L 16 KR 141/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 917/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 KR 141/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 100,- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Zahlungsanspruch betreffend einer Aufwandspauschale in Höhe von 100,- €.

Die Klägerin ist Trägerin des Krankenhauses, in dem die bei der Beklagten versicherte Patientin V M (auch im Folgenden Patientin) in der Zeit vom 15. April 2008 bis 17. April 2008 stationär behandelt worden ist. Bezüglich dieses Behandlungsfalles erstellte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) zwei sozialmedizinische Stellungnahmen (2. März 2009 und 1. Februar 2010), in denen er zu dem Ergebnis kam, dass ein Behandlungstag zu streichen sei. Die Beklagte nahm eine entsprechende Rechnungskürzung und Verrechnung vor. Das vor diesem Hintergrund geführte Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Berlin – S 72 KR 402/11 – wurde durch Urteil vom 3. Dezember 2015 entschieden, das die Klägerin Anspruch auf die ungekürzte Vergütung habe. Eine Aufwandspauschale wurde in dem benannten Verfahren von der Klägerin nicht geltend gemacht.

Mit der „Endabrechnung“ vom 27. April 2018 machte die Klägerin eine Aufwandspauschale von 100,- € geltend. Die Beklagte berief sich auf die Verjährung eines allfälligen Anspruchs und leistete keine Zahlung.

Mit der am 1. Juni 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Zahlung von 100,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit begehrt. Das SG Berlin hat mit Urteil vom 23. Januar 2020 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Aufwandspauschale in Höhe von 100.- € zu zahlen. Zum geltend gemachten Zinsanspruch enthält das Urteil keine Ausführungen. Zu seiner Begründung ist ausgeführt: Die als Leistungsklage zulässige Klage sei begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch nach § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) auf Zahlung der Aufwandspauschale, weil die im Jahr 2010 durchgeführte Prüfung im Ergebnis zu keiner Minderung des Vergütungsanspruches geführt habe. Nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in der bis zum 24. März 2009 geltenden Fassung (aF) habe die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,- € zu entrichten, wenn die Prüfung der Abrechnung durch den MDK nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt habe. Auf dieser Grundlage sei der streitgegenständliche Anspruch entstanden. Aufgrund des Urteils des SG vom 3. Dezember 2015 stehe fest, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin in der ursprünglich geltend gemachten Höhe bestehe und die eingeleitete MDK-Prüfung im Ergebnis zu keiner Minderung geführt habe. Der Anspruch auf die Aufwandspauschale sei auch nicht verjährt. Denn er sei nicht bereits im Jahr der MDK-Prüfung(en) (oder gar gemeinsam mit dem Vergütungsanspruch) entstanden und fällig geworden, sondern erst in dem Moment, in dem festgestanden habe, dass die eingeleitete MDK-Prüfung im Ergebnis zu keiner Minderung geführt habe. Dies sei in der vorliegenden Konstellation erst durch das Urteil des SG im Dezember 2015 der Fall gewesen. Die hier im Jahr 2018 erhobene Klage sei damit innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist erhoben. Der Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG BB) in seinem Urteil vom 8. Dezember 2016 – L 1 KR 508/14 – juris -, wonach die Aufwandspauschale bereits fällig werde, sobald im Krankenhaus der Aufwand entstanden sei, sei nicht zu folgen. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 24/14 R – in Rn. 10 ausgeführt habe: „Führt eine Einzelfallprüfung dagegen zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags, entfällt die Aufwandspauschale“, ergebe sich hieraus weder, dass es sich bei der Verwendung des Begriffs „entfällt“ um eine auflösende Bedingung handele noch sei erkennbar, dass das BSG tatsächlich eine Aussage zur Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Zahlung einer Aufwandspauschale habe treffen wollen. Aus den Intentionen des Gesetzgebers lasse sich entnehmen, dass bei dem System eher insgesamt eine regulatorische Wirkung gegenüber ausufernden Prüfungen beabsichtigt gewesen sei, als eine konkrete Bewertung der Rechtmäßigkeit des Prüfergebnisses des MDK. Bei diesem Verständnis der Regelung sei auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Prüfung nicht maßgeblich abzustellen, sondern auf das wirtschaftliche Ergebnis (keine Minderung). Dies gelte auch, wenn dieses Ergebnis im Einzelfall erst erheblich später, nämlich gegebenenfalls nach einem Klageverfahren hinsichtlich des Vergütungsanspruches, feststehe. Der Wortlaut der Vorschrift lege die Annahme einer auflösenden Bedingung ebenfalls nicht nahe. Dort sei der Umstand, dass eine Prüfung nicht zur Minderung führe, vielmehr als Tatbestandsvoraussetzung oder als auslösende (also allenfalls aufschiebende) Bedingung formuliert. So habe bereits das SG Speyer mit Urteil vom 8. September 2017 – S 16 KR 683/15 – juris - (Rn. 84 – 86) ausgeführt, dass der Fälligkeitszeitpunkt für einen Anspruch auf Aufwandspauschale nicht in § 275 Abs. 1c SGB V und auch anderweitig nicht besonders geregelt sei. Demzufolge trete Fälligkeit ein, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch erfüllt seien (§ 271 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –). Die wesentliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs auf Aufwandspauschale sei das Unterbleiben einer Minderung des Abrechnungsbetrages infolge der MDK-Prüfung. Wenn die Entstehung eines Anspruchs nicht vom Eintritt eines Ereignisses, sondern von dessen Unterbleiben abhänge, könne der Anspruch erst entstehen, wenn feststehe, dass das Ereignis nicht mehr eintreten werde. Nichts Anderes ergebe sich aus der Entscheidung des BSG vom 23. Mai 2017 - B 1 KR 24/16 R – (= SozR 4-2500 § 301 Nr 8). In dieser Entscheidung gehe es um Grundsätze des intertemporalen Rechts und der zeitlichen Anwendbarkeit unterschiedlicher Fassungen des § 275 Abs. 1c SGB V. Für die streitgegenständliche Frage könne nichts hergeleitet werden. Der Anspruch auf eine Aufwandspauschale sei auch nicht untrennbar mit dem Vergütungsanspruch verknüpft. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Anspruch nicht entstehe, wenn eine Prüfung durch die Krankenkasse bzw. durch den MDK nicht eingeleitet werde. Daher könne der Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale nicht zeitgleich mit dem Vergütungsanspruch entstehen. Schließlich spreche gegen eine Entstehung und Fälligkeit bereits mit Einleitung der Prüfung oder Entstehung des Aufwandes in praktischer Hinsicht auch, dass die Krankenhäuser den Anspruch dann bereits mit Einleitung der Prüfung in jedem Prüffall geltend machen könnten und die Krankenkassen zunächst zur Zahlung verpflichtet wären, um dann in der Folge die Erstattung der Aufwandspauschale verlangen zu müssen, wenn sich eine Minderung ergebe. Mit Schreiben vom 2. März 2020 hat die Beklagte den Zinsanspruch der Klägerin für den Fall anerkannt, dass sie zur Zahlung der Aufwandspauschale verurteilt wird.

Mit der vom SG zugelassenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die angegriffene Entscheidung und trägt vor: Das SG habe verkannt, dass der Anspruch auf die Aufwandspauschale bereits in 2011 fällig gewesen sei. Gegen die Forderung sei zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben worden. Das Urteil des SG weiche insbesondere von der Rechtsprechung des LSG BB in seiner Entscheidung vom 8. Dezember 2016 ab. Entfallen könne kraft Natur der Sache nur das, was zuvor bestanden habe bzw. entstanden sei. Wäre der Gesetzgeber – wie das SG in der erstinstanzlichen Entscheidung – davon ausgegangen, dass es sich bei dem Nichteintritt einer Minderung des Abrechnungsbetrages um eine aufschiebende Bedingung handele, so wäre nicht der Begriff „entfällt“, sondern vielmehr die Formulierung „entsteht die Aufwandspauschale“ nicht verwendet worden. Es hätte der Klägerin oblegen, bereits mit der im Februar 2011 erhobenen Klage den Anspruch auf die fällige Aufwandspauschale geltend zu machen und nicht erst mehr als sieben Jahre später mit der Rechnung unter dem 27. April 2018. Dieses von der Klägerin eingestandene Versäumnis könne nicht dadurch geheilt werden, dass nach mehr als sieben Jahren eine Rechnung nachgereicht werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

           die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die Gerichtsakten - S 72 KR 402/11 - (SG Berlin) und die Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand ist im vorliegenden Berufungsverfahren lediglich der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Aufwandspauschale, nicht hingegen der mit der Klage erhobene Zinsanspruch. Das SG hat über diesen Zinsanspruch nicht entschieden.

Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin wegen des im Ergebnis ohne Beanstandungen durchgeführten MDK-Prüfverfahrens zu dem Behandlungsfall der Patientin eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,- € zu zahlen. Der Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale ist dem Grunde und der Höhe nach begründet und fällig. Zutreffend hat das SG den Anspruch auf § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V aF gestützt. Der Anspruch auf die Entrichtung einer Aufwandspauschale ist im Fall der Klägerin entstanden, denn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere das Fehlen einer durch die MDK-Prüfung mitbedungenen objektiv feststellbaren Abrechnungsminderung, sind erfüllt. Ferner steht dem Anspruch auch nicht die geltend gemachte Einrede der Verjährung entgegen. Zur näheren Begründung wird zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen, denen der Senat in vollem Umfang folgt.

Ergänzend ist lediglich auszuführen: Verjährung ist nicht eingetreten, denn die Klägerin hat die Klage auf das Urteil des SG Berlin vom 3. Dezember 2015 – S 72 KR 402/11 –, mit dem nach Eintritt der Rechtskraft erstmals bindend feststand, dass eine objektiv feststellbare Abrechnungsminderung i. S. „der Zuerkennung eines geringeren Zahlbetrags“ (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 24/14 R – Rn. 10) nicht bestand, am 1. Juni 2018 und damit innerhalb der entsprechend dem Rechtsgedanken des § 45 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil - vier Jahre betragenden Verjährungsfrist (vgl. Bockholdt in Hauck/Noftz, § 109 SGB V, Rn. 212) erhoben. Die Verkürzung der Verjährungsfrist nach § 275 Abs. 5 Satz 1 SGB V ist erst zum 1. Januar 2019 in Kraft getreten und entfaltet jedenfalls für Ansprüche der Krankenhäuser keine Rückwirkung, sodass die Frage einer analogen Anwendung dieser Norm (vgl. dazu Bockholdt, aaO, Rn. 212d) auf die Verjährungsfrist der Aufwandspauschale hier nicht entscheidungserheblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 1 Teilsatz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a Abs. 1 Teilsatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz; sie ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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