Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 16 U 102/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 148/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO bei in Selbsthilfe durchgeführten Abdichtarbeiten für den steuerbegünstigten Erweiterungsbau eines Familienheims 6 Jahre nach seinem Bezug.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. November 1986 sowie der Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1985 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Klägers vom 30. Dezember 1983 in gesetzlichem Umfang als Arbeitsunfall zu entschädigen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Entschädigung eines Unfalls vom 30. Dezember 1983 als Arbeitsunfall. Er ist der Auffassung, daß er bei Selbsthilfearbeiten im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt ist.
In den Jahren 1951 bis 1955 errichtete der Schwiegervater des Klägers ein Familienheim, für das öffentliche Mittel und eine Steuerbegünstigung nach dem II. Wohnungsbaugesetz (WoBauG) nicht beantragt und bewilligt wurden. Im Oktober 1974 wurde der Plan des Klägers für eine Erweiterung des inzwischen von ihm und seiner Familie bewohnten Wohnhauses genehmigt (geschätzte Baukosten 85.900,– DM, Anteil der Selbsthilfe 12.500,– DM). Unter dem 17. November 1975 wurden dem Kläger hierfür von der Hessischen Landesbank ein zinsvergünstigtes Darlehen von 8.000,– DM und ein Zinszuschuß bewilligt. Durch Bescheid vom 22. Januar 1979 erkannte der Magistrat der Kreisstadt B. H. 58,64 qm neu geschaffene Wohnfläche im Erdgeschoß durch Erweiterung des bestehenden Familienheims (Eigenheims) – Gesamtwohnfläche 174,08 qm – als steuerbegünstigte Wohnung nach § 82 II. WoBauG an. Bei dem Bauvorhaben handelte es sich um einen eingeschossigen Flachdachanbau, der unter Einbeziehung einer Giebelwand des Altbaus errichtet wurde. Hierzu mußte die Wand teilweise herausgenommen und das darüber befindliche Giebeldreieck durch einen Eisenträger und zwei gemauerte Stützpfeiler unterfangen werden. Der Erweiterungsbau war laut Anerkennungsbescheid seit Dezember 1977 bezugsfertig.
Am 30. Dezember 1983 errichtete der Kläger auf dem Flachdachanbau unter Verwendung von Eternitschiefer und einer Holzunterkonstruktion eine Wandschale, die er dem Giebeldreieck des Altbaus oberhalb des Flachdachanbaus vorsetzte. Beim Wegräumen des Werkzeugs und des nicht verbrauchten Materials stürzte er aus ca. 1,50 bis 2 Meter Höhe von einer an den Flachdachanbau angelehnten Leiter und zog sich hierbei einen Schenkelhalsbruch links, einen Nierenriß links und Prellungen zu. Er wurde bis zum 21. Januar 1984 stationär behandelt und erhielt eine keramische Hüftprothese. Im Aktenvermerk des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten vom 17. Mai 1985 hieß es, daß der Kläger das Giebeldreieck über dem Flachdachanbau mit Eternitschindeln zum Schutz gegen Wind und Regen verkleidet habe. Damit der Regen u.a. nicht zwischen Giebelwand und Flachdach eindringen könne, habe der Kläger sich für diese Verkleidung anstelle von Putz entschieden. Da eine am Giebeldreieck des Altbaus angebrachte Freileitung erst 1982 (August) entfernt worden sei, habe ein Verputzen oder Verschindeln frühestens ab diesem Zeitpunkt in Angriff genommen werden können. Durch Bescheid vom 19. Juli 1985 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO versichert gewesen sei. Die durchgeführten Arbeiten seien für das nicht steuerbegünstigte alte Wohnhaus und nicht für den Flachdachanbau durchgeführt worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger u.a. geltend, daß die Arbeiten am Giebeldreieck ausschließlich durch den freitragend an die Giebelwand anschließenden Flachdachanbau im Zuge der Bauerstellung erforderlich geworden sei und dem Schutz des darunterliegenden neu geschaffenen Wohnraums vor Feuchtigkeit von oben gedient habe. Durch die teilweise Herausnahme der Giebelwand habe nunmehr eine Isolierung unterhalb des Giebeldreiecks gefehlt. An diesem seien durch die Baumaßnahmen außerdem Risse entstanden, die sich nach und nach vergrößert hätten. Trotz der Dringlichkeit der im Rahmen des Erweiterungsbaus insoweit erforderlich gewordenen umfangreicheren Baumaßnahme zum Schutz des neuen Wohnraums vor Feuchtigkeit habe diese "dauerhaft” erst Jahre später durchgeführt werden können, da die zuvor umgehend zugesagte Entfernung der Freileitung sich immer wieder verzögert habe. Im Herbst 1983 sei er zu der Überlegung gekommen, außen Schiefer mit einer weit genug von der Giebelfläche abstehenden Unterkonstruktion anzufertigen. Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1985 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, daß nach den Planunterlagen und der Baubeschreibung aufgrund des Erweiterungsbaus keine Baumaßnahmen an der Giebelwand geplant gewesen seien.
Die am 27. November 1985 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Fulda nach Anhörung des Klägers durch Urteil vom 20. November 1986 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei nicht bei der Herstellung öffentlich geförderten Wohnraums bzw. bei Arbeiten verunglückt, die noch der Schaffung von Wohnraum gedient hätten. Vielmehr könnten die Arbeiten, selbst wenn sie dem Neubau gedient hätten, nur als unversicherte Reparatur- bzw. Nachbesserungsarbeiten angesehen werden. Die Verkleidung der Giebelwand sei den Umständen nach nicht Teil der Planung für den Anbau gewesen, sondern habe sich erst im Verlaufe der Zeit als notwendig erwiesen und sei erst im Herbst 1983 vom Kläger beschlossen worden. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) z.B. für den nachträglichen Anbau einer Garage und den späteren Anschluß an eine Kanalisation Versicherungsschutz bejaht. In beiden Fällen habe es sich jedoch um modernen Anforderungen an Wohnqualität entsprechende ergänzende Baumaßnahmen gehandelt. Dagegen habe der Kläger sich Jahre nach Abschluß der Bauarbeiten genötigt gesehen, durch eine zusätzliche Verschalung die Folgen der geplanten und durchgeführten Baugestaltung – teilweiser Abbruch der Wand und Abstützen des Giebeldreieckes – zu beseitigen oder abzuschwächen.
Gegen das an ihn am 23. Januar 1987 zur Post aufgelieferte Urteil hat der Kläger am 17. Februar 1987 Berufung eingelegt. Er beanstandet, daß seine Angaben nicht richtig interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Tatsächlich sei es so gewesen, daß die durchgeführten Arbeiten im Bauverlauf ergänzend erforderlich und zu dieser Zeit auch schon beschlossen worden seien, weil eine bauliche Vollendung der Dachkonstruktion für den Neubau gefehlt habe, nachdem die Giebeloberfläche wegen Feuchtedurchlässigkeit nach unten für den Erweiterungsbau nicht die ihr zugedachte Funktion habe erfüllen können. Erst durch die errichtete Wandschale sei auch das mit dem Bauvorhaben untrennbar verknüpfte Ziel erreicht worden, für den zusätzlichen Wohnraum ein Bauwerk herzustellen, wie es allgemeinen Anforderungen entspreche. Das alte Haus sei hingegen weiterhin vollständig geschützt gewesen und habe allein schon wegen der Isolierpappe unter dem Giebelputz keine derartige Baumaßnahme erforderlich gemacht. Da er seinerzeit auf eine baldige Verkabelung gehofft habe, habe er geglaubt, daß sich der Schaden für den Erweiterungsbau in vertretbarem Rahmen halten werde. Als sich die Entfernung der Starkstromleitung immer länger hinausgezögert habe, habe er sich bemüht, für die weitere unfreiwillige Überbrückungszeit größerem Schaden möglichst vorzubeugen. Die Insoweit getätigten Aufwendungen und Vorkehrungen könnten nach Art und Bestimmung keinesfalls als Fertigstellungsarbeiten, sondern nur als Provisorien angesehen werden. Sie seien von vornherein nur als "behelfsmäßig” gedacht und gewertet worden und hätten sich zwangsläufig als solche erwiesen. Nach Entfernung der Starkstromleitung habe er wegen Schmerzen in der linken Seite zunächst nur bereits angefangene Selbsthilfearbeiten fertigstellen können. Nach einer Leistenbruchoperation links im Mai 1983 habe er dann sobald wie möglich mit der Verkleidung des Giebels begonnen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. November 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 30. Dezember 1983 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Vortrag des Klägers, daß die durchgeführten Arbeiten sich bereits während des Bauverlaufs als erforderlich erwiesen hätten und Abdichtarbeiten nur als Provisorium gedacht gewesen seien, widerspreche seinen Ausführungen in der Klageschrift, daß "Abdichtarbeiten sich in den Jahren als behelfsmäßig erwiesen” hätten. Daraus ergebe sich, daß diese als dauerhaft und endgültig gedacht gewesen seien. Wenn dieses Ziel nicht erreicht worden sei, so könne daraus nicht abgeleitet werden, daß es gar nicht erstrebt worden sei. Sofern es dem Kläger tatsächlich um eine Abdichtung gegangen wäre, hätte er diese außerdem längst z.B. durch eine kostengünstige, dauerhafte und wirksame Zinkblechverwahrung entlang der Anschlußstelle von Alt- und Neubau erreichen können. Demgegenüber komme die Verschindelung ausschließlich dem Altbau zugute und entfalte in Bezug auf den Neubau lediglich Reflexwirkung.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1988 den Kläger erneut angehört. Wegen seiner Angaben im einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige (§§ 143 ff., 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) Berufung ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Entschädigung des Unfalls vom 30. Dezember 1983, weil es sich hierbei um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO gehandelt hat, für den die Zuständigkeit des Beklagten gegeben ist (§§ 657 Abs. 1 Nr. 8, 656 Abs. 2 RVO). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger den Unfall vom 30. Dezember 1983 infolge einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO versicherten Tätigkeit erlitten hat.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO sind gegen Arbeitsunfall Personen versichert, die beim Bau eines Familienheims im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Als "Bau” eines Familienheims ist dabei nicht nur der Neubau, sondern auch der Ausbau und die Erweiterung eines bestehenden Familienheims i.S. des § 17 II. WoBauG anzusehen, falls dadurch – wie hier – für die Familie des Bauherrn zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird und die Wohnflächengrenzen des steuerbegünstigten Wohnungsbaus nicht überschritten werden (BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 7; Urteil des BSG vom 11. August 1988 – 2 RU 77/87). Letzteres ist bei 6 Personen und einer Gesamtwohnfläche von 174,05 qm nach Durchführung des Erweiterungsbaus nicht der Fall (§ 82 i.V.m. § 39 Abs. 1 II. WoBauG). Ob es sich wegen des von der Hessischen Landesbank unter dem 7. November 1975 bewilligten Darlehens und des Zinszuschusses um eine öffentlich geförderte Wohnung im Sinne der §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 II. WoBauG handelte, kann dahinstehen. Jedenfalls war die Steuerbegünstigung für das Bauvorhaben des Klägers durch Bescheid vom 22. Januar 1979 anerkannt. Dies ist für den Unfallversicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 124 m.w.N.).
Daß der Betrag, der durch den Wert der vom Kläger geleisteten Selbsthilfe gegenüber den üblichen Unternehmerkosten erspart wurde, wenigstens 1,5 v.H. der Gesamtkosten des Erweiterungsbaus gedeckt hat (BSGE 28, 122), ist nach dem vorgelegten "Nachweis der Selbst- und Verwandtenhilfe” vom 28. Juli 1975 und den Angaben des Klägers vom 24. Januar 1985 gegenüber der Ortspolizeibehörde Bad Hersfeld eindeutig und im übrigen auch unstreitig.
Auch die weiteren Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO sind erfüllt. Die vom Kläger am Unfalltag – 30. Dezember 1983 – unter Verwendung von Eternitschiefer und einer Holzunterkonstruktion vor dem Giebeldreieck des Altbaus oberhalb des Flachdachanschlusses angebrachte Wandschale diente nach seinen Angaben und auch den Feststellungen des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten dazu, das Eindringen von Feuchtigkeit in den Erweiterungsbau zu verhindern, während der Altbau insoweit weiterhin ausreichend, geschützt war. Wie der Kläger stets vorgetragen und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1988 näher erläutert hat, hatte sich bereits im Zuge der Bauerstellung bzw. Mitte der 70er Jahre (1975/76) nach Auftragen des Flachdachs herausgestellt, daß Feuchtigkeit in den Erweiterungsbau eindrang. Dies beruhte darauf, daß nach dem teilweisen Abbruch der Giebelwand des Altbaus zur Erstellung des Erweiterungsbaus die obere Geschoßdecke des Erweiterungsbaus nicht bis unter das verbliebene Giebeldreieck (Fachwerkbauweise) gezogen wurde, insoweit eine Isolierung nach unten fehlte und durch die teilweise Herausnahme der Wand sowie die Abstützarbeiten außerdem Risse im Giebeldreieck entstanden waren. Deshalb war dem Kläger auch schon 1975 vom Baumeister empfohlen worden, vor der Giebelwand hochzumauern. Diese oder andere bauliche Maßnahmen zum Schütze des Erweiterungsbaus vor eindringendem Regenwasser wurden vom Kläger jedoch nicht getroffen. Vielmehr zog er nach seinen Ausführungen vor dem Senat damals lediglich eine Plane bzw. Folie vom Flachdach an der Giebelwand hoch, klebte diese dort an und erneuerte sie in den nachfolgenden Jahren, wenn sich der Klebstoff löste. Etwas anderes wurde vom Kläger nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils offensichtlich auch bei seiner Anhörung vor dem SG nicht vorgetragen.
Damit steht zunächst fest, daß das Anbringen der Wandschale am 30. Dezember 1983 und der damit zusammenhängende unfallbringende Abtransport von Werkzeug und restlichem Baumaterial rechtlich wesentlich dem steuerbegünstigten neu geschaffenen Wohnraum, nämlich seinem dauerhaften Schutz vor eindringendem Regenwasser, dienten. Daß die Baumaßnahme zugleich auch dem nicht öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Altbau zugute kam, schon weil sie im wesentlichen an dem dazugehörigen Giebeldreieck durchgeführt wurde und den Altbau eventuell noch besser schützte, ist unerheblich (vgl. Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 – 2 RU 34/85 in NJW 1987, 863). Das Verkleiden der Giebelwand hat darüber hinaus auch noch in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Durchführung des als steuerbegünstigt anerkannten Bauvorhabens gestanden, selbst wenn die Baumaßnahme erst 6 Jahre nach Bezug des Erweiterungsbaus durchgeführt wurde. Für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO ist es weder erforderlich, daß die Selbsthilfe unmittelbar dem Ausbau des Wohnraums dient noch muß sie vor oder unmittelbar nach dem Einzug in das Familienheim verrichtet werden. Bei Nachfolgearbeiten kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob sie "noch als eine sachgemäße Ergänzung oder Vollendung” des Familienheimbaus (Erweiterungsbaus) zu betrachten sind (BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 7; Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 a.a.O., Bayer. LSG in Breithaupt 1984, 24). Das kann nicht nur bei nachträglichen Baumaßnahmen zu bejahen sein, die unter den modernen Verkehrsverhältnissen als notwendige Ergänzung zur zeitgemäßen Ausstattung eines Familienheims anzusehen sind, wie z.B. der nachträgliche Bau einer Garage oder der nachträgliche Anschluß des steuerbegünstigten Familienheims an die Kanalisation (vgl. dazu BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 26; Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 a.a.O.). In Betracht kommen ebenso gut Bauarbeiten, die der Absicherung des Familienheims dienen bzw. eine für die Bewohnbarkeit und Erhaltung des Familienheims erforderliche Ergänzung des gesamten öffentlich geförderten Bauvorhabens darstellen, wie z.B. die Errichtung einer Stützmauer in Form einer Garagenwand (BSG SozR § 539 RVO Nr. 5) oder die nachträgliche Isolierung der Kelleraußenmauern (Bayer. LSG in Breithaupt 1984, 24). Um eine derartige Maßnahme hat es sich auch bei dem Anbringen der Wandschale im Dezember 1983 durch den Kläger gehandelt. Denn der Erweiterungsbau war unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor eindringendem Regenwasser noch nicht hergestellt bzw. vollendet, nachdem sich noch während der Bauarbeiten 1975/76 herausgestellt hatte, daß die ursprünglich für ausreichend erachtete und durchgeführte Dachkonstruktion insoweit nicht ausreichte. Das Anbringen und Ankleben von Planen bzw. Folien und deren Erneuerung stellen keine baulichen Maßnahmen zur Vollendung oder nachträglichen Ergänzung des Erweiterungsbaus in dieser Beziehung dar, so daß auch sie nicht dazu führen können, das spätere Anbringen der Wandschale als bloße Reparatur- bzw. Ausbesserungsarbeit zu werten. Vielmehr handelte es sich der Art nach eindeutig um "provisorische” bzw. "behelfsmäßige” Maßnahmen, so daß dem Kläger schon deshalb zu glauben ist, daß sie von ihm auch subjektiv nur als solche gedacht waren. Daß eine einzelne Arbeit, durch die ein nach dem II. WoBauG im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 anerkanntes Bauwerk nachträglich ergänzt wird, bereits im Finanzierungs- oder Bauplan oder jedenfalls noch vor Bezug der Wohnung vorgesehen wurde, wird für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO nicht verlangt (so im Ergebnis BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 26; vgl. auch BSG SozR § 539 RVO Nr. 6). Abgesehen davon hat der Kläger den Umständen nach glaubhaft erklärt, daß ihm die Notwendigkeit umfangreicherer Bauarbeiten zum dauerhaften Schutz des Erweiterungsbaus vor Feuchtigkeit schon während der Bauarbeiten klar war und er sich, da er eine Fremdleistung wie z.B. das Hochziehen einer Mauer vor dem Giebeldreieck nicht mehr finanzieren konnte, auch bereits damals entschloß, das Giebeldreieck selbst mit einer ihm in Eigenarbeit möglichen Montage zu versehen; lediglich die Entscheidung über die konkrete Art der Ausführung – Eternitschieferabdeckung – wurde erst 1983 getroffen.
Schließlich ist von der Rechtsprechung bislang auch keine feste zeitliche Höchstgrenze bestimmt worden, innerhalb derer nach dem Bezug des Hauses Selbsthilfearbeiten noch als versichert gelten. Es wurde lediglich erwogen, ob die für die Steuerbegünstigung beim Bau eines Familienheims jeweils festgelegten Zeiträume, wie z.B. die 10-Jahresfrist nach § 94 II. WoBauG, als allgemeine zeitliche Grenze anzusehen sind (BSG SozR § 539 RVO Nr. 26; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 69). Im übrigen kann der zeitliche Abstand zwischen dem Bezug des Familienheims (Erweiterungsbaus) und den später durchgeführten Selbsthilfearbeiten nur ein Kriterium dafür bilden, ob im Einzelfall Bauarbeiten "noch eine sachgemäße Ergänzung oder Vollendung des Familienheims” oder bereits eine Ausbesserung oder Reparatur darstellen (BSG SozR § 539 RVO Nr. 26; Vollmar in SozVers 1967, 280, 283). Demgemäß wurde beim Bau einer Garage bzw. Errichten einer unbedingt erforderlichen Stützmauer für das Familienheim im Form einer Garagenwand ein Abstand von 4 Jahren (BSG SozR § 539 RVO Nr. 5) und beim nachträglichen Anschluß des anerkannten Familienheims an die Kanalisation aufgrund öffentlich-rechtlichen Zwangs ein Abstand von 7 Jahren den Umständen nach als unschädlich gewertet. Entsprechendes muß auch im vorliegenden Fall gelten, zumal es für den Zeitraum von ca. 6 Jahren zwischen dem Bezug des Erweiterungsbaus und dem Beginn der Verkleidung des Giebeldreiecks nach dem Vortrag des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nachvollziehbare und einsichtige Gründe gibt. Insbesondere war es auch nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten vom 17. Mai 1985 vor Abnahme der am Giebeldreieck angebrachten Freileitung, die sich wider Erwarten immer wieder verzögerte und schließlich dann erst Ende August 1982 erfolgte, gar nicht möglich oder jedenfalls nicht zweckmäßig, eine Abdichtung durch Verkleidung der Giebelwand vorzunehmen. Danach war der Kläger zunächst noch aus gesundheitlichen Gründen, u.a. wegen einer Leistenbruchoperation im Mai 1983 gehindert, mit den beabsichtigten Arbeiten zu beginnen. Ob er – wie der Beklagte meint – die erforderliche Abdichtung dauerhaft auch auf andere Weise, z.B. durch das Anbringen einer Zinkblechverwahrung, hätte erreichen können ist unerheblich. Denn der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO hängt allgemein nicht davon ab, daß ein anerkanntes Bauwerk in bestimmter Weise hergestellt bzw. vervollständigt oder ergänzt wird, ganz abgesehen davon, daß dem Kläger eine Blechverkleidung seinen glaubhaften Angaben zufolge von keiner Seite empfohlen worden war. Entscheidend ist, daß der Kläger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen noch keine baulichen oder sonstigen Maßnahmen getroffen hatte, die dazu bestimmt und geeignet waren, den Erweiterungsbau dauerhaft vor eindringendem Regenwasser zu schützen und das Anbringen der Wandschale im Dezember 1983 die erste Maßnahme dieser Art seit Feststellung des Mangels noch während der Durchführung der Bauarbeiten in den Jahren 1975/76 darstellte.
Die Berufung mußte demnach Erfolg haben. Da nach der Art der durch den Arbeitsunfall vom 30. Dezember 1983 erlittenen Verletzungen die Gewährung von Mindestleistungen wahrscheinlich ist, konnte der Senat auch ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Entschädigung eines Unfalls vom 30. Dezember 1983 als Arbeitsunfall. Er ist der Auffassung, daß er bei Selbsthilfearbeiten im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt ist.
In den Jahren 1951 bis 1955 errichtete der Schwiegervater des Klägers ein Familienheim, für das öffentliche Mittel und eine Steuerbegünstigung nach dem II. Wohnungsbaugesetz (WoBauG) nicht beantragt und bewilligt wurden. Im Oktober 1974 wurde der Plan des Klägers für eine Erweiterung des inzwischen von ihm und seiner Familie bewohnten Wohnhauses genehmigt (geschätzte Baukosten 85.900,– DM, Anteil der Selbsthilfe 12.500,– DM). Unter dem 17. November 1975 wurden dem Kläger hierfür von der Hessischen Landesbank ein zinsvergünstigtes Darlehen von 8.000,– DM und ein Zinszuschuß bewilligt. Durch Bescheid vom 22. Januar 1979 erkannte der Magistrat der Kreisstadt B. H. 58,64 qm neu geschaffene Wohnfläche im Erdgeschoß durch Erweiterung des bestehenden Familienheims (Eigenheims) – Gesamtwohnfläche 174,08 qm – als steuerbegünstigte Wohnung nach § 82 II. WoBauG an. Bei dem Bauvorhaben handelte es sich um einen eingeschossigen Flachdachanbau, der unter Einbeziehung einer Giebelwand des Altbaus errichtet wurde. Hierzu mußte die Wand teilweise herausgenommen und das darüber befindliche Giebeldreieck durch einen Eisenträger und zwei gemauerte Stützpfeiler unterfangen werden. Der Erweiterungsbau war laut Anerkennungsbescheid seit Dezember 1977 bezugsfertig.
Am 30. Dezember 1983 errichtete der Kläger auf dem Flachdachanbau unter Verwendung von Eternitschiefer und einer Holzunterkonstruktion eine Wandschale, die er dem Giebeldreieck des Altbaus oberhalb des Flachdachanbaus vorsetzte. Beim Wegräumen des Werkzeugs und des nicht verbrauchten Materials stürzte er aus ca. 1,50 bis 2 Meter Höhe von einer an den Flachdachanbau angelehnten Leiter und zog sich hierbei einen Schenkelhalsbruch links, einen Nierenriß links und Prellungen zu. Er wurde bis zum 21. Januar 1984 stationär behandelt und erhielt eine keramische Hüftprothese. Im Aktenvermerk des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten vom 17. Mai 1985 hieß es, daß der Kläger das Giebeldreieck über dem Flachdachanbau mit Eternitschindeln zum Schutz gegen Wind und Regen verkleidet habe. Damit der Regen u.a. nicht zwischen Giebelwand und Flachdach eindringen könne, habe der Kläger sich für diese Verkleidung anstelle von Putz entschieden. Da eine am Giebeldreieck des Altbaus angebrachte Freileitung erst 1982 (August) entfernt worden sei, habe ein Verputzen oder Verschindeln frühestens ab diesem Zeitpunkt in Angriff genommen werden können. Durch Bescheid vom 19. Juli 1985 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO versichert gewesen sei. Die durchgeführten Arbeiten seien für das nicht steuerbegünstigte alte Wohnhaus und nicht für den Flachdachanbau durchgeführt worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger u.a. geltend, daß die Arbeiten am Giebeldreieck ausschließlich durch den freitragend an die Giebelwand anschließenden Flachdachanbau im Zuge der Bauerstellung erforderlich geworden sei und dem Schutz des darunterliegenden neu geschaffenen Wohnraums vor Feuchtigkeit von oben gedient habe. Durch die teilweise Herausnahme der Giebelwand habe nunmehr eine Isolierung unterhalb des Giebeldreiecks gefehlt. An diesem seien durch die Baumaßnahmen außerdem Risse entstanden, die sich nach und nach vergrößert hätten. Trotz der Dringlichkeit der im Rahmen des Erweiterungsbaus insoweit erforderlich gewordenen umfangreicheren Baumaßnahme zum Schutz des neuen Wohnraums vor Feuchtigkeit habe diese "dauerhaft” erst Jahre später durchgeführt werden können, da die zuvor umgehend zugesagte Entfernung der Freileitung sich immer wieder verzögert habe. Im Herbst 1983 sei er zu der Überlegung gekommen, außen Schiefer mit einer weit genug von der Giebelfläche abstehenden Unterkonstruktion anzufertigen. Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1985 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, daß nach den Planunterlagen und der Baubeschreibung aufgrund des Erweiterungsbaus keine Baumaßnahmen an der Giebelwand geplant gewesen seien.
Die am 27. November 1985 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Fulda nach Anhörung des Klägers durch Urteil vom 20. November 1986 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei nicht bei der Herstellung öffentlich geförderten Wohnraums bzw. bei Arbeiten verunglückt, die noch der Schaffung von Wohnraum gedient hätten. Vielmehr könnten die Arbeiten, selbst wenn sie dem Neubau gedient hätten, nur als unversicherte Reparatur- bzw. Nachbesserungsarbeiten angesehen werden. Die Verkleidung der Giebelwand sei den Umständen nach nicht Teil der Planung für den Anbau gewesen, sondern habe sich erst im Verlaufe der Zeit als notwendig erwiesen und sei erst im Herbst 1983 vom Kläger beschlossen worden. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) z.B. für den nachträglichen Anbau einer Garage und den späteren Anschluß an eine Kanalisation Versicherungsschutz bejaht. In beiden Fällen habe es sich jedoch um modernen Anforderungen an Wohnqualität entsprechende ergänzende Baumaßnahmen gehandelt. Dagegen habe der Kläger sich Jahre nach Abschluß der Bauarbeiten genötigt gesehen, durch eine zusätzliche Verschalung die Folgen der geplanten und durchgeführten Baugestaltung – teilweiser Abbruch der Wand und Abstützen des Giebeldreieckes – zu beseitigen oder abzuschwächen.
Gegen das an ihn am 23. Januar 1987 zur Post aufgelieferte Urteil hat der Kläger am 17. Februar 1987 Berufung eingelegt. Er beanstandet, daß seine Angaben nicht richtig interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Tatsächlich sei es so gewesen, daß die durchgeführten Arbeiten im Bauverlauf ergänzend erforderlich und zu dieser Zeit auch schon beschlossen worden seien, weil eine bauliche Vollendung der Dachkonstruktion für den Neubau gefehlt habe, nachdem die Giebeloberfläche wegen Feuchtedurchlässigkeit nach unten für den Erweiterungsbau nicht die ihr zugedachte Funktion habe erfüllen können. Erst durch die errichtete Wandschale sei auch das mit dem Bauvorhaben untrennbar verknüpfte Ziel erreicht worden, für den zusätzlichen Wohnraum ein Bauwerk herzustellen, wie es allgemeinen Anforderungen entspreche. Das alte Haus sei hingegen weiterhin vollständig geschützt gewesen und habe allein schon wegen der Isolierpappe unter dem Giebelputz keine derartige Baumaßnahme erforderlich gemacht. Da er seinerzeit auf eine baldige Verkabelung gehofft habe, habe er geglaubt, daß sich der Schaden für den Erweiterungsbau in vertretbarem Rahmen halten werde. Als sich die Entfernung der Starkstromleitung immer länger hinausgezögert habe, habe er sich bemüht, für die weitere unfreiwillige Überbrückungszeit größerem Schaden möglichst vorzubeugen. Die Insoweit getätigten Aufwendungen und Vorkehrungen könnten nach Art und Bestimmung keinesfalls als Fertigstellungsarbeiten, sondern nur als Provisorien angesehen werden. Sie seien von vornherein nur als "behelfsmäßig” gedacht und gewertet worden und hätten sich zwangsläufig als solche erwiesen. Nach Entfernung der Starkstromleitung habe er wegen Schmerzen in der linken Seite zunächst nur bereits angefangene Selbsthilfearbeiten fertigstellen können. Nach einer Leistenbruchoperation links im Mai 1983 habe er dann sobald wie möglich mit der Verkleidung des Giebels begonnen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. November 1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 30. Dezember 1983 als Arbeitsunfall in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Vortrag des Klägers, daß die durchgeführten Arbeiten sich bereits während des Bauverlaufs als erforderlich erwiesen hätten und Abdichtarbeiten nur als Provisorium gedacht gewesen seien, widerspreche seinen Ausführungen in der Klageschrift, daß "Abdichtarbeiten sich in den Jahren als behelfsmäßig erwiesen” hätten. Daraus ergebe sich, daß diese als dauerhaft und endgültig gedacht gewesen seien. Wenn dieses Ziel nicht erreicht worden sei, so könne daraus nicht abgeleitet werden, daß es gar nicht erstrebt worden sei. Sofern es dem Kläger tatsächlich um eine Abdichtung gegangen wäre, hätte er diese außerdem längst z.B. durch eine kostengünstige, dauerhafte und wirksame Zinkblechverwahrung entlang der Anschlußstelle von Alt- und Neubau erreichen können. Demgegenüber komme die Verschindelung ausschließlich dem Altbau zugute und entfalte in Bezug auf den Neubau lediglich Reflexwirkung.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1988 den Kläger erneut angehört. Wegen seiner Angaben im einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige (§§ 143 ff., 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) Berufung ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Entschädigung des Unfalls vom 30. Dezember 1983, weil es sich hierbei um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 RVO gehandelt hat, für den die Zuständigkeit des Beklagten gegeben ist (§§ 657 Abs. 1 Nr. 8, 656 Abs. 2 RVO). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger den Unfall vom 30. Dezember 1983 infolge einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO versicherten Tätigkeit erlitten hat.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO sind gegen Arbeitsunfall Personen versichert, die beim Bau eines Familienheims im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Als "Bau” eines Familienheims ist dabei nicht nur der Neubau, sondern auch der Ausbau und die Erweiterung eines bestehenden Familienheims i.S. des § 17 II. WoBauG anzusehen, falls dadurch – wie hier – für die Familie des Bauherrn zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird und die Wohnflächengrenzen des steuerbegünstigten Wohnungsbaus nicht überschritten werden (BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 7; Urteil des BSG vom 11. August 1988 – 2 RU 77/87). Letzteres ist bei 6 Personen und einer Gesamtwohnfläche von 174,05 qm nach Durchführung des Erweiterungsbaus nicht der Fall (§ 82 i.V.m. § 39 Abs. 1 II. WoBauG). Ob es sich wegen des von der Hessischen Landesbank unter dem 7. November 1975 bewilligten Darlehens und des Zinszuschusses um eine öffentlich geförderte Wohnung im Sinne der §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 II. WoBauG handelte, kann dahinstehen. Jedenfalls war die Steuerbegünstigung für das Bauvorhaben des Klägers durch Bescheid vom 22. Januar 1979 anerkannt. Dies ist für den Unfallversicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 124 m.w.N.).
Daß der Betrag, der durch den Wert der vom Kläger geleisteten Selbsthilfe gegenüber den üblichen Unternehmerkosten erspart wurde, wenigstens 1,5 v.H. der Gesamtkosten des Erweiterungsbaus gedeckt hat (BSGE 28, 122), ist nach dem vorgelegten "Nachweis der Selbst- und Verwandtenhilfe” vom 28. Juli 1975 und den Angaben des Klägers vom 24. Januar 1985 gegenüber der Ortspolizeibehörde Bad Hersfeld eindeutig und im übrigen auch unstreitig.
Auch die weiteren Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO sind erfüllt. Die vom Kläger am Unfalltag – 30. Dezember 1983 – unter Verwendung von Eternitschiefer und einer Holzunterkonstruktion vor dem Giebeldreieck des Altbaus oberhalb des Flachdachanschlusses angebrachte Wandschale diente nach seinen Angaben und auch den Feststellungen des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten dazu, das Eindringen von Feuchtigkeit in den Erweiterungsbau zu verhindern, während der Altbau insoweit weiterhin ausreichend, geschützt war. Wie der Kläger stets vorgetragen und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 1988 näher erläutert hat, hatte sich bereits im Zuge der Bauerstellung bzw. Mitte der 70er Jahre (1975/76) nach Auftragen des Flachdachs herausgestellt, daß Feuchtigkeit in den Erweiterungsbau eindrang. Dies beruhte darauf, daß nach dem teilweisen Abbruch der Giebelwand des Altbaus zur Erstellung des Erweiterungsbaus die obere Geschoßdecke des Erweiterungsbaus nicht bis unter das verbliebene Giebeldreieck (Fachwerkbauweise) gezogen wurde, insoweit eine Isolierung nach unten fehlte und durch die teilweise Herausnahme der Wand sowie die Abstützarbeiten außerdem Risse im Giebeldreieck entstanden waren. Deshalb war dem Kläger auch schon 1975 vom Baumeister empfohlen worden, vor der Giebelwand hochzumauern. Diese oder andere bauliche Maßnahmen zum Schütze des Erweiterungsbaus vor eindringendem Regenwasser wurden vom Kläger jedoch nicht getroffen. Vielmehr zog er nach seinen Ausführungen vor dem Senat damals lediglich eine Plane bzw. Folie vom Flachdach an der Giebelwand hoch, klebte diese dort an und erneuerte sie in den nachfolgenden Jahren, wenn sich der Klebstoff löste. Etwas anderes wurde vom Kläger nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils offensichtlich auch bei seiner Anhörung vor dem SG nicht vorgetragen.
Damit steht zunächst fest, daß das Anbringen der Wandschale am 30. Dezember 1983 und der damit zusammenhängende unfallbringende Abtransport von Werkzeug und restlichem Baumaterial rechtlich wesentlich dem steuerbegünstigten neu geschaffenen Wohnraum, nämlich seinem dauerhaften Schutz vor eindringendem Regenwasser, dienten. Daß die Baumaßnahme zugleich auch dem nicht öffentlich geförderten oder steuerbegünstigten Altbau zugute kam, schon weil sie im wesentlichen an dem dazugehörigen Giebeldreieck durchgeführt wurde und den Altbau eventuell noch besser schützte, ist unerheblich (vgl. Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 – 2 RU 34/85 in NJW 1987, 863). Das Verkleiden der Giebelwand hat darüber hinaus auch noch in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Durchführung des als steuerbegünstigt anerkannten Bauvorhabens gestanden, selbst wenn die Baumaßnahme erst 6 Jahre nach Bezug des Erweiterungsbaus durchgeführt wurde. Für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO ist es weder erforderlich, daß die Selbsthilfe unmittelbar dem Ausbau des Wohnraums dient noch muß sie vor oder unmittelbar nach dem Einzug in das Familienheim verrichtet werden. Bei Nachfolgearbeiten kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob sie "noch als eine sachgemäße Ergänzung oder Vollendung” des Familienheimbaus (Erweiterungsbaus) zu betrachten sind (BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 7; Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 a.a.O., Bayer. LSG in Breithaupt 1984, 24). Das kann nicht nur bei nachträglichen Baumaßnahmen zu bejahen sein, die unter den modernen Verkehrsverhältnissen als notwendige Ergänzung zur zeitgemäßen Ausstattung eines Familienheims anzusehen sind, wie z.B. der nachträgliche Bau einer Garage oder der nachträgliche Anschluß des steuerbegünstigten Familienheims an die Kanalisation (vgl. dazu BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 26; Urteil des BSG vom 30. Januar 1986 a.a.O.). In Betracht kommen ebenso gut Bauarbeiten, die der Absicherung des Familienheims dienen bzw. eine für die Bewohnbarkeit und Erhaltung des Familienheims erforderliche Ergänzung des gesamten öffentlich geförderten Bauvorhabens darstellen, wie z.B. die Errichtung einer Stützmauer in Form einer Garagenwand (BSG SozR § 539 RVO Nr. 5) oder die nachträgliche Isolierung der Kelleraußenmauern (Bayer. LSG in Breithaupt 1984, 24). Um eine derartige Maßnahme hat es sich auch bei dem Anbringen der Wandschale im Dezember 1983 durch den Kläger gehandelt. Denn der Erweiterungsbau war unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor eindringendem Regenwasser noch nicht hergestellt bzw. vollendet, nachdem sich noch während der Bauarbeiten 1975/76 herausgestellt hatte, daß die ursprünglich für ausreichend erachtete und durchgeführte Dachkonstruktion insoweit nicht ausreichte. Das Anbringen und Ankleben von Planen bzw. Folien und deren Erneuerung stellen keine baulichen Maßnahmen zur Vollendung oder nachträglichen Ergänzung des Erweiterungsbaus in dieser Beziehung dar, so daß auch sie nicht dazu führen können, das spätere Anbringen der Wandschale als bloße Reparatur- bzw. Ausbesserungsarbeit zu werten. Vielmehr handelte es sich der Art nach eindeutig um "provisorische” bzw. "behelfsmäßige” Maßnahmen, so daß dem Kläger schon deshalb zu glauben ist, daß sie von ihm auch subjektiv nur als solche gedacht waren. Daß eine einzelne Arbeit, durch die ein nach dem II. WoBauG im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 15 anerkanntes Bauwerk nachträglich ergänzt wird, bereits im Finanzierungs- oder Bauplan oder jedenfalls noch vor Bezug der Wohnung vorgesehen wurde, wird für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO nicht verlangt (so im Ergebnis BSG SozR § 539 RVO Nrn. 5, 26; vgl. auch BSG SozR § 539 RVO Nr. 6). Abgesehen davon hat der Kläger den Umständen nach glaubhaft erklärt, daß ihm die Notwendigkeit umfangreicherer Bauarbeiten zum dauerhaften Schutz des Erweiterungsbaus vor Feuchtigkeit schon während der Bauarbeiten klar war und er sich, da er eine Fremdleistung wie z.B. das Hochziehen einer Mauer vor dem Giebeldreieck nicht mehr finanzieren konnte, auch bereits damals entschloß, das Giebeldreieck selbst mit einer ihm in Eigenarbeit möglichen Montage zu versehen; lediglich die Entscheidung über die konkrete Art der Ausführung – Eternitschieferabdeckung – wurde erst 1983 getroffen.
Schließlich ist von der Rechtsprechung bislang auch keine feste zeitliche Höchstgrenze bestimmt worden, innerhalb derer nach dem Bezug des Hauses Selbsthilfearbeiten noch als versichert gelten. Es wurde lediglich erwogen, ob die für die Steuerbegünstigung beim Bau eines Familienheims jeweils festgelegten Zeiträume, wie z.B. die 10-Jahresfrist nach § 94 II. WoBauG, als allgemeine zeitliche Grenze anzusehen sind (BSG SozR § 539 RVO Nr. 26; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 69). Im übrigen kann der zeitliche Abstand zwischen dem Bezug des Familienheims (Erweiterungsbaus) und den später durchgeführten Selbsthilfearbeiten nur ein Kriterium dafür bilden, ob im Einzelfall Bauarbeiten "noch eine sachgemäße Ergänzung oder Vollendung des Familienheims” oder bereits eine Ausbesserung oder Reparatur darstellen (BSG SozR § 539 RVO Nr. 26; Vollmar in SozVers 1967, 280, 283). Demgemäß wurde beim Bau einer Garage bzw. Errichten einer unbedingt erforderlichen Stützmauer für das Familienheim im Form einer Garagenwand ein Abstand von 4 Jahren (BSG SozR § 539 RVO Nr. 5) und beim nachträglichen Anschluß des anerkannten Familienheims an die Kanalisation aufgrund öffentlich-rechtlichen Zwangs ein Abstand von 7 Jahren den Umständen nach als unschädlich gewertet. Entsprechendes muß auch im vorliegenden Fall gelten, zumal es für den Zeitraum von ca. 6 Jahren zwischen dem Bezug des Erweiterungsbaus und dem Beginn der Verkleidung des Giebeldreiecks nach dem Vortrag des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nachvollziehbare und einsichtige Gründe gibt. Insbesondere war es auch nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten des Beklagten vom 17. Mai 1985 vor Abnahme der am Giebeldreieck angebrachten Freileitung, die sich wider Erwarten immer wieder verzögerte und schließlich dann erst Ende August 1982 erfolgte, gar nicht möglich oder jedenfalls nicht zweckmäßig, eine Abdichtung durch Verkleidung der Giebelwand vorzunehmen. Danach war der Kläger zunächst noch aus gesundheitlichen Gründen, u.a. wegen einer Leistenbruchoperation im Mai 1983 gehindert, mit den beabsichtigten Arbeiten zu beginnen. Ob er – wie der Beklagte meint – die erforderliche Abdichtung dauerhaft auch auf andere Weise, z.B. durch das Anbringen einer Zinkblechverwahrung, hätte erreichen können ist unerheblich. Denn der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 15 RVO hängt allgemein nicht davon ab, daß ein anerkanntes Bauwerk in bestimmter Weise hergestellt bzw. vervollständigt oder ergänzt wird, ganz abgesehen davon, daß dem Kläger eine Blechverkleidung seinen glaubhaften Angaben zufolge von keiner Seite empfohlen worden war. Entscheidend ist, daß der Kläger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen noch keine baulichen oder sonstigen Maßnahmen getroffen hatte, die dazu bestimmt und geeignet waren, den Erweiterungsbau dauerhaft vor eindringendem Regenwasser zu schützen und das Anbringen der Wandschale im Dezember 1983 die erste Maßnahme dieser Art seit Feststellung des Mangels noch während der Durchführung der Bauarbeiten in den Jahren 1975/76 darstellte.
Die Berufung mußte demnach Erfolg haben. Da nach der Art der durch den Arbeitsunfall vom 30. Dezember 1983 erlittenen Verletzungen die Gewährung von Mindestleistungen wahrscheinlich ist, konnte der Senat auch ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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