L 6 Ar 405/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 411/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 405/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne von § 150 Nr. 2 SGG ist nur dann anzunehmen, wenn der gerügte Mangel geeignet ist, das Urteil – hinsichtlich des angefochtenen Ausspruchs – insgesamt in Frage zu stellen.
2. Gegen erstinstanzliche Urteile mit mehreren selbständig tragenden Begründungen (kumulativer Urteilsbegründung) ist die Berufung wegen mangelhafter Sachverhaltsaufklärung nur dann statthaft, wenn entsprechende Rügen gegenüber allen selbständigen Begründungen durchgreifen und sich das Sozialgericht daher aus seiner Sicht im Ergebnis hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen (Entgegen Urteil BSG vom 1. Dezember 1976 – 7 RAr 64/75 –, SozR 1500 § 150 SGG Nr. 6).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 12. Januar 1989 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Konkursausfallgeld (Kaug) in Höhe von DM 3.001,–.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und war ab dem 27. Juni 1983 bei der Firma -GmbH in der Komplementärgesellschaft der früheren Firma -GmbH und Co. als Einschaler beschäftigt. Er arbeitete bis zum 25. September 1983 auf der Baustelle eines Atomkraftwerkes in das von einer Firmenarbeitsgemeinschaft unter der technischen Federführung der Firma erbaut wurde. Danach war er arbeitsunfähig krank bis zum 11. November 1983. Als letzten Lohn erhielt der Kläger nach eigenen Angaben für den Monat September 1983 einen Vorschuß in Höhe von DM 1.000,–. Am 7. November 1983 stellte der Kläger Antrag auf Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld unter Beifügung einer Arbeitsbescheinigung der Firma vom 28. November 1983, aus der u.a. hervorgeht, daß das Beschäftigungsverhältnis des Klägers mit dieser Firma zum 21. Oktober 1983 wegen Auftragsmangel beendet wurde. Mit Bescheid vom 22. März 1984 bewilligte die Beklagte dem Kläger das Arbeitslosengeld antragsgemäß ab dem 5. November 1983.

Der Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse für und den vom 8. November 1983 auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma und -GmbH wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1984 mangels Masse abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 1983 an das Arbeitsgericht Frankfurt am Main, dort eingegangen am 27. Dezember 1983, erhob der Kläger Klage gegen die Firma und auf Zahlung von Netto-Arbeitslohn für die Zeit vom 3. bis 8. und vom 10. bis 15. Oktober sowie vom 14. Oktober bis 4. November 1983 in Höhe von insgesamt DM 3.001,15 unter Zugrundelegung eines Stundenlohns von DM 13,– bzw. DM 14,50. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main verurteilte die beklagte Firma - und -GmbH daraufhin mit Versäumnisurteil vom 3. Mai 1984 (Az.: ) antragsgemäß.

Am 29. Oktober 1984 stellte der Kläger Antrag auf Zahlung von Kaug unter Bezugnahme auf die Klage und das Urteil im vorgenannten Arbeitsgerichtsverfahren. Mit Bescheid vom 15. August 1985 lehnte die Beklagte diesen Antrag u.a. mit der Begründung ab, daß nicht nachgewiesen sei, daß dem Kläger noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegenüber der Firma GmbH und zustünden. Den hiergegen am 28. August 1985 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12. November 1985 zurück. Sie führte hierin u.a. aus, der Gewährung von Kaug stehe entgegen, daß ein Nachweis über unbefriedigte Arbeitsentgeltansprüche auch unter Berücksichtigung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Mai 1984 nicht geführt sei. Für den Erlaß eines Versäumnisurteils sei lediglich die Schlüssigkeit der geltend gemachten Ansprüche erforderlich. Obwohl das Versäumnisurteil der vollen Rechtskraft fähig und in vollem Umfang vollstreckungsfähig sei, könne diesem mangels Berücksichtigung der Einwendungen und Gegenansprüche des Arbeitgebers nicht der tatsächliche Arbeitsentgeltanspruch für die betreffende Zeit entnommen werden. Anderweitige Bemühungen der Beklagten um diesbezügliche Nachweise seien ohne Erfolg geblieben. Die Folgen der objektiven Beweislosigkeit trage der Kläger.

Gegen diesen am 14. November 1985 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 16. Dezember 1985 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung machte er u.a. geltend, daß vom Bestehen eines Anspruchs auf Kaug auch dann auszugehen sei, wenn ein vollstreckbarer Titel vorliege. Hierzu gehörten auch Versäumnisurteile. Der erforderliche Nachweis über noch ausstehendes Arbeitsentgelt sei daher geführt.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 1988 sowie durch die Vernehmung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 1989. Auf das Ergebnis der Zeugenvernehmungen wird Bezug genommen. Das Sozialgericht hat ferner eine Auskunft der Firma eingeholt über deren Zusammenarbeit mit der Firma in den Monaten Juli bis November 1983. Auf die Auskunft der Firma vom 15. Juni 1988 wird verwiesen.

Mit Beschluss vom 19. April 1988 hat das Sozialgericht Kassel den vorliegenden Rechtsstreit mit dem Rechtsstreit S-11/Ar-411/85 des Herrn gemäß § 113 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S-11/Ar-411/85 verbunden.

Mit Urteil vom 12. Januar 1989 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In der Urteilsbegründung führte es im wesentlichen aus, daß der geltend gemachte Anspruch auf Kaug zum einen deshalb nicht bestehe, weil der Antrag nicht innerhalb der nach § 141 e Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vorgeschriebenen Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem maßgeblichen Insolvenzereignis vom 23. März 1984 gestellt worden sei und der Kläger die Versäumung der Ausschlußfrist zu vertreten habe. Durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1984 sei auf Antrag der AOK Frankfurt am Main die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma und -GmbH mangels Masse abgewiesen worden. Die zweimonatige Ausschlußfrist des § 141 e AFG habe daher am 23. Mai 1984 geendet. Der Antrag des Klägers auf Kaug vom 25. Oktober 1984 sei daher nach Ablauf der Ausschlußfrist gestellt. Der Kläger habe die Versäumung der Ausschlußfrist auch zu vertreten, weil er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seines Anspruchs bemüht habe. Auch wenn der Kläger noch im Oktober 1984 keine sichere Kenntnis von der Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse gehabt haben sollte, hätte er aufgrund der Erfahrungen die er und seine Arbeitskollegen bei ihrem Besuch im Büro der Firma in im Oktober/November 1983 gemacht hatten, sich nicht darauf beschränken dürfen, arbeitsrechtliche Klage zu erheben. Nachdem ihm Herr von der Firma - und -GmbH bei diesem Besuch in erklärt habe, er hätte kein Geld mehr und sie bekämen auch kein Geld mehr, hätte der Kläger bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt schon vorsorglich Kaug-Antrag stellen können oder zumindest mit Hilfe seines Bevollmächtigten Ermittlungen bei der zuständigen AOK, dem Arbeitsamt Frankfurt am Main oder dem Konkursgericht anstellen müssen hinsichtlich der Insolvenz der Firma Auch daß der Kläger und die gehörten Zeugen nach ihrem Besuch in bei mehrfachen Versuchen keinen telefonischen Kontakt mehr zu der Firma erhielten und die eingeschaltete Polizei niemanden von der Firma ermitteln konnte, habe darauf hingedeutet, daß die Arbeitgeberin nicht mehr zahlungsfähig bzw. nicht mehr existent war. Als dann die arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteile am 3. Mai 1984 ergangen seien und der beklagten Arbeitgeberin nicht mehr zugestellt hätten werden können, hätten sich die Hinweise auf eine Insolvenz der Firma noch mehr verstärkt und der Zeuge habe ja auch am 30. Mai 1984 Antrag auf Kaug gestellt. Wer ihn dazu veranlaßt habe und woher er die Kaug-Antragsformulare erhalten habe, sei im Verfahren nicht mehr festzustellen gewesen. Diese Antragstellung deute jedoch darauf hin, daß zumindest im Mai 1984 und nicht erst im Oktober 1984 konkrete Hinweise auf eine Insolvenz der Firma bestanden hätten.

Darüber hinaus scheitere das Klagebegehren daran, daß offene Lohnansprüche im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteils vom 3. Mai 1984 nicht nachgewiesen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Beklagte an arbeitsgerichtliche Urteile nicht aufgrund deren Rechtskraftwirkung, sondern lediglich aus dem Gesichtspunkt der Respektierung von Hoheitsakten anderer Staatsorgane gebunden. Hiernach sei auch ein Versäumnisurteil, durch das rechtskräftig über einen Lohnanspruch entschieden worden sei, von allen Behörden bei der Entscheidung über Ansprüche zu respektieren, deren tatbestandliche Voraussetzung gerade dieser Lohnanspruch sei. Ihnen stehe, soweit das rechtskräftige Urteil über den Sachverhalt entschieden habe, eine Nachprüfung des Urteils regelmäßig nicht zu. Da arbeitsgerichtliche Verfahren nicht vom Amtsermittlungsprinzip beherrscht würden, seien sonstige Behörden jedoch namentlich bei Versäumnisurteilen nicht gehindert, andere und weitere Tatsachen zu berücksichtigen, die das rechtskräftige Urteil mangels eines entsprechenden Vertrags nicht berücksichtigen konnte oder nicht berücksichtigt hat. Wegen Diskrepanzen zwischen dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main und der Arbeitsbescheinigung vom 28. November 1983, den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte des Klägers und der Zeugenaussagen hinsichtlich der Höhe des Stundenlohns und dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, könne das Versäumnisurteil nicht als Nachweis über offenstehende Lohnansprüche angesehen werden. Auch andere Nachweise über offenstehende Lohnansprüche seien nicht zu erlangen gewesen. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast habe der Kläger diese Beweislosigkeit zu tragen.

Gegen das am 14. März 1989 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom selben Tage. Die Berufung wird damit begründet, daß das Urteil unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sei. Das Sozialgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, weil weitere Ermittlungen bei der Firma AG, zu denen der Sachverhalt Anlaß geboten habe, unterblieben seien. Die Auskunft der Firma AG vom 15. Juni 1988, sie habe keine Firma direkt beauftragt und es habe zu keinem Zeitpunkt eine Arbeitnehmerüberlassung stattgefunden, stehe in Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen und. Der Zeuge habe berichtet, daß die Arbeitnehmer der Firma eines Morgens von dieser angewiesen worden seien, die Arbeit einzustellen, weil die Polizei komme. Der Zeuge habe angegeben, daß er nur wegen finanzieller Angelegenheiten mit der Firma zu tun gehabt habe. Er und seine Kollegen seien von dieser Firma an die Firma verliehen worden. Die Aussage des Zeugen laute ähnlich. Hiernach sei von – wie auch immer gestalteten – Vertragsbeziehungen zwischen diesen Firmen auszugehen. Es liege die Annahme nahe, daß es Abrechnungen zwischen diesen Firmen gegeben habe, die – auch wenn sie sich nicht namentlich dem Kläger zuordnen ließen – Anhaltspunkte für die Höhe seiner Lohnforderungen geliefert hätten. Ferner hätte das Sozialgericht die Akten der Staatsanwaltschaft zu dem eingestellten Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung gegen den Geschäftsführer der Firma beiziehen müssen. Hinsichtlich der Frist gemäß § 141 e AFG sei zu beachten, daß diese wegen der unzureichenden Publizität eines Abweisungsbeschlusses erst zu laufen beginne, wenn der Berechtigte von der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse Kenntnis erhalten hat. Dies sei im Falle des Klägers erst im Oktober 1984 der Fall gewesen. Ferner sei die Beklagte verpflichtet gewesen, den Kläger über das Insolvenzereignis zu unterrichten. Da die Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn sie sich auf den Fristablauf berufe. Die Berufung sei nach dem klägerischen Vorbringen vor dem Sozialgericht auch in sachlicher Hinsicht begründet.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 12. Januar 1989 sowie den Bescheid vom 25. August 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Konkursausfallgeld in Höhe von DM 3.001,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, daß die Berufung entweder gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG oder gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG unzulässig ist, da das Kaug eine einmalige Leistung oder jedenfalls eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum von nur bis zu 13 Wochen (3 Monaten) im Sinne dieser Vorschriften darstelle. Die Berufung sei auch weder gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden, noch liege ein Verfahrensfehler im Sinne von § 150 Nr. 2 SGG vor. Der Kläger rüge zwar eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht, eine solche sei jedoch nur dann gegeben, wenn sich das Gericht aus seiner rechtlichen Sicht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Hiervon könne jedoch nach dem Vorbringen des Klägers nicht ausgegangen werden. Die Beklagte hält die Berufung auch sachlich für nicht begründet und verweist hierzu auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte des Klägers und die Gerichtsakten des Sozialgerichts Kassel von dem Zeugen (Az.: S-11/Ar-411/85) und von Herrn (Az.: S-11/Ar-288/85) sowie auf die beigezogene Leistungsakte der Beklagten ( ) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten entscheiden, da weder der Kläger noch seine Prozeßbevollmächtigte, die rechtzeitig und formgerecht unter Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden war, im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23. Mai 1990 erschienen ist und der Vertreter der Beklagten dies beantragt hat.

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 SGG.

Die Berufung ist jedoch gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unzulässig, da der geltend gemachte Anspruch auf Kaug als ein solcher auf eine einmalige Leistung anzusehen ist (vgl. Mayer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl. § 144 Anm. 6).

Die Berufung ist auch nicht gemäß § 150 Nr. 1 SGG zulässig, weil das Sozialgericht dieses Rechtsmittel weder im Tenor noch in den Gründen des Urteils zugelassen hat.

Schließlich ist die Berufung auch nicht gemäß § 150 Nr. 2 SGG zulässig, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens nicht erfolgreich gerügt wurde.

Als Verfahrensmangel im Sinne von § 150 Nr. 2 SGG ist nur ein Verstoß gegen eine Vorschrift anzusehen, die das gerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel kann sich demnach nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen, sondern allein auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (vgl. Mayer-Ladewig, a.a.O., § 150 Anm. 15).

Soweit sich der Kläger gegen die Annahme einer schuldhaften Versäumung der Antragsfrist nach § 141 e AFG durch das erstinstanzliche Gericht wendet, wird kein Verfahrensmangel, sondern die sachliche Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gerügt. Dieses Vorbringen macht die Berufung daher nicht statthaft.

Als wesentlichen Mangel des Verfahrens, rügt der Kläger hingegen, das Sozialgericht habe dadurch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, daß es keine zusätzlichen Ermittlungen bei der Firma AG wegen der Höhe der Lohnforderungen des Klägers gegen die Firma angestellt und auch die Akten der Staatsanwaltschaft zu dem eingestellten Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Firma wegen des Verdachts auf unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung nicht beigezogen hat.

Diese unterlassenen Ermittlungen begründen jedoch keinen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne von § 150 Abs. 2 SGG. Ein solcher liegt nur vor, wenn das Gericht in der Weise gegen das Prozeßrecht verstoßen hat, daß es an einer ordnungsgemäßen Grundlage für die Urteilsfällung fehlt, insbesondere bei Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften (RGZ 103, S. 112; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Kommentar, § 150 Anm. 26; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 150 Anm. 3). Die Frage, ob das Verfahren des Sozialgerichts an einem wesentlichen Mangel leidet, ist dabei vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des Sozialgerichts aus zu beurteilen, also nicht vom Standpunkt des Berufungsgerichts (h.M. vgl. z.B. Peters/Sautter/Wolff a.a.O. m.w.Nw.). Dieser Grundsatz erfordert bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht des Gerichts besondere Beachtung. Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt unter Heranziehung der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen, d.h. es stellt selbst alle geeigneten und erforderlichen Ermittlungen an, die für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch erheblich sind. Für die Frage, ob das Gericht seine Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen, nicht erfüllt und dadurch § 103 SGG verletzt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem Gericht zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen. Dem Sozialgericht kann demnach nicht zur Pflicht gemacht werden, daß es Ermittlungen anstellt, die nach seiner – sei es auch falschen – materiellen Rechtsauffassung nicht erforderlich sind (s.z.B. Peters/Sautter/Wolff a.a.O., Anm. 3 a; BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985 – Az.: 5 b/4 RJ 4/83; Henning/Danckwarts/König, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, § 150, S. 168 k).

Unter Beachtung dieser Grundsätze mußte sich das erstinstanzliche Gericht nicht gedrängt fühlen, zusätzliche Ermittlungen bei der Firma AG wegen der geltend gemachten Lohnausstände des Klägers gegenüber der Firma und anzustellen oder die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beizuziehen, denn das Sozialgericht hat das klageabweisende Urteil sowohl darauf gestützt, daß der Kläger die Antragsfrist gemäß § 141 e AFG schuldhaft versäumt hat, als auch darauf, daß ein Lohnausfall des Klägers nicht nachgewiesen sei. Eine Priorität unter diesen Begründungen ist weder dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, noch der Sache nach zwingend.

Die dargestellten Grundsätze bezüglich der Verfahrensrüge unzureichender Sachaufklärung finden nach Auffassung des Senats auch auf Urteile Anwendung, die – wie das vorliegende – kumulativ auf mehrere selbständig tragende (d.h. auf unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen bezogene) Begründungen gestützt werden. Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen kumulativen Urteilsbegründung bestehen nicht. Ausgehend von dem sachlich-rechtlichen Standpunkt des Sozialgerichts mußte sich dieses zu weiteren Ermittlungen zur Lohnhöhe des Klägers nicht gedrängt fühlen, da diese Ermittlungen im Hinblick auf die angenommene Fristversäumnis seine Entscheidung im Ergebnis nicht hätte beeinflußen können, mithin nicht notwendig waren. Ein solcher lediglich auf eine von mehreren selbständigen Urteilsbegründungen bezogener Verfahrensverstoß entzieht der Urteilsfällung nicht die Grundlage, sondern betrifft nur einzelne im Ergebnis unerhebliche Elemente der Urteilsbegründung.

Das Bundessozialgericht hat zwar mit Urteil vom 1. Dezember 1976 (SozR 1500 § 150 SGG Nr. 6; ähnlich Urteil vom 18. März 1964, Breithaupt 1964, S. 882 ff.) die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG bereits dann zugelassen, wenn hinsichtlich einer von mehreren selbständigen Begründungen mit unterschiedlichen Tatbeständen ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt. Es hat sich dabei im wesentlichen auf folgende Überlegung gestützt: Wenn das Sozialgericht eine kumulative Urteilsbegründung für notwendig erachte, dann müsse es sich auch gedrängt fühlen, die Umstände für beide selbständige Begründungen vollständig aufzuklären.

Dies entspricht jedoch nicht mehr der Sichtweise und Rechtsauffassung des Sozialgerichts. Die kumulative Urteilsbegründung des Sozialgerichts würde hierdurch wie eine Wahlfeststellung behandelt, bei der offen bleibt, welcher von mehreren Sachverhalten vorliegt und die daher zutreffend verfahrensrechtlich davon abhängt, daß alle Sachverhalte in ihrer Alternativität verfahrensfehlerfrei aufgeklärt sind. Die kumulative Urteilsbegründung kann jedoch schon begrifflich keine notwendige sein; sie ist vielmehr eine Frage der Zweckmäßigkeit im Bemühen des Gerichts um die Akzeptanz des Urteils und um Herstellung von Rechtsfrieden.

Etwas anderes kann auch aus dem Wortlaut von § 150 Nr. 2 SGG nicht hergeleitet werden (a.A. Peters/Sautter/Wolff, a.a.O., § 150 Anm. 3 S. 66). Hiernach ist zwar im Unterschied zur Divergenzzulassung der Berufung (§ 150 Nr. 1 SGG) und der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG) sowie der Verfahrensrevision (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG) eine zumindest potentielle Ursächlichkeit des Verfahrensmangels für den Entscheidungsinhalt nicht besonders vorgeschrieben, aber auch bei der Verfahrensberufung ist ein wesentlicher Mangel des Verfahrens nur dann anzunehmen, wenn der Mangel geeignet ist, das Urteil insgesamt in Frage zu stellen. Bei kumulativ begründeten Urteilen reicht daher eine Verfahrensrüge nur gegen eine der selbständigen Urteilsbegründungen nicht aus (in diesem Sinne für zivilprozessuale Rechtsmittel gegen kumulativ begründete Urteile BGH, Beschluss vom 25. Januar 1990, NJW 1990, S. 1184 u.a. mit Hinweis auf BVerwG, NJW 1980, S. 2268, 2269).

In Fällen kumulativer Urteilsbegründung kann somit die Verfahrensrüge mangelhafter Sachverhaltsaufklärung nur dann Erfolg haben, wenn diese Rüge bzw. diese Rügen gegenüber allen selbständigen Begründungen des Urteils durchgreifen und sich das Sozialgericht aus seiner Sicht daher auch im Ergebnis hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen und nicht nur auf Teile der Begründung zu verzichten. Vorliegend ist jedoch hinsichtlich der angenommenen Fristversäumnis keine Verfahrensrüge erhoben worden und auch ein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel nicht ersichtlich.

Nach alledem kann dahinstehen, ob die von dem Kläger erhobene Verfahrensrüge mangelhafter Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich des geltend gemachten Lohnausfalls des Klägers isoliert betrachtet einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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