L 18 AL 39/24

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 84 AL 317/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 39/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2024 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der erste Satz des Tenors wie folgt zu fassen ist:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 4. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2021 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 19. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021 Arbeitslosengeld zu gewähren.

 

Die Beklagte hat der Klägerin auch deren notwendige außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 

Die Klägerin ist Kostümbild-Assistentin und Garderobiere. Sie war vom 24. Januar 2018 bis 26. Februar 2018 (= 37 Tage), vom 10. September 2018 bis 12. Februar 2019 (= 156 Tage), vom 23. Mai bis 16. Juni 2019 (= 25 Tage) bei der CSPGmbH (CS) und vom 25. April bis 15. Mai 2019 (= 21 Tage) bei der X-F C PGmbH beschäftigt. Anschließend war sie als Hausfrau tätig.

 

Der am 10. September 2018 begonnenen Beschäftigung bei der CS lag ein nach dem Muster „Vertrag Filmschaffende“ geschlossener Arbeitsvertrag vom selben Tag zugrunde, mit dem sich die Klägerin „ab 10.09.2018 bis vorauss. 30.11.2018“ zur Mitwirkung als „Crowd Costumer“ an der Produktion „SC“ mit einer Gage in Höhe von 216,- € pro Arbeitstag zuzüglich Mehrarbeitszuschlägen verpflichtete. Zur „voraussichtlichen Dauer der Mitwirkung“ enthält der Vertrag den Hinweis „ohne anschließenden Urlaub und Freizeitausgleich“. Unter Nr. 10 des Vertrags ist vereinbart, dass im Falle von Produktions- oder Drehpausen der Mitarbeiter nach Absprache mit der CS den ihm zustehenden Urlaub in dem Zeitraum der Pausen in Anspruch nehmen wird. Der Vertrag enthält ferner unter Nr. 2.2. folgende Regelung:

„Der Mitarbeiter steht während der Vertragszeit ausschließlich CS zur Verfügung. (…) Zur Sicherstellung der Produktion im Falle eines Nachdrehs oder einer Verschiebung der Produktion ist CSberechtigt, die Vertragszeit für einen Zeitraum von 3 - drei – Wochen nach voraussichtlichem Vertragsende zu verlängern. Der Mitarbeiter stimmt dieser möglichen Vertragsverlängerung bereits mit Unterzeichnung dieses Vertrages zu. (...)“

 

Die Klägerin beantragte am 1. April 2020 bei der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis darauf, dass die Klägerin die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe, mit Bescheid vom 14. Mai 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2020 ab. Auch der Überprüfungsantrag der Klägerin vom 22. Juni 2020 wurde mit Bescheid vom 17. August 2020 abgelehnt. Auf ihren Widerspruch gegen diesen Bescheid wies die Beklagte mit Schreiben vom 16. September 2020 die Klägerin darauf hin, dass eine für sie allein in Betracht kommende „kurze Anwartschaft“ daran scheitere, dass sie in der Rahmenfrist von 2 Jahren überwiegend aufgrund von im Voraus auf mehr als 10 Wochen beschränkten Verträgen beschäftigt worden sei und deshalb nicht die Voraussetzung für eine Anwartschaft nach § 142 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (aF) erfülle. Die §§ 142, 143 und 147 SGB III aF seien gemäß § 447 SGB III anwendbar, weil die Klägerin seit dem 31. Dezember 2019 nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Die Klägerin nahm daraufhin ihren Widerspruch zurück und meldete sich am 9. Oktober 2020 mit Wirkung zum 10. Oktober 2020 arbeitslos. Nach Einreichung eines Vertrages mit der CS über eine Beschäftigung vom „29.08.2020 bis voraus. 09.10.2020“ sowie einer Arbeitsbescheinigung der CS über eine Beschäftigung vom 29. August bis 18. Oktober 2020 lehnte die Beklagte den Antrag vom „19. Oktober 2020“ mit Bescheid vom 4. Dezember 2020 mit der Begründung ab, sie sei in den letzten 30 Monaten vor dem 19. Oktober 2020 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen und habe daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Auch die Anwartschaftszeit gemäß § 142 Abs. 2 SGB III sei nicht erfüllt. Innerhalb der Rahmenfrist sei die Zahl der Tage, die auf höchstens 14 Wochen befristet gewesen seien, nicht höher als die Zahl der Tage in Beschäftigungen, die unbefristet oder länger als 14 Wochen befristet gewesen seien. Mit ihrem Widerspruch vom 6. Dezember 2020 trug die Klägerin vor, es habe bei den vorangehenden Beschäftigungen keinen Vertrag gegeben, der auf mehr als 14 Wochen befristet gewesen sei. Zwar habe es eine Anstellung mit einem längeren Zeitraum gegeben. Aus dem Arbeitsvertrag ließe sich jedoch entnehmen, dass die Beschäftigung auf einen kurzen Zeitraum angelegt gewesen sei, nämlich auf den Zeitraum vom 10. September bis 30. November 2018. Dies seien 11 Wochen und 5 Tage, weshalb der Nachweis des § 142 Abs. 2 SGB III erbracht sei. Die Klägerin nahm zum 1. Februar 2021 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 15 Stunden wöchentlich auf.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch vom 6. Dezember 2020 als unbegründet zurück. Die Anwartschaftszeit gemäß § 142 Abs. 2 SGB III sei nicht erfüllt. Die Beschäftigungen, die bis zu 14 Wochen befristet gewesen seien vom (25. April bis 15. Mai 2019, 23. Mai bis 16. Juni 2019 und vom 29. August bis 18. Oktober 2020 seien mit insgesamt 97 Tagen geringer als die Tage der Beschäftigungen über 14 Wochen (10. September 2018 bis 12. Februar 2019) mit 156 Tagen.

 

Im Klageverfahren hat die CS auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) Berlin mit Schreiben vom 17. Mai 2023 mitgeteilt: Neben dem Arbeitsvertrag vom 10. September 2018 gebe es keinen weiteren. In diesem Vertrag sei mit der Bestimmung „voraussichtlich bis“ kenntlich gemacht worden, dass es sich um einen zweckbefristeten Arbeitsvertrag gehandelt habe. Die Klägerin sei nach dem Ablauf der Befristung am 30. November 2018 nur noch an insgesamt 13 Arbeitstagen im Dezember 2018 beschäftigt gewesen. Im Anschluss daran seien unter Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 12. Februar 2019 Freizeitausgleich und zuletzt 8 Tage Urlaub gewährt worden. Es sei branchenüblich, dass während der Drehzeit kein Urlaub bzw. Freizeitausgleich nach geleisteter Mehrarbeit genommen werden könne. Solche Ansprüche würden „ausnahmslos“ erst nach Abschluss der konkreten Mitwirkung des einzelnen Mitarbeiters bei den Dreharbeiten gewährt. Der Einschätzung der voraussichtlichen Dauer der Mitwirkung für jeden einzelnen Mitarbeiter einer Produktion liege ein Dreh- und Produktionsplan zugrunde. Es sei jedoch in der Filmherstellung regelmäßig möglich, dass sich aus verschiedensten Gründen Verzögerungen ergäben und in diesem Fall sich die Mitwirkung hinauszögere. Die Klägerin hat vorgetragen: Die Überschreitung des arbeitsvertraglich vereinbarten Zeitraumes vom 10. September bis 30. November 2018 sei szenetypisch, da Filmgesellschaften allein aus wirtschaftlichen Gründen Verträge nicht länger als unbedingt notwendig abschließen würden. Es liege allerdings in der Natur der Sache, dass Produktionen den vorgegebenen, straffen Zeitplan nicht einhalten könnten. In ihrem Fall sei daher die Zeitkontingentregelung angewandt worden.

 

Das SG Berlin hat mit Urteil vom 27. Mai 2024 unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2021 die Beklagte dazu verurteilt, der Klägerin „ab 19. Oktober 2020“ Alg zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2021 sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin habe nach § 137 Abs. 1 SGB III Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit ab 19. Oktober 2020. Die Klägerin sei vom 19. Oktober 2020 bis zum 1. Februar 2021 unstreitig arbeitslos gewesen. Sie habe sich bei der Beklagten auch arbeitslos gemeldet. Die Anwartschaftszeit sei ebenfalls erfüllt. Grundsätzlich erfülle die Anwartschaftszeit, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (§ 142 Abs. 1 SGB III). Für Arbeitslose, die – wie die Klägerin -diese Anwartschaftszeit nicht erfüllten sowie darlegten und nachwiesen, dass sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben, die auf nicht mehr als 14 Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet seien (Nr. 1), und das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt das 1,5fache der zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 des Vierten Buches nicht übersteige (Nr. 2) gelte gemäß § 142 Abs. 2 SGB III allerdings bis zum 31. Dezember 2022 hiervon abweichend, dass die Anwartschaftszeit nur sechs Monate betrage (ab dem 1. Januar 2020 geltende Fassung des § 142 Abs. 2 SGB III). Im Hinblick auf den vorliegenden, für die Filmbranche üblichen Vertrag mit Verlängerungsoption sei umstritten, von welcher Betrachtungsweise für die Bestimmung der kurzen Beschäftigung auszugehen sei. Das SG Nürnberg (Urteil vom 28. September 2022 – S 22 AL 411/21 -) habe hierzu in einem ähnlich gelagerten Fall unter Hinweis auf das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20. Februar 2020 - L9 AL6/18 -, juris Rn. 38 f.) ausgeführt, dass nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB III es für die Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit nicht entscheidend sei, ob die Beschäftigungsverhältnisse nach Verlängerung tatsächlich länger bestünden als zunächst vereinbart. Dem sei zu folgen. Die Klägerin sei ausschließlich befristet kurzzeitbeschäftigt gewesen. Die Rahmenfrist betrage 30 Monate und beginne mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 143 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin erfülle die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen am 19. Oktober 2020. Die Rahmenfrist umfasse daher die Zeit vom 19. April 2018 bis 18. Oktober 2020. Bis auf die Beschäftigung vom 10. September 2018 bis 12. Februar 2019 handele es sich jeweils um kurze, auf nicht mehr als 14 Wochen befristete Beschäftigungen im Sinne des § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III. Die 22 Wochen und 2 Tage dauernde Beschäftigung schließe eine Anwendung von § 142 Abs. 2 SGB III im vorliegenden Fall nicht aus. Die Beschäftigung sei in die Berechnung der kurzen Anwartschaftszeit einzubeziehen. Die Beschäftigungstage der Klägerin beruhten ausschließlich auf im Voraus nicht auf mehr als 14 Wochen befristeten Beschäftigungen.

 

Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor: Zum von § 142 Abs. 2 SGB IIII begünstigten Personenkreis gehörten nicht Personen, denen es gelinge, überwiegend in Abschnitten beschäftigt zu sein, die länger als 14 Wochen dauern. Selbst wenn es entgegen ihrer Weisungslage auf eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom 10. September 2018 zu treffende Prognoseentscheidung ankommen sollte, sei davon auszugehen, dass die Verlängerung der Tätigkeit absehbar und damit zu erwarten gewesen. Es hätten sich bei der hier relevanten Produktion keine nicht voraussehbaren Umstände ergeben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2024 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt das Urteil und trägt ergänzend vor: Die Ursachen für die Verlängerung hätte sich im konkreten Fall erst im Laufe der Dreharbeiten ergeben und seien in dem gegebenen Umfang nicht voraussehbar gewesen.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (2 Bde.) und der e-Verwaltungsakte nebst VERBIS-Vermerken der Beklagten verwiesen, die, soweit erforderlich, Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung geworden sind.

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

 

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der Klägerin ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Alg ab 19. Oktober 2020 zu bewilligen, wobei wegen der Beschäftigungsaufnahme der Klägerin am 1. Februar 2021 der Tenor des angegriffenen Urteils hinsichtlich des zeitlichen Ausspruchs klarzustellen war.

 

Die Klägerin hat für die Zeit vom 19. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021 Anspruch auf Alg. Gemäß § § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Alg, wer (Nr. 1) arbeitslos ist, (Nr. 2) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (Nr. 3) die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

 

Die Klägerin war im angeführten Zeitraum arbeitslos und hatte sich persönlich arbeitslos gemeldet. Die erforderliche Anwartschaftszeit war ebenfalls erfüllt. Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. In § 142 Abs. 2 SGB III in der hier maßgebenden Fassung vom 18. Dezember 2018 (SGB III 2018) ist ferner bestimmt: 

Für Arbeitslose, die die Anwartschaftszeit nach Absatz 1 nicht erfüllen sowie darlegen und nachweisen, dass

1. sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben, die auf nicht mehr als vierzehn Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet sind, und

2. das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt die zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgebliche Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 des Vierten Buches nicht übersteigt,

gilt bis zum 31. Dezember 2022, dass die Anwartschaftszeit sechs Monate beträgt. § 27 Absatz 3 Nummer 1 bleibt unberührt.

 

Die mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg beginnende Rahmenfrist beträgt seit 1. Januar 2020 nach § 143 Abs. 1 SGB III regelmäßig 30 Monate. Nach § 143 Abs. 2 SGB III verkürzt sie sich im entsprechenden Umfang, soweit der Arbeitslose in einer vorangegangenen Rahmenfrist eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 143 Abs. 2 SGB III). Die Rahmenfrist nach § 143 Abs. 1 SGB III umfasst vorliegend die Zeit vom 18. Oktober 2020 bis 19. April 2018. Sie reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, denn in diesem Zeitraum waren die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg nicht erfüllt (vgl. § 143 Abs. 2 SGB III). Zwar hatte die Klägerin am 1. April 2020 sich arbeitslos gemeldet und einen Antrag auf Bewilligung von Alg gestellt. Indes fehlte es für einen Anspruch auf Alg zu diesem Zeitpunkt noch an der Erfüllung der Anwartschaftszeit. Insoweit hat die Beklagte mit Schreiben vom 16. September 2020 zutreffend ausgeführt, dass die damals noch nicht über eine versicherungspflichtige Beschäftigungszeit nach dem 31. Dezember 2019 verfügende Klägerin aufgrund der für sie nach der Übergangsregelung des § 447 Abs. 1 SGB IIII noch geltenden 10-Stundengrenze des § 143 Abs. 2 SGB III aF. keine Anwartschaftszeit in der für sie (damals) geltenden Rahmenfrist von 2 Jahren erfüllt hatte.

Die Klägerin hat zwar die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 SGB III von 30 Monaten nicht erfüllt, denn sie war in Zeit vom 18. Oktober 2020 bis 19. April 2018 nur an 253 Tagen versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr kommt jedoch – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – die auf 6 Monate verkürzte Anwartschaftszeit des § 142 Abs. 2 SGB III zugute. Denn sie hat dargelegt und nachgewiesen, dass sich die innerhalb der Rahmenfrist zurückgelegten 253 Beschäftigungstage nicht nur „überwiegend“, sondern sogar zur Gänze aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben haben, die auf nicht mehr als vierzehn Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet waren. Die Beschäftigungen der Klägerin innerhalb der Rahmenfrist waren auch nicht unständig (und damit versicherungsfrei) im Sinne des § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III. Unständig ist eine Beschäftigung, die auf weniger als eine Woche der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im Voraus durch Arbeitsvertrag beschränkt ist. Vorliegend war keine der Beschäftigungen der Klägerin im Voraus durch Vertrag auf weniger als eine Woche beschränkt.

 

Das SG hat zu Recht festgestellt, dass es sich nicht nur bei den Beschäftigungszeiten vom 25. April bis 15. Mai 2019, vom 23. Mai bis 16. Juni 2019 und vom 29. August 2020 bis 9. bzw. verlängert bis 18. Oktober 2020, sondern auch bei der Mitwirkung der Klägerin an der am 10. September 2018 begonnenen Produktion „SC“, die nach dem Arbeitsvertrag voraussichtlich bis zum 30. November 2020 vereinbart worden war und die aufgrund der im Vertrag von 10. September 2018 enthaltenen und von der CS gezogenen Verlängerungsoption schließlich bis zum 12. Februar 2019 – mithin 156 Tage -  andauerte, um eine im Voraus auf nicht mehr als 14 Wochen befristete Beschäftigung gehandelt hat.

 

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Vertrags vom 10. September 2018, der die Mitwirkung der Klägerin an der Produktion „S C“ auf 11 Wochen und 5 Tage beschränkte. Maßgebend ist eine ex-ante Beurteilung. Insofern ist an die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen anzuknüpfen. Nach § 138 Abs. 3 Satz 1 SGB III schließt die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. Gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Für die Beurteilung dieser Kurzzeitigkeit einer Beschäftigung kommt es vorrangig auf die vertraglichen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise an, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung anknüpft. Maßgeblich sind danach die zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber bestehenden vertraglichen Vereinbarungen und eine prognostische Betrachtungsweise anhand der Merkmale und Umstände, wie sie bei Beschäftigungsbeginn vorgelegen haben (vgl. nur BSG, Urteil vom 29. Oktober 2008 – B 11 AL 52/07 R –, juris Rn. 13 f. mwN). Es besteht kein sachlicher Grund, bei der Beurteilung der Beschäftigung ihrer Gesamtdauer nach anders vorzugehen als bei derjenigen ihrer wöchentlichen Stundenzahl nach. Beide sind aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität aus ex ante-Sicht anhand des Arbeitsvertrages sowie ggf. weiterer Merkmale und Umstände, wie sie bei Beginn der Erwerbstätigkeit vorliegen, vorzunehmen (ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Februar 2020 – L 9 AL 6/18 –, juris Rn. 35; vgl. ferner LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. September 2021 – L 2 AL 36/18 -, juris Rn. 49 zur tendenziell bejahten Notwendigkeit einer Prognoseentscheidung).

 

Soweit das LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18. Mai 2018 – L 8 AL 3995/16 –, juris Rn. 36; zustimmend Müller, in: BeckOK Sozialrecht, § 142 SGB III, Stand: 1. Dezember 2014, Rn. 14b) mit Blick auf den Normzweck des § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB III von einer „sozialrechtlich gebotenen rückschauenden Betrachtung“ ausgeht und bei einer späteren Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr von einer im Sinne des § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III im Voraus auf zehn (bzw. inzwischen auf 14 Wochen) befristeten Beschäftigung ausgeht, überzeugt dies nicht.

 

Bereits nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 2 S. 1 SGB III ist für die Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit nicht entscheidend, ob - wie hier - die Beschäftigungsverhältnisse nach Abschluss eines Anschlussvertrages länger bestehen, als zunächst vereinbart. Die tatsächlich zurückgelegten und die im Voraus vereinbarten Beschäftigungstage können mithin auseinanderfallen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Februar 2020 – L 9 AL 6/18 –, aaO Rn. 38).

 

Dies ist auch im Sinne des Gesetzgebers. Denn Sinn und Zweck des § 142 Abs. 2 SGB III sind es nach seinem erklärten Willen, insbesondere den besonderen Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden Rechnung zu tragen. Dies gelang mit der früheren Ausnahmeregelung zu Absatz 1 eher unzureichend (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, Stand: 04/17, § 142, Rn. 126) und es bleibt abzuwarten, ob mit der seit 2020 geltenden Ausweitung von 10 auf 14 Wochen insoweit eine merkliche Verbesserung eintreten wird. Der Gesetzgeber wollte zu Lasten der Arbeitslosenversicherung das – nach wie vor bestehende - besondere Risiko der im künstlerischen Bereich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten abmildern, die im Vergleich zu sonstigen Berufen durch die für ihr Berufsumfeld typischen kurzen Arbeitsverträge häufiger arbeitslos werden. Arbeitnehmer im künstlerischen Bereich – wie die Klägerin – haben nahezu keine Chance, einen Vertrag zu erhalten, wenn sie sich nicht auf flexible Klauseln einlassen.

 

Dem Arbeitsvertrag der Klägerin mit der CS vom 10. September 2018 ist bei der hier gebotenen vorausschauenden Betrachtung zu entnehmen, dass die Beschäftigung zu Beginn auf eine lediglich kurze Beschäftigung i.S.v. § 142 SGB III gerichtet war, auch wenn sie tatsächlich insgesamt deutlich länger dauerte. Entscheidend ist, dass unter Berücksichtigung der konkret zu erwartenden Umstände bei der von der CS für 11 Wochen und 5 Tage angesetzten Produktion „S C“ nicht zu erwarten war, dass die Kurzzeitigkeitsgrenze von 14 Wochen überschritten werden würde. Dabei lässt sich aus dem Umstand, dass die Produktionszeit im Filmgeschäft aus Kostengründen „scharf“ kalkuliert wird und eine Verlängerung deshalb nichts Ungewöhnliches ist, nicht schon der Schluss ziehen, dass mit einer Überschreitung der vorgegebenen Produktionszeit in jedem Fall zu rechnen ist. Es kann offenbleiben, ob die branchentypischen Verlängerungen des Sozialversicherungszeitraums durch den Abbau von Überstunden („Freizeitausgleich“) und „ausnahmslos‘“ (so die CS im Schreiben vom 15. Mai 2023) erst nach Abschluss der Produktionsarbeiten gewährten Urlaub, die bei der SC-P aufgetreten sind und zum Teil zur Verlängerung der Beschäftigung der Klägerin beigetragen haben, zu den konkret zu erwartenden Umständen zu zählen sind (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. September 2021 – L 2 AL 36/18 -, aaO, Rn. 49) oder ob solche „szenetypischen“ Verlängerungen als unschädlich anzusehen sind (so LSG Nordrhein-Westfalen aaO, Rn. 40). Selbst wenn, wozu der Senat tendiert, solche szenetypischen Verlängerungstatbestände für die zu treffende Prognoseentscheidung nicht außer Betracht bleiben können, ergibt sich bei der Berücksichtigung solcher Umstände vorliegend keine Überschreitung der 14-Wochen-Grenze. Auf der Grundlage des Vertrages vom 10. September 2018 standen der Klägerin für die auf 11 Wochen und 5 Tage angesetzte S C-P maximal 6 Urlaubstage (= 8 Kalendertage) zu. Eine Überschreitung der 14-Wochen-Grenze käme mithin bei vorausschauender Betrachtung allenfalls dann in Betracht, wenn bereits bei Produktionsbeginn zu erwarten gewesen wäre, dass auch der von der CS zu gewährende „in Natura“-Freizeitausgleich für Mehrarbeit einen Zeitraum von mehr als einer Woche erreichen würde. Auch wenn es nicht fernliegt, dass bei Dreharbeiten szenetypisch“ regelmäßig Mehrarbeit anfällt, mit der hier sich nach dem gelebten Inhalt des Vertrags vom 10. September 2018 ergebenden Folge, dass die Dauer der Beschäftigung zwangsläufig um „Ausgleichstage“ verlängert wird, so spricht gleichwohl nichts dafür, dass bereits bei Beginn der Produktion der Umfang der anfallenden Überstunden abschätzbar gewesen wäre noch gar, dass der zu erwartende Freizeitausgleichs länger als eine Woche in Anspruch nehmen würde. Die deutlich unter der 14-Wochen-Grenze liegende Befristung von 11 Wochen und 5 Tage im Arbeitsvertrag vom 10. September 2018 konnte schließlich auch nicht der formalen Absicherung eines Alg-Anspruchs der Klägerin dienen, denn er war von vorneherein auf eine Überschreitung der damals noch vorgegebenen 10-Wochen-Grenze angelegt.

 

Im Übrigen erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen von § 143 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III. Danach wird die Anwartschaftszeit nur dann auf sechs Monate verkürzt, wenn das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt das 1,5fache der zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) nicht übersteigt. Diese Bezugsgröße ist für das Jahr 2020 mit 38.220,- € zu beziffern (vgl. Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2020 vom 17. Dezember 2019), das 1,5-Fache sind somit 57.330,- €. Die Klägerin hat in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit 40.896,- € und damit weniger als die 1,5-fache Bezugsgröße verdient.

 

Nach § 147 Abs. 3 Sätze 1 und SGB III hat die Klägerin aufgrund ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung von 8 Monaten und 13 Tagen in der hierfür maßgeblichen Rahmenzeit einen Anspruch auf Alg mit einer Anspruchsdauer von 4 Monaten erworben. Im Hinblick auf die die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigungsaufnahme zum 1. Februar 2021 war der Zahlungsanspruch auf die Zeit vom 19. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021 zu beschränken.

 

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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