L 11 AS 597/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Lüneburg (NSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 408/20
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 11 AS 597/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Auch wenn ein Jobcenter in zahlreichen Fällen und möglicherweise planmäßig vorläufige Bewilligungen erteilt, obwohl endgültige Bewilligungen vorgenommen werden müssten, kann ein Leistungsempfänger gegen eine Erstattungsforderung nach endgültiger Festsetzung nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung erheben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Erstattungspflicht der Billigkeit entspricht.
2. Eine nur vorläufige Leistungsbewilligung nach § 41a SGB II begründet grundsätzlich keinen Vertrauensschutz. Dies gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der Vorläufigkeit vorgelegen haben oder nicht.
3. Wird einem Leistungsempfänger statt einer wie seit Jahren üblich einmaligen Heizkostenbeihilfe fälschlicherweise der einmal angefallene Heizkostenbetrag monatlich gewährt und führt dies zu mehr als doppelt so hohen Leistungen, kann er sich in der Regel nicht darauf berufen, ihm sei die Rechtswidrigkeit der Bewilligung nicht aufgefallen. Ein Leistungsempfänger hat die Obliegenheit, einen Bewilligungsbescheid zu lesen und die darin enthaltenen Eckdaten zur Kenntnis zu nehmen.

Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. September 2023 wird aufgehoben.

Die Klagen werden abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen abschließende Festsetzungen von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – und darauf gründende Erstattungsforderungen des Beklagten in Höhe von 1.900,00 Euro und 1.695,23 Euro wegen versehentlich zu viel geleisteter Heizkosten. Betroffen sind die Zeiträume März bis August 2019 und September 2019 bis Februar 2020.

Die im Jahr 1957 geborene Klägerin bezog über Jahre – jedenfalls seit 2016 – als Alleinstehende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Sie bewohnt eine Unterkunft („Halbhaus mit Keller und Dachgeschoss“, vgl. den Mietvertrag auf Bl. 11 des PKH-Hefts), für die in den streitigen Zeiträumen eine monatliche Miete in Höhe von 219,86 Euro zu entrichten war; Nebenkosten ohne Heizkosten wurden von der Klägerin mit 11,00 Euro monatlich beziffert (vgl. die Angaben in den Weiterbewilligungsanträgen auf Bl. 67, 156, 298 und 365 der elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten – eVA; Anm.: Blattzahlen beziehen sich auf die Nummerierung im elektronischen Aktenverwaltungsprogramm e²A). Heizkosten fielen für den Kauf von Heizöl an. Der Beklagte stellte für die Bewilligungszeiträume insoweit jeweils einen Gesamtbetrag zur Übernahme in Aussicht, woraufhin die Klägerin Nachweise über die Heizmittelbeschaffung vorzulegen hatte. Nach deren Vorlage erließ der Beklagte sodann einen Änderungsbescheid, in dem die angefallenen Heizkosten Berücksichtigung fanden (vgl. etwa Änderungsbescheid vom 28. Mai 2018, Bl. 221 eVA und Änderungsbescheid vom 10. Januar 2019, Bl. 283 eVA). Die Klägerin erzielte durchgehend geringfügiges Erwerbseinkommen in Höhe von 450,00 Euro monatlich aufgrund einer Beschäftigung bei der „J. e. V.“ (vgl. Arbeitsvertrag und Gehaltsbescheinigungen auf Bl. 70, 241, 301, 360, 389 eVA), das der Beklagte berücksichtigte.

Aus der eVA ergibt sich, dass der Beklagte jedenfalls seit dem Jahr 2017 vorläufige Bewilligungen aussprach (vgl. den Bescheid vom 3. April 2017 über die Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs für den Monat Januar 2017, Bl. 14 eVA; für die Bewilligungszeiträume von September 2017 bis August 2019 vgl. die Bewilligungsbescheide auf Bl. 74, 164, 247 und 306 eVA). Als Grund für die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligungen gab er teils an, dass Erwerbseinkommen erzielt werde, teils, dass Einkommen erzielt werde, welches zu Schwankungen in der Leistungshöhe führen könne.

Für den den streitigen Zeiträumen vorangehenden Zeitraum September 2018 bis Februar 2019 bewilligte der Beklagte Leistungen vorläufig in Höhe von 376,43 Euro monatlich, ab Januar 2019 in Höhe von 384,61 Euro monatlich ohne Heizkosten (Bl. 247, 271 eVA). Danach erließ er Änderungsbescheide und bewilligte – ebenfalls vorläufig – für Januar 2019 zusätzlich Leistungen für Heizkosten (Bl. 286, 330 eVA).

Mit Bescheid vom 7. Februar 2019 (Bl. 306 eVA) bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen vorläufig für den streitgegenständlichen Zeitraum März bis August 2019 in Höhe von weiterhin monatlich 384,61 Euro. Er gab an, dass die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung auf § 41a Abs. 1 SGB II beruhe. Die Klägerin erziele Einkommen aus Erwerbstätigkeit, dass künftigen Schwankungen unterliegen könne. Bei der abschließenden Entscheidung würden die bis dahin gezahlten vorläufigen Leistungen auf die zustehende Leistung angerechnet. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht würden, seien die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraum nachzuzahlen wären. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestünden, seien zu erstatten (Hinweis auf § 41a Abs. 6 SGB II). Der Beklagte erkannte dabei den Regelbedarf (424,00 Euro), einen Mehrbedarf für Warmwassererzeugung (9,75 Euro), sowie Grundmiete und Nebenkosten in tatsächlicher Höhe an (219,86 Euro bzw. 11,00 Euro). Nach Abzug eines Freibetrages von 170,00 Euro berücksichtigte er das Erwerbseinkommen der Klägerin (450,00 Euro) in Höhe von 280,00 Euro bedarfsmindernd.

Für diesen Bewilligungszeitraum (März bis August 2019) stellte der Beklagte mit Schreiben vom 7. März 2019 die Übernahme von Heizkosten in Höhe von insgesamt 480,00 Euro in Aussicht (Bl. 329 eVA). Zur Nachvollziehbarkeit des Betrages machte er in einem Klammerzusatz die Angabe „1,60 EUR x 50 qm x 6 Monate“. Die Klägerin übersandte daraufhin ein Angebot vom 12. März 2019 über die Lieferung von Heizöl für einen Gesamtbetrag von 480,01 Euro (Bl. 336 eVA).  Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2019 mit, dass ihr aufgrund des vorgelegten Angebotes ein Betrag in Höhe von 480,00 Euro ausgezahlt worden sei und sie einen Nachweis über die Weiterleitung des Betrages bzw. eine entsprechende Rechnung einreichen solle (Bl. 338 eVA). Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tage – 1. April 2019 – bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Monate April bis August 2019 versehentlich monatlich (anstatt: einmalig) 480,00 an Heizkosten (Bl. 342 eVA; Gesamtbetrag für diese Monate: jeweils 864,61 Euro). Als Begründung gab er an: „Es sind folgende Änderungen eingetreten: Gewährung von Heizkosten entsprechend meinem Schreiben vom 07.03.2019.“ Die Bewilligung erfolgte weiterhin vorläufig unter Hinweis auf § 41a SGB II und mit dem bereits im Ausgangsbescheid enthaltenen Zusatz betreffend die abschließende Entscheidung, die Anrechnung gewährter Leistungen bzw. die Erstattung. Am 2. Mai 2019 reichte die Klägerin beim Beklagten die Rechnung des Heizöllieferanten K. eG über einen Betrag von 500,00 Euro wegen einer Heizöllieferung vom 10. April 2019 ein (Bl. 351 eVA).

Für den Bewilligungszeitraum September 2019 bis Februar 2020 bewilligte der Beklagte erneut fälschlicherweise deutlich zu hohe Leistungen unter Anerkennung von monatlichen (anstatt: einmaligen) Heizkosten in Höhe von 480,00 Euro. Er bewilligte die Leistungen vorläufig unter Hinweis darauf, dass die Klägerin Einkommen aus einer Beschäftigung erziele. Er berücksichtigte das Erwerbseinkommen wie bisher in Höhe von 280,00 Euro bedarfsmindernd (Bewilligungsbescheid vom 8. August 2019, Bl. 368 eVA, Änderungsbescheid vom 23. November 2019 für Januar/Februar 2020 wegen Anpassung der Regelbedarfe, Bl. 373 eVA). Dabei erkannte der Beklagte weiterhin den Regelbedarf (424,00 Euro; ab Januar 2020: 432,00 Euro), einen Mehrbedarf für Warmwassererzeugung (9,75 Euro; ab Januar 2020: 9,94 Euro) eine Grundmiete von 219,86 Euro, Heizkosten von 480,00 Euro und Nebenkosten in Höhe von 11,00 Euro als Bedarfe an und bewilligte monatliche Leistungen in Höhe von weiterhin insgesamt 864,61 Euro (ab Januar 2020: 872,80 Euro). Auch dieser Bescheid enthielt einen Hinweis auf § 41a SGB II und einen Zusatz mit Erläuterungen betreffend die abschließende Entscheidung, die Anrechnung gewährter Leistungen bzw. die Erstattung.

Am 22. Januar 2020 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung der Leistungen ab März 2020 (Bl. 385 eVA). Offenbar erkannte der Beklagte jetzt seinen Irrtum und bewilligte für den (nicht streitigen) Bewilligungszeitraum März bis August 2020 Leistungen vorläufig ohne Berücksichtigung von Heizkosten (Bl. 395 eVA). Er forderte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Januar 2020 auf, u.a. Nachweise über die Höhe der Heizkosten ab April 2019 vorzulegen (Bl. 391 eVA). Die Klägerin teilte dem Beklagten unter dem 20. April 2020 mit, dass ihm eine Kopie der Heizölrechnung aus dem Monat April 2019 bereits vorliegen müsste und übersandte Rechnungen über 556,00 Euro bzw. 628,77 Euro wegen Heizöllieferungen am 10. Oktober 2019 und 7. Januar 2020 (Bl. 400, 403, 420 eVA).

Der Beklagte erließ daraufhin für die streitigen Bewilligungszeiträume März bis August 2019 sowie September 2019 bis Februar 2020 jeweils einen Erstattungs- und einen endgültigen Festsetzungsbescheid:

Mit Erstattungsbescheid vom 24. April 2020 (Bl. 449 eVA) setzte er für die Monate Mai bis August 2019 jeweils eine Erstattungssumme in Höhe von 475,00 Euro bzw. eine Gesamterstattung in Höhe von 1.900,00 Euro fest. Mit weiterem Bescheid vom 24. April 2020 bewilligte der Beklagte für die Monate März bis August 2019 Leistungen abschließend (Bl. 457 eVA). Er bewilligte nunmehr für die Monate März sowie Mai bis August 2019 Leistungen in Höhe von 384,61 Euro ohne Heizkosten bzw. für den Monat April 2019 Leistungen in Höhe von 884,61 Euro unter Berücksichtigung von Heizkosten in Höhe von 500,00 Euro (für den gesamten Bewilligungszeitraum, vgl. zur Berechnung im Einzelnen die Berechnungsbögen auf Bl. 460ff. eVA).

Mit weiterem Erstattungsbescheid vom 24. April 2020 setzte der Beklagte für die Monate September, November und Dezember 2019 sowie für den Monat Februar 2020 eine Erstattung in Höhe von jeweils 423,80 Euro bzw. eine Gesamterstattung in Höhe von 1.695,23 Euro fest (Bl. 452 eVA). Mit Bescheid über die abschließende Bewilligung von Leistungen vom 24. April 2020 (Bl. 464 eVA) bewilligte er für die Monate September, November und Dezember 2019 Leistungen in Höhe von jeweils 384,61 Euro und für Februar 2020 in Höhe von 392,80 Euro ohne Heizkosten. Für Oktober 2019 und Januar 2020 bewilligte er Leistungen in Höhe von 940,61 Euro bzw. 1.021,57 Euro unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Heizkosten in Höhe von 556,00 Euro bzw. 628,77 Euro (vgl. zur Berechnung die Berechnungsbögen auf Bl. 467ff. eVA).

Gegen den Erstattungsbescheid „mit der endgültigen Leistungsfestsetzung für die Zeit vom 1. September 2019 – 29. März 2020“ legte die Klägerin am 20. Mai 2020 anwaltlich Widerspruch ein (Bl. 1 eVA W-25102-00714/20). Aufhebung und Erstattung beruhten ausschließlich auf einem Fehler des Beklagten. Die Klägerin habe einen einmaligen Kauf von Heizöl über einen Betrag von 480,00 Euro angegeben und der Beklagte habe sodann in seinem Bescheid Heizkosten von monatlich 480,00 Euro eingestellt. Auch wenn eine Leistungsbewilligung in rechtswidriger Weise vorläufig erfolgt sei, könne dies in einer endgültigen Leistungsbewilligung ohne Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht korrigiert werden. Die Klägerin habe darauf vertrauen können, dass die nach korrekten Angaben erstellten Bescheide richtig seien. Die Vorläufigkeit sei auch ausschließlich im Hinblick auf die erzielten Einkünfte aus Erwerbstätigkeit angeordnet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2020 – Geschäftszeichen W-25102-00714/20 – wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 31 eVA W-25102-00714/20). Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte komme es nicht an. Für die Monate September, November und Dezember 2019 und Februar 2020 sei es zu einer Überzahlung von 480,00 Euro gekommen. Für die Monate Oktober 2019 und Januar 2020 bestehe hingegen ein Nachzahlungsanspruch in Höhe von 76,00 bzw. in Höhe von 148,77 Euro. Nach Saldierung der Nachzahlungen mit den Überzahlungen verbleibe eine Überzahlung in Höhe von 1.695,23 Euro, die zu erstatten sei (vgl. S. 3f. des Widerspruchsbescheides). Dies gelte auch dann, wenn man auf Vertrauensschutzgesichtspunkte abstellen wolle, denn die fehlerhafte Bewilligung von Bedarfen für Heizmaterial in Höhe von 480,00 Euro monatlich sei für die Klägerin als rechtswidrig erkennbar gewesen.

Gegen den weiteren Erstattungsbescheid vom 24. April 2020 betreffend den Zeitraum März bis August 2019 legte die Klägerin anwaltlich am 26. Mai 2020 Widerspruch ein (Bl. 1 eVA W-25102-00757/20).

Auch diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2020 - Geschäftszeichen W-251 02-00757/20 - zurück (Bl. 9 eVA W-251 02-00757/20). Der Beklagte legte auch hier die Einzelheiten seiner Leistungsberechnungen dar (vgl. Seite 3f. des Widerspruchsbescheides) und stellte für den Monat April 2019 einen Nachzahlungsanspruch in Höhe von 20,00 Euro und ab Mai 2019 monatliche Überzahlungen in Höhe von 480,00 Euro fest. Nach Saldierung des Nachzahlungsanspruchs mit den Überzahlungen verbleibe eine Überzahlung in Höhe von 1.900,00 Euro, die von der Klägerin zu erstatten sei. Auch insoweit komme es auf Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht an bzw. sei die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung für die Klägerin erkennbar gewesen.

Gegen die Bescheide vom 24. April 2020 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2020 hat die Klägerin am 8. Juli 2020 unter den Aktenzeichen S 50 AS 408/20 und S 50 AS 409/20 zwei gesonderte Klagen vor dem SG Lüneburg erhoben, die das SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 50 AS 408/20 verbunden hat.

Die Klägerin hat erneut geltend gemacht, dass in den Bewilligungsbescheiden die Vorläufigkeit der Leistungsgewährung ausschließlich im Hinblick auf das Erwerbseinkommen angeordnet worden sei. Der Vorläufigkeitsvorbehalt greife nicht in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und die Heizkosten. Der Beklagte habe im Vorfeld immer nur einzelne Bewilligungen hinsichtlich der Heizkosten vorgenommen. Die Klägerin habe davon ausgehen können, dass insoweit die Bewilligungen endgültig erfolgt seien. Soweit der Beklagte meine, die Klägerin hätte im Übrigen auch die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungen erkennen müssen, sei dies nicht nachvollziehbar. Sie sei juristische Laiin und mit der Art und Weise der gesetzmäßigen Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht vertraut. Hingegen säßen beim Beklagten ausgebildete Personen. Dort hätte man den Fehler schon während des Bewilligungszeitraums erkennen müssen. Wenn schon ein Sachbearbeiter den Fehler nicht bemerke, wie solle dies dann die Klägerin tun. Die Klägerin müsse auf die Richtigkeit der Entscheidungen vertrauen können. Ein Betroffener sei auch nicht verpflichtet, die Bescheide auf Richtigkeit zu überprüfen. Sie habe nicht bemerkt und erkannt, dass ihr zu viel gezahlt worden sei bzw. dass ihr dieses Geld nicht zugestanden habe. Dies gelte umso mehr, als die Leistungsgewährung über Monate so erfolgt sei, ohne dass der Beklagte eine Änderung vorgenommen habe. Sie habe die Leistungen verbraucht und verwendet. Sie sei davon ausgegangen, dass dies nun die Heizkosten seien, die sie erhalten könne.

 

Der Beklagte ist den Klagen entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass die vorläufigen Bewilligungsentscheidungen bestandskräftig geworden seien und die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Vorläufigkeit nicht zu prüfen sei. Vertrauensschutz habe der Klägerin nicht zugestanden. Die vorangegangenen vorläufigen Bewilligungsentscheidungen seien insgesamt vorläufig gewesen. Nur hilfsweise werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung hingewiesen. Im Übrigen befinde sich die Klägerin ausreichend lange im Leistungsbezug und sei mit der Verfahrensweise zur Gewährung einer Einmalleistung zur Beschaffung von Heizmaterial vertraut gewesen. Es habe sich auch gezeigt, dass der tatsächliche Heizkostenbedarf gemäß Heizölrechnungen vom 17. Oktober 2019 und 16. Januar 2020 über insgesamt 1.048,38 Euro deutlich unter den vorläufig anerkannten Bedarfen für Heizkosten für September 2019 bis Februar 2020 in Höhe von insgesamt 2.880,00 Euro liege. Insofern sei auch ein bestimmungsgemäßer Verbrauch vorläufig gewährter Leistungen zu bezweifeln. Der Leistungsträger habe das ausdrückliche Recht, eine fehlerhafte bzw. rechtswidrige Entscheidung mit einer endgültigen Festsetzung aus Gründen zu korrigieren, die gerade nicht als Grund der Vorläufigkeit angegeben worden sei – und zwar nach § 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II sogar über die Jahresfrist hinaus. Dies müsse selbstverständlich erst recht für eine endgültige Festsetzung innerhalb der Jahresfrist gelten.

Mit Urteil vom 27. September 2023 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und dabei insbesondere darauf abgestellt, dass in der Geltendmachung der Erstattungen eine unzulässige Rechtsausübung des Beklagten liege. Im Einzelnen hat das SG ausgeführt, dass durch die Möglichkeit der vorläufigen Bewilligung die durch voraussichtlich längere Bearbeitungszeiten bedingten Nachteile und Härten für den Leistungsberechtigten vermieden werden sollten. Charakterisiere eine Behörde aber eine Regelung nicht hinreichend bestimmt als vorläufig, so treffe sie keine vorläufige Regelung, sondern eine das Verwaltungsverfahren inhaltlich umfassend abschließende Entscheidung, die nur noch unter den Voraussetzungen des § 45 bzw. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) korrigiert werden könne.

Vorliegend sei für den Zeitraum März bis August 2019 bereits unklar, ob der Beklagte nicht bereits mit Bescheid vom 1. April 2019 eine abschließende Bewilligung vorgenommen habe.

Hinsichtlich der (weiteren) Vorläufigkeit der Entscheidung gebe der Bescheid lediglich eine Gesetzesstelle wieder. Einen Grund der Vorläufigkeit gebe er nicht an. Vielmehr nehme er explizit Bezug auf die Gewährung von Heizkosten und gebe diese gerade nicht als Vorläufigkeitsgrund an. Insoweit habe der Beklagte die Leistungen nicht mehr endgültig festsetzen und zurückfordern können, da sie bereits endgültig festgesetzt gewesen seien.

Hinzu komme, dass der Beklagte für sämtliche Zeiträume gar keine vorläufige Entscheidung hätte treffen dürfen. Dies ergebe sich auch aus den eigenen fachlichen Weisungen des Beklagten zu § 41a SGB II. Demnach sei endgültig zu bewilligen, wenn keine Gründe für eine Vorläufigkeit gegeben seien. Es müsse eine Begründung für die Vorläufigkeit angegeben werden und deutlich gemacht werden, dass sich die Vorläufigkeit auf den gesamten Bescheid und alle Berechnungselemente erstrecke. Wenn Leistungen zu Unrecht vorläufig anstatt von Beginn an abschließend erbracht würden, sei der vorläufige Bescheid ursprünglich rechtswidrig, so dass er nur nach § 45 SGB X zurückgenommen werden könne. Ansonsten würde der leistungsberechtigten Person zu Unrecht der Vertrauensschutz vorenthalten. Allerdings vertrete das BSG insoweit die Auffassung, dass ein Kläger bei einer vorliegenden endgültigen Entscheidung nicht mehr mit dem Argument gehört werden könne, dass eine vorläufige Entscheidung gar nicht hätte ergehen dürfen. Dies dürfe aber dann nicht gelten, wenn eine Behörde nicht nur im konkreten Fall der Leistungsgewährung, sondern reflexartig sämtliche Leistungsbescheide mit Einkommensanrechnung innerhalb eines Zeitraumes mit einem Vorläufigkeitsvorbehalt versehe. Mit diesem Verhalten versage die Behörde sämtlichen in diesem Zeitraum Leistungsberechtigten den Vertrauensschutz, wenn sie nur Einkommen erzielten. Die Rückforderung stelle daher eine unzulässige Rechtsausübung dar. Verwaltungshandeln sei unzulässig, wenn damit eine unzulässige Rechtsausübung, ein Verstoß gegen Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB gegeben sei. So werde ein Handeln zum Beispiel auch im Rahmen einer an sich rechtmäßigen Rücknahme oder eines an sich rechtmäßigen Widerrufs als unzulässig angesehen, wenn entweder ein früheres unredliches Verhalten vorliege, ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehle, eine nur geringfügige Interessenverletzung gegeben sei oder wenn widersprüchliches Verhalten vorliege. Widersprüchliches Verhalten sei missbräuchlich, wenn entweder für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden sei oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen ließen. Auch wenn kein besonderer Vertrauenstatbestand zugunsten des anderen Beteiligten begründet worden sei, könne widersprüchliches Verhalten unzulässig sein, wenn der Berechtigte aus seinem früheren Verhalten erhebliche Vorteile gezogen habe oder wenn sein Verhalten sonst zu einem unlösbaren Selbstwiderspruch führen. Entsprechendes widersprüchliches Verhalten, das die Treuwidrigkeit der Rechtsausübung auslöse, könne seinen Ursprung auch in der Organisation der entscheidenden Behörde haben.

Bei Anwendung dieser Grundsätze sei jedenfalls die Geltendmachung der Erstattungsforderung als unzulässig anzusehen. Dem Beklagten sei von vornherein bekannt gewesen, dass die Klägerin gleichbleibendes Einkommen erziele. Bereits seit Dezember 2016 sei sie bei ihrer Arbeitgeberin als 450-Euro-Kraft angestellt gewesen. Sie habe laufend ihre Lohnabrechnungen eingereicht. Eine Aufstockung habe nie im Raum gestanden. Offenbar um sich spätere Rückforderungen zu erleichtern, habe der Beklagte dennoch nur vorläufige Bescheide erlassen, obwohl ihm habe bewusst sein müssen, dass aufgrund des gleichbleibenden Einkommens eine endgültige Entscheidung hätte ergehen müssen.

Es sei auch nicht ersichtlich, dass es sich seitens des Beklagten dabei nur allein bei der Klägerin um ein Versehen gehandelt habe. Nach Auskunft des Beklagten sei die Bescheiderteilung regelmäßig dergestalt gehandhabt worden, dass auch bei gleichbleibendem Einkommen vorläufige Bescheide erlassen worden seien. Jedenfalls im hier vorliegenden Fall, in dem die Behörde einen eigenen Fehler mittels offensichtlicher und vorsätzlicher Erteilung von rechtswidrigen Bescheiden und anschließender Berufung auf die Möglichkeit der endgültigen Festsetzung zu heilen versuche, erscheine derartiges Verhalten rechtsmissbräuchlich.

Gegen dieses am 26. Oktober 2023 zugestellte Urteil (Empfangsbekenntnis: Bl. 63 GA) wendet sich der Beklagte mit seiner am 21. November 2023 eingelegten Berufung. Er meint, Streitgegenstand seien nur die Erstattungsbescheide vom 24. April 2020. Die endgültige Bewilligungsbescheide vom gleichen Tage seien mangels Anfechtung nicht streitgegenständlich. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe in seinen Widersprüchen ausschließlich die Erstattungsbescheide genannt und auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass die Bewilligungsbescheide oder Leistungsberechnungen rechtswidrig seien. Die endgültige Bewilligung bzw. die tatsächlich zustehenden Leistungen seien nie streitig gestellt worden.

Die Erstattungsbescheide seien rechtmäßig und beruhten auf § 41a Abs. 6 SGB II. Sämtliche streitigen Leistungen seien vorläufig bewilligt worden. Alle Bescheide hätten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Leistungen vorläufig bewilligt würden. Damit habe die Klägerin kein Vertrauen aufbauen können. Der Einwand, die vorläufige Bewilligung sei rechtswidrig gewesen, sei ausgeschlossen, da die vorläufigen Bescheide unanfechtbar geworden seien. Der Anwendungsbereich von § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II sei unabhängig davon eröffnet, ob die vorläufige Geldleistung berechtigt oder rechtswidrig bewilligt worden sei. Eine Vertrauensschutzprüfung sei nicht vorgesehen. Hinzu komme, dass die Klägerin seit Jahren Anträge zur Betankung einreiche. Sie habe gewusst, dass nur die tatsächlich angefallenen Heizölkosten bewilligt werden könnten. Was das Prinzip von Treu und Glauben angehe, so müsse dies auch für die Klägerin gelten, die den Beklagten dann sofort auf seinen Fehler hätte aufmerksam machen müssen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. September 2023 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht sich dessen Gründe zu eigen. Sie nimmt ferner Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Beklagte tue das, was seiner eigenen Sicherheit diene, indem er jeden Bescheid für vorläufig erkläre. Wenn der Beklagte, bei dem das sogenannte Vier-Augen-Prinzip gelte, Heizkosten in einer bestimmten Weise berechnet habe, so sei nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin die Fehlerhaftigkeit hätte bemerken und melden müssen. Sie habe in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auch mitgeteilt, dass ihr dieses nicht aufgefallen sei. Es sei wahrheitswidrig, wenn der Beklagte behaupte, dass er nicht reflexartig in allen Fällen Vorläufigkeitsentscheidungen treffe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Verhandlung, Beratung und Entscheidung.

                                         Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig.

I. Gegenstand des Rechtsstreits sind nicht nur die beiden Erstattungsbescheide vom 24. April 2020 betreffend die Zeiträume März bis August 2019 und September 2019 bis Februar 2020, sondern auch die beiden diese Zeiträume betreffenden Bescheide vom 24. April 2020 über die abschließende Bewilligung von Leistungen. Diese vier Bescheide sind von der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit zwei gesonderten, mit den kanzleiinternen Zeichen „00426/20 k/mi“ bzw. „00422/20 k/mi“ versehenen Klagen zur rechtlichen Überprüfung gestellt worden. In den beiden nahezu identischen Klageschriften wird jeweils der Antrag angekündigt, „die“ Bescheide des Beklagten vom 24. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2020 aufzuheben. Damit steht fest, dass jeweils mehr als ein Bescheid angefochten wurde. Hinzu kommt, dass den Klageschriften jeweils der Erstattungsbescheid und der Bescheid über die abschließende Bewilligung von Leistungen beigefügt waren und darauf auch ausdrücklich in der Klageschrift hingewiesen wurde. Vor diesem Hintergrund unterliegt es bereits aufgrund des Wortlautes der Klageschriften keinem Zweifel, dass die Klagen sowohl gegen die Erstattungsbescheide als auch gegen die Bescheide über die abschließende Festsetzung von Leistungen erhoben wurden. Zudem sind die Widerspruchsbescheide vom 8. Juni 2020 ausweislich ihres Betreffs („wegen Erstattung nach endgültiger Festsetzung…“) sowie ihrer Begründung (1. und 2. Absatz von Seite 2 der Widerspruchsbescheide) sowohl zu den Erstattungs- als auch zu abschließenden Leistungsbescheiden ergangen.

II. Die Klagen sind in vollem Umfang zulässig, insbesondere auch unter dem Aspekt des nach § 78 SGG erforderlichen Vorverfahrens. Anders als der Beklagte – erstmals – im Berufungsverfahren äußert, waren nicht nur die Erstattungsbescheide, sondern auch die Bescheide über die abschließende Festsetzung von Leistungen Gegenstand der Widerspruchsverfahren. In formaler Hinsicht ergibt sich dies bereits aus dem Umstand, dass der Beklagte jeweils auf Seite 2 im 4. Absatz der Widerspruchsbescheide unter Verwendung des Plurals ausführt, „die angefochtenen Entscheidungen“ seien nicht zu beanstanden. Damit macht er selbst deutlich, dass er von einem Widerspruch gegen mehrere Bescheide ausgeht. In beiden Widerspruchsbescheiden hat der Beklagte zudem detailliert dargelegt, wie die der Klägerin in den beiden streitigen Bewilligungszeiträumen zustehenden Leistungen zu ermitteln sind (vgl. jeweils ab Seite 3, 4. Absatz). Damit hat er für beide streitigen Zeiträume sowohl den Bescheid über die endgültige Festsetzung von Leistungen als auch den Erstattungsbescheid inhaltlich überprüft.

Unabhängig von der Reichweite des Widerspruchs hat damit das erforderliche Vorverfahren stattgefunden. Zur Überzeugung des Senats waren aber auch die von der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten eingelegten Widersprüche sowohl gegen die abschließende Festsetzung als auch gegen die Erstattungsforderung gerichtet. Für den Zeitraum September 2019 bis März 2020 ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut des Widerspruchs, der gegen den Erstattungsbescheid vom 24. Februar 2020 „mit der endgültigen Leistungsfestsetzung“ gerichtet war. Im Widerspruch betreffend den Zeitraum März 2019 bis August 2019 wurde zwar die abschließende Festsetzung nicht erwähnt, aber vorliegend ergibt sich aus der Rechtsnatur des Erstattungsbescheides und des Bescheides über die endgültige Festsetzung, dass beide vom Widerspruch umfasst waren. Die Bescheide datierten beide vom 24. April 2020 und waren inhaltlich aufeinander bezogen. So wurde im Bescheid über die abschließende Festsetzung von Leistungen u. a. ausgeführt, dass der zu Unrecht gezahlte Betrag zu erstatten sei und Näheres dazu dem Festsetzungsbescheid vom 24. April 2020 entnommen werden könnte. Umgekehrt wurde im Erstattungsbescheid vom 24. April 2020 darauf hingewiesen, dass über den Leistungsanspruch „mit beiliegendem Bescheid“ endgültig entschieden worden sei und die tatsächlich zustehenden Leistungen diesem (beiliegenden) Bescheid entnommen werden könnten. Damit bildeten die Bescheide eine rechtliche Einheit (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 57/21 R, Rn. 15). In dieser Konstellation hätte es zur Überzeugung des Senats einer ausdrücklichen Beschränkung auf die Anfechtung der Erstattungsverfügung bedurfte, sofern nur diese Gegenstand des Widerspruchs hätte sein sollen. Allein der Umstand, dass im Widerspruch nur der Erstattungsbescheid ausdrücklich erwähnt wurde, reicht dafür nicht aus.

III. Das SG hat über die Klagen vollumfänglich entschieden, indem es die Bescheide vom 24. April 2020 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Juni 2020 aufgehoben hat. Der nach seinem Wortlaut eindeutige Tenor lässt nur den Schluss zu, dass das SG sämtliche angefochtenen Bescheide aufgehoben hat, ohne sich dabei auf einzelne Verfügungssätze – etwa die Erstattungsverfügung – zu beschränken.

IV. Die angefochtenen Bescheide sind jedoch rechtmäßig, so dass das Urteil des SG der Aufhebung unterliegt.

1. Rechtsgrundlage für die abschließende Bewilligung bzw. Festsetzung der Leistungen ist § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. März 2021 geltenden Fassung (a. F.). Demnach entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt.

a) Einer Anhörung der Klägerin bedurfte es vor den abschließenden Festsetzungen nach § 41a SGB II a. F. nicht (Senatsbeschluss vom 25. November 2019 – L 11 AS 493/19 NZB m. w. N.). Selbst wenn man eine Anhörung für erforderlich halten wollte, wäre diese vorliegend im Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

b) Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II a. F. sind erfüllt. Der Beklagte hatte die Leistungen für den Bewilligungszeitraum März bis August 2019 in vollem Umfang vorläufig bewilligt, und zwar insbesondere auch in Bezug auf die Heizkosten. Der Ausgangsbewilligungsbescheid für diesen Zeitraum ist der Bescheid vom 7. Februar 2019 (Bl. 306 eVA), der zweifelsfrei eine vorläufige Bewilligung enthielt und noch keine Berücksichtigung von Heizkosten vorsah. Das Schreiben vom 7. März 2019 (Bl. 329 eVA) enthielt lediglich eine Mitteilung darüber, in welcher Höhe Heizkosten für den Bewilligungszeitraum (insgesamt) gewährt werden könnten, nämlich in Höhe von 480,00 Euro. Damit verbunden war eine Aufforderung, einen Kostenvoranschlag einzureichen. Darin lag noch keine Änderung des vorläufigen Bewilligungsbescheides vom 7. März 2019. Erst nachdem die Klägerin unter dem 28. März 2019 das Angebot des Heizöllieferanten über 480,01 Euro eingereicht hatte, erließ der Beklagte den Änderungsbescheid vom 1. April 2019 (Bl. 342 eVA), mit dem er fälschlicherweise für den Zeitraum April bis August 2019 monatliche (anstatt: einmalige) Heizkosten in Höhe von 480,00 Euro bewilligte. Auch dieser Bescheid erging zweifelsfrei ausdrücklich vorläufig. Bei einem vorläufigen Bewilligungsbescheid beschränkt sich die Vorläufigkeit grundsätzlich auch nicht auf diejenigen Elemente, die als Begründung für die Vorläufigkeit angeführt werden; vielmehr ist der Bewilligungsbescheid insgesamt vorläufiger Natur (vgl. Begründung des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung vom 6. April 2014, BT-Drs. 18/8041, Seite 52; Senatsbeschluss vom 26. März 2020 – L 11 AS 73/20 B).

Für den weiteren streitigen Bewilligungszeitraum September 2019 bis Februar 2020 hat der Beklagte die Leistungen ebenfalls zunächst mit Bewilligungsbescheid vom 8. August 2019 und Änderungsbescheid vom 23. November 2019 ausdrücklich vorläufig bewilligt.

c) Auch die zweite Voraussetzung des § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II a. F. ist erfüllt, denn die vorläufig bewilligten Leistungen entsprachen nicht den abschließend festzustellenden. Die vorläufige Bewilligung von Leistungen unter Berücksichtigung von monatlichen Heizkosten in Höhe von 480,00 Euro war für die Monate Mai bis August 2019 unzutreffend, denn Kosten waren nur in Höhe von 500,00 Euro im April 2019 angefallen. Auch für die Monate September 2019 bis Februar 2020 waren vorläufig mit monatlich 480,00 Euro fehlerhaft Leistungen bewilligt worden. Die Klägerin hatte in den Monaten September, November und Dezember 2019 sowie im Monat Februar 2020 überhaupt keine Heizkosten. Im Oktober 2019 hatte sie Heizkosten in Höhe von 556,00 Euro, im Januar 2020 in Höhe von 628,77 Euro.

d) Damit war der Beklagte berechtigt, die Leistungen abschließend abweichend von der vorläufigen Bewilligung in zutreffender Höhe endgültig zu bewilligen. Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte kommt es dabei nicht an. Insbesondere auf die Voraussetzungen für die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X kommt es nicht an. Eine nur vorläufige Leistungsbewilligung begründet keinen Vertrauensschutz (Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - vom 6. April 2014, a. a. O., Seite 53, Zu Absatz 2; BSG, Urteil vom 11. Juli 2019 – B 14 AS 44/18 R, Rn. 33; Senatsurteil vom 25. Februar 2025 – L 11 AS 413/22). Vielmehr geht die Regelung in § 41a Abs. 3 SGB II der Regelung des § 45 SGB X vor (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 11 AL 19/09 R, Rn. 18f.; vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 45 SGB X - Stand: 17. Juni 2025, Rn. 14; Kallert in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1. März 2022, § 41a, Rn. 22). Erst durch die endgültige Festsetzung der Leistungen kann Vertrauensschutz überhaupt erworben werden, weswegen § 41a Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB II die endgültige Festsetzung auch auf Antrag des Betroffenen vorsieht (Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch, a. a. O., Seite 53, Zu Absatz 3, 4. Absatz).

Auf die Frage, ob die Bewilligung zu Recht nur vorläufig erfolgt war, kommt es nicht an. Die Klägerin hat die vorläufigen Bewilligungsbescheide nicht angegriffen, diese sind vielmehr bestandskräftig geworden und haben sich sodann mit dem Erlass der endgültigen Bescheide erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 3/20 R, Rn. 12). Im Falle einer im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung belastenden endgültigen Entscheidung kann ein Kläger im Klageverfahren gegen die endgültige Entscheidung nicht mehr erfolgreich damit argumentieren, dass die Verwaltung nicht vorläufig hätte bewilligen dürfen (BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R, Rn. 20).

Entgegen der Auffassung des SG stellt der Erlass der endgültigen Bewilligungsbescheide im vorliegenden Fall auch keine unzulässige Rechtsausübung durch den Beklagten dar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beklagte ggf. in bestimmten Zeiträumen regelmäßig vorläufige Bewilligungsbescheide in Fällen erlassen hat, in denen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entscheidung nicht vorgelegen haben. Es ist bereits fraglich, ob für die Anwendung der Kriterien einer unzulässigen Rechtsausübung vorliegend überhaupt Raum ist. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in §§ 45, 48 SGB X in ihrem Anwendungsbereich eine spezielle und abschließend gedachte Regelung des Vertrauensschutzes bei der Korrektur von Verwaltungsakten getroffen, bei der es sich um ein abgestuftes Vertrauensschutzkonzept und zugleich um eine gesetzliche Interessenabwägung handelt, die von den Gerichten nicht pauschal durch allgemeine, aus der Generalklausel von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitete Vertrauensschutzerwägungen ersetzt werden kann (BSG, Urteil vom 20. September 2023 – B 4 AS 6/22 R, Rn. 24). Dies dürfte auch insoweit gelten, als der Gesetzgeber für die abschließende Festsetzung von Leistungen nach vorläufiger Bewilligung in § 41a SGB II eine Sonderregelung geschaffen hat, in der es auf Vertrauensschutzgesichtspunkte gerade nicht ankommen soll.

Selbst wenn man aber den Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide heranziehen wollte, ergäbe sich kein für die Klägerin günstiges Ergebnis. Der Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung dient nicht der abstrakten Sanktionierung möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungshandelns. Wesentliches Kennzeichen der Fallgruppen, die als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden, ist vielmehr der Umstand, dass formaljuristisch eine Rechtsposition besteht, deren Geltendmachung bzw. Ausübung im konkreten Einzelfall als grob unbillig angesehen wird (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Juli 2023 – L 14 U 117/22, Rn. 42). Dabei ist u. a. auch die Schutzwürdigkeit des Anspruchsgegners zu berücksichtigen, die im Falle der Kenntnis vom fehlerhaften Verwaltungshandeln ausgeschlossen sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 2/14 R, Rn. 23; vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a. a. O., Rn. 42f.).

Die vorliegend angefochtene abschließende Festsetzung der Leistungen führt gerade nicht zu einem unbilligen, nur formaljuristisch gerechtfertigten Ergebnis, sondern sie entspricht auch der Billigkeit. Der Umstand, dass der Beklagte – möglicherweise – rechtswidrig zunächst nur vorläufig Leistungen bewilligt hatte, tritt dabei in den Hintergrund. Der Klägerin war seit Jahren bekannt, dass sie Anspruch auf Heizkosten in Höhe eines vom Beklagten anerkannten Betrages hatte und dass sie die Kosten nachweisen musste. Dieser langjährigen Übung entsprechend hat der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2019 auch für den Zeitraum März bis August 2019 die Übernahme von Heizkosten in Höhe von insgesamt 480,00 Euro in Aussicht gestellt. Die Klägerin hat daraufhin beim Heizöllieferanten ein entsprechendes Angebot in dieser Größenordnung eingeholt und dem Beklagten vorgelegt (für 480,01 Euro). Daraufhin hat der Beklagte ihr mit Schreiben vom 1. April 2019 mitgeteilt, dass ein Betrag von 480,00 Euro ausgezahlt worden sei und sie noch die entsprechende Rechnung einreichen möge. Am gleichen Tage erging der fehlerhafte vorläufige Änderungsbescheid, in dem der Beklagte für die Monate April bis August 2019 monatlich (anstatt: einmalig) 480,00 Euro an Heizkosten bewilligte und in der Folgezeit auszahlte. Bei diesem Ablauf der Ereignisse steht einerseits fest, dass die Klägerin die fehlerhafte Bewilligung nicht verursacht oder gar schuldhaft herbeigeführt hat, sondern dass diese auf dem fehlerhaften Verwaltungshandeln des Beklagten beruht. Gleichermaßen steht für den Senat aber auch fest, dass die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung und der Auszahlungen so deutlich erkennbar war, dass die Klägerin auch unabhängig von der Vorläufigkeit der Bewilligung mit einer Rückforderung rechnen musste. Das Vorbringen der Klägerin, ihr sei die Fehlerhaftigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Bewilligung nicht aufgefallen, überzeugt den Senat nicht. Vielmehr stellt sich der Sachverhalt so dar, dass er auch die Voraussetzungen für die Rücknahme einer fehlerhaften endgültigen Bewilligungsentscheidung nach § 45 SGB X, wenn sie denn vom Beklagten vorgenommen worden wäre, zweifelsfrei erfüllt. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegen vor, denn sofern die Klägerin tatsächlich nicht erkannt haben sollte, dass die Bewilligung von weiteren 480,00 Euro monatlich fehlerhaft war, so beruhte diese Unkenntnis auf einem besonders schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß im Sinne grober Fahrlässigkeit. Ihr Vorbringen, sie sei als juristischen Laiin mit der Art und Weise der gesetzmäßigen Leistungsgewährung nicht vertraut, wohingegen beim Beklagten ausgebildete Personen säßen, überzeugt nicht. Es reicht die Parallelwertung in der Laiensphäre, wonach bei einmalig anfallenden Heizkosten in Höhe von 480,01 Euro kein monatlicher Anspruch auf 480,00 Euro bestehen kann. Eine juristische Beurteilung ist nicht erforderlich. Vielmehr handelt es sich um einen selten eindeutigen Fall grob fahrlässiger Unkenntnis, wohl eher sogar von Kenntnis der Fehlerhaftigkeit. Das Vorbringen der Klägerin, sie sei nicht verpflichtet, Bescheide auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, greift zu kurz. Sie ist in jedem Falle verpflichtet, die ihr erteilten Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R, Rn. 25). Der Änderungsbescheid vom 1. April 2019 wies im Berechnungsbogen für die Monate April bis August 2019 eigens den Betrag von 480,00 Euro unter Zuordnung zur Kategorie „Heizkosten“ aus. Die Klägerin erhielt mehr als doppelt so hohe Gesamtleistungen als zuvor bewilligt – statt bislang 384,61 Euro 864,61 Euro. Dass ihr dies nicht aufgefallen sein soll, ist für den Senat nicht vorstellbar.

Nichts anderes gilt auch für den Folgezeitraum September 2019 bis Februar 2020, wo ebenfalls gesonderte Heizkosten von monatlich 480,00 Euro ausgewiesen waren und sich die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Leistungsbewilligung fortsetzte.

Nach alledem ist im vorliegenden Fall für die Anwendung des Rechtsgedankens einer unzulässigen Rechtsausübung kein Raum. Die abschließende Festsetzung der Leistungen in zutreffender Höhe entspricht der Billigkeit. In Anbetracht des geschilderten Sachverhalts hat sich der Beklagte mit der abschließenden Festsetzung nach vorläufiger Bewilligung wertungsmäßig gerade keinen Vorteil verschafft, der ihm – nur – formaljuristisch eine Rechtsposition einräumt, die er für den Fall einer vorangegangenen endgültigen Leistungsbewilligung nicht gehabt hätte. Im Bereich der steuerfinanzierten Grundsicherungsleistungen kann ohnehin nicht davon gesprochen werden, dass sich ein Leistungsträger durch Rückforderung zu Unrecht bewilligter Leistungen einen Vorteil verschafft. Dass in einer Massenverwaltung bei der Leistungsbewilligung auch Fehler unterlaufen, ist kaum völlig zu vermeiden. Die korrekte Bewilligung von zunächst zu Unrecht gewährten Leistungen entspricht dann dem allgemeinen Interesse an einer gesetzeskonformen Leistungsbewilligung. Es besteht damit kein Anlass, von dem Grundsatz abzuweichen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorläufigkeitsvorbehalts nach Erlass der endgültigen Bewilligungsbescheides nicht mehr zu prüfen ist.

Sofern ein Jobcenter planmäßig entgegen den rechtlichen Vorgaben vorläufige Bewilligungsbescheide erlassen (haben) sollte, steht dem Betroffenen hiergegen der Rechtsweg offen (vgl. etwa: BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R). Zudem könnte diese Verfahrensweise möglicher Gegenstand des Weisungs- und Prüfungsrechts der Träger des Beklagten als gemeinsamer Einrichtung (§ 44b Abs. 3 SGB II) bzw. der von der zuständigen Behörde wahrzunehmenden Rechtsaufsicht (vgl. § 47 SGB II) sein.

e) Nachdem die streitigen Bewilligungszeiträume Ende August 2019 bzw. Ende Februar 2020 abgelaufen waren, war die abschließende Festsetzung mit Bescheiden vom 24. April 2020 zweifelsfrei rechtzeitig. Auf die Anwendbarkeit der Jahresfrist des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II kommt es daher nicht an, denn sie wurde gewahrt.

2. Auch die Erstattungsverfügungen erweisen sich als rechtmäßig. Rechtsgrundlage dafür ist § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II a. F. Demnach sind Überzahlungen, die nach Anrechnung der erbrachten auf die abschließend festgestellten Leistungen und ggf. nach monatsübergreifender Saldierung fortbestehen, zu erstatten (§ 41a Abs. 6 Sätze 1, 2 SGB II a. F.). Der Beklagte hat Anrechnung und Saldierung zutreffend vorgenommen. Rechnerische Unrichtigkeiten sind weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.

Gegen die Erstattungsverfügung kann ebenfalls nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung geltend gemacht werden. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1d wird verwiesen.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

VI. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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