Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AL 172/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 128/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Insolvenz nach § 183 Abs. 1 SGB III, Vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2005 abgeändert und insgesamt neu gefasst: Der Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2005 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Anrechnung bereits erbrachter Vorschussleistungen Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 2003 zu zahlen. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld.
Der Kläger war ab dem 9. August 1999 zunächst bei der P. E. AG und dann infolge einer Änderung des Anstellungsvertrages ab dem 1. Dezember 2001 bei der P. AG in M. als "Assistent Center Mitarbeiter" für den Aufsichtsrat beschäftigt. Nach seiner Darstellung hat der Kläger keine Veränderung aufgrund des formellen Wechsels als Beschäftigter von der P. E. AG zur P. AG bemerkt. Seine Aufgabe war es, Unterlagen zusammenzustellen, die für die Einwerbung von Finanzmitteln sowohl bei öffentlichen Geldgebern als auch bei privaten Investoren genutzt werden sollten. Im Handelsregister war am 15. Oktober 2001 als Geschäftszweck der P. AG eingetragen worden, die "Einrichtung und der Betrieb von Theatern, die Produktion und Aufführung von Musik- und Theaterstücken, der Aufbau und der Betrieb einer Ausbildungseinrichtung zur Schulung von Darstellern und Künstlern, die Ausrichtung von Vorträgen, Seminaren, Ausstellungen, Kursen und Veranstaltungen, die Produktion und der Vertrieb von Medienerzeugnissen wie Text-, Ton- und Bildträgern, der Betrieb zugehöriger gastronomischer Einrichtungen und der Handel mit Rechten sowie der Vornahme aller sonstigen hiermit zusammenhängenden Geschäfte." Die P. E. AG und die P. AG gehörten zu einer Gruppe von insgesamt acht teils über Personalidentität teils über Kapitalbeteiligungen miteinander verbundenen Gesellschaften (der "P. Gruppe"), die gegründet worden waren, um in M. eine "Music-Hall" und eine Akademie für darstellende Künste zu errichten und zu betreiben. Dieses Projekt wurde in Sachsen-Anhalt durch ein Ende des Jahres 2001 von Land gewährtes zinsloses Darlehen in Höhe von 8,6 Millionen Euro gefördert. Zur Realisierung des Projekts an einem Gebäudekomplex in M. begonnene Umbauarbeiten kamen Anfang des Jahres 2003 zum Stillstand, weil Handwerkerrechnungen von den auftragsvergebenden Gesellschaften der P. Gruppe nicht bezahlt worden waren.
Am 27. März 2003 führte die Staatsanwaltschaft Magdeburg im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung und Subventionsbetruges auf richterliche Anordnung bei den Firmen der P. Gruppe Durchsuchungen der Geschäftsräume durch. In diesem Zusammen wurde bei der P. AG die Geschäftsunterlagen und auch die Personal-Computer der Mitarbeiter beschlagnahmt.
Wegen ausstehender Entgeltzahlungen für März, April und Mai 2003 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit der P. AG mit Schreiben vom 30. Mai 2003 zum Ende des Monats.
Am 4. Juni 2003 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit von März bis Mai 2003 und reichte später in Kopie ein Teilanerkenntnis-Urteil des Arbeitsgerichts Madgeburg vom 18. Juni 2003 nach, in dem die P. AG zur Zahlung der Gehälter für März, April und Mai 2003 verurteilt wurde. Die Beklagte gewährte dem Kläger im September 2003 einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld in Höhe von 3.200 EUR.
Der für das Vermögen der P. AG zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt F. führte in einem Bericht an das Amtsgericht Magdeburg vom 8. März 2004 aus: Er habe die Akten bei der Staatsanwaltschaft eingesehen. Nennenswerte Buchhaltungsunterlagen lägen aber nicht vor. Es spräche einiges für eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft. Dies lasse sich aber nicht mit Sicherheit feststellen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Er schlage vor, den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als unzulässig abzuweisen. Das Amtgericht Magdeburg lehnte mit Beschluss vom 8.Juni 2004 den am 19. Juli 2003 von der P. AG gestellten Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ab.
In einem Gutachten über das Vermögen der zur "P. -Gruppe" gehörenden P. P. und D. GmbH i. L. führte die zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellte Rechtsanwältin von S. –L. am 26. April 2004 aus: Die Gesellschaft habe Zahlungen bereits im Dezember 2002 eingestellt. Der Geschäftsbetrieb sämtlicher Gesellschaften (der P. Gruppe) sei am 27. März 2003 unterbrochen worden. Die Gesellschaft führe derzeit noch ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg (Aktenzeichen 3 A 39/04) gegen das Landesförderinstitut des Landes Sachsen-Anhalt und das Land Sachsen-Anhalt wegen der Versagung von Fördermitteln. Sie berücksichtige dies mit einem Erinnerungswert von 1,00 EUR. Liquide Mittel seien nicht vorhanden. Die Zahlungsunfähigkeit sei evident.
Mit einem Bescheid vom 28. Dezember 2004 forderte die Beklagte von dem Kläger die Rückzahlung des gewährten Vorschusses mit der Begründung, es habe kein Insolvenzereignis vorgelegen. Hiergegen erhob der Kläger am 10. Januar 2005 Widerspruch und führte aus, die Firma habe die Betriebstätigkeit vollkommen eingestellt. Auf Anfrage der Beklagten bei der P. AG teilt der Zeuge S. für diese mit Schreiben vom 5. April 2005 mit: Die Gesellschaft sei offensichtlich zurzeit nicht in der Lage, die Verbindlichkeiten zu bedienen. Ein Geschäftsbetrieb "im Sinne der GewO" bestehe (aber) fort. Die Gesellschaft sei (auch) nicht überschuldet, weil sie Ansprüche in Höhe von 60.000.000 EUR vor dem Verwaltungsgericht geltend mache. Dies umfasse einen der Gesellschaft entstandenen Verzögerungs- und Vertrauensschaden sowie die Bewilligung von Subventionen. Jeder Gläubiger der Gesellschaft sei Begünstigter dieses Verfahrens; dies insbesondere sei Grundlage des Konsolidierungskonzepts der Gesellschaft. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2005 zurück.
Der Kläger hat am 18. April 2005 Klage beim Sozialgericht Madeburg (SG) erhoben.
In einem Termin zu Erörterung und Beweisaufnahme am 23. Mai 2006 hat der Kläger erklärt: Schon ab Anfang des Jahres 2003 habe er praktisch bei der Firma nichts mehr zu tun gehabt. Am 27. März 2003 seien sämtlich Unterlagen und die Computer von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe in der Gesellschaft keine Arbeitsmöglichkeit mehr bestanden. Er habe sich am 31. März 2003 deshalb bei der Beklagten beraten lassen. Dort sei ihm gesagt worden, er müsse erst das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß beenden und insbesondere dreimal den ausstehenden Lohn anmahnen, um dann den Anspruch einzufordern. Bis zu formellen Ende des Arbeitsverhältnisses sei er jeden Morgen zur Firma gefahren und habe dort nur die Zeit "abgesessen", denn es habe nichts zu tun gegeben. Es seien auch andere Mitarbeiter dort gewesen, die ebenfalls nichts zu tun gehabt hätten.
Der Zeuge S. hat vor dem SG ausgesagt: Er sei der einzige noch verbliebene Beschäftigte der P. -Gruppe. Ein Gehalt sei ihm bisher für seine Tätigkeit noch nicht gezahlt worden. Mit dem Klageverfahren beim Verwaltungsgericht gebe es Probleme, weil die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten werde. Der Aussichtsratvorsitzende der P. AG, der Zeuge H. , hat vor dem SG ausgesagt: Der Geschäftsbetrieb sei seit dem 27. März 2003 unterbrochen. Der Schadensersatzprozess ruhe derzeit. Ob es nach einer möglichen Schadensersatzzahlung zur Fortsetzung der geplanten Vorhaben komme, sei zweifelhaft.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Oktober 2005 den Bescheid vom 28. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2005 insoweit abgeändert, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2003 bis 26. März 2003 Insolvenzgeld zusteht und ein für die darüber hinausgehende Zeit vorschussweise gezahlter Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen ist. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Es liege ein Insolvenzereignis vor. Die Gesellschaft habe die Betriebstätigkeit zum 27. März 2003 vollständig eingestellt und ein Insolvenzverfahren sei offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen. Für die Zeit über den 26. März 2003 hinaus habe der Kläger keine Anspräche. Er habe nicht in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet, denn er habe nach seinem eigenen Bekunden nur noch in der Firma gesessen, ohne zu arbeiten.
Gegen das ihm am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat gegen das ihr am 14. November 2006 zugestellte Urteil am 2. April 2007 Berufung eingelegt.
Der Kläger meint: Dass er nach dem 27. März 2003 nicht mehr gearbeitet habe, sei für den Anspruch auf Insolvenzgeld unschädlich, weil er seine Arbeitskraft angeboten habe. Er sei zudem von der Beklagten fehlerhaft beraten worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2005 abzuändern die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 27. März bis zum 31. Mai 2003 zu zahlen.
Weiter beantragt der Kläger, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist er Auffassung: Es sei kein Insolvenzereignis nachgewiesen. Nach den Aussagen der Zeugen H. und S. sei der Geschäftsbetrieb nicht vollständig eingestellt worden; es habe nur eine Unterbrechung vorgelegen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M. S. in dem Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 11. September 2008. Wegen der näheren Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 244 ff. der Akten) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben dem Senat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung der Streitsache vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung der Beklagten ist als Anschlussberufung zulässig.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Er hat gegenüber der Beklagen einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2003. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus § 183 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III). Danach haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftig waren und bei entweder (1.) der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahrens offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, für die vorangegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Hier lag am 27. März 2003 bei der P. AG, der Arbeitgeberin des Klägers, ein Insolvenzereignis im Sinn des § 183 Abs. 1 Ziffer 3 SGB III vor. Dieses Insolvenzereignis liegt bei der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit vor, das heißt, wenn keine dem Betriebszweck dienende Tätigkeit mehr verrichtet wird. Eine Betriebsstilllegung, die nach arbeitsrechtlichen Kriterien zu beurteilen ist, ist nicht erforderlich. Abzustellen ist auf das Gesamtbild des Einzelfalls, wobei die Weiterverfolgung des konkreten Betriebszwecks zu prüfen ist (Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 183 Rdn. 43).
Dass ab dem 27. März 2003 keine dem Betriebszeck dienende Tätigkeit mehr bei der P. AG, bei der der Kläger beschäftigt war, verrichtet wurde, ergibt sich aus der glaubhaften Bekundung des Klägers und auch dem Gutachten der vorläufigen Insolvenzverwalterin der P. P. und D. GmbH i. L. Rechtsanwältin von S. –L. vom 26. April 2004. Nach der Beschlagnahme der Personalcomputer und der Unterlagen, fanden keine nach außen gerichteten Kontakte von Mitarbeiter oder Vertretern der P. AG mehr statt, um Mittel für die Durchführung der Errichtung der "Music-Hall" und die Akademie für darstellende Künste einzutreiben. Eine auf den Betrieb dieser Einrichtungen gerichtete Tätigkeit hatte schon vorher nicht stattgefunden, weil es nicht zur Realisierung der Projekte gekommen war. Sonstige Aktivitäten (etwa die Produktion und die Aufführung von Theaterstücken in angemieteten Räumen) waren nach der glaubhaften Aussage des Klägers ebenfalls schon vor dem 27. März 2003 nicht von der P. AG versucht worden, sondern waren der P. P. und D. GmbH zugeordnet. Nach den Feststellungen der zur Insolvenzverwalterin für diese Gesellschaft bestellten Rechtanwältin von S. –L. war nach dem 27. März 2003 nicht nur bei dieser Gesellschaft sondern bei sämtlichen Gesellschaften der P. Gruppe kein Geschäftsbetrieb mehr festzustellen. Für den Senat steht auch fest, dass es sich hierbei nicht nur um eine Unterbrechung, sondern eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland handelte. Hierbei stützt sich der Senat auf das Ergebnis durch die Vernehmung des Zeugen S. in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2008. Dieser hat zwar erst am 20. Juni 2003 formell eine Beschäftigung bei der P. Holding GmbH und Co. KG aufgenommen und war dann ab dem 1. Oktober 2003 der P. E. KG zugeordnet. Aus seiner Aussage lassen sich aber auch eindeutige Rückschlüsse über die Entwicklung der gesamten P. Gruppe und insbesondere der P. AG in der Zeit nach dem 27. März 2003 bis in die Gegenwart ziehen. Für irgendwelche Geschäftstätigkeiten der P. AG in der Zeit nach dem 27. März 2003 gab und gibt es danach keine Anhaltspunkte. Obwohl der Zeuge S. formell nicht bei der P. AG beschäftigt war, hat er sich nach seiner glaubhaften Aussage wie vorher der Kläger mit der internen Zusammenstellung von Unterlagen beschäftigt, um auf deren Grundlagen Geldgeber für Projekte der P. Gruppe einwerben zu können. Es ist aber niemals zu einer nach außen wirksamen Aktivität zur Realisierung dieser Projekte gekommen. Dass die Tätigkeit des Zeugen S. keine ernsthafte nach außen gerichtete Tätigkeit darstellte, ergibt sich auch daraus, dass er für diese Tätigkeit niemals ein Entgelt von einer der Firmen der P. Gruppe oder von dritter Seite erhielt. Keinem der Unternehmen der P. Gruppe ist es in der Zeit nach März 2003 gelungen, noch ein Projekt zu realisieren. Der Zeuge S. hat ausgesagt, dass die P. AG zwar formell noch weiter existiert und im Handesregister eingetragen ist, dass sie aber nicht mehr handlungsfähig ist, weil es keine zwei nach der Satzung zur Vertretung berechtigten Vorstandmitglieder mehr gibt. Die in der P. Gruppe maßgeblich bestimmenden Herren H. und F. waren für den Zeugen S. nicht mehr als Ansprechpartner vorhanden und betreiben jetzt andere Projekte in B ... Zusammenfassend steht für den Senat fest, dass der eigentliche Geschäftszweck der P. AG, nämlich die Grundlagen für die Realierung des Projekts der Errichtung einer "Music-Hall" und eine Akademie für darstellende Künste in M. zu schaffen, ab dem 27. März 2003 nicht mehr betrieben wurde.
Zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses am 27. März 2003 war kein Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG anhängig, und ein Insolenzverfahren kam auch mangels Masse nicht in Betracht. Für die Feststellung der Masseunzulänglichkeit reicht es, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 4.3.1999 – B 11/10 AL 3/98 R = DBlR § 141e Nr. 43529). Diese Voraussetzungen lagen vor. Ausreichend sind insofern die vom vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. AG getroffenen Feststellung in dem Bericht vom 8. März 2004. Dieser kommt zur Feststellung der Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahren, weil die im Jahre 2003 bei der P. AG beschlagnahmten Unterlagen einerseits unvollständig waren anderseits aber "einiges" für eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft spreche. Dies deckt sich mit der Aussage des Zeugen S. , wonach bei Aufnahme seiner Tätigkeit bei der P. Gruppe keine liquiden Mittel vorhanden waren. Die von der P. Gruppe behaupten Schadensersatzforderungen gegen das Lande Sachsen-Anhalt lassen sich offensichtlich nicht realisieren. Das diesbezügliche Klageverfahren ist seit Jahren nicht mehr betrieben worden. Insofern spricht nichts dafür, diese vermeintlichen Schadensersatzforderungen und Ansprüche auf Subventionen höher als mit dem Betrag von 1,00 EUR zu bewerten, den die Rechtsanwältin von S. - L. in ihrem Gutachten vom 26. April 2004 dafür als Erinnerungswert angesetzt hat. Für die Zeit nach der Betriebseinstellung ergibt sich der Anspruch des Klägers aus § 183 Abs. 2 SGB III. Danach besteht ein Anspruch eines Arbeitnehmers, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet hat, für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Zwar hat der Kläger - wie das SG zu Recht festgestellt hat - faktisch nach dem 27. März 2003 nicht mehr weitergearbeitet, sondern nur in den Büroräumen der P. AG "gesessen", ohne einer zielgerichteten Tätigkeit nachzugehen. Er hat bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis damit aber seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber verzugsbegründend angeboten. Das Angebot zur Weiterarbeit ist ausreichend, um den Tatbestand des § 183 Abs. 2 SGB III zu erfüllen (Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 183 Rdn. 113). Eine Weiterarbeit im Sinne dieser Vorschrift setzt nicht notwendig voraus, dass tatsächlich Arbeit geleistet worden ist. Ausreichend ist die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit Entgeltanspruch (Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 92).
Dieses Verhalten des Klägers erfolgte auch in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses. In diesem Zusammenhang ist nur die positive Kenntnis vom Insolvenzereignis schädlich für den Arbeitnehmer (Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 92). Auf Grund des undurchsichtigen Geschäftsgebarens der P. AG und der P. Gruppe insgesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die vollständige dauerhafte Einstellung der Betriebstätigkeit erkennen konnte. Nach der glaubhaften Bekundung des Klägers hat er noch am 14. April 2003 an einem "Meeting" teilgenommen, anlässlich dessen die Vorstandsmitglieder der P. E. AG K. und L. den verbliebenen Mitarbeitern der P. Gruppe keine klare Aussagen über das weitere Schicksal der Firmengruppe machten und nur äußerten, sich weiter um Fördermittel bemühen zu wollen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger vor Ende des Monats Mai 1993 bewusst war, dass es nicht zu einer Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs der P. AG kommen würde.
Aus alledem folgt, dass der Kläger Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2003 beanspruchen kann. Gründe für einen Anspruchsausschluss nach § 184 SGB III liegen nicht vor.
Mit seinem am 4. Juni 2003 bei der Beklagten gestelltem Antrag hat der Kläger seinen Insolvenzgeldanspruch zwar nicht innerhalb der zweimonatigen Antragsfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nach dem Insolvenzereignis (hier die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit am 27. März 2003) geltend gemacht. Ihm war aber die Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eröffnet. Danach wird eine erneute Frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes eröffnet, wenn der Arbeitnehmer die Frist nach Satz 1 aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat. Für den Kläger lag ein Hinderungsgrund darin, dass er das konkrete Insolvenzereignis nicht kannte. Es kann im konkreten Fall dahinstehen, ob bereits eine fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzereignisses den Lauf der Nachfrist in Gang setzt oder ob dies erst bei positiver Kenntnis vom Insolvenzereignis der Fall ist (siehe dazu Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 114 bis 117). Eine fahrlässige Unkenntnis vom Insolvenzereignis kann nach Auffassung des Senats allenfalls ab dem 14. April 2003 angenommen werden. An diesem Tage fand das bereits erwähnte Meeting mit Vorstandsmitglieder der P. E. AG statt, bei dem nach der Aussage des Klägers auch (wohl vorsorglich) dazu geraten wurde, Insolvenzgeld bei der Beklagten zu beantragen. Dies konnte geeignet sein, eine Bösgläubigkeit des Klägers dahingehend zu begründen, dass nicht mehr ernsthaft mit einer Wiederaufnahme der Betriebstätigkeit zu rechnen war. Sofern somit die Nachfrist (frühestens) am 14. April 2003 zu laufen begann, erfolgte die Antragstellung am 4. Juni 2003 noch fristwahrend innerhalb der neuen Zweimonatsfrist.
Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld.
Der Kläger war ab dem 9. August 1999 zunächst bei der P. E. AG und dann infolge einer Änderung des Anstellungsvertrages ab dem 1. Dezember 2001 bei der P. AG in M. als "Assistent Center Mitarbeiter" für den Aufsichtsrat beschäftigt. Nach seiner Darstellung hat der Kläger keine Veränderung aufgrund des formellen Wechsels als Beschäftigter von der P. E. AG zur P. AG bemerkt. Seine Aufgabe war es, Unterlagen zusammenzustellen, die für die Einwerbung von Finanzmitteln sowohl bei öffentlichen Geldgebern als auch bei privaten Investoren genutzt werden sollten. Im Handelsregister war am 15. Oktober 2001 als Geschäftszweck der P. AG eingetragen worden, die "Einrichtung und der Betrieb von Theatern, die Produktion und Aufführung von Musik- und Theaterstücken, der Aufbau und der Betrieb einer Ausbildungseinrichtung zur Schulung von Darstellern und Künstlern, die Ausrichtung von Vorträgen, Seminaren, Ausstellungen, Kursen und Veranstaltungen, die Produktion und der Vertrieb von Medienerzeugnissen wie Text-, Ton- und Bildträgern, der Betrieb zugehöriger gastronomischer Einrichtungen und der Handel mit Rechten sowie der Vornahme aller sonstigen hiermit zusammenhängenden Geschäfte." Die P. E. AG und die P. AG gehörten zu einer Gruppe von insgesamt acht teils über Personalidentität teils über Kapitalbeteiligungen miteinander verbundenen Gesellschaften (der "P. Gruppe"), die gegründet worden waren, um in M. eine "Music-Hall" und eine Akademie für darstellende Künste zu errichten und zu betreiben. Dieses Projekt wurde in Sachsen-Anhalt durch ein Ende des Jahres 2001 von Land gewährtes zinsloses Darlehen in Höhe von 8,6 Millionen Euro gefördert. Zur Realisierung des Projekts an einem Gebäudekomplex in M. begonnene Umbauarbeiten kamen Anfang des Jahres 2003 zum Stillstand, weil Handwerkerrechnungen von den auftragsvergebenden Gesellschaften der P. Gruppe nicht bezahlt worden waren.
Am 27. März 2003 führte die Staatsanwaltschaft Magdeburg im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung und Subventionsbetruges auf richterliche Anordnung bei den Firmen der P. Gruppe Durchsuchungen der Geschäftsräume durch. In diesem Zusammen wurde bei der P. AG die Geschäftsunterlagen und auch die Personal-Computer der Mitarbeiter beschlagnahmt.
Wegen ausstehender Entgeltzahlungen für März, April und Mai 2003 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis mit der P. AG mit Schreiben vom 30. Mai 2003 zum Ende des Monats.
Am 4. Juni 2003 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit von März bis Mai 2003 und reichte später in Kopie ein Teilanerkenntnis-Urteil des Arbeitsgerichts Madgeburg vom 18. Juni 2003 nach, in dem die P. AG zur Zahlung der Gehälter für März, April und Mai 2003 verurteilt wurde. Die Beklagte gewährte dem Kläger im September 2003 einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld in Höhe von 3.200 EUR.
Der für das Vermögen der P. AG zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt F. führte in einem Bericht an das Amtsgericht Magdeburg vom 8. März 2004 aus: Er habe die Akten bei der Staatsanwaltschaft eingesehen. Nennenswerte Buchhaltungsunterlagen lägen aber nicht vor. Es spräche einiges für eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft. Dies lasse sich aber nicht mit Sicherheit feststellen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Er schlage vor, den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als unzulässig abzuweisen. Das Amtgericht Magdeburg lehnte mit Beschluss vom 8.Juni 2004 den am 19. Juli 2003 von der P. AG gestellten Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ab.
In einem Gutachten über das Vermögen der zur "P. -Gruppe" gehörenden P. P. und D. GmbH i. L. führte die zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellte Rechtsanwältin von S. –L. am 26. April 2004 aus: Die Gesellschaft habe Zahlungen bereits im Dezember 2002 eingestellt. Der Geschäftsbetrieb sämtlicher Gesellschaften (der P. Gruppe) sei am 27. März 2003 unterbrochen worden. Die Gesellschaft führe derzeit noch ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg (Aktenzeichen 3 A 39/04) gegen das Landesförderinstitut des Landes Sachsen-Anhalt und das Land Sachsen-Anhalt wegen der Versagung von Fördermitteln. Sie berücksichtige dies mit einem Erinnerungswert von 1,00 EUR. Liquide Mittel seien nicht vorhanden. Die Zahlungsunfähigkeit sei evident.
Mit einem Bescheid vom 28. Dezember 2004 forderte die Beklagte von dem Kläger die Rückzahlung des gewährten Vorschusses mit der Begründung, es habe kein Insolvenzereignis vorgelegen. Hiergegen erhob der Kläger am 10. Januar 2005 Widerspruch und führte aus, die Firma habe die Betriebstätigkeit vollkommen eingestellt. Auf Anfrage der Beklagten bei der P. AG teilt der Zeuge S. für diese mit Schreiben vom 5. April 2005 mit: Die Gesellschaft sei offensichtlich zurzeit nicht in der Lage, die Verbindlichkeiten zu bedienen. Ein Geschäftsbetrieb "im Sinne der GewO" bestehe (aber) fort. Die Gesellschaft sei (auch) nicht überschuldet, weil sie Ansprüche in Höhe von 60.000.000 EUR vor dem Verwaltungsgericht geltend mache. Dies umfasse einen der Gesellschaft entstandenen Verzögerungs- und Vertrauensschaden sowie die Bewilligung von Subventionen. Jeder Gläubiger der Gesellschaft sei Begünstigter dieses Verfahrens; dies insbesondere sei Grundlage des Konsolidierungskonzepts der Gesellschaft. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2005 zurück.
Der Kläger hat am 18. April 2005 Klage beim Sozialgericht Madeburg (SG) erhoben.
In einem Termin zu Erörterung und Beweisaufnahme am 23. Mai 2006 hat der Kläger erklärt: Schon ab Anfang des Jahres 2003 habe er praktisch bei der Firma nichts mehr zu tun gehabt. Am 27. März 2003 seien sämtlich Unterlagen und die Computer von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Ab diesem Zeitpunkt habe in der Gesellschaft keine Arbeitsmöglichkeit mehr bestanden. Er habe sich am 31. März 2003 deshalb bei der Beklagten beraten lassen. Dort sei ihm gesagt worden, er müsse erst das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß beenden und insbesondere dreimal den ausstehenden Lohn anmahnen, um dann den Anspruch einzufordern. Bis zu formellen Ende des Arbeitsverhältnisses sei er jeden Morgen zur Firma gefahren und habe dort nur die Zeit "abgesessen", denn es habe nichts zu tun gegeben. Es seien auch andere Mitarbeiter dort gewesen, die ebenfalls nichts zu tun gehabt hätten.
Der Zeuge S. hat vor dem SG ausgesagt: Er sei der einzige noch verbliebene Beschäftigte der P. -Gruppe. Ein Gehalt sei ihm bisher für seine Tätigkeit noch nicht gezahlt worden. Mit dem Klageverfahren beim Verwaltungsgericht gebe es Probleme, weil die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten werde. Der Aussichtsratvorsitzende der P. AG, der Zeuge H. , hat vor dem SG ausgesagt: Der Geschäftsbetrieb sei seit dem 27. März 2003 unterbrochen. Der Schadensersatzprozess ruhe derzeit. Ob es nach einer möglichen Schadensersatzzahlung zur Fortsetzung der geplanten Vorhaben komme, sei zweifelhaft.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Oktober 2005 den Bescheid vom 28. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2005 insoweit abgeändert, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2003 bis 26. März 2003 Insolvenzgeld zusteht und ein für die darüber hinausgehende Zeit vorschussweise gezahlter Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen ist. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Es liege ein Insolvenzereignis vor. Die Gesellschaft habe die Betriebstätigkeit zum 27. März 2003 vollständig eingestellt und ein Insolvenzverfahren sei offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen. Für die Zeit über den 26. März 2003 hinaus habe der Kläger keine Anspräche. Er habe nicht in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet, denn er habe nach seinem eigenen Bekunden nur noch in der Firma gesessen, ohne zu arbeiten.
Gegen das ihm am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat gegen das ihr am 14. November 2006 zugestellte Urteil am 2. April 2007 Berufung eingelegt.
Der Kläger meint: Dass er nach dem 27. März 2003 nicht mehr gearbeitet habe, sei für den Anspruch auf Insolvenzgeld unschädlich, weil er seine Arbeitskraft angeboten habe. Er sei zudem von der Beklagten fehlerhaft beraten worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2005 abzuändern die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 27. März bis zum 31. Mai 2003 zu zahlen.
Weiter beantragt der Kläger, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist er Auffassung: Es sei kein Insolvenzereignis nachgewiesen. Nach den Aussagen der Zeugen H. und S. sei der Geschäftsbetrieb nicht vollständig eingestellt worden; es habe nur eine Unterbrechung vorgelegen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M. S. in dem Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 11. September 2008. Wegen der näheren Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 244 ff. der Akten) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben dem Senat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung der Streitsache vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung der Beklagten ist als Anschlussberufung zulässig.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Er hat gegenüber der Beklagen einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2003. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus § 183 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III). Danach haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftig waren und bei entweder (1.) der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahrens offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, für die vorangegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Hier lag am 27. März 2003 bei der P. AG, der Arbeitgeberin des Klägers, ein Insolvenzereignis im Sinn des § 183 Abs. 1 Ziffer 3 SGB III vor. Dieses Insolvenzereignis liegt bei der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit vor, das heißt, wenn keine dem Betriebszweck dienende Tätigkeit mehr verrichtet wird. Eine Betriebsstilllegung, die nach arbeitsrechtlichen Kriterien zu beurteilen ist, ist nicht erforderlich. Abzustellen ist auf das Gesamtbild des Einzelfalls, wobei die Weiterverfolgung des konkreten Betriebszwecks zu prüfen ist (Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 183 Rdn. 43).
Dass ab dem 27. März 2003 keine dem Betriebszeck dienende Tätigkeit mehr bei der P. AG, bei der der Kläger beschäftigt war, verrichtet wurde, ergibt sich aus der glaubhaften Bekundung des Klägers und auch dem Gutachten der vorläufigen Insolvenzverwalterin der P. P. und D. GmbH i. L. Rechtsanwältin von S. –L. vom 26. April 2004. Nach der Beschlagnahme der Personalcomputer und der Unterlagen, fanden keine nach außen gerichteten Kontakte von Mitarbeiter oder Vertretern der P. AG mehr statt, um Mittel für die Durchführung der Errichtung der "Music-Hall" und die Akademie für darstellende Künste einzutreiben. Eine auf den Betrieb dieser Einrichtungen gerichtete Tätigkeit hatte schon vorher nicht stattgefunden, weil es nicht zur Realisierung der Projekte gekommen war. Sonstige Aktivitäten (etwa die Produktion und die Aufführung von Theaterstücken in angemieteten Räumen) waren nach der glaubhaften Aussage des Klägers ebenfalls schon vor dem 27. März 2003 nicht von der P. AG versucht worden, sondern waren der P. P. und D. GmbH zugeordnet. Nach den Feststellungen der zur Insolvenzverwalterin für diese Gesellschaft bestellten Rechtanwältin von S. –L. war nach dem 27. März 2003 nicht nur bei dieser Gesellschaft sondern bei sämtlichen Gesellschaften der P. Gruppe kein Geschäftsbetrieb mehr festzustellen. Für den Senat steht auch fest, dass es sich hierbei nicht nur um eine Unterbrechung, sondern eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland handelte. Hierbei stützt sich der Senat auf das Ergebnis durch die Vernehmung des Zeugen S. in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2008. Dieser hat zwar erst am 20. Juni 2003 formell eine Beschäftigung bei der P. Holding GmbH und Co. KG aufgenommen und war dann ab dem 1. Oktober 2003 der P. E. KG zugeordnet. Aus seiner Aussage lassen sich aber auch eindeutige Rückschlüsse über die Entwicklung der gesamten P. Gruppe und insbesondere der P. AG in der Zeit nach dem 27. März 2003 bis in die Gegenwart ziehen. Für irgendwelche Geschäftstätigkeiten der P. AG in der Zeit nach dem 27. März 2003 gab und gibt es danach keine Anhaltspunkte. Obwohl der Zeuge S. formell nicht bei der P. AG beschäftigt war, hat er sich nach seiner glaubhaften Aussage wie vorher der Kläger mit der internen Zusammenstellung von Unterlagen beschäftigt, um auf deren Grundlagen Geldgeber für Projekte der P. Gruppe einwerben zu können. Es ist aber niemals zu einer nach außen wirksamen Aktivität zur Realisierung dieser Projekte gekommen. Dass die Tätigkeit des Zeugen S. keine ernsthafte nach außen gerichtete Tätigkeit darstellte, ergibt sich auch daraus, dass er für diese Tätigkeit niemals ein Entgelt von einer der Firmen der P. Gruppe oder von dritter Seite erhielt. Keinem der Unternehmen der P. Gruppe ist es in der Zeit nach März 2003 gelungen, noch ein Projekt zu realisieren. Der Zeuge S. hat ausgesagt, dass die P. AG zwar formell noch weiter existiert und im Handesregister eingetragen ist, dass sie aber nicht mehr handlungsfähig ist, weil es keine zwei nach der Satzung zur Vertretung berechtigten Vorstandmitglieder mehr gibt. Die in der P. Gruppe maßgeblich bestimmenden Herren H. und F. waren für den Zeugen S. nicht mehr als Ansprechpartner vorhanden und betreiben jetzt andere Projekte in B ... Zusammenfassend steht für den Senat fest, dass der eigentliche Geschäftszweck der P. AG, nämlich die Grundlagen für die Realierung des Projekts der Errichtung einer "Music-Hall" und eine Akademie für darstellende Künste in M. zu schaffen, ab dem 27. März 2003 nicht mehr betrieben wurde.
Zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses am 27. März 2003 war kein Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG anhängig, und ein Insolenzverfahren kam auch mangels Masse nicht in Betracht. Für die Feststellung der Masseunzulänglichkeit reicht es, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 4.3.1999 – B 11/10 AL 3/98 R = DBlR § 141e Nr. 43529). Diese Voraussetzungen lagen vor. Ausreichend sind insofern die vom vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. AG getroffenen Feststellung in dem Bericht vom 8. März 2004. Dieser kommt zur Feststellung der Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahren, weil die im Jahre 2003 bei der P. AG beschlagnahmten Unterlagen einerseits unvollständig waren anderseits aber "einiges" für eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Gesellschaft spreche. Dies deckt sich mit der Aussage des Zeugen S. , wonach bei Aufnahme seiner Tätigkeit bei der P. Gruppe keine liquiden Mittel vorhanden waren. Die von der P. Gruppe behaupten Schadensersatzforderungen gegen das Lande Sachsen-Anhalt lassen sich offensichtlich nicht realisieren. Das diesbezügliche Klageverfahren ist seit Jahren nicht mehr betrieben worden. Insofern spricht nichts dafür, diese vermeintlichen Schadensersatzforderungen und Ansprüche auf Subventionen höher als mit dem Betrag von 1,00 EUR zu bewerten, den die Rechtsanwältin von S. - L. in ihrem Gutachten vom 26. April 2004 dafür als Erinnerungswert angesetzt hat. Für die Zeit nach der Betriebseinstellung ergibt sich der Anspruch des Klägers aus § 183 Abs. 2 SGB III. Danach besteht ein Anspruch eines Arbeitnehmers, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet hat, für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Zwar hat der Kläger - wie das SG zu Recht festgestellt hat - faktisch nach dem 27. März 2003 nicht mehr weitergearbeitet, sondern nur in den Büroräumen der P. AG "gesessen", ohne einer zielgerichteten Tätigkeit nachzugehen. Er hat bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis damit aber seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber verzugsbegründend angeboten. Das Angebot zur Weiterarbeit ist ausreichend, um den Tatbestand des § 183 Abs. 2 SGB III zu erfüllen (Krodel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 183 Rdn. 113). Eine Weiterarbeit im Sinne dieser Vorschrift setzt nicht notwendig voraus, dass tatsächlich Arbeit geleistet worden ist. Ausreichend ist die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit Entgeltanspruch (Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 92).
Dieses Verhalten des Klägers erfolgte auch in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses. In diesem Zusammenhang ist nur die positive Kenntnis vom Insolvenzereignis schädlich für den Arbeitnehmer (Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 92). Auf Grund des undurchsichtigen Geschäftsgebarens der P. AG und der P. Gruppe insgesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die vollständige dauerhafte Einstellung der Betriebstätigkeit erkennen konnte. Nach der glaubhaften Bekundung des Klägers hat er noch am 14. April 2003 an einem "Meeting" teilgenommen, anlässlich dessen die Vorstandsmitglieder der P. E. AG K. und L. den verbliebenen Mitarbeitern der P. Gruppe keine klare Aussagen über das weitere Schicksal der Firmengruppe machten und nur äußerten, sich weiter um Fördermittel bemühen zu wollen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger vor Ende des Monats Mai 1993 bewusst war, dass es nicht zu einer Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs der P. AG kommen würde.
Aus alledem folgt, dass der Kläger Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2003 beanspruchen kann. Gründe für einen Anspruchsausschluss nach § 184 SGB III liegen nicht vor.
Mit seinem am 4. Juni 2003 bei der Beklagten gestelltem Antrag hat der Kläger seinen Insolvenzgeldanspruch zwar nicht innerhalb der zweimonatigen Antragsfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nach dem Insolvenzereignis (hier die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit am 27. März 2003) geltend gemacht. Ihm war aber die Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eröffnet. Danach wird eine erneute Frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes eröffnet, wenn der Arbeitnehmer die Frist nach Satz 1 aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat. Für den Kläger lag ein Hinderungsgrund darin, dass er das konkrete Insolvenzereignis nicht kannte. Es kann im konkreten Fall dahinstehen, ob bereits eine fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzereignisses den Lauf der Nachfrist in Gang setzt oder ob dies erst bei positiver Kenntnis vom Insolvenzereignis der Fall ist (siehe dazu Peters-Lange im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 Rdnr. 114 bis 117). Eine fahrlässige Unkenntnis vom Insolvenzereignis kann nach Auffassung des Senats allenfalls ab dem 14. April 2003 angenommen werden. An diesem Tage fand das bereits erwähnte Meeting mit Vorstandsmitglieder der P. E. AG statt, bei dem nach der Aussage des Klägers auch (wohl vorsorglich) dazu geraten wurde, Insolvenzgeld bei der Beklagten zu beantragen. Dies konnte geeignet sein, eine Bösgläubigkeit des Klägers dahingehend zu begründen, dass nicht mehr ernsthaft mit einer Wiederaufnahme der Betriebstätigkeit zu rechnen war. Sofern somit die Nachfrist (frühestens) am 14. April 2003 zu laufen begann, erfolgte die Antragstellung am 4. Juni 2003 noch fristwahrend innerhalb der neuen Zweimonatsfrist.
Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen.
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