L 4 BA 2237/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 BA 1443/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 BA 2237/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Vertragsgestaltungen, wie sie der Tätigkeit von Fahrradkurieren anderer vergleichbarer Kurierdiensten zugrunde liegen bzw. eine „übliche Praxis“ sind für die Beurteilung des Vorliegens einer selbstständigen Tätigkeit nicht von Relevanz, ebenso wenig ein „typisches Berufsbild“ oder der Umstand, dass die Tätigkeit im Allgemeinen nur kurzfristig, nebenbei oder von Studenten ausgeübt wird.
2. Zur Tätigkeit als Fahrradkurier als versicherungspflichtige abhängige Beschäftigung.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Verfahrens im Berufungsverfahren.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 194.914,65 € festgesetzt.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes, im Folgenden einheitlich Gesamtsozialversicherungsbeiträge, für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 29. Februar 2016 in Höhe von 194.914,65 €, einschließlich
Säumniszuschlägen in Höhe von 53.928,50 €.

Der 1961 geborene Kläger war Inhaber der Firma „F1 R1“ (im Folgenden: F. RT). Der Kläger hatte diesen von seiner Lebensgefährtin H1 (K.H.) im April 2005 gegründeten Betrieb ab 1. Oktober 2008 übernommen und als Einzelunternehmer geführt. Als betriebliche Tätigkeit hatte der Kläger „Privater Fahrradkurier-Briefbeförderungsservice“ angemeldet (vgl. Gewerbedatei der Stadt R1; Bl. 16 Ermittlungsakte). Diese beinhaltete den Transport von Briefen, Paketen und Päckchen sowie Gegenständen sonstiger Art überwiegend im Stadtgebiet von R1. Die entsprechenden Kurierfahrten wurden in Form von Abruffahrten (Erledigung eines Auftrags nach Anruf), festen Touren (wiederkehrende Fahrten mit einer oder mehreren festen Stationen) und Botenfahrten durchgeführt.

Als Kurierfahrer setzte der Kläger insbesondere Studenten und Schüler sowie vereinzelt Hausfrauen ein, die im Rahmen einer „freien Mitarbeit“ tätig wurden. Die in den Geschäftsräumen (sog. Zentrale) anfallenden Arbeiten wurden durch den Kläger und K.H. erledigt. K.H. war beim Kläger zu einem monatlichen sog. „Tarifgehalt“ von 450,00 € (bis Dezember 2014) bzw. 500,00 € (ab Januar 2015) beschäftigt. Darüber hinaus stellte sie dem Kläger als Inhaberin der Firma „k.h. gründungscoaching und -support“ (im Folgenden: Firma k.h.) für unterschiedliche Dienstleistungen jeweils monatliche und jährliche Pauschalbeträge („Pauschalen/Aufwand“) in Rechnung, so bspw. im Jahr 2014 monatliche Pauschalen zwischen 1.000 € und 2.500 € (insgesamt 19.400 €) sowie eine Jahrespauschale von 7.700 € („Dienstleistungen im Jahr 2014 - Dauerbeauftragung“, „Administration allgemein, Radler Einsatzplanung allgemein, Vertretung (Urlaub, Krankheit, usw.) allgemein“; vgl. Bl. 186 ff. Beweismittelakte Band II).


Die festen Touren wurden im Rahmen der sog. Vormittags- bzw. Mittagsschichten durchgeführt. Es handelte sich um Touren, bei denen bspw. in Postfächern der Deutschen Post AG in R1 eingegangene Sendungen an die jeweiligen Firmen oder Behörden im Stadtgebiet ausgeliefert bzw. Sendungen von dort zur Deutschen Post AG transportiert wurden. Für diese Touren gab es jeweils gleichbleibende (Montag bis Freitag) feste Abhol- und Zustelltermine. In den jeweiligen Zeitkorridoren dieser Schichten führten die Kurierfahrer außerhalb der festen Touren bei Bedarf Abruffahrten durch. Bei den sog. Botenfahrten handelte es sich zu 90 % um Sendungen der Buchhandlung O1 in R1. Diese Sendungen wurden vormittags im Rahmen einer festen Abholtour bei der Firma O1 abgeholt und in die Geschäftsräume des Klägers verbracht. Dort wurden sie auf verschiedene Zustellgebiete verteilt und für die Kurierfahrer bereitgestellt. Diese Aufgaben wurden im Regelfall durch den Kläger bzw. K.H. erledigt. Die Sendungen für das jeweilige Zustellgebiet wurden in einer Liste (Tabelle) erfasst und den auszuliefernden Sendungen beigefügt. Auf dieser Liste bestätigte der Adressat den Empfang durch Unterschrift bzw. der Fahrer vermerkte den Einwurf in den Briefkasten oder die Übergabe an einen Dritten. Die jeweiligen Listen wurden in den Geschäftsräumen des Klägers abgegeben. Diese waren Grundlage für die Abrechnung der Vergütung. Für die genannten Botenfahrten hatten die Kurierfahrer die Sendungen zwischen 13:00 Uhr und 14:00 Uhr in den Geschäftsräumen des Klägers abzuholen und bis spätestens 20:00 Uhr bzw. in den Sommermonaten bis 21:00 Uhr an die Adressaten auszuliefern.

Die Kurierfahrer setzten für die Kurierfahrten ihre eigenen Fahrräder ein. Die für den Transport erforderlichen Rucksäcke und Fahrradtaschen wurden vom Kläger gestellt. Die jeweiligen Einsatztage für den Kläger konnten die Kuriere selbst wählen.

Die Vergütung der festen Touren im Rahmen der sog. Vormittags- bzw. Mittagsschichten erfolgte nach Monatspauschalen und die Vergütung der Botenfahrten nach der Anzahl der zugestellten Päckchen/Pakete, jeweils abhängig von deren Gewicht. Die Vergütung wurde jeweils monatlich durch Überweisung ausgezahlt. Grundlage dessen war die sog. „HonorarAbrechnung“, die im Regelfall von K.H. anhand der für die jeweiligen Zustellgebiete gefertigten Listen erstellt und sodann von den Kurierfahrern unterzeichnet wurden.

Nach einer Probephase von ca. zwei Wochen schloss der Kläger mit den an einer Kuriertätigkeit (weiterhin) interessierten Personen jeweils einen „Vertrag über freie Mitarbeit“ folgenden Inhalts:

„§ 1 Tätigkeit

wird ab dem …

die Aufgabe einer/eines Fahrradkuriers

mit folgenden Tätigkeiten übernehmen:
Botenfahrten mittels Fahrrad für diverse Auftraggeber des [F. RT], feste Touren nach Bedarf und Absprache, Zustellung von Päckchen und Paketen innerhalb der von den Kunden des [F. RT] vorgegebenen Rahmenbedingungen.

Ergänzend wird im Einzelfall auf jeweilige Auftragsschreiben/Projektparameter verwiesen.


§ 2 Weisungsfreiheit

(1) Der Auftragnehmer unterliegt bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten keinen Weisungen des Auftraggebers. Er ist in der Gestaltung seiner Tätigkeit (Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausübung) selbstständig tätig und vollkommen frei. Auf besondere betriebliche Belange im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit ist jedoch Rücksicht zu nehmen

(2) Der Auftragnehmer ist an keinerlei Vorgaben zum Arbeitsort oder zu Arbeitszeit gebunden. Projektbezogene Zeitvorgaben des Auftraggebers sind allerdings einzuhalten, ebenso fachliche Vorgaben des Auftraggebers, soweit diese zur ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung erforderlich sind.

(3) Der Auftragnehmer ist ferner berechtigt, Aufträge des Auftraggebers ohne Angabe von Gründen abzulehnen.

(4) Gegenüber den Angestellten des Auftraggebers hat der Auftragnehmer keine Weisungsbefugnis.


§ 3 Leistungserbringung

(1) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Die Hinzuziehung eigener Mitarbeiter oder die Vergabe von Unteraufträgen bedarf der vorherigen Zustimmung des Auftraggebers.

(2) Der Auftragnehmer übt seine Tätigkeit in seinen eigenen Räumlichkeiten und mit eigenen Betriebsmitteln (insbesondere Fahrrad) aus. Soweit in Einzelfällen eine betriebliche Anwesenheit erforderlich wird, stellt der Auftraggeber nach jeweiliger vorheriger Absprache die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung.

(3) Die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Ausrüstungsgegenstände – Kurierrucksack, Straßenkarten, Bekleidung, Satteltaschen, Gepäckträger usw. – bleiben Eigentum des Auftraggebers und sind bei Beendigung der Tätigkeit bzw. Auftragsübernahme zurückzugeben.


§ 4 Unterrichtungspflicht

Beide Vertragsparteien verpflichten sich zur gegenseitigen Kenntnisgabe, sofern sich bei der Vertragsdurchführung Abwicklungsschwierigkeiten oder aber vorhersehbare Zeitverzögerungen ergeben sollten.


§ 5 Fortbildungspflicht des Auftragnehmers

Der Auftragnehmer ist verpflichtet, sich im Rahmen der Durchführung dieses Vertrages über den aktuellen Entwicklungsstand seines Aufgabengebiets zu informieren und fortzubilden.


§ 6 Konkurrenz

(1) Der Auftragnehmer darf auch für andere Auftraggeber oder einen Arbeitgeber tätig sein. Will der Auftragnehmer allerdings für einen unmittelbaren Wettbewerber des Auftraggebers tätig werden, bedarf dies der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Auftraggebers.

(2) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von Euro 500,00 an den Auftraggeber zu zahlen.


§ 7 Verschwiegenheit

(1) Der Auftragnehmer verpflichtet sich im Übrigen, über ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt gewordene betriebliche Interna, insbesondere Geschäftsgeheimnisse, auch nach seinem Ausscheiden Stillschweigen zu bewahren.

(2) Für jeden Fall der schuldhaften Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung wird eine Vertragsstrafe in Höhe von Euro 500,00 vereinbart.

(3) Weitergehender Schadensersatz sowie die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen bleiben vorbehalten.


§ 8 Honorar

(1) Der Auftragnehmer erhält für die Abwicklung der Aufträge eine Provision. Die Provision ist abhängig vom jeweiligen Auftrag/Projekt und wird in einem ergänzenden Auftragsschreiben (Projektbeschreibung) vereinbart.

(2) Für die Übernahme von Abrufaufträgen beträgt die Provision generell 30 % des Fahrpreises bzw. ist in der Monatspauschale (siehe ergänzende Auftragsschreiben) enthalten.

(3) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, jeweils bis zum 10. des Folgemonats eine spezifizierte Abrechnung in Form einer Rechnung zu erstellen.


§ 9 Fälligkeit

Das unter § 8 vereinbarte Honorar wird jeweils zum Monatsende fällig. Die Auszahlung erfolgt bis zum 10. des Folgemonats unbar.


§ 10 Sonstige Ansprüche/Rentenversicherung

(1) Mit der Zahlung der in diesem Vertrag vereinbarten Vergütung sind alle Ansprüche des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber aus diesem Vertrag erfüllt.

(2) Für die Versteuerung der Vergütung hat der Auftragnehmer selbst zu sorgen.

(3) Der Auftragnehmer wird darauf hingewiesen, dass er nach § 2 Nr. 9 SGB VI rentenversicherungspflichtig sein kann, wenn er auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist und keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, deren Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400,-- Euro im Monat übersteigt.


§ 11 Haftung und Gewährleistung



§ 12 Kündigung



§ 13 Erfüllungsort und Gerichtsstand



§ 14 Keine Umgehungen arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften

Von der Möglichkeit des Abschlusses eines Anstellungsvertrages ist in Anwendung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit bewusst kein Gebrauch gemacht worden. Eine Umgehung arbeitsrechtlicher oder arbeitsgesetzlicher Schutzvorschriften ist nicht beabsichtigt. Dem freien Mitarbeiter soll vielmehr die volle Entscheidungsfreiheit bei der Verwertung seiner Arbeitskraft belassen werden. Eine über den Umfang dieser Vereinbarung hinausgehende persönliche, wirtschaftliche oder soziale Abhängigkeit wird nicht begründet.


§ 15 Nebenabreden
…“


Der Projektparameter (vgl. § 1) „Zustellauftrag“ lautete bspw. wie folgt:

„Zustellung von Päckchen und Paketen gegen KundenUnterschrift
(in Ausnahmefällen an Nachbar bzw. im Briefkasten)
grundsätzlich im GesamtZustellGebiet des [F. RT]
in der üblichen Praxis aufgeteilt auf ca. 1 – 3 Touren bzw. Radler

Übernahme des Auftrags zwischen 13.00 – 14.00 Uhr;

Zustellzeit (zur ordnungsgemäßen Projektabwicklung erforderlich):
zwischen 13.00 Uhr (früheste Übernahme in der Zentrale) und
20.00 Uhr (späteste Zustellung) bzw. in den Sommermonaten Mai – September
nach Absprache auch bis 21.00 Uhr

Zustellmenge zwischen 10 – 40 Päckchen/Pakete
überwiegende Päckchen, Anteil ca. 98 %

Honorar: pro Zustellung Päckchen 1,60 Euro
               pro Zustellung Paket (
>2 kg) 3,20 Euro

Übernahme der Zustellungen an 1 – 4 (5) Tagen pro Woche möglich
Vereinbarung ist jeweils im voraus für einen kompletten Monat zutreffen

Bei persönlicher Verhinderung an einem vereinbarten Termin ist für einen
„ErsatzRadler“ aus dem fahrradkurier-Team zu sorgen.
Kann kein ErsatzRadler definiert werden, behält sich der [F. RT]
vor für den entstehenden organisatorischen Aufwand bzw. die Nichterfüllung der
vereinbarten Auftragsübernahme eine Entschädigung in Rechnung zu stellen.

Generelle Bereitschaft bei Bedarf kurzfristig auch andere, zeitlich darstellbare
adäquate Touren bzw. Aufträge zu übernehmen.

Nachtrag:

Honorar für die Abholung von Ausgangspost und Anlieferung Deutsche Post AG
innerhalb der von den Kunden vorgegebenen Zeitkorridore:

pro Abholer/Kunde 1,60 Euro“


Der Projektparamater (vgl. § 1) für die Vormittags- bzw. Mittagsschicht lautete bspw. wie folgt:

„Touren- und Abrufaufträge ab Februar 2011

Vormittagsschicht
Einsatz von 7.30 bis 12.00 Uhr (inkl. 15 Min. Pause)

A. PostfachTouren
Postfachleerungen Hauptpost R1 Montag – Freitag
inklusive Anlieferung der Sendungen bei den Firmen/Kunden
Start:    7.30 Uhr Hauptpost
Ende:   ca. 9.10 Uhr Zentrale [F. RT]
Spezifikation der Touren sie jeweils aktuelle separate Tourenbeschreibung oder Absprachen

B: Übernahme Abrufaufträge Montag – Freitag
im Zeitkorridor zwischen 7.30 – 12.00 Uhr
z.B. Zoll, IHK, Abholungen P1, Blumenauslieferungen, KSK usw.

C. Landratsamt- und/oder Finanzamt- bzw. sonstige feste Touren Montag - Freitag
Landratsamt startet um 9.45 Uhr
Finanzamt um 10.15 Uhr
Spezifikation der Touren siehe jeweils aktuelle separate Tourenbeschreibung oder Absprachen
…“

Im Anschluss an eine im November 2013 erfolgte Kontrolle eines für den Kläger tätigen Kurierfahrers, der nicht zur Sozialversicherung angemeldet war, führte das Hauptzollamt U1 wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Strafgesetzbuch (StGB) Ermittlungen nach §§ 2 ff.
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) durch. Ausweislich seines Schlussberichts vom 17. Juli 2017 (vgl. Bl. 32 VerwA) gelangte das Hauptzollamt U1 zu dem Ergebnis, dass der Kläger und K.H. die zuständigen Einzugsstellen in der Zeit von Januar 2011 bis Februar 2016 über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge in 166 Fällen nicht rechtzeitig abgeführt (strafbar gemäß § 266 Abs. 1 und 2 StGB) und ihre Meldepflichten zur Sozialversicherung gemäß § 28 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) verletzt hätten (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV), wobei sich der strafrechtliche Schaden auf insgesamt 135.699,31 € belaufe. Das nach Anklageerhebung beim Amtsgerichts R1 eröffnete Strafverfahren gegen den Kläger und K.H. wurde mit Beschluss vom 5. Juli 2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO wegen geringer Schuld eingestellt.

Nach Auswertung der seitens des Hauptzollamts U1 bereitgestellten Unterlagen führte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Anhörungsschreiben vom 8. Mai 2017 aus, sie beabsichtige Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 197.438,85 € zu erheben. Darin seien Säumniszuschläge von insgesamt 54.609,50 € enthalten. Die Ermittlungen der Zusammenarbeitsbehörde hätten folgende Feststellungen ergeben: Von der Firma F. RT würden täglich, regelmäßig oder spontan Briefe, Pakete und Lieferungen aller Art im gesamten R2 Stadtgebiet mittels Fahrradkurieren ausgeführt. Dabei würden die Kurierfahrten von freien Mitarbeitern durchgeführt, ohne dass eine (An-)Meldung zur Sozialversicherung erfolgt sei. Die Rechnungen würden vom Auftraggeber selbst geschrieben. Im Rahmen der Statusfeststellung sei die Frage der Arbeitnehmereigenschaft des Auftragnehmers danach zu beurteilen, ob die Tätigkeit weisungsgebunden ausgeübt werde oder ob er seine Chance auf dem Markt selbstständig und im Wesentlichen weisungsfrei suchen könne. Beim Personenkreis der Kurier-, Express- und Paketdienstleister könne eine selbstständige Tätigkeit nicht allein am Merkmal eines eigenen Fahrzeugs festgemacht werden. Zwar seien die Kurierfahrten der Auftragnehmer des Klägers ausschließlich mit den eigenen Fahrrädern durchgeführt worden, jedoch sei der wirtschaftliche Aufwand für den Erwerb eines Fahrrads nicht so hoch, dass damit ein erhebliches wirtschaftliches Risiko verbunden sei. Im Regelfall werde das eigene Privatfahrrad für die Dienste genutzt. Ein solches sei auch in vielen privaten Haushalten vorzufinden und stelle deshalb kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit dar. Alle weiteren Ausrüstungsgegenstände (Kurierrucksack, Straßenkarten, Bekleidung, Satteltaschen etc.) seien nach dem „Vertrag über freie Mitarbeit“ vom Auftraggeber unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden. Die Kurierfahrer hätten lediglich ihre Arbeitskraft geschuldet, wobei die Arbeitsleistung höchstpersönlich habe erbracht werden müssen. Sie seien in Arbeitskleidung des Auftraggebers aufgetreten und nach außen daher nicht als selbstständige Unternehmer in Erscheinung getreten. Sie hätten über keine eigene Betriebsorganisation verfügt und seien nicht in der Lage gewesen, unternehmerisch am Markt aufzutreten und damit unternehmerische Chancen wahrzunehmen. Ein für den Unternehmer typisches Risiko hätten sie nicht getragen. Ein Spielraum für eine im Wesentlichen freie Ausgestaltung der Tätigkeit sei nicht gegeben gewesen. Die Gestaltungsmöglichkeit habe sich in der Annahme eines vom Auftraggeber nach seinen Bedürfnissen ausgearbeiteten Auftrags erschöpft. Nach dem vorliegenden Schriftverkehr hätten bspw. Vormittags- und Nachmittagsschichten eingehalten werden müssen. Auch wenn eine ausdrückliche Festlegung der Arbeitszeit nicht erfolgt sei, sei durch den sehr weitgehend vorgegebenen Zustellzeitraum die Möglichkeit zur freien Disposition stark eingeschränkt bzw. nur innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens möglich gewesen. Die Abrechnung sei nach Stückzahl und Sendungsgröße erfolgt, wobei ein vom Auftraggeber festgelegter Verrechnungssatz herangezogen worden sei. Die monatlichen Honorarabrechnungen seien für die einzelnen Arbeitskräfte vom Auftraggeber selbst erstellt worden. Durch die fremdbestimmte Rechnungsstellung habe für die Auftragnehmer kein Raum für eine eigenständige Angebotskalkulation und Preisgestaltung bestanden. Eine durch den Auftraggeber erstellte Rechnung sei als untypisch für eine selbstständige Tätigkeit zu werten. Die im „Vertrag über freie Mitarbeiter“ vereinbarte Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende sei regelmäßiger Bestandteil eines Arbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und versicherungspflichtigen Arbeitnehmern und stehe im Widerspruch zu einer selbstständigen Tätigkeit. Die fehlenden Gewerbeanmeldungen aller Fahrradkuriere erweckten nicht einmal den Anschein einer selbstständigen Tätigkeit. Nach Gesamtwürdigung der relevanten Tatsachen lägen abhängige Beschäftigungsverhältnisses vor. Es habe Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung bestanden. Eine entsprechende Beurteilung ergebe sich auch für K.H. Sie beschäftigte im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer und die fortlaufenden Rechnungsnummern ließen darauf schließen, dass sie auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sei. Ein unternehmerisches Risiko sei nicht erkennbar. K.H. setze in Bezug auf ihre Tätigkeit keinerlei Kapital ein oder übernehme in irgendeiner Weise ein unternehmerisches Risiko. Aus den Ermittlungsakten gehe hervor, dass sie sich überwiegend am Betriebssitz des Auftraggebers aufhalte. Am 10. April 2014 habe sie zu Protokoll gegeben, dass die Sendungen der Firma O1 (über 90 % der Sendungsmenge) vormittags vom Kläger und ihr abgeholt würden und anschließend im Betriebssitz von beiden Personen vorsortiert würden. Daraufhin plane sie die einzelnen Touren für die Fahrradkuriere. Auch nach den Vernehmungsniederschriften sei K.H. immer im Büro, wenn die Fahrradkuriere ihre Sendungen abholten. K.H. sei voll und ganz in den Betriebsablauf eingeplant und aufgrund der Tätigkeit in den Betriebsräumen müsse deren Eingliederung in den Betrieb bejaht werden. Gegenüber den Kurierfahrern sei sie nicht unter ihrem eigenen Betriebsnamen, sondern ausschließlich als Mitarbeiterin des Klägers aufgetreten. Ein Werkvertrag liege nur vor, wenn der Auftragnehmer Art und Einteilung seiner Arbeit selbst bestimme. Dabei müsse er die zur Erfüllung des Werkvertrags notwendigen Arbeitsabläufe (Reihenfolge) selbst festlegen und entscheiden, welche und wie viele Arbeitnehmer er einsetze. Fehle es daran und organisiere vielmehr der Auftraggeber die Tätigkeit des Auftragnehmers nach seinen eigenen betrieblichen Erfordernissen, so liege kein Werkvertrag, sondern ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor. Da es sich bei den Dienstleistungen von K.H. um keine klar abzugrenzenden Gewerke handele, liege kein Werkvertrag vor. Ihre Tätigkeit werde vielmehr durch den Kläger vorgegeben und nach dem Betriebsablauf ausgerichtet. Nach Gesamtwürdigung der relevanten Tatsachen liege ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor. Es bestehe Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung.

Der Kläger erhob gegen diese Einschätzung Einwendungen und machte geltend, die Kurierfahrer seien ausschließlich selbstständig tätige Auftragnehmer. Dies sei bundesweit so üblich und auch nicht zu beanstanden. Auch K.H. sei nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Hierzu führte er mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 29. Mai 2017 weiter aus, die Fahrräder der Kurierfahrer seien deren eigene Betriebsmittel gewesen, für deren Erwerb und Erhalt ein gewisser wirtschaftlicher Aufwand notwendig gewesen sei. Einige Fahrradkuriere hätten über sehr hochwertige und teure Fahrräder verfügt. Es habe durchaus ein Unternehmerrisiko bestanden. Für die Beschädigung eines Fahrrades habe es keinen Ersatz gegeben und die Aufträge hätten durch die Kurierfahrer erledigt werden müssen, da sie ansonsten keine Vergütung erhalten hätten. Kurierfahrer seien im Übrigen in einem niederschwelligen Bereich tätig, weshalb sie sich keine eigenen Werbemittel leisten könnten. Nicht bekannt sei, ob sie für andere Fahrradkuriere tätig gewesen seien. Eine eigene Betriebsorganisation sei in der Regel nicht nötig und auch nicht üblich. Richtigzustellen sei, dass keine Bekleidung zur Verfügung gestellt worden sei. Ein Kurierrucksack sei der Einfachheit halber gestellt worden. Straßenkarten seien schon lange im Betrieb vorhanden, auch in Form von einfachen Kopien. Die Kurierfahrer hätten die Erledigung eines bestimmten Auftrags geschuldet. Die Leistung habe nicht zwingend höchstpersönlich erbracht werden müssen. Es sei auch öfter vorgekommen, dass bspw. die Freundin oder der Bruder des jeweiligen Kurierfahrers gefahren sei. Zur Abstimmung untereinander sei dies auch regelmäßig vorab mitgeteilt worden. Den Fahrradkurieren habe es freigestanden, die Rechnungen selbst zu stellen. Lediglich aus Praktikabilitätsgründen sei die Rechnungsstellung vom Betrieb übernommen worden. Es habe keine Vormittags- oder Nachmittagsschichten gegeben, die hätten eingehalten werden müssen. Der Ablauf sei jeweils so gewesen, dass die Auftragnehmer zwischen 13:30 Uhr und 14:15 Uhr im Betrieb erschienen seien, soweit sie sich vorher gemeldet und mitgeteilt hätten, dass sie gerne einen Auftrag erhalten würden. Je nach Verfügbarkeit und Auftragssituation habe der Betrieb Aufträge nach Wunsch und Zeit des Auftragnehmers verteilen können. Zur genannten Zeit hätten sie die Aufträge in der Betriebsstätte dann abgeholt und eigenverantwortlich in eigener Regie und nach eigener Zeitplanung abgearbeitet. Es sei lediglich vorgegeben gewesen, dass bspw. die Lieferungen der Firma O1 im Winter bis 20:00 Uhr und im Sommer bis 21:00 Uhr beim Adressaten anzuliefern seien. Die Zusammenstellung der Aufträge sei auch nach Wunsch der Auftragnehmer erfolgt. In der Regel hätten sie zwischen 15 und 40 Lieferungen mitgenommen und eigenständig verarbeitet. Bei besonderem Geschick des Kurierfahrers habe er sich sehr gute Touren legen und damit eine sehr hohe Vergütung für die Strecke erhalten können. Die erfolgte Abrechnung nach Stückzahl und Sendungsgröße (1,30 € pro Zustellung; über 2 kg 2,60 € pro Zustellung) sei üblich und entspreche dem Bild eines selbstständigen Kuriers. Faktisch habe kein „Vertrag über freie Mitarbeit“, sondern ein Auftragsverhältnis vorgelegen, das jedes Mal nach Vereinbarung neu begründet worden sei. Ein Anstellungsverhältnis sei bewusst von beiden Parteien in Kenntnis aller Umstände nicht gewollt und nicht beabsichtigt gewesen. Schichten seien von den Kurierfahrern nicht übernommen worden. Gelegentlich sei eine Urlaubsvertretung für ihn – den Kläger – vereinbart worden, was auch sämtliche Abholungen am Vormittag umfasst habe. Soweit Urlaubsvertretung für einen begrenzten Zeitraum vereinbart gewesen sei, unterfalle diese nicht der Sozialversicherungspflicht. K.H. habe sich in der Regel zwischen 13:00 Uhr und 14:30 Uhr im Betrieb aufgehalten, um die Auftragsverteilung unterstützend zu begleiten. Daher hätten die Fahrradkuriere sie zu diesem Zeitpunkt auch immer im Büro angetroffen. Sie habe grundsätzlich die Verteilung der Aufträge und Koordination übernommen, darüber hinaus strategische Planungen und Verhandlungen mit Auftraggebern. Hierzu sei er – der Kläger – zeitlich nicht in der Lage gewesen. Auch angesichts seiner Fachkenntnisse sei es besser gewesen, hierbei unterstützt und gecoacht zu werden. Insoweit sei bezüglich K.H. von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen. Die Firma k.h. biete diese Dienstleistungen auch anderen Unternehmen an. K.H. trete am Markt als freie Unternehmerin, Gründungcoach und Support auf. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18. Juli 2017 machte er geltend, hinsichtlich der Kurierfahrer müsse geprüft werden, ob Zeit- oder Entgeltgeringfügigkeit vorliege. Viele der Kurierfahrer seien nur äußerst kurzzeitig oder nur einmal in der Ferienzeit tätig gewesen. Insoweit lasse sich auch keine berufsmäßige Tätigkeit feststellen.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 forderte die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge in einer Gesamthöhe von 197.438,85 €. Sie legte unter Wiederholung ihrer Ausführungen im Anhörungsschreiben vom 8. Mai 2017 dar, dass und aus welchen Gründen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers im Rahmen der Anhörung nach einer Gesamtwürdigung davon auszugehen sei, dass die Kurierfahrer und K.H. im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse tätig geworden seien. Zur Ermittlung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts seien die Honorarabrechnungen herangezogen worden. Soweit bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden seien, gelte seit dem 1. August 2002 gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Der Gesetzgeber habe damit eine Rechtsgrundlage geschaffen, um bei derartigen Konstellationen eine Nettolohnvereinbarung unterstellen zu können. Die Berechnung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts sei nach den Grundsätzen der Hochrechnung eines Nettolohns auf einen Bruttolohn erfolgt. Auf K.H. finde § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV keine Anwendung, da die Tätigkeit lediglich unzutreffend als selbständige Tätigkeit beurteilt worden sei. Sofern eine geringfügig entlohnte Beschäftigung vorliege, seien Pauschalbeiträge aus dem gezahlten Lohn (ohne Hochrechnung) ermittelt worden. Dem Bescheid war als Anlage eine Aufstellung unter namentlicher Nennung der für den Kläger tätig gewesenen Kurierfahrer mit den jeweils nachberechneten Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen beigefügt, wobei für die Kurierfahrer S1 (H.R.S.), Magnus Merz (M.M.), H2 (J.H.), S2 (D.S.), T1 (A.T.) und F2 (O.F.) sowie für K.H. Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nachberechnet wurden. Für die weiter aufgeführten, lediglich geringfügig beschäftigten Kurierfahrer wurden Pauschalbeiträge zur Renten- und Krankenversicherung nacherhoben.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und bekräftigte seine Auffassung, wonach die Fahrradkuriere nicht im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen seien. Sie hätten ihr eigenes Fahrrad benutzt, hätten Aufträge nach eigenem Belieben annehmen oder ablehnen und Aufträge durch andere durchführen lassen können. Gerade in der Branche der Fahrradkuriere sei nicht zu beanstanden, dass die Abrechnung nach Stückzahl und Sendungsgröße erfolge, der Auftraggeber den Verrechnungssatz hierfür bestimme und auch eine entsprechende Abrechnung erstelle. Dies sei nicht untypisch und von vorne herein nicht als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu bewerten. Vertragliche Vereinbarungen zwischen in der Regel rechtsunkundigen Personen sollten nicht als Indiz herangezogen werden. Die Fahrradkuriere seien in ihrer Entscheidungsfindung, ihre Tätigkeit anzubieten oder nicht auf Angebote zu reagieren, vollständig frei gewesen. Entsprechend seien auch Kündigungsfristen nie faktisch umgesetzt worden und nicht von Belang gewesen. Zur Bewertung der Tätigkeit von K.H. verwies er auf seine Ausführungen im Rahmen der Anhörung und machte geltend, die Beklagte habe zu Unrecht eine Hochrechnung vorgenommen. Es sei zudem nicht in ausreichendem Maße erkennbar, ob die Grundsätze für eine geringfügig entlohnte Beschäftigung berücksichtigt worden seien. Nicht nachvollziehbar sei schließlich, weshalb beim Vorliegen abgeschlossener Prüfzeiträume kein Vertrauensschutz vorliegen solle. Frühere Prüfberichte seien entsprechend zu berücksichtigen.

Hierzu führte die Beklagte mit Schreiben vom 14. November 2017 aus, bezüglich K.H. sei bei der Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage wie aus dem Bescheid ersichtlich keine Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorgenommen worden. Die Beiträge seien ausschließlich aus den Nettobeträgen der Rechnungsstellung ermittelt worden. Bei allen kurzzeitigen und Tätigkeiten mit geringem Arbeitsentgelt sei geprüft worden, ob die Voraussetzungen einer geringfügig entlohnten bzw. versicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IV vorlägen. Aus den Unterlagen ergebe sich, dass die Tätigkeiten jeweils auf einen längeren Zeitraum ausgelegt gewesen seien. Bei allen Betroffenen sei deshalb von Dauerbeschäftigungen ausgegangen worden, weshalb die Voraussetzungen von kurzfristigen Beschäftigungen nicht vorlägen. In den betreffenden Fällen seien lediglich Pauschalbeträge zur Kranken- und Rentenversicherung nachberechnet worden. Vertrauensschutztatbestände ergäben sich aus der Vorprüfung nicht. Im Rahmen der Betriebsprüfung vom 24. Oktober 2013 sei keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Kurierfahrer vorgenommen worden.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18. Dezember 2017 führte der Kläger ergänzend aus, eine Vielzahl von Fahrradkurieren seien überhaupt nur kurzzeitig tätig gewesen, weshalb keine Beschäftigung von Dauer angenommen werden könne. Ein kleinerer Teil der Fahrradkuriere sei zwar längere Zeit tätig gewesen, dies jedoch in der Regel neben der Schule, dem Studium oder als kleiner Hinzuverdienst. Entsprechend müsse nochmals überprüft werden, ob Zeit- oder Entgeltgeringfügigkeit vorliege. Andere Radler seien wiederum nur kurzzeitig im Rahmen einer Urlaubsvertretung tätig gewesen, wobei sich die Zeiträume immer unter 50 Einsatztagen im Jahr belaufen hätten.

Hierzu führte die Beklagte mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 aus, dass nach dem aktenkundigen Mail-Verkehr und den vertraglichen Vereinbarungen von Dauerarbeitsverhältnissen ausgegangen werden müsse. Bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen sei die Annahme einer kurzfristigen Beschäftigung generell ausgeschlossen, was sich aus den Geringfügigkeitsrichtlinien ergebe. Sie legte weiter dar, unter welchen Voraussetzungen eine kurzfristige Beschäftigung vorliege, und dass die entsprechenden Nachweise vom Arbeitgeber zu führen seien. Es werde daher Gelegenheit gegeben, entsprechende Nachweise/Unterlagen nachzureichen, die eine versicherungsfreie Tätigkeit der Betroffenen belegten.

Der Kläger führte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21. Dezember 2017 hierzu aus, dass D.S. im Jahr 2016 nur eine Fahrerprobung von einem Wochenende gemacht, lediglich 56 Zustellungen bewirkt und zwei Wochen Abwesenheitsvertretung gemacht habe. MM bezahle „offenbar seit August 2014 einen vollen Krankenversicherungsbeitrag als Selbstständiger bei der B1 Krankenversicherung. Gegebenenfalls erfolgte eine Einstufung durch die B1?“ Insoweit bat er dies und den bisherigen Vortrag zu berücksichtigen. Es dürften einige Auftragnehmer herausfallen, bei vielen dürfte kein Beschäftigungsverhältnis zu konstatieren sein.

Mit Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 (Bl. 66 VerwA) reduzierte die Beklagte die Nachforderung auf 194.914,65 € und führte zur Begründung aus, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens seien die Feststellungen auf der Grundlage einer versicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV überprüft worden. Für mehrere Beschäftigte, für die kein schriftlicher Arbeitsvertrag vorgelegen habe, habe eine Befristung der Beschäftigung hergeleitet werden können. In diesen Fällen – insgesamt 16 namentlich aufgeführte Personen – sei von einer Beitragsnacherhebung abgesehen worden. In Bezug auf M.M. sei eine Statusklärung durchgeführt worden. Informationen über dessen selbstständige Tätigkeit lägen nicht vor. Grundsätzlich sei jede Tätigkeit für sich zu beurteilen, da auch abhängig Beschäftigte mehrere Tätigkeiten ausüben oder neben dieser Beschäftigung selbstständig tätig sein könnten. Bezüglich K.H. werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Oktober 2017 verwiesen. Bei den Kurierfahrern sei auch aufgrund der Einlassungen im Widerspruchsverfahren eine vollständige Freiheit in der Entscheidungsfindung nicht zu erkennen. Diese seien zwar frei in der Entscheidung, ob sie die Tätigkeit ausübten oder nicht, sobald sie aber die Tätigkeit ausübten, seien sie auf die Betriebsorganisation angewiesen und weisungsgebunden. Zwar könnten die Fahrradkuriere bei ihrer Verhinderung eine Tour an einen anderen Fahrradkurier abgeben, jedoch dürfe der Ersatzfahrer nur aus dem zur Verfügung stehenden Pool stammen. Sollte kein Fahrer gefunden werden, kümmere sich der Kläger um Ersatz. Damit sei der Fahrradkurier jedoch in seiner unternehmerischen Freiheit beschränkt. Vertrauensschutz aufgrund der früheren Prüfung bestehe im Übrigen nicht.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2018 führte die Beklagte unter Bezugnahme auf den Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 aus, dass bei den genannten 16 Personen von einer versicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung ausgegangen werden könne, Nachweise für versicherungsfreie Tätigkeiten von weiteren Betroffenen habe der Kläger nicht vorgelegt. Hinsichtlich der Arbeitnehmer D.S. und M.M. sei lediglich ein fehlendes Beschäftigungsverhältnis behauptet worden.

Mit Schreiben vom 23. April 2018 legte der Kläger Mehrfertigungen seiner an die B1 GEK gerichteten Schreiben vom 18. und 19. April 2018 vor, wonach M.M. seit August 2014 deren Versicherungsnehmer sei und als freiwillig Versicherter volle Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zahle, während für den gleichen Zeitraum Beiträge von insgesamt 13.687,17 € geltend gemacht würden. Dies stelle eine doppelte Verbeitragung für den gleichen Zeitraum und das gleiche Einkommen dar. J.H. habe im Jahr 2014 von vorneherein befristet nur von Juli bis September und an weniger als 50 Tagen Aufträge übernommen. Es sei daher von einer kurzfristigen Beschäftigung auszugehen, wofür maximal die Umlagen 1 und 2 sowie die Umlage für Insolvenzgeld anfielen, mithin maximal 171,76 €.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2018 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch über den Teilabhilfebescheid vom 2. Februar 2018 hinaus zurück und führte zur Begründung u.a. aus, die Tätigkeiten der Kurierfahrer seien zutreffend als abhängige Beschäftigungsverhältnisse beurteilt worden. Die Kurierfahrer seien in die Betriebsorganisation eingegliedert und weisungsabhängig gewesen und hätten trotz des Einsatzes der eigenen Fahrräder kein unternehmerisches Risiko getragen. Das Vorliegen eines Dienstplanes sei als Hinweis auf eine organisatorische Eingliederung in den Betrieb zu werten. Dessen Existenz mache deutlich, dass es hinsichtlich der Tätigkeitszeiten der Betroffenen Abstimmungsbedarf mit den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten und den Anforderungen der zu erfüllenden Aufträge gegenüber den Kunden gegeben und die Tätigkeiten zumindest zeitlich ineinander gegriffen hätten und damit verzahnt gewesen seien. Eine funktionsgerechte Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation setzte nicht zwingend die Erteilung tatsächlicher Weisungen im konkreten Einzelfall voraus. Die Kurierfahrer seien nicht für ihre eigenen Kunden, sondern ausschließlich für die Kunden des Klägers tätig geworden und hätten eigene Aufträge nicht akquiriert. Durch die Übernahme der Aufträge seien die Kurierfahrer dem Kläger gegenüber verpflichtet gewesen, den Auftrag entsprechend aus- und durchzuführen. Die mit dem Auftrag verbundenen Vorgaben für die Tätigkeit hätten der Kontrolle und Weisungen des Klägers unterlegen. Die Kurierfahrer hätten lediglich ihre Arbeitskraft geschuldet, die sie vertraglich auch höchstpersönlich hätten erbringen müssen. Ein typisches Unternehmerrisiko hätten sie nicht getragen.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 13. Juni 2018 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage. Er wies darauf hin, nicht mehr Inhaber der Firma F. RT zu sein, sondern lediglich noch als angestellter Fahrer tätig zu sein und wiederholte sein Vorbringen im Rahmen des Anhörungs- und des Widerspruchsverfahrens. Weiter führte er aus, im gesamten Bundesgebiet sei es allgemeine und übliche Praxis, dass Fahrradkuriere auf selbstständiger Basis Aufträge übernähmen (Hinweis auf zwei Beiträge in Tageszeitungen bzw. einen Beitrag in der Tagesschau), von den Kurierfahrern sei keiner mit Arbeitskleidung ausgerüstet worden bzw. aufgetreten und es habe keine Dienstpläne gegeben, sondern lediglich eine kalendarische Monatsübersicht. Die Auftragnehmer hätten mitteilen können, wann sie grundsätzlich zur Auftragsübernahme bereitgestanden hätten. Aufgrund der Wünsche der Auftragnehmer habe es ständig Absagen und Änderungen gegeben. Die ständigen Fahrer seien auch in keiner Weise in die betrieblichen Abläufe eingebunden gewesen. In der Regel hätten sie lediglich in einem Zeitkorridor zwischen 13:00 Uhr und 14:00 Uhr in der Zentrale erscheinen sollen. Für die Auftragsübernahme seien sie dann ca. 15 bis 20 Minuten vor Ort gewesen. Die übernommenen Aufträge seien in Bezug auf die zeitliche Organisation und die Organisationsweise der Fahrtstrecke dann in eigener Regie erledigt worden. Die Aufträge hätten lediglich bis 20:00 Uhr/21:00 Uhr erledigt sein sollen. Die Zeiteinteilung dazwischen sei völlig frei gewesen. K.H. sei für den Bereich Marketing, Kundenbetreuung, Controlling, Personalrekrutierung, etc. beratend tätig gewesen und habe keinerlei Anwesenheitspflicht vor Ort im Büro gehabt. Er verwies auf die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Hessen vom 27. August 2020 (L 8 BA 4/20) und des Bayerischen LSG vom 3. Mai 2018 (L 15 R 5144/16), die eine selbstständige Tätigkeit eines Kurierfahrers bestätigt hätten.

Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf die versicherungs- und beitragsrechtlichen Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden entgegen. Soweit versicherungsfreie kurzfristige Beschäftigungen vorgelegen hätten, sei dies mit Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 zugunsten des Klägers berücksichtigt worden. Ausrüstungsgegenstände seien den Kurierfahrern kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Die Kurierfahrer hätten keine eigenen Rechnungen erstellt und hätten – vergleichbar einem Arbeitnehmer – den tatsächlichen Einsatz vergütet erhalten. Sie seien aufgrund der Vorgaben des Klägers in die Betriebsorganisation eingegliedert gewesen. So ergebe sich aus den Zeugenvernehmungen, dass die Touren von K.H. zusammengestellt und die Päckchen vorsortiert worden seien. Auch aus dem E-Mail-Verkehr ergäben sich die detaillierten Vorgaben an die Fahrer. Im Hinblick auf den vorausgegangenen Prüfbescheid vom 24. Oktober 2013 ergebe sich keine abweichende Beurteilung, da bei der seinerzeitigen Betriebsprüfung eine statusrechtliche Beurteilung der Kurierfahrer nicht vorgenommen worden sei.

Mit Beschluss vom 16. September 2019, der im Bundesanzeiger, der Süddeutschen Zeitung und dem R2 Generalsanzeiger veröffentlicht wurde, forderte das SG die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in dem Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2015 beim Kläger tätig waren, sowie die für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zuständigen Sozialversicherungsträger gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf, bis zum 28. Februar 2020 ihre Beiladung zu beantragen. Werde diese bis zum 28. Februar 2020 nicht beantragt, werde diese unterbleiben. Ein entsprechender Antrag wurde nicht gestellt.

Am 27. Oktober 2020 führte das SG mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durch.

Mit Urteil vom 18. Mai 2021 wies das SG die Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden ab und führte ergänzend aus, dass zwar Indizien für eine selbständige Tätigkeit der Fahrradkuriere vorlägen, jedoch angesichts der vertraglichen Vereinbarung, wonach die Leistungen höchstpersönlich zu erbringen gewesen seien und die Hinzuziehung eigener Mitarbeiter der vorherigen Genehmigung des Auftraggebers bedurft habe, die Indizien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung überwögen. Hinzu komme, dass die Fahrradkuriere die vom Kläger geplanten und vorgegebenen Touren abgefahren seien, weshalb von einer Eingliederung in die betriebliche Organisation auszugehen sei. Zudem seien die überwiegende Anzahl der gestellten Rechnungen nicht von den Fahrradkurieren erstellt worden, sondern vom Auftraggeber selbst. Bei den Fahrradkurieren sei im Übrigen kein unternehmerisches Risiko zu erkennen. Ein Fahrrad sei ein Gegenstand der auch privat genutzt werde; er sei nicht geeignet, ein unternehmerisches Risiko zu begründen. Darüber hinaus hätten die Fahrradkuriere Gegenstände des Auftraggebers, wie Kurierrucksack, Satteltaschen, Bekleidung u.ä. getragen und seien so nach außen hin auch nicht als selbstständig Tätige zu erkennen gewesen, zumal nicht ersichtlich sei, dass sie selbst am Markt aufgetreten seien. Maßgebliches Indiz für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei schließlich der Umstand, dass die Fahrradkuriere nach der vertraglichen Vereinbarung für die Entgegennahme von Aufträgen von Konkurrenten des Auftraggebers dessen vorheriger Zustimmung bedurft hätten. Dies widerspreche deutlich einer selbstständigen Tätigkeit. Auch die Tätigkeit der K.H. sei als abhängige Beschäftigung anzusehen. Aus welchen Gründen neben der vereinbarten abhängigen Beschäftigung auch noch zusätzlich eine selbstständige Tätigkeit vereinbart worden sein sollte, sei nicht klargeworden. Soweit angegeben worden sei, dass die Tätigkeit im Coaching und Controlling bestanden habe, sei angesichts der überschaubaren Paketmenge von 30 bis 40 Paketen am Tag nicht nachvollziehbar, weshalb in einem großen zeitlichen Umfang derartige Maßnahmen notwendig gewesen sein sollten. Die gewählte Konstellation erscheine vielmehr als ein Versuch, Sozialversicherungspflichten zu umgehen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 2. Juni 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juni 2021 beim SG Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, das Vorbringen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es seien keine Zeugen befragt worden, was zumindest zur ausreichenden Tatsachenfeststellung notwendig gewesen sei. Es komme auch auf äußerlich erkennbare Umstände an, wozu die Fahrer hätten befragt werden müssen. Weiterhin komme es auch auf die subjektive Auffassung der Beteiligten an. Aus anderen Urteilen sei ersichtlich, dass die Tätigkeit von Fahrradkurieren als selbstständige Tätigkeit anzusehen sei. Auch das typische Berufsbild sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dieses lasse darauf schließen, dass eine derartige Tätigkeit nur kurzzeitig, meist nebenbei und oftmals von Studenten durchgeführt werde, die keinen besonderen Schutzzwecken unterfielen und die eine solche Tätigkeit ausschließlich auf selbstständiger Basis ausüben wollten. Auch diese Umstände seien nicht ausreichend ermittelt, obwohl alle Zeugen bekannt seien. Deren Aussagen in den Ermittlungs- und Verwaltungsakten seien zum Teil widersprüchlich, nicht ausreichend und jedenfalls auch nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er verwies auf das Urteil des LSG Hessen vom 27. August 2020 (a.a.O.) und machte geltend, die bisherigen Kriterien müssten im Hinblick auf Fahrradkuriere modifiziert werden. Hier sei keine so weitgehende Eingliederung in die täglichen Abläufe erfolgt, dass von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen sei. Auch eine Durchsetzung von etwaigen schriftlichen Regelungen sei nicht erkennbar; sie seien auch nie umgesetzt worden. Die Arbeitszeiten seien im Wesentlichen völlig frei bestimmbar gewesen und im Vorfeld nach Wunsch der selbstständigen Fahrradkuriere gestaltet worden. Dabei handele es sich um eine weitreichende Möglichkeit, selbstbestimmt die Arbeit zu planen und zu organisieren. Im Übrigen sei auch nicht ausreichend geprüft worden, ob die Fahrradkuriere nicht doch andere Beschäftigungen nebenbei oder auch andere Auftraggeber gehabt hätten. Er legte den Beschluss des Amtsgerichts R1 vom 5. Juli 2021 über die Einstellung des Strafverfahrens wegen geringer Schuld vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 2. Februar 2018, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2018 aufzuheben.

Die Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Berichterstatterin des Senats hat die Beteiligten im Rahmen des Erörterungstermins vom 18. August 2022 persönlich angehört; auf das Protokoll wird Bezug genommen (Bl. 55 ff. der Senatsakte).

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des SG und des Senats, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Ermittlungsakten des Hauptzollamts U1.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger sich gegen eine Beitragsnachforderung von 194.914,65 € wendet und damit der Beschwerdewert von 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten ist.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 2. Februar 2018, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2018 (§ 95 SGG) und damit die Nacherhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung für die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. sowie für K.H. und von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung für die weiteren lediglich geringfügig beschäftigten Kurierfahrer ausweislich der Anlage zu dem Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018, einschließlich Säumniszuschlägen.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 2. Februar 2018, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig (dazu unter a). Die Kurierfahrer sowie K.H. waren in den dort jeweils genannten Zeiträumen in ihrer Tätigkeit für den Kläger abhängig beschäftigt und die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. sowie K.H. in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung sozialversicherungspflichtig (hierzu unter b). Bei den aufgeführten Kurierfahrern und K.H. bestand keine Versicherungsfreiheit in den streitbefangenen Versicherungszweigen, während die weiteren in der Anlage zum Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 aufgeführten Kurierfahrer in ihrer Tätigkeit für den Kläger
in der gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungsfrei waren, da sie im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung tätig wurden. Hierfür bestand für den Kläger Beitragspflicht zur Kranken- und Rentenversicherung (hierzu unter c). Die Höhe der nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen sind im gerichtlich zu überprüfenden Umfang nicht zu beanstanden (hierzu unter d). Säumniszuschläge wurden zu Recht und in zutreffender Höhe erhoben (hierzu unter e). Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen der Beitragsnachforderung nicht entgegen (dazu unter f).

a) Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I, S. 3710) für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (Satz 1). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden (Satz 4). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Der Kläger wurde vor Bescheiderlass angehört. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden den zeitlichen Umfang der jeweiligen Beschäftigung durch den Verweis auf die Anlage zum jeweiligen Bescheid mit konkretisierten Zeiträumen hinreichend bestimmt.


b) aa) Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gelten nach § 253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 174 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie § 60 Abs. 1 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch für die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitsförderung. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen. Als Gesamtsozialversicherungsbeitrag werden nach § 28d Satz 1 SGB IV die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden sowie der Beitrag des Arbeitnehmers und der Teil des Beitrags des Arbeitgebers zur Bundesagentur für Arbeit, der sich nach der Grundlage für die Bemessung des Beitrags des Arbeitnehmers richtet, gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung für einen in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten (§ 28d Satz 2 SGB IV). Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden nach dem seit 1. Januar 2006 gültigen § 7 Abs. 1 AAG durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht. Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden nach § 358 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 2 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (UVMG) vom 30. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 2130) durch eine monatliche Umlage von den Arbeitgebern aufgebracht und sind nach § 359 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 1 Januar 2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 2 UVMG zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen.

bb) Versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III und in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

In diesem Sinne übten sämtliche in den jeweils aufgeführten Zeiträumen für den Kläger tätig gewesenen Kurierfahrer sowie K.H. eine abhängige Beschäftigung aus. In dieser Beschäftigung waren die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. sowie K.H. versicherungspflichtig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein (BSG, Urteil vom 13. März 2023 – B 12 R 4/21 R – juris, Rn. 13). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R – juris, Rn. 23 –, BSG, Urteil vom 30. März 2015 – B 12 KR 17/13 R – juris, Rn. 15 – jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der anhand dieser Kriterien häufig schwierigen Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit: Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96 – juris, Rn. 6 ff.). Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 15 f.; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R – juris, Rn. 23 ff. – jeweils m.w.N.).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1994 – 11 RAr 49/94 – juris, Rn. 20). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen (BSG, Urteil vom 1. Dezember 1977 – 12/3/12 RK 39/74 – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 10. August 2000 – B 12 KR 21/98 R – juris, Rn. 17 – jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R – juris, Rn. 16).

Vertragsgestaltungen, wie sie der Tätigkeit von Fahrradkurieren anderer vergleichbarer Kurierdiensten zugrunde liegen bzw. eine „übliche Praxis“ sind nicht von Relevanz, ebenso wenig ein „typisches Berufsbild“ oder der Umstand, dass die Tätigkeit – wie vom Kläger geltend gemacht – im Allgemeinen nur kurzfristig, nebenbei oder von Studenten ausgeübt wird. Entsprechend lässt sich auch aus den vom Kläger zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Urteilen des LSG Hessen vom 27. August 2020 (a.a.O.) und des Bayerischen LSG vom 3. Mai 2018 (a.a.O.) nicht herleiten, dass die für den Kläger tätig gewordenen Kurierfahrer ihre Tätigkeit als Selbstständige ausgeübt haben. Die Tätigkeit eines Kurierfahrers kann vielmehr sowohl im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung als auch im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit ausgeübt werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls.

cc) Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen waren sowohl die Kurierfahrer als auch K.H. in den in der Anlage zum Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 jeweils aufgeführten Zeiträumen beim Kläger abhängig beschäftigt.

(1) Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung sind die im Folgenden dargestellten Umstände, die der Senat aufgrund des Gesamtinhalts des Verfahrens, insbesondere der von der Beklagten herangezogenen Ermittlungsakten des Hauptzollamts U1 sowie der Angaben des Klägers im Rahmen des Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahrens feststellt. Der Vernehmung von Zeugen bedurfte es hierfür nicht. Im Rahmen des durchgeführten Ermittlungsverfahrens vernahm das Hauptzollamt U1 die Kurierfahrer ausführlich zu den von ihnen für den Kläger ausgeführten Tätigkeiten. Die hierüber gefertigten Niederschriften konnte der Senat im Rahmen des Urkundenbeweises verwerten. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, es komme auch auf „äußerlich erkennbare Umstände“ an, ist nicht erkennbar, zu welchen weiteren Umständen die Kurierfahrer bisher nicht befragt und zusätzlich noch hätten vernommen werden sollen. Solche Umstände hat der Kläger auch nicht dargelegt. Schließlich ist auch nicht erkennbar, inwieweit die Angaben der Kurierfahrer im Ermittlungsverfahren widersprüchlich und daher nicht ausreichend sein sollen. Entsprechende Widersprüchlichkeiten hat der Kläger nicht aufgezeigt oder beschrieben und sind für den Senat auch nicht erkennbar. Vielmehr stimmen die Angaben der einzelnen Kurierfahrer im Wesentlichen überein und stellen unter Berücksichtigung des eigenen Vorbringens des Klägers eine ausreichende Grundlage für die erforderlichen Tatsachenfeststellungen dar.

Der Kläger betrieb als Einzelunternehmer einen Fahrradkurierdienst, den er im Oktober 2008 von seiner Lebensgefährtin K.H. übernommen hatte. Im Rahmen dessen wurden Briefe, Pakete und Päckchen sowie Gegenstände sonstiger Art überwiegend im Stadtgebiet von R1 entsprechend des Wunschs des Auftraggebers transportiert und an diesen oder einen anderen Adressaten ausgeliefert. Entsprechende Kurierfahrten erfolgten in Form von Abruffahrten, sog. festen Touren und sog. Botenfahrten. Bei den Abruffahrten erfolgte die Kurierfahrt nach Eingang eines telefonischen Auftrags nach dem Wunsch des Kunden. Gegenstand der festen Touren waren täglich (Montag bis Freitag) wiederkehrende Kurierfahrten mit einer oder mehreren festen Stationen. So wurden bspw. in Postfächern der Deutschen Post AG in R1 eingegangene Sendungen abgeholt und an den jeweiligen Auftraggeber (Firmen oder Behörden) ausgeliefert oder es wurden Sendungen beim Auftraggeber abgeholt und zur Deutschen Post AG verbracht. Diese Touren wurden entsprechend der Vereinbarung mit dem jeweiligen Auftraggeber zu jeweils gleichbleibenden festen Abhol- bzw. Zustellterminen durchgeführt. Diese festen Touren wurden im Rahmen von sog. Vormittags- bzw. Mittagsschichten innerhalb eines festen zeitlichen Korridors (bspw. 7:30 Uhr bis 12:00 Uhr, 9:30 Uhr bis 14:00 Uhr) durchgeführt, im Rahmen dessen den Kurierfahrern erforderlichenfalls auch Abruftouren übertragen wurden. Im Rahmen einer festen Abholtour wurden am Vormittag auch Sendungen bei der Firma O1 in R1 abgeholt, die an deren Kunden auszuliefern waren. Bei den sog. Botenfahrten handelte es sich zu 90 % um Kurierfahrten für die Buchhandlung O1. Die dort abgeholten Sendungen wurden in die Geschäftsräume des Klägers verbracht und dort auf verschiedene Zustellgebiete verteilt. Die Sendungen für das jeweilige Zustellgebiet wurden in einer Liste (Tabelle) erfasst, den auszuliefernden Sendungen beigefügt und für die jeweiligen Kurierfahrer bereitgelegt. Diese Sendungen hatten die Kurierfahrer zwischen 13:00 Uhr und 14:00 Uhr in den Geschäftsräumen des Klägers abzuholen und bis 20:
00 Uhr bzw. in den Sommermonaten bis 21:00 Uhr an Adressaten auszuliefern. Die Kurierfahrer hatten die Sendungen in erster Linie persönlich an den Adressaten zu übergeben, ggf. einer Ersatzperson auszuhändigen oder diese in den Briefkasten einzulegen. Der Empfang durch den Adressaten bzw. die Ersatzperson war in der Liste durch Unterschrift zu bestätigen bzw. der Einwurf in den Briefkasten des Adressaten war durch den Kurierfahrer zu vermerken. Die Listen wurden jeweils an die Zentrale zurückgereicht. Sie waren Grundlage für die Abrechnung der Vergütung.

Als Kurierfahrer kamen neben dem Kläger und (zeitweise) K.H. insbesondere Studenten und Schüler sowie vereinzelt auch Hausfrauen zum Einsatz. Deren Einsatz im Rahmen von festen Touren (Vormittags-/Mittagsschicht) bzw. den sog. Botenfahrten erfolgte entsprechend den gewünschten Wochentagen. Dementsprechend wurden Einsatzpläne für die benötigten Kurierfahrer erstellt.

Soweit Kurierfahrer im Rahmen der Vormittags-/Mittagsschicht die sog. festen Touren ausführten, erfolgte die Vergütung nach Monatspauschalen. Die Vergütung der sog. Botenfahrten erfolgte nach der Anzahl der zugestellten Päckchen/Pakete, jeweils abhängig von deren Gewicht. Sie betrug 1,60 € je Zustellung bzw. bei einem Gewicht von mehr als 2 kg 3,20 € je Zustellung. Die Vergütung wurde monatlich auf der Grundlage der seitens des Betriebes erstellten und vom jeweiligen Kurierfahrer unterzeichneten „HonorarAbrechnung“ ausgezahlt, und zwar jeweils durch Überweisung am 10. des Folgemonats.

Die Kurierfahrer setzten für die Kurierfahrten ihre eigenen Fahrräder ein. Die für den Transport erforderlichen Rucksäcke und Fahrradtaschen wurden vom Kläger gestellt. Die Kurierfahrer hatten mit wenigen Ausnahmen kein Gewerbe angemeldet.

Nach einer Testphase von ca. zwei Wochen schloss der Kläger mit den Kurierfahrern einen „Vertrag über freie Mitarbeit“ mit dem oben dargelegten Inhalt und dem maßgeblichen „Projektparameter“ („Zustellauftrag“ bzw. „Touren- und Abrufaufträge …“).

K.H., die insbesondere die in der Betriebszentrale anfallenden Arbeiten erledigte, war beim Kläger zu einem monatlichen „Tarifgehalt“ von 450,00 € (bis Dezember 2014) bzw. 500,00 € (ab Januar 2015) beschäftigt. Darüber hinaus stellte K.H. dem Kläger als Inhaberin der Firma k.h. für erbrachte Dienstleistungen jeweils monatliche Pauschalbeträge und einen jährlichen Pauschalbetrag („Pauschalen/Aufwand“) in Rechnung, so bspw. für das Jahr 2014 insgesamt 27.100,00 €.


(2) Unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls, wie sie sich aus den vorstehenden tatsächlichen Feststellungen ergeben, übten sowohl die Kurierfahrer als auch K.H. ihre Tätigkeit für den Kläger in den jeweils streitbefangenen Zeiträumen im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung aus.

(a) Maßgebliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung der Kurierfahrer und K.H. beim Kläger war ihre Eingliederung in den Betrieb des Klägers in zentralen Punkten. Dies stellt ein eigenständig zu betrachtendes Indiz neben einer Weisungsgebundenheit der Tätigkeit dar. Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung stehen weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen (BSG, Urteile vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 6/20 R – juris, Rn. 24 und 7. Juni 2019 – B 12 R 6/18 R – juris, Rn. 28). Eine abhängige Beschäftigung ist bei den mit den Botenfahrten betrauten Kurierfahrern entgegen der Ansicht des Klägers daher nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass diese bei ihren Einsätzen in Bezug auf den organisatorischen und zeitlichen Ablauf der jeweiligen Tour und die Routenführung keinem arbeitgebertypischen Weisungsrecht unterlagen.

Bei Vertragsgestaltungen, in denen - wie bei den Kurierfahrern - die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und insbesondere kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, ist für die Frage der Versicherungspflicht allein auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 6/20 R – juris, Rn. 19 m.w.N.).
Die Möglichkeit, sich nach eigenen Wünschen für einzelne Aufträge bereitzustellen ist daher für die Frage der Weisungsgebundenheit oder der Eingliederung in den Betriebsablauf nach Annahme des Auftrags nicht entscheidend. Es bestand weder eine ständige Pflicht zur Dienstbereitschaft noch eine Verpflichtung, einen bestimmten Umfang an Einsätzen zu übernehmen. Erst bei Zusage entstand die rechtliche Verpflichtung zur Übernahme eines Einsatzes.

Dann aber waren die Kurierfahrer verpflichtet, die Sendungen spätestens zu dem vom Kläger seinen Endkunden geschuldeten und von ihm bestimmten Abhol- bzw. Ablieferungstermin an dem von ihm seinen Endkunden geschuldeten und von ihm bestimmten Ort abzuholen bzw. abzuliefern. Die Leistung der Kurierfahrer diente damit vorrangig der Erfüllung der Vertragspflichten des Klägers gegenüber seinen Kunden. Die Kurierfahrer hatten die vom Kläger vorgegebenen Termine in dessen Interesse einzuhalten. Auch darüber hinaus waren die Kurierfahrer in der Ausführung ihrer Tätigkeit nicht völlig frei. Entsprechende Bindungen ergaben sich durch die Vorgabe des Abhol- bzw. Auslieferungstermins und des Zielortes sowie die Betriebsabläufe des Klägers. So waren die Kurierfahrer der festen Touren im Rahmen einer vorgegebenen festen Zeitspanne (sog. Vormittags- bzw. Mittagsschicht) für den Kläger tätig, was nach Erledigung der jeweiligen Touren eine Bereitschaft beinhaltete, für anfallende Abruffahrten zur Verfügung zu stehen und diese auszuführen. Aus dem Zeitfenster der vereinbarten Auslieferung bzw. Abholung von Sendungen an bzw. bei den jeweiligen Kunden des Klägers resultierten im Hinblick auf die zurückzulegende Entfernung im Übrigen zwingende Bindungen hinsichtlich des Fahrtbeginns der Kurierfahrer im Sinne des spätesten Zeitpunktes hierfür. Bei den Botenfahrten für die Firma O1 mussten die auszuliefernden Pakete in der Zentrale zwischen 13:00 Uhr und 14:00 Uhr abgeholt werden und sie mussten den Adressaten an deren Wohnort bis spätestens 20:00 Uhr bzw. 21:00 Uhr übergeben werden.

Nach erfolgter Zusage einer Schicht bzw. einer Botenfahrt für die Firma O1 nahm der Kläger die Kurierfahrer im Übrigen in seinen Einsatzplan auf. Dass es sich hierbei - wie vom Kläger im Klageverfahren geltend gemacht - nicht um einen Dienstplan, sondern lediglich um eine kalendarische Monatsübersicht handelte, ändert nichts. Ebenso wenig, dass dieser Einsatzplan angesichts der Wünsche der Kurierfahrer häufige Änderungen erfuhr. Denn eine entsprechende Zusage für einen zu besetzenden Einsatz führte zu einer Einbindung des jeweiligen Kurierfahrers in den Dienstplan des Klägers. Dass dies nicht auf einem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht des Klägers beruhte, ist für das eigenständige Kriterium der Eingliederung nicht entscheidend.

Der Kläger nahm gegenüber den Kurierfahrern des Weiteren arbeitgebertypische Weisungsrechte in Anspruch. So hatten sich die Kurierfahrer der sog. Vormittags- bzw. Mittagsschicht nach Erledigung der vorgesehenen festen Touren in Bereitschaft zu halten und ihnen aufgetragene Abruffahrten zu den vom Kläger mit den Kunden jeweils vereinbarten Bedingungen auszuführen. Bei den Botenfahrten für die Firma O1 waren die Kurierfahrer verpflichtet, die Lieferung dem Kunden persönlich gegen Unterschrift auszuhändigen. Sofern dieser nicht persönlich erreichbar war, konnten sie sich an einen Nachbarn wenden und die Lieferung an diesen übergeben oder die Sendung in den Briefkasten des Adressaten einlegen. Auf Weisung des Klägers war die jeweils erfolgte Auslieferungsart anhand der mitgeführten Liste zu dokumentieren. Diese Liste war in der Zentrale einzureichen, diente als Arbeitsnachweis und war Grundlage der monatlichen Abrechnung.

Auch K.H. war in den Betrieb des Klägers eingegliedert. Sie verfügte in den Räumlichkeiten der Zentrale über einen Arbeitsplatz mit PC-Ausstattung und war in die betrieblichen Abläufe eingebunden. So übernahm sie zeitweise die morgendliche Abholung der auszuliefernden Sendungen bei der Firma O1 und organisierte deren Auslieferung. Sie stellte die entsprechenden Touren für die jeweils eingesetzten Kurierfahrer zusammen, erstellte für die jeweiligen Paketsendungen die Auslieferungslisten und übergab die auszuliefernden Sendungen mit den entsprechenden Listen in dem für die Abholung durch die Kurierfahrer vorgegebenen Zeitfenster zwischen 13:00 Uhr und 14:00 Uhr an die für die Touren vorgesehenen Kurierfahrer. Nach Rücklauf der Auslieferungslisten erfasste sie die Anzahl der durch die jeweiligen Kurierfahrer ausgelieferten Sendungen. Auf dieser Grundlage erstellte sie die monatlichen Honorar-Abrechnungen der Kurierfahrer an die Firma F.RT für die sog. Botenfahrten und veranlasste die Unterschrift durch die jeweiligen Fahrer. K.H. war gleichermaßen in die organisatorische Abwicklung und den Einsatz der im Rahmen der festen Touren eingesetzten Kurierfahrer eingesetzt, wie die aktenkundigen Arbeitsanweisungen von K.H. an die Kurierfahrer deutlich machen (vgl. Bl. 151 ff. Beweismittelakte Bd. I). Sie erledigte darüber hinaus die in der Firma F. RT. anfallende Korrespondenz. So beantwortete sie die Anfragen von Personen, die im Hinblick auf den Internetauftritt der Firma F. RT Kontakt mit der Firma aufgenommen und Interesse an einer Tätigkeit als Kurierfahrer bekundet hatten. Im Rahmen dessen informierte K.H. über das Tätigkeitsprofil des Kurierfahrers, dessen Anforderungen, die konkrete Gestattung der Tätigkeit und die Vergütung. Sie vereinbarte Termine für die jeweils vorgesehene Probephase und war Ansprechpartner jedweder Fragestellungen der Kurierfahrer. Auch dies entnimmt der Senat den Ermittlungsakten des Hauptzollamtes U1, die einen umfangreichen E-Mail-Schriftwechsel mit K.H. ausweisen (Bl. 123 ff Beweismittelakte Bd. I). Schließlich ging auch der Kläger selbst davon aus, dass K.H. für ihn im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig war. Denn er meldete K.H. dementsprechend als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte bei der Einzugsstelle an (Teilzeittätigkeit, < 18 Stunden).

Der Senat sieht keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass K.H. neben ihrer Beschäftigung für die Firma F. RT für diese auch im Rahmen ihres eigenen Betriebs, der Firma k.h., als Selbständige Dienstleistungen erbrachte. So ist schon nicht erkennbar, welcher konkrete Aufgabenbereich ihr im Rahmen ihrer Beschäftigung im Betrieb des Klägers übertragen war und in welchem zeitlichen Umfang, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort K.H. verpflichtet war, im Rahmen ihrer Teilzeitbeschäftigung für den Betrieb des Klägers Arbeitsleistungen zu erbringen. Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Kläger und K.H. ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde oder die Aufgaben in einer Tätigkeitsbeschreibung festgehalten wurden, liegen nicht vor. Entsprechendes hat der Kläger auch nicht behauptet. Ausgehend hiervon erschließt sich auch nicht, welche im Betrieb des Klägers anfallenden und vom Tätigkeitsbereich des Beschäftigungsverhältnisses der K.H. abgrenzbare Aufgaben oder Aufträge der Kläger an die Firma k.h. übertragen haben könnte, die wiederum durch K.H. im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit hätten abgewickelt werden können. Auch solche Verträge oder Vereinbarungen zwischen dem Kläger und der Firma k.h. liegen nicht vor. Entsprechende Hinweise lassen sich auch nicht aus den monatlichen Rechnungen herleiten, mit denen K.H. als Inhaberin der Firma k.h. gegenüber dem Kläger Pauschalen für erbrachte Dienstleistungen abrechnete. Denn diese führen keine konkret abgrenzbaren laufenden Aufgaben aus, die im Rahmen eines Auftragsverhältnisses aus dem Betrieb des Klägers ausgegliedert und auf einen Dritten, hier die Firma k.h., übertragen worden sein könnten. Die ausweislich der Rechnungen der Firma k.h. abgerechneten Dienstleistungen zeigen in ihrer Vielgestaltigkeit vielmehr die gesamte Palette an Tätigkeiten auf, die in der Firma F. RT anfielen und dem Betriebszweck dienten. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass die Firma k.h. der Firma F. RT erbrachte Dienstleistungen nicht nur monatlich in Rechnung stellte, sondern Dienstleistungen zusätzlich auch noch im Rahmen von Jahresrechnungen abrechnete, wie bspw. für „Dienstleistungen im Jahr 2014 – Dauerbeauftragung“ eine „Pauschale/Aufwand“ für „Administration allgemein“, „Radlereinsatzplanung allgemein“ sowie „Vertretung Touren (Urlaub, Krankheit, usw.) allgemein“ in Höhe von 7.700,00 €, bleibt völlig unklar, welche Arbeiten K.H. im Rahmen der angemeldeten Teilzeitbeschäftigung verrichtete und welche ggf. abgrenzbaren Bürodienstleistungen sie als Inhaberin der Firma k.h. im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit für die F. RT verrichtet haben soll.

Das Vorgehen des Klägers und seiner Lebensgefährtin K.H. legt die Vermutung nahe, dass mit der gewählten Konstellation (Beschäftigung von K.H. im Rahmen eines die Geringfügigkeitsgrenze nur knapp überschreitenden Arbeitsverhältnisses [Vergütung bis Dezember 2014 monatlich 450,00 €, ab Januar 2015 monatlich 500,00 €]) der Umfang ihrer tatsächlichen Beschäftigung verschleiert werden sollte, um (höhere) Sozialversicherungsbeiträge zu vermeiden, einen günstigen Krankenversicherungsschutz zu begründen und durch die Generierung von Betriebsausgaben durch die Abrechnung von Dienstleistungen der Firma k.h. gleichzeitig die Steuerpflicht des Klägers zu vermindern (vgl. zum Vorliegen eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 – B 12 R 1/14 R – juris, Rn. 24 m.w.N.).

Nach alledem ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte davon ausging, dass die Gesamtheit der von K.H. für die Firma F. RT erbrachten Tätigkeiten im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erfolgten.

(b) Im Hinblick auf die Kurierfahrer sind erhebliche Indizien, die für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit sprechen, nicht zu erkennen.


Die Kurierfahrer trugen im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Kläger kein nennenswertes, das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägendes Unternehmerrisiko, was im Rahmen der Würdigung des Gesamtbildes zu beachten ist (BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2010 – B 12 KR 100/09 B – juris, Rn. 10; ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteil vom 20. März 2023 – L 4 BA 2021/21 – juris, Rn. 52; Urteil vom 8. Juli 2016 – L 4 R 4979/15 – juris, Rn. 46). Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – juris). Aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R – juris, Rn. 36).

Die Kurierfahrer unterhielten keine eigene betriebliche Organisation, hatten keine unternehmerischen Chancen und waren keinem Unternehmerrisiko ausgesetzt. Sie trugen auch kein relevantes Verlustrisiko. Zwar setzten sie eigene Arbeitsmittel ein, jedoch beschränkten sich diese auf ein Fahrrad, über das sie – wie ein großer Anteil der Bevölkerung auch – schon bei Tätigkeitsaufnahme verfügten. Ein relevantes Wagniskapital liegt hierin nicht, auch wenn einige Fahrradkuriere entsprechend des Vortrags des Klägers über durchaus wertvolle Fahrräder verfügt haben sollten. Auch ihre Arbeitskraft setzten die Kurierfahrer nicht mit der Gefahr des Verlustes ein. So erhielten die Kurierfahrer, die im Rahmen einer Vormittags- oder Mittagsschicht die festen Touren durchführten, wie oben festgestellt, eine rein arbeitszeitbezogene, feste Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und die mit den Botenfahrten betrauten Kurierfahrer eine Vergütung, die sich an der Anzahl der ausgelieferten Sendungen und deren Gewicht orientierte. Das Risiko, mangels Auftragserteilung durch den Kläger nicht wie gewünscht arbeiten zu können, stellt kein Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer trifft, der nur Zeitverträge bekommt oder auf Abruf arbeitet und nach Stunden bezahlt wird oder unständig Beschäftigter ist (Senatsurteil vom 16. Juli 2021 – L 4 BA 75/20 – juris, Rn. 81 m.w.N). Es muss deshalb ein Wagnis bestehen, das über dasjenige hinausgeht, kein Entgelt zu erzielen. Zum echten Unternehmerrisiko wird dieses Risiko deshalb regelmäßig erst, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen oder Entgelt aus Arbeit erzielt wird, sondern zusätzlich auch Kosten für betriebliche Investitionen und/oder Arbeitnehmer anfallen oder früher getätigte Investitionen brachliegen (Senatsurteile vom 23. Januar 2004 – L 4 KR 3083/02 –; 27. März 2015 – L 4 R 5120/13 – a.a.O. und 18. Mai 2018 – L 4 KR 3961/15 – juris, Rn. 52; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Dezember 2009 – L 16 R 5/08 – juris, Rn. 38). Dies war bei den Kurierfahrern nicht der Fall. Denn Investitionen im Hinblick auf ihre Tätigkeit für den Kläger hatte sie nicht getätigt.  

Für eine selbstständige Tätigkeit spricht das Fehlen arbeitnehmertypsicher Ansprüche auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 ‑ B 12 KR 26/02 R – juris, Rn. 25 f.). Solche Vertragsgestaltungen sind allerdings auch konsequent, wenn beide Seiten eine selbstständige freie Mitarbeit wollen (etwa Senatsurteil vom 20. März 2023 – L 4 BA 2021/21 – juris, Rn. 53; Beschluss des Senats vom 20. August 2015 – L 4 R 861/13 – juris, Rn. 67 m.w.N.). Angesichts dessen lässt sich aus dem Umstand, dass die Beteiligten im „Vertrag über freie Mitarbeit“ keine Ansprüche auf Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geregelt haben, kein für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit sprechender Gesichtspunkt herleiten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Vertragsklauseln, die darauf gerichtet sind, an den Arbeitnehmer- bzw. Beschäftigtenstatus anknüpfende arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Regelungen abzubedingen bzw. zu vermeiden (z.B. Nichtgewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub bzw. Urlaubsgeld; Verpflichtung, Einnahmen selbst zu versteuern; Obliegenheit, für mehrere Auftraggeber tätig zu werden oder für eine Sozial- und Krankenversicherung selbst zu sorgen), auch wenn sie in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden, ausschließlich Rückschlüsse auf den Willen der Vertragsparteien, Beschäftigung auszuschließen, zulassen. Darüber hinaus kommt solchen Vertragsklauseln bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr setzen diese Regelungen - insbesondere der Ausschluss ansonsten zwingender arbeits- und sozialrechtlicher Rechte und Pflichten - bereits das Fehlen des Status als Arbeitnehmer bzw. Beschäftigter voraus, für den in erster Linie Weisungsgebundenheit und - jedenfalls für das Sozialrecht - das Fehlen der eine selbstständige Tätigkeit kennzeichnenden Umstände ausschlaggebend ist. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen, der im Übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken rechtfertigt nicht die Annahme von Selbstständigkeit im Rechtssinne (BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R – juris, Rn. 27). Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit weder aus § 10 (Sonstige Ansprüche/Rentenversicherung) noch aus § 14 des „Vertrags über freie Mitarbeit“ herleiten, wonach eine persönliche, wirtschaftliche oder soziale Abhängigkeit gerade nicht begründet werden sollte.

(c) In der Gesamtabwägung können die für eine Selbstständigkeit der Kurierfahrer sprechenden Aspekte aber den aufgrund der in wesentlichen Punkten bestehenden Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Klägers bestehenden überwiegenden Eindruck einer abhängigen Beschäftigung nicht durchgreifend erschüttern.

Nach alledem waren die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. ebenso wie K.H. in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig.

c) Die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. waren ebenso wie K.H. nicht versicherungsfrei. Sie übten ihre Tätigkeit insbesondere nicht im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung aus, die nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und § 27 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB III zur Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung hätte führen können.

Nach § 8 Abs. 1 SGB IV in der bis 31. Dezember 2018 geltenden Fassung des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2474) liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn (1.) das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450,00 € nicht übersteigt, (2.) die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450,00 € im Monat übersteigt.

Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV sind hinsichtlich der genannten Kurierfahrer und K.H. in den jeweils maßgeblichen Zeiträumen nicht erfüllt. Das Arbeitsentgelt aus deren Beschäftigung überstieg jeweils regelmäßig 450,00 € im Monat. Dies entnimmt der Senat den Ermittlungsakten des Hauptzollamts U1. Diese weisen die maßgeblichen Honorarabrechnungen der genannten Kurierfahrer aus und zeigen auf, dass das monatliche Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen aus der zu beurteilenden Tätigkeit jeweils 450,00 € übersteigt.

Auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV sind nicht erfüllt. Die zwischen dem Kläger und den genannten Kurierfahrern geschlossenen Verträge enthalten keinerlei Regelung, die deren Einsatz für den Kläger innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage begrenzten. Aus der Eigenart der Tätigkeit ergibt sich eine solche Begrenzung gleichermaßen nicht. Die genannten Voraussetzungen sind insbesondere auch in Bezug auf D.S und J.H. nicht erfüllt. Auch der von ihnen jeweils abgeschlossene „Vertrag über freie Mitarbeit“ sieht keine Begrenzung des Einsatzes innerhalb eines Kalenderjahres vor. Entgegen der Ansicht des Klägers ist ohne Bedeutung, ob die Tätigkeit im Rückblick je Kalenderjahr 50 Arbeitstage nicht überschritt. Eine zeitliche Begrenzung kommt in Bezug auf K.H. schon deshalb nicht in Betracht, weil diese im streitbefangenen Zeitraum durchgehend beschäftigt war.

Eine unständige, in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfreie Tätigkeit nach § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III lag ebenfalls nicht vor. Danach sind versicherungsfrei Personen in einer unständigen Beschäftigung, die sie berufsmäßig ausüben (Satz 1). Unständig ist eine Beschäftigung, die auf weniger als eine Woche der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im Voraus durch Arbeitsvertrag beschränkt ist (Satz 2). Eine solche Beschränkung auf weniger als eine Woche war nicht vereinbart. Der zwischen dem Kläger und den Kurierfahrern geschlossene Vertrag enthält keine entsprechende Regelung. Auch aus der Natur der Sache ergab sich eine solche Begrenzung nicht.


Bei den in der Anlage zum Änderungsbescheid vom 2. Februar 2018 aufgeführten weiteren Kurierfahrern überstieg das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung demgegenüber den Betrag von 450,00 € regelmäßig im Monat nicht, weshalb für diese Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand. Für den Kläger bestand daher lediglich Beitragspflicht zur Kranken- und Rentenversicherung nach Maßgabe der §§ 249b SGB V, 168 Abs. 1 Nr. 1b, 172 Abs. 3 SGB VI.

d) Die Höhe der nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen wurden von der Beklagten zutreffend errechnet.

aa) Die Beklagte hat bei der Berechnung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Kurierfahrer H.R.S., M.M., J.H., D.S., A.T. und O.F. zu Recht als Bemessungsgrundlage die diesen jeweils gezahlten Vergütungen auf ein Bruttoarbeitsentgelt hochgerechnet.

Soweit der Kläger sich im Verwaltungsverfahren noch gegen eine Hochrechnung der an K.H. gezahlten Vergütungen auf ein Bruttoarbeitsentgelt wandte, hat er diesen Einwand im gerichtlichen Verfahren zu Recht nicht mehr aufrechterhalten. Insoweit wies die Beklagte unter Bezugnahme auf die den angefochtenen Bescheiden jeweils beigefügten Anlagen zutreffend darauf hin, dass bezüglich der an K.H. jeweils gezahlten Entgelte eine Hochrechnung auf ein Bruttoarbeitsentgelt nicht erfolgte.

Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Dann gelten nach Satz 1 als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung.

Unter illegalen Beschäftigungen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV sind alle Formen bewusster Zuwiderhandlungen des Arbeitgebers zu verstehen, bei denen der Verpflichtung nicht nachgekommen wird, Meldungen zu erstatten (§§ 28a Abs. 1, § 111 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) und Beiträge für die Beschäftigten zu zahlen (§ 28e Abs. 1 SGB IV, § 266a Strafgesetzbuch). Das subjektive Element dient dabei der Ausklammerung von schlichten Berechnungsfehlern, versicherungsrechtlichen und beitragsrechtlichen Fehlbeurteilungen, die ebenfalls zu fehlenden Meldungen und Beitragszahlungen führen können, von der illegalen Beschäftigung jedoch unterschieden werden müssen (BSG, Urteil vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R – juris, Rn. 20 ff.; Werner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., Stand August 2021, § 14 Rn. 326).

(1) Das objektive Tatbestandsmerkmal ist in Bezug auf die in Rede stehenden Kurierfahrer vorliegend erfüllt. Erfasst wird jedenfalls der Fall einer Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen unter Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung hierzu und die vorausgehenden Melde-, Aufzeichnungs- und Nachweispflichten, weil er als Verletzung der zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversicherungsrechts (und des Lohnsteuerrechts) zu qualifizieren ist. Dass sich die Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung lediglich als „Folgefehler einer Fehlbeurteilung“ des Versicherungsstatus darstellt, ist dafür ohne Belang (BSG, Urteil vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R – juris, Rn. 14). Der Kläger hat die genannten Kurierfahrer vorliegend weder als versicherungspflichtige Beschäftigte bei der Einzugsstelle gemeldet noch Gesamtsozialversicherungsbeiträge für diese abgeführt, obwohl – wie gezeigt – eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorlag.

(2) Der Kläger erfüllte auch das subjektive Tatbestandsmerkmal einer „bewussten“ Zuwiderhandlung.

(aa) In Ermangelung anderer Maßstäbe zur Bestimmung der Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit ist an die für die Verjährung vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge geltende Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV (Verlängerung der Verjährungsfrist von vier auf dreißig Jahre) anzuknüpfen. § 14 Abs. 2 SGB IV bildet zusammen mit § 24 Abs. 2 (Säumniszuschläge) und § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV einen einheitlichen Regelungskomplex mit der Folge eines einheitlichen Haftungsmaßstabs. Danach ist für den Eintritt dieser qualifizierten Folgen (mindestens bedingter) Vorsatz erforderlich (BSG, Urteile vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R – juris, Rn. 28 und vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R – juris, Rn. 16, 24 m.w.N.). Dabei genügt es, wenn der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bei Fälligkeit der Beiträge noch nicht vorlag, er aber noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist (BSG, Urteil vom 30. März 2000 – B 12 KR 14/99 R – juris, Rn. 20). Mit bedingtem Vorsatz sind Beiträge vorenthalten, wenn der Arbeitgeber seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG, a.a.O., Rn. 23). Wenn auch berechtigte Zweifel für die Kenntnis von der Zahlungspflicht nicht ausreichen, kann es aber im Rahmen bedingten Vorsatzes vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen. Allerdings darf nicht das gesamte Risiko der Einordnung komplexer sozialversicherungsrechtlicher Wertungsfragen den Arbeitgebern überantwortet werden, so dass sich Schematisierungen verbieten. Es bedarf deshalb der individuellen Überprüfung des bedingten Vorsatzes unter sorgfältiger Beweiswürdigung im Einzelfall (BSG, Urteile vom 9. November 2011 – B 12 R 18/09 R – juris, Rn. 33 und vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R – juris, 24 m.w.N.).

(bb) Nach diesen Maßstäben steht zur Überzeugung des Senats vorliegend fest, dass beim Kläger hinsichtlich der (Nicht-)Abführung der Beiträge für die Beschäftigung der der genannten Kurierfahrer zumindest bedingter Vorsatz vorlag. Denn vor dem Hintergrund des im Jahr 2008 vor dem Arbeitsgericht R1 gegen K.H. und den Kläger geführten Rechtsstreits eines für die Firma F. RT tätig gewesenen Kurierfahrer musste der Kläger seine Beitragspflicht für möglich halten. In dem seinerzeitigen arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem der Kurierfahrer sich gegen die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sowie einen von der Firma F. RT geltend gemachten Schadensersatzanspruch wandte und für die erbrachten Arbeitsleistungen die Zahlung einer Vergütung begehrte, trug dessen Prozessbevollmächtigter vor, dass ausweislich des der Tätigkeit zugrunde liegenden Vertrages zwar ausdrücklich von einer Tätigkeit als freier Mitarbeiter die Rede sei und dieser bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten keinen Weisungen unterliege und auch in der Gestaltung seiner Tätigkeit, was Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausführung angehe, selbstständig und vollkommen frei sei, die Realität demgegenüber jedoch völlig anders ausgesehen habe. So sei der Kurierfahrer vollkommen weisungsabhängig gewesen und durch die Pflicht, die Arbeitsmittel und die Arbeitskleidung der F. RT zu verwenden, habe er nach außen eindeutig als deren Mitarbeiter identifiziert werden können. Eine eigene unternehmerische Entscheidungskompetenz sei nicht verblieben und er habe schlicht nach Vorgabe zu den von den Beklagten festgelegten Zeiten im festgelegten Umfang die Briefe zustellen müssen. Es habe daher ein klassisches Arbeitsverhältnis vorgelegen, weshalb auch das Arbeitsgericht sachlich zuständig sei. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit seinerzeit gütlich durch Abschluss eines Vergleichs beigelegt, im Rahmen dessen das „Vertragsverhältnis“ beendet wurde, der Kläger sich verpflichtete, die in seinem Besitz befindlichen Arbeitsmittel herauszugeben und die gegenseitigen Ansprüche, insbesondere der geltend gemachte Vergütungsanspruch des Kurierfahrers sowie der erhobene Schadensersatzanspruch der Beklagten, für erledigt erklärt wurden. Selbst wenn seinerzeit im Rahmen der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht R1 offengeblieben sein sollte, ob zwischen den Beteiligten tatsächlich ein Arbeitsverhältnis begründet worden war, so bestand vor dem Hintergrund der in diesem Verfahren zu Tage getretenen Problematik, ob die Kurierfahrer im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit oder als Beschäftigte tätig wurden, zumindest Anlass, eine Klärung der bestehenden Zweifel oder Unklarheiten gerade auch in Bezug auf die versicherungs- und beitragsrechtliche Beurteilung der Vertragsverhältnisse durch eine fachkundige Stelle herbeizuführen. Dies hat der Kläger nicht getan und damit die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen.

bb) Die „Hochrechnung“ der gezahlten Vergütung auf ein Bruttoentgelt hat die Beklagte zutreffend umgesetzt. Einwände hiergegen hat der Kläger im Übrigen auch nicht erhoben.


cc) Nicht zu prüfen hat der Senat, ob andere Tätigkeiten der Kurierfahrer als Selbstständige oder als abhängig Beschäftigte Auswirkungen auf die Höhe des zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags sowie der Umlagen haben (Urteil des Senats vom 9. Dezember 2016 – L 4 R 2528/14 –, nicht veröffentlicht). Entsprechend bedarf es keiner weitergehenden Prüfung, ob M.M. – wie vom Kläger geltend gemacht – für den streitbefangenen Zeitraum bereits Höchstbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an die B1 GEK entrichtete. Aufgrund der Zweiteilung des Verfahrens zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen im Fall einer Betriebsprüfung durch die Träger der Rentenversicherung kommt dem vorliegend angefochtenen Zahlungsbescheid nur der Charakter eines Grundlagenbescheides für die Erhebung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris, Rn. 22 ff, auch zum Folgenden). Hingegen ist es Sache der Einzugsstellen aufgrund der von dem prüfenden Träger der Rentenversicherung erfolgten Unterrichtung (§ 28p Abs. 3 SGB IV) im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgabe, den Beitragseinzug zu überwachen, zu prüfen, inwieweit weitere Tatsachen, die die Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags berühren, Auswirkungen auf die vom geprüften Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge haben (z.B. fehlende Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze aufgrund des erzielten Arbeitsentgelts in weiteren abhängigen Beschäftigungen oder wegen hauptberuflich selbständiger Erwerbstätigkeit).

e) Die Beklagte hat zu Recht Säumniszuschläge ab Januar 2011 (bis einschließlich April 2017) in Höhe von 53.928,50 € auf die Nachforderung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge geltend gemacht.

Wird eine Beitragsforderung – wie hier im Rahmen der Betriebsprüfung – durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Aufgrund des einheitlichen Haftungsmaßstabs der §§ 14 Abs. 2, 24 Abs. 2 und 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist auch insoweit bedingter Vorsatz erforderlich, aber auch ausreichend (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R – juris, Rn. 16). Dass der Kläger vorliegend seine Pflicht zur Beitragsabführung zumindest bedingt vorsätzlich verletzt hat, ergibt sich aus den obigen Ausführungen zum subjektiven Tatbestand des § 14 Abs. 2 SGB IV. Hierauf wird verwiesen.

Die Säumniszuschläge wurden zutreffend berechnet. Nach § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50,00 € nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Bei einem rückständigen Betrag unter 100,00 € ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert schriftlich anzufordern wäre. Diese Regelung hat die Beklagte zutreffend umgesetzt, was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.

f) Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen der Beitragsnachforderung nicht entgegen.

Der Bescheid vom 24. Oktober 2013 über die Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 19. Oktober 2009 bis 31.Dezember 2012 begründet keinen Vertrauensschutz in diesem Sinne.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG konnten Arbeitgeber aus Betriebsprüfungen keine weitergehenden Rechte ableiten, weil Betriebsprüfungen unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten nur den Zweck hätten, die Beitragsentrichtung zu einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kam den Betriebsprüfungen danach nicht zu, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend zu sein brauchte und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken durfte. Eine materielle Bindungswirkung konnte sich danach lediglich dann und insoweit ergeben, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (zum Ganzen z.B. BSG, Beschluss vom 17. März 2017 – B 12 R 44/16 B – juris, Rn. 20 m.w.N.; vgl. auch z.B. BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 R 7/14 R – juris, Rn. 18). Diese Rechtsprechung hat das BSG nun fortentwickelt (BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris, Rn. 31 ff.; BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 R 7/20 R – juris, Rn. 16 f.). Anknüpfungspunkt ist die zum 1. Januar 2017 in Kraft getretene Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 2 Beitragsverfahrensverordnung (BVV durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 11. November 2016, BGBl. I, S. 2500). Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 BVV ist dem Arbeitgeber das Ergebnis der Prüfung innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der Prüfung „mitzuteilen“. Die neu eingeführte Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 2 BVV, wonach der Arbeitgeber durch den Prüfbescheid oder das Abschlussgespräch zur Prüfung Hinweise zu den festgestellten Sachverhalten erhalten soll, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden, bringt zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber vollumfänglich Kenntnis über die geprüften Sachverhalte erhalten soll und nicht nur über diejenigen, die Beitragsnachforderungen nachsichziehen. Danach ist davon auszugehen, dass Betriebsprüfungen nunmehr insoweit auch eine Schutzwirkung für Arbeitgeber zukommt, seit den Betriebsprüfungsstellen aufgegeben wurde, die geprüften Sachverhalte offenzulegen (BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris, Rn. 31, 34). Pauschal gehaltene sog. Prüfmitteilungen, nach denen die durchgeführte Betriebsprüfung „ohne Beanstandungen geblieben ist“, genügen dieser Schutzwirkung nicht mehr. Hingegen wird der betriebsprüfende Rentenversicherungsträger seinem Auftrag unproblematisch gerecht, wenn die Betriebsprüfung durch einen Prüfbescheid, d.h. einen Verwaltungsakt, abgeschlossen wird. Eine materielle Bindungswirkung kann sich auch weiterhin nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch Verwaltungsakt festgestellt worden sind (BSG, a.a.O., Rn. 32, 33; BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 R 7/20 R – juris, Rn. 17). Dabei hat sich die Betriebsprüfung nunmehr zwingend auch auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter zu erstecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt ist (BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris, Rn. 35).

Vorliegend ist die vorausgegangene Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 19. Oktober 2009 bis 31. Dezember 2012 mit einer pauschalen Prüfmitteilung abgeschlossen worden. Eine Feststellung zur Tätigkeit der Kurierfahrer und K.H. erfolgte darin nicht. Ausdrücklich wurde auf eine lediglich stichprobenweise durchgeführte Prüfung hingewiesen, die im gesamten Prüfzeitraum zu keinen Feststellungen hinsichtlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge führte. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf nicht konkret in den Prüfbescheiden angeführte Sachverhalte – wie insbesondere die versicherungspflichtige Beschäftigung der Kurierfahrer – konnte der Kläger mithin aufgrund des – ohnehin vor Einführung des § 7 Abs. 4 Satz 2 BVV erlassenen – Prüfbescheids vom 24. Oktober 2013 nicht entwickeln.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 194.914,65 € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 GKG.

 

Rechtskraft
Aus
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