L 3 R 984/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 RJ 1451/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 984/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1953 in K geborene und seit 1978 in der Bundesrepublik lebende Klägerin bestand am 25. Mai 1972 in Z die Prüfung für den Beruf einer qualifizierten Arbeiterin des Faches Gastwirtschaft des Berufes Köchin. In der Bundesrepublik arbeitete sie zunächst als Küchenhilfe und dann als Zimmermädchen. Seit dem 01. Januar 2004 ist im Versicherungsverlauf der Klägerin eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung vorgemerkt, die sie nach den Angaben der Beklagten bei einem Juwelier in der F verrichtet. Ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen eines degenerativen Wirbelsäulenleidens, eines seelischen Leidens und einer Funktionsbehinderung des linken Beins infolge Poliomyelitis zuerkannt worden (Bescheid des Versorgungsamts Berlin vom 03. Februar 2003, bestätigt durch den Bescheid vom 08. August 2003).

Den am 14. Mai 2003 gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung begründete sie mit der seit dem 19. Juli 2002 bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Zur Beurteilung des Leistungsvermögens lag der Beklagten der Heilverfahrensentlassungsbericht vom 13. Februar 2003 vor mit den Diagnosen Angst und Depression gemischt, Somatisierungsstörung, cervicokranielles Schmerzsyndrom bei Bandscheibenprolaps C 4/5, C 5/6 und ein Zustand nach Poliomyelitis sowie der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung eines mehr als sechsstündigen Leistungsvermögens für leichte körperliche Tätigkeiten ständig im Sitzen. Den Rentenantrag lehnte die Beklagte deshalb mit Bescheid vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2003 ab.

Die dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage hat die Klägerin unter Bezugnahme auf Atteste der Orthopäden Dr. G vom 25. Juli 2001 und 27. April 2004 sowie der Neurologin und Psychiaterin Dr. D vom 21. Juli 2003 damit begründet, sie sei wegen ihrer vielfältigen Beschwerden auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht mehr in der Lage, auch nur leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Sie könne selbst ihren Haushalt nur teilweise führen. Bei ihr liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, außerdem bestehe eine deutliche Einschränkung der Wegefähigkeit, denn sie könne eine Wegstrecke von 300 Metern nicht schmerzlos bewältigen und auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.

Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht zunächst Kopien aus der Schwerbehindertenakte der Klägerin sowie Befundberichte von Dr. G vom 22. April 2004, von der Fachärztin für Allgemeinmedizin K vom 05. Mai 2004, der Fachärzte für Neurologie B und K als Praxisnachfolger der Dr. D vom 05. Januar 2005 und der Internistin Dr. K vom 03. März 2005 beigezogen. Den Berichten sind weitere medizinische Unterlagen beigefügt gewesen.

Dann hat das Sozialgericht Dr. A, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der St. H Klinik, örtlicher Bereich M, mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 01. September 2005 zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin leide an einer Somatisierungsstörung und einem Zustand nach Poliomyelitis mit Verschmächtigung des linken Unterschenkels sowie einer Gonarthrose rechts. Sie könne noch täglich sechs Stunden und mehr leichte körperliche Arbeiten verrichten. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen. Der Empfehlung des Sachverständigen folgend hat das Sozialgericht außerdem ein orthopädisches Gutachten von Dr. L vom 25. Oktober 2005 veranlasst. Dr. L hat eine Adipositas per magna, einen Zustand nach Kinderlähmung mit Muskelverschmächtigung und –verkürzung im Bereich des linken Beins, eine medial betonte Gonarthrose links, Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und einen Zustand nach Röntgenreizbestrahlung im Bereich der linken Schulter festgestellt. Die Klägerin sei gleichwohl noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten mindestens acht Stunden täglich zu verrichten. Da nach den eigenen Angaben der Klägerin die Gehstrecke ca. 1000 Meter in ca. 30 Minuten betrage, seien Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle nicht zu berücksichtigen. Sie könne auch zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Klägerin, die bestritten hat, die o. g. Angaben zur Gehstrecke gemacht zu haben, hat sich auf ein weiteres Attest von Dr. G vom 21. Dezember 2005 bezogen. Dazu hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. L vom 19. Januar 2006 veranlasst. Daraufhin hat die Klägerin ein erneutes Attest von Dr. G vom 22. Februar 2006 eingereicht. Auf ihren Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Neurologe und Psychiater Dr. v H am 15. Oktober 2006 ein Gutachten erstattet, in dem er die Einschätzung eines mehr als sechsstündigen Leistungsvermögens für leichte körperliche Arbeit durch die Vorgutachter bestätigt hat. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen. Eine Begleitperson sei nicht notwendig.

Dem Ergebnis der Begutachtung hat sich die Klägerin ebenfalls nicht anzuschließen vermocht und hat sich auf ein Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. R vom 21. September 2006 für die Agentur für Arbeit Berlin Nord bezogen, in dem sie nur noch für fähig gehalten wird, täglich drei bis unter sechs Stunden zu arbeiten.

Zum Ausschluss einer Verschlimmerung der orthopädischen Leiden hat das Sozialgericht abschließend Dr. L erneut mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 23. Oktober 2007 keine wesentliche Verschlechterung und keine neuen schwerwiegenden Befunde erhoben. Das Gutachten für die Agentur für Arbeit sei mit seiner klinischen Untersuchung nicht in Einklang zu bringen. Es bestünden weder mittelschwere noch schwere orthopädische Krankheitsbilder in Bezug auf das Achsorgan und die Kniegelenke. Die Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule sei weder stark eingeschränkt, noch hätten sich deutliche Nervenwurzelreizerscheinungen gefunden.

Durch Urteil vom 22. April 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach den umfangreichen medizinischen Ermittlungen auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dies ergebe sich aus den Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. A und des Orthopäden Dr. L sowie des nach § 109 SGG beauftragten Neurologen und Psychiaters Dr. v H. Die Gutachten seien sorgfältig und sachkundig erstellt und überzeugend. Die Kammer habe keine Bedenken, ihre Entscheidung im Wesentlichen auf die eingeholten Gutachten zu stützen, obwohl Dr. R, der kein Facharzt für Orthopädie sei, in seinem Gutachten für die Agentur für Arbeit Berlin Nord das Leistungsvermögen mit drei bis unter sechs Stunden eingeschätzt habe. Denn das Gutachten von Dr. v H und das zweite Gutachten von Dr. L seien zeitlich nach dem Gutachten von Dr. R erstellt worden. Dr. v H habe die Klägerin nahezu zeitgleich mit Dr. R untersucht, Dr. L sogar noch nach Dr. R und in Kenntnis seines Gutachtens. Dennoch hätten die Sachverständigen keine quantitative Leistungseinschränkung feststellen können. Dr. L habe dargelegt, dass bei der Klägerin weder mittelschwere noch schwere orthopädische Krankheitsbilder in Bezug auf das Achsenorgan und die Kniegelenke bestünden. Die Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule sei weder stark eingeschränkt noch fänden sich deutliche Nervenwurzelreizerscheinungen. Es bestünden ebenso keinerlei Hinweise auf das Vorliegen von zwei Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule. Im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule seien keine erheblichen Abnutzungserscheinungen festgestellt worden. Dr. v H stütze in seinem Gutachten die Einschätzung des Dr. L. So führe er u. a. aus, dass dessen Stellungnahme vom 19. Januar 2006 zu dem Attest von Dr. G vom 21. Dezember 2005 nichts hinzuzufügen sei. Da die Klägerin derzeit einer geringfügigen Tätigkeit außer Haus nachgehe, halte die Kammer das Vorliegen von Wegeunfähigkeit für ausgeschlossen. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), denn sie sei nicht berufsunfähig. Zwar könne sie ihre letzte berufliche Tätig-keit als Zimmermädchen nicht mehr ausüben, allerdings handele es sich dabei um eine ungelernte Tätigkeit, die der untersten Stufe des von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas zuzuordnen sei. Sie könne daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe es auch deshalb nicht, weil eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nicht vorliege.

Die Klägerin begründet ihre gegen das Urteil eingelegte Berufung damit, das Sozialgericht habe eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht geprüft, obwohl es erhebliche Leistungseinschränkungen festgestellt habe. Auch hätte Dr. R zur Stellungnahme von Dr. L gehört werden müssen. Aufgrund ihrer detailliert vorgetragenen Beschwerden und Einschränkungen im Alltag wäre auch ein Schmerzgutachten sinnvoll gewesen. Die eingeholten Gutachten wichen erheblich von ihren persönlich empfundenen Beschränkungen und Schmerzen ab.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2008 und den Bescheid vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 21. Juli 2008 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig aber unbegründet. Ihr steht eine Rente wegen Erwerbminderung nicht zu.

Der geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung. Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach Auswertung der im sozialgerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet von Dr. A vom 01. Sep-tember 2005 und Dr. L vom 25. Oktober 2005 nebst ergänzender Stellungnahme vom 19. Januar 2006 sowie vom 23. Oktober 2007 ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin, die wegen der Ausübung ausschließlich ungelernter Tätigkeiten keinen Berufsschutz genießt, nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Mangels Berufsschutzes steht ihr außerdem keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI zu.

Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen könne zwar von einem qualitativ eingeschränkten, nicht jedoch von einem quantitativ eingeschränkten oder sogar aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen werden. Das Sozialgericht hat sich eingehend mit den erhobenen Befunden und den Schlussfolgerungen der Sachverständigen zum Leistungsvermögen auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen der von den behandelnden Ärzten der Klägerin in den Befundberichten und Attesten geäußerten Auffassung, sie sei erwerbgemindert, ebenso wenig gefolgt werden kann wie der Leistungsbeurteilung des Dr. R in seinem für die Agentur für Arbeit erstatteten Gutachten. Der von der Klägerin nach § 109 SGG gehörte Arzt Dr. v H hat sich den Ausführungen der zuvor gehörten Sachverständigen in vollem Umfang angeschlossen. Der Senat hat keine Bedenken, den Ausführungen und Schlussfolgerungen des Sozialgerichts zu folgen. Die Klägerin selbst hat keine substantiierten Einwendungen gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhoben. Der Senat verweist deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 22. April 2008 (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das Sozialgericht hat sich mit der Frage, ob bei der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, sehr wohl auseinander gesetzt, das Vorliegen aber nachvollziehbar verneint. Den Anregungen, weiter Beweis zu erheben, brauchte der Senat nicht zu folgen. Es liegen sachverständige Äußerungen von Dr. L und Dr. von H zum Leistungsvermögen der Klägerin zum selben Zeitpunkt bzw. nach der Begutachtung durch Dr. R vor. Die Sachverständigen haben die von Dr. R erhobenen Befunde überwiegend nicht bestätigen können, eine Verschlechterung der Gesundheitsstörungen ist ebenfalls ausgeschlossen worden, so dass die Einschätzung des Arztes, die Klägerin könne nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten, nicht nachvollziehbar ist. Da keine Anhaltspunkte für eine Schmerzkrankheit bei der Klägerin vorliegen, besteht auch keine Veranlassung, ein Schmerzgutachten einzuholen.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved