L 2 B 181/08 AS ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 512/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 181/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 SGB II
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 2. April 2008 wird abgeändert und teilweise aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2008 einen weiteren monatlichen Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft in Höhe von 124,00 EUR monatlich vorläufig zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die dem Antragsteller entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 4/5 zu tragen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Antragsteller zu gewährenden Zuschusses zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 7 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Der am 1986 geborene Antragsteller besucht seit August 2007 bis voraussichtlich Juli 2010 das Fachgymnasium der Berufsbildenden Schulen M. L ...

Er bewohnt seit Juli 2006 eine eigene Wohnung, für die er eine Kaltmiete von 190,00 EUR zuzüglich Betriebs- und Nebenkostenabschlag von zunächst 60,00 EUR zu zahlen hatte. Seit Januar 2008 betragen die Nebenkostenvorauszahlungen 70,00 EUR. Aufgrund einer mit dem Vermieter wegen seiner finanziellen Situation getroffenen Vereinbarung zahlt der Antragsteller seit Januar 2008 nur noch einen Betrag von 100,00 EUR monatlich als Abschlag auf diese Verbindlichkeiten. Das Warmwasser wird im Mehrfamilienhaus, in dem sich die von dem Antragsteller bewohnte Wohnung befindet, durch die Zentralheizung aufbereitet.

Im Zeitraum vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2008 erhielt der Antragsteller ausweislich eines Bescheides des Landkreises Mansfeld-Südharz Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe 412,00 EUR monatlich.

Am 5. Juli 2007 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 SGB II. Hierauf bewilligte diese vom 1. August 2007 bis zum 31. Januar 2008 einen Zuschuss von monatlich 190,00 EUR. Wie dieser Zuschuss errechnet wurde, ergibt sich nicht aus den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin.

Auf den Fortzahlungsantrag des Antragstellers bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. Januar 2008 für die Zeit vom 1. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2008 einen monatlichen Betrag von 20,00 EUR. Dabei rechnete sie erstmals das von seiner Mutter an den Antragsteller ausgezahlte Kindergeld abzüglich eines Pauschbetrags von 30,00 EUR bei der Ermittlung des ungedeckten Unterkunftsbedarfes an.

Den dagegen vom Antragsteller mit der Begründung, das Kindergeld sei nicht anzurechnen, erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2008 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Antragsteller am 13. Februar 2008 beim Sozialgericht Halle (SG) Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung hat er vorgetragen: Er sei alleinstehend und nicht in der Lage, aus den Gesamtleistungen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er müsse aus den BAföG-Leistungen neben den Unterkunftskosten auch die Fahrten zur Schule bestreiten. So fahre er täglich von S. nach E. , wofür er täglich 10,80 EUR aufwenden müsse. Hinzu kämen Kosten für Fachliteratur sowie Aufwendungen für Strom in Höhe von 48,00 EUR monatlich sowie die GEZ-Gebühren, welche er selbst zahlen müsse.

Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Antragsteller die Bewilligung von weiteren monatlichen Leistungen in Höhe von 190,00 EUR.

Mit Beschluss vom 2. April 2008, der dem Antragsteller am 8. April 2008 zugestellt wurde, lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab und führte zur Begründung aus: § 22 Abs. 7 SGB II sei eine Durchbrechung des in § 7 Abs. 5 SGB II aufgestellten Grundsatzes, nachdem u.a. Schüler, die BAföG beziehen könnten, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten. Die Durchbrechung des Grundsatzes führe dazu, dass hinsichtlich des Anspruchs auf Zuschuss zu den Unterkunftskosten die volle Prüfung nach den Regeln des SGB II durchzuführen sei. Der Anspruch könne sich allein auf die angemessenen und ungedeckten Kosten der Unterkunft beziehen. § 22 Abs. 2a SGB II sei zu beachten. Von den angemessenen tatsächlichen Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sei der Anteil der bereits nach dem BAföG gewährten Zuschüsse für die Unterkunft abzuziehen. Im Grundbedarf von 348,00 EUR sei bereits ein Unterkunftsanteil von 52,00 EUR enthalten. Darüber hinaus erhalte der Antragsteller im Rahmen des BAföGs noch 64,00 EUR gemäß § 12 Abs. 3 BAföG, sodass ein Gesamtbetrag von 116,00 EUR von den Gesamtunterkunftskosten von 260,00 EUR abzuziehen sei. Es verbleibe ein ungedeckter Bedarf von 144,00 EUR. Für diesen Bedarf sei das weitere Einkommen des Antragstellers in Höhe von 154,00 EUR aus Kindergeld anzurechnen. Selbst wenn nach § 21 Abs. 3 BAföG das Kindergeld nicht mehr auf die Ausbildungsförderung angerechnet werde, bedeute dies nicht, dass im Rahmen des § 22 Abs. 7 SGB II ebenso vorzugehen sei. Es sei gerade keine Annexregelung zum BAföG getroffen worden. Ob vom Kindergeldeinkommen ein Freibetrag in Höhe von 30,00 EUR abzuziehen sei, könne offen bleiben. Jedenfalls seien keine weiteren Abzüge für Fahrtkosten, Fachliteratur, Strom und GEZ vorzunehmen. Diese Positionen seien auch nicht nach § 11 SGB II abzugsfähig. Vielmehr würden die aufgeführten Posten mit dem BAföG abgegolten. Dass die Antragsgegnerin einen Abzug für die Kosten der Warmwasserbereitung nicht vorgenommen habe, könne dahinstehen, da der in der Regelleistung nach SGB II enthaltene Energieanteil bei BAföG-Beziehern abzuziehen sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 23. April 2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das SG übersehe, dass in § 22 Abs. 7 SGB II lediglich hinsichtlich der Angemessenheit ausdrücklich auf § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verwiesen werde. Der Verweis auf die Vorschriften zur Berechnung des Zuschusses unter Berücksichtigung der Einkünfte nach § 11 SGB II sei in der Vorschrift jedoch nicht enthalten. Zum Beleg und zur Vertiefung beziehe er sich auf die Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts im Beschluss vom 2. August 2007 (Az. L 9 AS 215/07 ER). Im Übrigen habe die Antragsgegnerin beim Antragsteller dadurch, dass sie ein halbes Jahr lang einen Zuschuss von 190,00 EUR monatlich gewährt habe, einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass er bis zum Abschluss seiner Ausbildung den Zuschuss in derselben Höhe weiter erhalten werde. Der Wegfall des Zuschusses sei für den Antragsteller eine unzumutbare Härte. Es sei die Fortsetzung seiner schulischen Qualifizierung gefährdet. Unter Vorlage von Kopien der Wochenkarten hat der Antragsteller wöchentliche Fahrkosten von S. zur Ausbildungsstelle in E. von 21,30 EUR belegt. Für April 2008 hat angegeben, eine Monatskarte zum Preis von 69,30 EUR für diese Strecke erworben zu haben.

Der Antragsteller beantragt,

der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 2. April 2008 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – Leistungen gemäß § 22 Abs. 7 SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Bei der Berechnung des Zuschusses sei das Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigen. Von dem für die Unterkunft vorgesehenen BAfög-Betrag könnten keine Fahrkosten abgesetzt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist auch überwiegend begründet.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis setzen nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG einen Anordnungsanspruch, also einen materiellen Anspruch, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend zu machen hätten und einen Anordnungsgrund voraus, d.h. es muss eine besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen.

Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht. Es drohen schwere und nicht mehr hinnehmbare Nachteile, wenn der Antragsteller die Leistung bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht vorläufig erhält. Der Antragsteller hat jetzt schon mit seinem Vermieter ein vorübergehendes "Stillhalteabkommen" geschlossen, um nur einen kleinen Vorschuss auf die Miete zahlen zu müssen. Er hat glaubhaft vorgetragen, es drohe der Abbruch seiner Ausbildung am Fachgymnasium, wenn er seine Wohnung nicht finanzieren könne. Es kann ihm daher nicht zugemutet werden, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Senat geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller - zusätzlich zu dem schon gewährten Zuschuss in Höhe von 20 EUR - monatlich einen vorläufigen Anspruch auf einen weiteren Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten gem. § 22 Abs. 7 SGB II in Höhe von 124 EUR monatlich hat.

Nach § 22 Abs. 7 SGB II erhalten u. a. Auszubildende, die von der Leistungsgewährung nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 5, 6 SGB II ausgeschlossen sind und deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 2 und 3 BAföG richtet, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Diese Regelung gilt nach Satz 2 jedoch nicht, wenn die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 2a SGB II wegen Auszuges eines unter 25-Jährigen ohne Zusicherung der Leistungen durch den kommunalen Träger ausgeschlossen ist. Zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis zählt der Antragsteller. Er erhält Leistungen nach dem BAföG, wodurch er von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen ist; sein Bedarf bemisst sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG als Schüler einer Fachoberschule, der nicht bei seinen Eltern wohnt. Gründe für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes nach § 22 Abs. 2a SGB II liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Der Antragsteller ist schon zum 1. September 2006 ausgezogen und hat danach Leistungen nach dem SGB II von der Antragsgegnerin bezogen, wobei die tatsächlichen Unterkunftskosten berücksichtigt wurden. Es ist für das einstweilige Rechtsschutzverfahren davon auszugehen, dass die erforderliche Zusicherung für einen Umzug vorgelegen bzw. ein Anspruch auf die Erteilung einer solchen Zusicherung bestanden hat. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die geschuldeten Kosten für Unterkunft und Heizung von 260 EUR für eine Einzelperson den angemessenen Rahmen des örtlichen Mietwohnungsmarktes überschreiten.

Der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II erfasst nur den nicht schon durch die Leistungen nach dem BAföG gedeckten Bedarf. Die tatsächlichen Gesamtkosten für die Unterkunft und Heizung des Antragstellers betragen 260 EUR. Er erhält gem. § 12 Abs. 3 BAföG einen Betrag für einen zusätzlichen Bedarf für Unterkunftskosten in Höhe von 64 EUR. Dieser wird gezahlt, wenn die Mietkosten für Unterkunft und Nebenkosten einen Betrag von 52 EUR übersteigen. Der vorgenannte Betrag von 52 EUR für die Unterkunftskosten ist bereits im Grundbedarf der BAföG-Leistung enthalten. Der insoweit nicht durch BAföG-Leistungen gedeckte Unterkunftsbedarf beträgt 144 EUR.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Antragsgegnerin kann von diesem ungedeckten Bedarf nicht das um die Versicherungspauschale in Höhe von 30 EUR nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg-II-V) bereinigte Kindergeld in Höhe von noch 124 EUR (154 EUR – 30 EUR) als Einkommen in Abzug gebracht werden.

Ob die Berechnung des Zuschusses sich nach den SGB II-Regelungen oder nach der BAföG-Regelung bestimmt und inwieweit Kindergeld angerechnet werden kann oder nicht, ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass vom allgemeinen Konzept der Anrechnung von Einkommen und Vermögen des SGB II auszugehen sei. Diese Einkommensanrechnung könne sich bei § 22 Abs. 7 SGB II allerdings nur isoliert auf die Kosten der Unterkunft beziehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Februar 2008 - L 7 AS 403/08 ER-B – zitiert nach Juris; OVG Bremen, Beschluss vom 19. Februar 2008 – S 2 B 538/07 – zitiert nach Juris). Nach anderer Auffassung wird vertreten, dass der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II allein von der Höhe der ungedeckten Unterkunftskosten abhänge, ohne dass eine Bedarfs- bzw. Einkommensberechnung nach dem SGB II, insbesondere nach Maßgabe des § 11 SGB II vorzunehmen sei (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25. März 2008 – L 8 B 130/07 – zitiert nach Juris). Zum Teil wird auch die Auffassung vertreten, dass ein Gesamtbedarf nach dem SGB II zu ermitteln sei und diesem das vorhandene, nach Maßstäben des SGB II bereinigte Gesamteinkommen gegenüber zu stellen sei, wobei eine isolierte Anrechnung von Einkommen nur auf den Unterkunftsbedarf nach § 22 Abs. 7 SGB II ausscheide (LSG Berlin-Brandenburg – Beschluss vom 3. Juni 2008 – L 28 B 819/08 AS – zitiert nach Juris).

Der Senat folgt der Auffassung, wonach das bereinigte Kindergeld als Einkommen nicht isoliert von dem Unterkunftsbedarf nach § 22 Abs. 7 SGB II in Abzug gebracht werden darf. Allerdings muss diese ergänzende Leistung zusammen mit der Ausbildungsförderung und dem Kindergeld begrenzt sein auf die fiktive Gesamthöhe aller Leistungen für einen Leistungsempfänger, der nicht von der Leistungsgewährung nach dem SGB II ausgeschlossen ist (diese gesamten Leistungen bestehen aus der ergänzenden SGB II-Leistung, der BAföG-Leistung und dem Kindergeld). Es muss eine komplette fiktive Berechnung der Ansprüche bei einem ergänzenden SGB II-Bezug neben der Leistung der Ausbildungsförderung erfolgen (vgl. im Ergebnis auch SG Berlin Beschluss vom 4. Mai 2007 – S 102 AS 932/07 ER).

Eine isolierte Anrechnung des Kindergeldes bei der Ermittlung des ungedeckten Unterkunftsbedarfes würde zu Wertungswidersprüchen zu der Nichtanrechenbarkeit von Kindergeld als Einkommen im BAföG führen. Auch die Leistungen nach dem BAföG sind bedürftigkeitsabhängig, d. h. Einkommen und Vermögen werden angerechnet (vgl. § 21 BAföG). Diese Anrechnung gilt seit dem 1. April 2001 nicht mehr für Kindergeld (Streichung von § 21 Abs. 3 Nr. 3 BAföG). Diese Gesetzesänderung von § 21 BAföG (durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung – Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19. März 2001) sollte zu einer Anhebung der Bedarfssätze führen, um eine deutliche Ausweitung des Kreises der Förderberechtigten zu erreichen; die Herausnahme des Kindergeldes aus dem Einkommensbegriff habe die gleiche Wirkung wie eine zusätzliche deutliche Anhebung der Freibeträge (vgl. BT-Drucks. 14/4731, S. 21; zu dem Zusammenhang mit dem Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 – 2 BvR 1057/91 - zu der Erweiterung der steuerlichen Freibeträge um einen Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung vgl. Hess LSG, Beschluss vom 24. April 2008 – L 7 AS 10/08 B ER). Diesem Ziel würde eine isolierte Anrechnung des Kindergeldes bei den ungedeckten Unterkunftskosten widersprechen. Im Ergebnis käme das "zusätzliche" Kindergeld den BAföG-Empfängern nicht zu gute, obwohl es der Funktion nach dem Grundbedarf zuzurechnen ist und deshalb im Ergebnis eine Unterdeckung des Grundbedarfs im Verhältnis zur Regelleistung nach dem SGB II, ausgleicht. So hat der Antragsteller den Grundbedarf nach § 12 Abs. 2 BAföG in Höhe von 348 EUR nicht allein für die Sicherung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Auf den Grundbedarf entfällt - anders als bei der Regelleistung nach § 19 SGB II - ein Anteil von 52 EUR auf die Kosten der Unterkunft (Umkehrschluss aus § 19 Abs. 3 BAföG). Eine solche Anrechnung würde BAföG-Empfänger, die von der Leistung nach dem SGB II ausgeschlossen sind, sogar schlechter stellen als BAföG-Empfänger, die ergänzende SGB II Leistungen beziehen. Denn für diesen Personenkreis könnten die ausbildungsbedingten Mehraufwendungen von dem als Einkommen anzurechnenden BAföG in Abzug gebracht werden. So gelten Leistungen der Ausbildungsförderung nach der Neuregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-V ab 1. Januar 2008 nicht als Einkommen, soweit sie für Fahrkosten oder Ausbildungsmaterial verwandt werden. Diese Möglichkeit, das Einkommen um den Sonderbedarf für die Ausbildung zu bereinigen, würde bei einer isolierten Anrechnung des Kindergeldes auf den ungedeckten Unterkunftsbedarf entfallen. Den ausbildungsbedingten Mehrbedarf in Form der Fahrkosten und der Ausbildungsmaterialien müsste der Antragsteller aus seinen übrigen Leistungen (Grundbedarf nach dem BAföG und Kindergeld) bestreiten. Dadurch würde das Ziel in Frage gestellt, über die Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II die für die Kosten der Unterkunft unzureichenden Leistungen nach dem BAföG zu ergänzen. Der Sinn des § 22 Abs. 7 SGB II besteht darin, zu verhindern, dass die Auszubildenden ihre Ausbildung abbrechen müssen, weil die in den ihnen gewährten Leistungen der Ausbildungsförderung enthaltenen pauschalen Anteile für Unterkunft und Heizung die tatsächlichen Kosten nicht abdecken (BT-Drs. 16/1410 S. 24) und die Existenzsicherung nicht gewährleisten. Dieses Ziel würde in vielen Fällen gefährdet.

Andererseits darf der Zuschuss nach dem SGB II für einen BAföG-Bezieher diesen nicht besser stellen, als er stünde, wenn er neben dem BAföG ergänzende Leistungen nach dem SGB II erhalten könnte. Insofern darf die Gesamtleistung aus Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II, Leistung nach BAföG und Kindergeld nicht höher sein, als die fiktive Berechnung der Gesamtleistungen bestehend aus (ergänzender SGB II-Leistung, Leistungen nach BAföG und Kindergeld, wenn kein Leistungsausschluss besteht und die BAföG-Leistung als Einkommen anzurechnen ist. Dies folgt aus der systematischen Einordnung des Anspruches aus § 22 Abs. 7 als ergänzende Leistung nach dem SGB II. Der ergänzende Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II ist eine Leistung nach dem SGB II, die nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur von ihren Rechtswirkungen her nicht als Arbeitslosengeld II gilt. Dadurch sollte insbesondere ausgeschlossen werden, dass der Zuschuss eine Sozialversicherungspflicht auslöst (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 23). Es handelt sich um eine ergänzende Leistung nach dem System des SGB II, um ungedeckte Lücken bei anderen Leistungen (SGB III und BAföG) auszufüllen. Die Leistung ist als Zuschuss ausgestaltet, da nur dieser eine vergleichbar unbelastete Fortführung der Ausbildung ermöglicht wie bei Kindern von Eltern, die den Wohnkostenanteil selbst tragen können. Insofern wäre es systemfremd, wenn durch diese "Ergänzungsleistung" ein höheres Leistungsniveau als bei einem SGB II-Leistungsbezieher erreicht werden könnte.

Vorliegend führt der sich aus der fiktiven Berechnung ergebende Betrag nicht zu einer Begrenzung des ermittelten ungedeckten Unterkunftsbedarfs. Für die fiktive Berechnung muss zunächst ermittelt werden welche Leistung nach dem SGB II der Hilfebedürftige neben der BAföG-Leistung und dem Kindergeld noch bekommen könnte. Für den Antragsteller würde sich als SGB II-Leistungsbezieher (für Februar 2008 bis Juni 2008) ein Bedarf von 600,74 EUR errechnen (347 EUR Regelleistung + 190 EUR Mietkosten + 63,74 EUR Nebenkosten/Heizung; bei der Heizung war der in der Regelleistung enthaltene Betrag für die Warmwassererwärmung in Höhe von 6,26 EUR in Abzug zu bringen – vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/11b AS 15/07 R). Hiervon ist das zu berücksichtigende Einkommen in Abzug zu bringen. Das Kindergeld in Höhe von 154 EUR ist Einkommen des Antragstellers i. S. d. § 11 SGB II. Dieses Kindergeld wurde tatsächlich von seiner Mutter an ihn weitergeleitet und ist daher als sein Einkommen zu berücksichtigen. Hiervon sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg-II-V 30 EUR als Pauschbetrag für die privaten Versicherungsbeiträge in Abzug zu bringen. Hinzu kommt das zu berücksichtigende Einkommen aus den BAföG-Leistungen. Von der Leistung in Höhe von 412 EUR müssen die Fahrkosten und die Kosten für Ausbildungsmaterialien gem. § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-V abgezogen werden. Die Monatskarte für die Fahrt von S. nach E. kostet den Antragsteller 69,30 EUR. Hinzu kommen überschlägig 30 EUR Kosten für Material im Monat (für das letzte Schulhalbjahr hatte der Antragsteller angegeben, schon 180 EUR Kosten für Bücher und Materialien ausgegeben zu haben). Daraus errechnet sich ein überschlägiges anzurechnendes Einkommen von 312,70 EUR. Hieraus ergibt sich ein ergänzender fiktiver Anspruch auf Alg II in Höhe von 164,04 EUR. Der nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossene Hilfebedürftige hätte damit 730,04 EUR zur Verfügung (BAföG-Leistung 412 EUR, Kindergeld 154 EUR und SGB II-Leistung 164,04 EUR). Diese Grenze übersteigt die Gesamtleistung für den Antragsteller inclusive des Zuschusses zu den ungedeckten Unterkunftskosten nicht. Er hat 710 EUR zur Verfügung (BAföG-Leistung 412 EUR + Kindergeld 154 EUR + Unterkunftszuschuss 144 EUR). Diese Grenze erreicht der Antragsteller auch für Juli 2008 nicht (Erhöhung des Regelsatzes auf 351 EUR).

Da die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits einen monatlichen Zuschuss für den streitbefangenen Zeitraum von 20 EUR zahlt, war eine vorläufige weitere Verpflichtung von 124 EUR auszusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt in entsprechender Anwendung § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Antragsteller einen Zuschuss in Höhe von 190 EUR begehrt hat.

Dieser Beschluss ist durch eine Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

gez. Lauterbach gez. Wulff gez. Exner
Rechtskraft
Aus
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