendige Maßnahme handeln. Das ohne Diplom abgeschlossene Studium stelle in diesem Sinne keine notwendige Ausbildung für den Beruf des Journalisten dar. Es bestehe auch keine Veranlassung, eine vermeintliche Gesetzeslücke zu füllen. Wenn eine solche vorgelegen hätte, so habe der Gesetzgeber dies im Rahmen des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes novellierend regeln können. § 90 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 7. Teil (SGB 7) enthalte jedoch eine entsprechende Neuregelung nicht. Auch dieser Umstand weise daraufhin, daß der Gesetzgeber den von dieser Gesetzesvorschrift erfaßten Personenkreis bewußt eingeschränkt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. August 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat vorgetragen, sein Berufsziel sei von vornherein der Journalismus gewesen. Insofern sei für ihn der Abschluß eines der Studiengänge nicht entscheidend gewesen, sondern die Erreichung des Berufsziels Journalist. Dieser Beruf könne jedoch auf vielfältige Weise erreicht werden. Es sei daher schon von entscheidender Bedeutung, daß er die Studien in den angegebenen Fächern über Jahre verfolgt habe und letztendlich den Beruf eines Journalisten/Redakteurs erreicht habe, ohne die einzelnen Studiengänge förmlich abzuschließen. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, daß im Rahmen des § 573 Abs. 1 RVO auf einen förmlichen Abschluß abgestellt werden solle, obwohl das stets angestrebte und verkündete Berufsziel des Journalisten erreicht sei.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Neuberechnung des seiner Verletztenrente zugrunde liegenden JAV nach § 573 Abs. 1 RVO hat.
Nach § 573 Abs. 1 RVO und dem inhaltlich gleichlautenden § 90 Abs. 1 SGB 7 ist der JAV, wenn sich der Verletzte im Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu zu berechnen, soweit das für den Berechtigten günstiger ist. Der neuen Berechnung ist das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt ist oder sonst ortsüblich ist. Diese Vorschrift enthält eine Abweichung von dem Grundsatz, daß die Verdienstverhältnisse in dem Jahre vor dem Unfall auch für die Zukunft die Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten nicht berücksichtigt werden (Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 573 Rdnr. 3). Dieser Sonderregelung liegt der Gedanke zugrunde, daß die zur Zeit des Versicherungsfalls in einer Schul- oder Berufsausbildung Stehenden vom Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung an hinsichtlich der Berechnung des JAV so zu stellen sind, als ob sie den Versicherungsfall erst in diesem Zeitpunkt erlitten hätten. Der Versicherte muß den Versicherungsfall nicht bei einer Verrichtung erlitten haben, die im inneren Zusammenhang mit der Ausbildung steht. Denn nach dem Normzweck sollen Härten für die Versicherten ausgeglichen werden, welche durch einen Arbeitsunfall zu Schaden kommen, bevor sie die mit ihrer Ausbildung erstrebte Erwerbsstellung erreicht haben (Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 3; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 Rdnr. 8).
Als Berufsausbildung sind nicht nur eine formelle Lehre anzusehen, sondern auch andere mit dem Ziel der Ausbildung ausgeübte Tätigkeiten mit geringerer Entlohnung, wenn sie dem Erwerb der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für den erstrebten Beruf dienen und Voraussetzung für dessen Ausübung sind. Berufsausbildung i.S.d. § 573 RVO ist auch die Hochschulausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 3). Für den eigenständigen Begriff der Berufsausbildung im Sinne von § 573 ist es wesentlich, welcher mögliche Abschluß mit der zur Zeit des Unfalls begonnenen Ausbildung angestrebt wird (BSG SozR-3 2200 § 573 Nr. 2; Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 3). Berücksichtigt werden kann im übrigen nur eine zur Zeit des Unfalls begonnene Ausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., Rdnr. 5).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger im Wintersemester 1983 das Studium der Politikwissenschaften mit den Nebenfächern Soziologie und Geschichte aufgenommen und den Studienabschluß Diplom angestrebt. Nach Abschluß des Diplomstudienganges wollte er darauf aufbauend ein Volontariat in einem TV-Sender absolvieren. Er folgte damit einer Empfehlung der Berufsverbände bzw. der Bundesanstalt für Arbeit, wonach die Kombination von Fachstudium und Volontariat als erfolgversprechendster Ausbildungsweg zum Journalisten anzusehen ist.
Diesen von ihm zunächst angestrebten Studienabschluß hat der Kläger nicht erreicht Er hat sein Studium aus nicht unfallbedingten Gründen abgebrochen, ohne mit der Diplomarbeit zu beginnen bzw. sich förmlich zur Diplomprüfung anzumelden.
Nach Auffassung des SG spielt der fehlende Ausbildungsabschluß dann keine Rolle, wenn der Versicherte von vornherein eine Berufstätigkeit angestrebt hat, für die keine Ausbildung bzw. kein bestimmter Ausbildungsweg vorgeschrieben ist. Entscheidend soll in diesen Fällen sein, ob der Versicherte sein Berufsziel erreicht hat, unabhängig davon, ob er eine ehemals als förderlich erachtete Ausbildung abgeschlossen hat. Maßgebender Zeitpunkt für den Anspruch auf Neuberechnung des JAV soll in diesen Fällen der Beginn der Ausübung des (angestrebten) Berufes sein.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, denn die "Beendigung der Ausbildung” gehört zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 573 Abs. 1 RVO, sie gehört auch zu dem Begriff der Berufsausbildung i.S.d. § 573 RVO, so daß ein vorheriger Abbruch der Ausbildung aus Gründen, die nicht unfallbedingt sind, in jedem Fall einen Anspruch auf Neuberechnung ausschließt.
Hierfür spricht der Wortlaut des § 573 Abs. 1 Satz 1 RVO, der die voraussichtliche "Beendigung der Ausbildung” als Zeitpunkt nennt, ab dem eine Neuberechnung des JAV zu erfolgen hat. Eine Anknüpfung an die voraussichtliche Beendigung der Ausbildung ermöglicht es, die individuellen Verhältnisse des Verletzten und den zu erwartenden Verlauf der Ausbildung zu prognostizieren. Ab welchem Zeitpunkt der JAV neu zu berechnen ist hängt davon ab, zu welcher Zeit der Verletzte die im Unfallzeitpunkt begonnene Ausbildung ohne den Eintritt des Unfallereignisses beendet hätte. Wird das Ausbildungsende wegen der Unfallfolgen verzögert, so ist der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen, an dem die Ausbildung ohne den Arbeitsunfall voraussichtlich beendet worden wäre. Nicht nur bei einer Verzögerung der Ausbildung, sondern auch bei einer Aufgabe der Ausbildung wegen der Unfallfolgen ist das voraussichtliche Ende einer ohne Eintritt des Unfallereignisses ordnungsgemäß weitergeführten Ausbildung zu bestimmen. Der maßgebende Zeitpunkt für die Neuberechnung des JAV läßt sich in diesen Fällen nur bestimmen, wenn mit der zur Zeit des Unfalls begonnenen Ausbildung ein möglicher Abschluß angestrebt wurde. Wesentlich für den Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 573 Abs. 1 RVO und des § 90 Abs. 1 SGB 7 ist deshalb, ob ein zu bestimmender Abschluß angestrebt wird. Dieser kann durch das Ablegen einer Prüfung gekennzeichnet sein oder auch in der Weise, daß ein Ausbildungsabschnitt, dessen Dauer von vornherein festgelegt oder bestimmbar ist, zu absolvieren ist, wie dies z.B. bei einem Praktikum oder einem Lehrgang der Fall ist. Würde das Anstreben eines Berufsziels allein genügen und käme es auf eine bestimmbare Beendigung der Ausbildung nicht an, ließe sich der maßgebende Zeitpunkt für die Neuberechnung des JAV nicht bestimmen, wenn das im Unfallzeitpunkt angestrebte Berufsziel wegen der Unfallfolgen nicht erreicht werden kann oder unfallbedingt der Beginn der Berufsausübung verzögert wurde.
Gegen die vom SG vorgenommene Auslegung des § 573 Abs. 1 RVO spricht auch der Wortlaut des Satzes 2 dieser Vorschrift. Danach ist der neuen Berechnung das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag oder sonst ortsüblich ist Eine im wesentlichen gleichlautende Regelung ist in § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB 7 enthalten. Wesentliches Kriterium bei der Neuberechnung des JAV ist der Ausbildungsstand bzw. die Qualifikation, die mit Beendigung der Ausbildung erreicht wurde oder voraussichtlich erreicht worden wäre. Das Entgelt, das für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag oder sonst ortsüblich ist, wird der Neuberechnung des JAV zugrunde gelegt. Fehlt es jedoch an einem Erreichen eines Abschlusses oder einem angestrebten Ausbildungsabschluß, so fehlt auch ein Anknüpfungspunkt bei der Neuberechnung des JAV nach § 573 Abs. 1 S. 2 RVO.
Die "Beendigung der Ausbildung”, d.h. ein prognostizierbarer Ausbildungsabschluß, gehört folglich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 573 Abs. 1 RVO, Der Grundsatz, daß der Abbruch der Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen einen Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO ausschließt (vgl. Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 5; Brackmann, a.a.O., § 90 Rdnr. 19), gilt deshalb auch dann, wenn ein Berufsziel angestrebt wird, für das es keinen vorgeschriebenen Ausbildungsgang gibt und der Beruf mit unterschiedlichen "Werdegängen” ausgeübt werden kann. Hat sich ein Versicherter in einem solchen Fall für einen "Werdegang”, d.h. eine Ausbildung entschieden – wie hier der Kläger für einen Diplomstudiengang mit Abschluß –, so ist die voraussichtliche Beendigung dieser Ausbildung bzw. die Beendigung dieser Ausbildung für die Neuberechnung des JAV maßgebend. Wird diese im Unfallzeitpunkt gewählte Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen abgebrochen, so besteht kein Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO. Dies stellt keine Ungleichbehandlung dieser Versicherten dar. Denn auch derjenige, der eine im Unfallzeitpunkt begonnene Ausbildung aus nicht unfallbedingten Gründen abbricht – sei es, weil nun ein anderes Berufsziel angestrebt wird oder es an der Neigung oder Eignung für den ursprünglich gewählten Beruf fehlt – und eine andere Ausbildung beginnt und abschließt, hat keinen Anspruch auf Neuberechnung des JAV gemäß § 573 Abs. 1 RVO. Denn berücksichtigt wird im Rahmen des § 573 Abs. 1 RVO nur eine zur Zeit des Unfalls begonnene Ausbildung (Lauterbach-Watermann, a.a.O., § 573 Rdnr. 5).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil dieser Rechtsstreit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf wirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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